„Soziales“ Unternehmertum

18.4.2018 – von Karl-Friedrich Israel.

Karl-Friedrich Israel

Es klingt widersprüchlich, aber Unternehmertum („Entrepreneurship“) ist ein beliebtes Forschungsgebiet für junge aufstrebende Akademiker in den Wirtschaftswissenschaften. Publikationen zu diesem Thema in den einschlägigen Fachzeitschriften erfreuen sich einer relativ hohen Reputation und lassen einen zügigen Aufstieg zu höheren akademischen Weihen erhoffen.

Um der bereits sehr umfangreichen Literatur zum Unternehmertum etwas Neues hinzufügen zu können, braucht es oft neue thematische Schwerpunkte. Ein Themenkomplex, der in den letzten Jahren besonders stark gewachsen ist, befasst sich mit den ökonomischen Grundlagen des sozialen Unternehmertums.

In einem zu Beginn des Jahres veröffentlichten Essay widmet sich Dr. Matthew McCaffrey von der Universität Manchester in England u.a. der dringenden Frage, was sich eigentlich hinter diesem Schlagwort verbirgt.[1] Was genau ist soziales Unternehmertum? Und operieren soziale Unternehmen fundamental anders als herkömmliche Unternehmen?

Die Bezeichnung suggeriert, dass Unternehmertum an sich nicht sozial sei, genauso wie die Bezeichnung „soziale Marktwirtschaft“ implizit voraussetzt, dass eine Marktwirtschaft als solche nicht zwingend ein soziales Element beinhalte. Ob dies wirklich so ist, steht und fällt mit der Definition des Wortes „sozial.“

Friedrich August von Hayek hatte das Attribut „sozial” ein „Wiesel-Wort“ erster Güte genannt. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es keine scharfe Abgrenzung oder Bedeutung hat. So wie ein Wiesel in der Lage sei, den Inhalt eines Eies zu leeren, ohne sichtbare Spuren zu hinterlassen, beraube das Wort „sozial“ die angefügten Substantive ihrer eigentlichen Bedeutung.

Hayek lieferte eine Liste von über 160 Substantiven, die häufig mit dem Attribut „sozial“ versehen werden.[2] Er verwies zum Beispiel auf Ausdrücke wie „soziales Gewissen,“ „soziale Gerechtigkeit“ oder auch den „Gesellschaftsvertrag“ – im Englischen social contract. Hayek bemerkte, dass in Westdeutschland ein besonders schwerwiegender Missbrauch mit diesem Wort betrieben wurde, als man den „sozialen Rechtstaat“ im Grundgesetz von 1949 verankerte.

Haben wir mit dem „sozialen Unternehmertum“ nun also ein weiteres Wort gefunden, dass man Hayeks Liste hinzufügen kann? McCaffrey stellt diese Frage in seinem Artikel nicht direkt, aber seine Analyse veranlasst nicht zu der Annahme, dass er sie zwingend bejahen würde. Dennoch ist seine Kernbotschaft eindeutig: Das Attribut „sozial“ rüttelt in keiner Weise an der ökonomischen Theorie des Unternehmertums. Ob ein Unternehmen sozial ist oder nicht, es bleibt notwendigerweise gewinnorientiert.

Wie jeder andere Unternehmer auch muss der „soziale“ Unternehmer gewinnorientiert handeln, um seine „sozialen“ Ziele besser erreichen zu können. Prinzipiell gilt auch hier: je mehr Gewinn desto besser. Sofern das soziale Unternehmen nicht lediglich eine Wohltätigkeitseinrichtung zur Weitergabe von Spenden sein will, muss es auf die eine oder andere Weise einen Mehrwert aus Sicht der Konsumenten oder anderer Geschäftsinteressenten (stakeholder) schaffen, der folglich Einkommen für das Unternehmen generiert.

McCaffrey analysiert zwei Arten sozialer Unternehmen. Ein komplementäres soziales Unternehmen zeichnet sich dadurch aus, dass es öffentlich deklariert, einen Teil seiner Gewinne für bestimmte wohltätige Zwecke zu spenden. Hier ist ganz offensichtlich, dass ein solches Unternehmen nur dann den erklärten wohltätigen Zwecken dienen kann, wenn es profitabel operiert. Es unterliegt in dieser Hinsicht wie jedes andere Unternehmen den Gesetzen der marktwirtschaftlichen Gewinn- und Verlustrechnung.

Integrierte soziale Unternehmen sind etwas komplizierter. Sie beziehen die Verfolgung einer sozialen Mission direkt in den Produktionsprozess ein. Zum Beispiel könnte ein Unternehmer zielgerichtet Obdachlose als Arbeitnehmer einstellen. Ein sehr bekanntes Beispiel ist der Englische Starkoch Jamie Oliver, der ganz gezielt junge Menschen aus schwierigen sozialen Verhältnissen einstellt, um ihnen eine Perspektive zu bieten.

Wenn die eingestellten Arbeitnehmer oberhalb ihres diskontierten Wertgrenzprodukts[3] entlohnt werden, könnte man sagen, dass der Unternehmer in dieser Hinsicht nicht gewinnorientiert handelt. Dabei wird allerdings etwas ganz Entscheidendes übersehen.

Wenn der Lohn der Arbeitnehmer tatsächlich über dem diskontierten Wertgrenzprodukt liegt, so kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass der Unternehmer, sofern er sich dessen bewusst ist, ganz gezielt auf ein höheres Einkommen verzichtet. In diesem Sinne würde der Unternehmer tatsächlich einen Teil seines Einkommens oder Gewinns spenden. Er kann dies aber nur tun, wenn das Unternehmen den gespendeten Betrag tatsächlich erwirtschaftet. Wenn es das nicht tut, so muss sich die Wohltat aus der Substanz des Unternehmens speisen. Folglich würde der Sachwert des Unternehmens sinken, was wiederum, wie für jedes andere Unternehmen auch, auf lange Sicht nicht nachhaltig sein kann.

Es ist aber auch möglich, dass die Arbeitnehmer nur vermeintlich oberhalb ihres diskontierten Wertgrenzprodukts bezahlt werden. Dies ist etwa dann der Fall, wenn Konsumenten es wertschätzen, dass der Unternehmer Obdachlose oder anderweitig bedürftige Menschen einstellt. Sie sind genau deshalb bereit, einen höheren Preis für die bereitgestellten Güter zu bezahlen. Die verfolgte soziale Mission wird sodann zu einem Aspekt des Marketings. Dies kann Unternehmergewinne erhöhen.

So oder so kommt ein erfolgreicher Unternehmer nicht drum herum, wirtschaftlich und gewinnorientiert zu handeln, selbst dann nicht, wenn ein höheres „soziales Ziel“ mit der Unternehmung verfolgt wird. Es bleibt festzuhalten, dass das Attribut „sozial“ überflüssig ist. „Soziales Unternehmertum“ unterscheidet sich aus rein ökonomischer Sicht nicht vom herkömmlichen Unternehmertum. Unternehmer, ob „sozial“ oder nicht, zeichnen sich dadurch aus, dass sie gewinnorientiert verschiedene Produktionsfaktoren zur Herstellung von Gütern und Dienstleistungen kombinieren und koordinieren. „Sozial“ ist auch im Hinblick auf die ökonomische Analyse des Unternehmertums ein Wiesel-Wort. „Soziales Unternehmertum“ ist aus ökonomischer Sicht nur dann anders, wenn es kein Unternehmertum mehr ist.

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[1] Der Artikel wurde unter dem Titel „Economic calculation and the limits of social entrepreneurship” im Sammelband The Economic Theory of Costs veröffentlicht. Das Buch wurde von McCaffrey selbst zu Beginn des Jahres beim Routlege Verlag herausgegeben und enthält 10 weitere interessante Essays, u.a. von Prof. Guido Hülsmann über den theoretischen Mythos der Risikoprämie („The myth of the risk premium“).
[2] Siehe Hayeks Die verhängnisvolle Anmaßung. Die Irrtümer des Sozialismus. Das englische Original ist frei verfügbar.
[3] Das Wertgrenzprodukt entspricht den zusätzlichen Nettoeinnahmen, die durch die eingekaufte Arbeitskraft erzielt werden können. Diese werden diskontiert da zwischen Auszahlung des Lohnes und den erhöhten Einnahmen eine bestimmte Zeitspanne liegt. Der Lohn wird gewissermaßen vorweggezahlt. Der Diskontfaktor ermittelt sich aus der Zeitpräferenz der Akteure. Die ökonomische Theorie sagt also, dass in einer Gleichgewichtssituation der Lohn eines Arbeitnehmers dem diskontierten Grenzwertprodukt entspricht.

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Dr. Karl-Friedrich Israel hat Volkswirtschaftslehre, Angewandte Mathematik und Statistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der ENSAE ParisTech und der Universität Oxford studiert. Er wurde 2017 an der Universität Angers in Frankreich bei Professor Dr. Jörg Guido Hülsmann promoviert.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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