Grenzen der Konjunkturpolitik

13. Januar 2025 – von Antony P. Mueller

Die Österreichische Schule der Volkswirtschaftslehre zeigt nicht nur, dass auf die Konjunkturpolitik als wirtschaftliches Stabilisierungsinstrument kein Verlass ist, sondern auch, dass Notenbanken wesentlich Anteil daran haben, dass es immer wieder zu Wirtschafts- und Finanzkrisen kommt.

Während der Herrschaft der keynesianischen Ökonomie in der Volkswirtschaftslehre in den 1960er Jahren fast zum Schweigen gebracht, erlebte die Österreichische Schule der Nationalökonomie in den 1970er Jahren ein Comeback. Eine Ursache für die Renaissance der Österreichischen Schule war die Hilflosigkeit der keynesianischen Nachfragepolitik angesichts der Stagflation in dieser Zeit. Ein zusätzlicher Grund war, dass Friedrich August von Hayek 1974 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften erhielt. In den 1980er Jahren bezogen der Monetarismus und die angebotsorientierte Ökonomie verschiedene Aspekte der Österreichischen Volkswirtschaftslehre in ihre Politikvorschläge ein, und in den 1990er Jahren schritt die Institutionalisierung der Österreichischen Volkswirtschaft mit der Gründung des Ludwig von Mises Instituts in den Vereinigten Staaten, die seither auf der ganzen Welt nachgeahmt wird, voran.

Heute ist die Österreichische Volkswirtschaftslehre eine schnell wachsende Disziplin, die immer mehr Anhänger findet. Viele Grundzüge der österreichischen Volkswirtschaftslehre sind den Studierenden und Professoren der Volkswirtschaftslehre allerdings noch weitgehend unbekannt. Vor allem dem makroökonomischen Teil der Österreichischen Schule wird an den meisten Universitäten noch wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Doch das könnte ein Ende haben, denn einer der wichtigsten Beiträge der Österreichischen Makroökonomie ist ihre Konjunkturtheorie. Seit dem Aufkommen der ‚Theorie der rationalen Erwartungen‘, die kurioserweise bereits Elemente des Österreichischen Ansatzes enthielt, hat es in der Mainstream-Makroökonomie kaum Fortschritte gegeben. Die volle Relevanz der österreichischen Volkswirtschaftslehre muss noch entdeckt werden. Schließlich zeichnet sich die Österreichische Makroökonomik durch eine ausgereifte Konjunkturtheorie und einen Wissensbestand aus, der sowohl flexibel als auch in sich konsistent ist.

Es sind nicht nur die immer wieder auftretenden Wirtschaftskrisen, die die intellektuellen Defizite des Mainstreams offenlegen. Darüber hinaus ist das Versagen der aktuellen Geldpolitik, die sich am Konzept des Inflationsziels und dem Modell des ‚Dynamischen Stochastischen Allgemeinen Gleichgewichts‘ (DSGE) orientiert, sichtbar. Es ist keine Überraschung, dass die konventionelle Theorie wenig zu bieten hat, um die Wiederkehr von Wirtschafts- und Finanzkrisen zu erklären, und weitgehend ahnungslos ist, wenn es um gesamtwirtschaftliche Politikeingriffe geht. Es gibt viele Modelle, aber wenig Konsistenz. Es gibt viel Formalismus, aber wenig Substanz. Wirtschaftspolitik wird von der Anwendung vereinfachter Regeln beherrscht, während ein großer Teil der modernen wirtschaftswissenschaftlichen Forschung praktisch irrelevant ist. Alles in allem ist die moderne Makroökonomie, wie sie in den populären Lehrbüchern und in den Curricula der Universitätsökonomie dargestellt wird, zu einer langweiligen Disziplin geworden, die von den Studenten aufgegeben, von der Presse nicht mehr geschätzt und von der Öffentlichkeit weitgehend ignoriert wird. Der Rückgang der Einschreibungen in das Studium der Volkswirtschaftslehre zeigt sich im Verfall der Qualität der öffentlichen Diskussion über wirtschaftliche und soziale Fragen.

Doch es gibt Hoffnung. Viele junge Menschen, die die Österreichische Ökonomik für sich entdecken, nehmen diesen Ansatz mit Begeisterung an. Sie fühlen sich auch von der intellektuellen Qualität der Österreichischen Volkswirtschaftslehre angezogen, was ihre Nützlichkeit als Werkzeug zum Verständnis vieler Aspekte des gesellschaftlichen Lebens betrifft. Anders als die Mainstream-Ökonomik bevorzugt die Österreichische Schule keinen extremen Formalismus, aber die Substanz und ihre Vorschläge für die Makroökonomie sind verblüffend. Die Österreichische Volkswirtschaftslehre zeichnet sich durch ihre Konsistenz und ihre Fähigkeit aus, mit Komplexität umzugehen. Es ist keine Überraschung, dass sich die Österreichische Schule der Nationalökonomie zur lebendigsten Schule der Volkswirtschaftslehre entwickelt hat, die es derzeit gibt.

Die Mainstream-Ökonomen können es sich nicht länger leisten, die Einsichten der Österreichischen Schule zu ignorieren. Die Nachfrage der Studierenden, solide Wirtschaftswissenschaften zu lernen, steigt. Die Öffentlichkeit sehnt sich nach einer gesunden Wirtschaft, da die Menschen es leid sind, mit den Oberflächlichkeiten und Verzerrungen zu gefüttert zu werden, die sie von Politikern und ihren publizistischen Günstlingen hören, die als selbsternannte Experten auftreten. Die Menschen haben das Vertrauen in die Massenmedien verloren und sind frustriert von der Widersprüchlichkeit der Art von Ökonomik, die der Öffentlichkeit präsentiert wird. Wenn die Zeit für eine Idee gekommen ist, kann sie durch nichts mehr aufgehalten werden, und das ist jetzt für die Österreichischen Schule der Volkswirtschafslehre der Fall.

Die Österreichische Makroökonomik lehnt die Annahme der herrschenden Lehre ab, dass eine Volkswirtschaft, wenn sie die gewünschten Wirtschaftswachstumsraten zusammen mit dem festgelegten Inflationsziel erreicht, auf einem optimalen Kurs wäre. Die Österreichische Konjunkturtheorie zeigt vielmehr, wie Zentralbankbehörden durch ihre Datenanalysen des Preisniveaus, des Wirtschaftswachstums und der Beschäftigung tendenziell in die Irre geführt werden und warum aktive Zentralbanken unbeabsichtigt Boom-Bust-Zyklen auslösen, indem ihre Politik das Entstehen von Produktionsstrukturen fördert, die wirtschaftlich nicht nachhaltig sind. Ohne Einmischung der Zentralbank würden Produktivitätssteigerungen eine vorübergehende Deflation herbeiführen, und wenn man den Wirtschaftsverlauf seinen natürlichen Weg überließe, würden steigende Profite und eine höhere Kaufkraft die Volkswirtschaft in Richtung Expansion und erhöhter Investitionstätigkeit ohne Rezession bewegen. Mit Interventionen der Zentralbanken, die auf die Aufrechterhaltung der sogenannten Preisniveaustabilität im Sinne des Inflationsziels abzielen, werden die Währungsbehörden jedoch die Geldmenge ausweiten und einen produktivitätsgetriebenen Vermögenszuwachs in einen schuldengetriebenen exzessiven Boom verwandeln, der die Grundlage für den folgenden Kollaps darstellt.

Konjunkturzyklen entstehen und entwickeln sich als die Folge von irreführenden Zinssignalen seitens der Notenbank. Es kommt zu einer verzerrten Produktionsstruktur. Aus Sicht der Österreichischen Schule ist so die Makroökonomie mit der Mikroökonomie verbunden und es gibt keine scharfe Trennung zwischen der kurz- und der langfristigen Analyse, wie sie die herrschenden Lehrbücher behaupten.

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Die Österreichische Konjunkturtheorie weist die Anmaßung des Wissens zurück, die ‚gesamtwirtschaftliche Nachfrage‘ ließe sich politisch steuern. Ebenso folgt sie nicht der Vorstellung, dass mit dem Erreichen des Inflationsziel ein stabiles Wirtschaftswachstum erreicht werde. Die Österreichische Konjunkturtheorie zeigt vielmehr, wie das sogenannte ‚inflation targeting‘ künstliche Booms hervorruft, die die Tendenz haben, außer Kontrolle zu geraten und in der Folge in einen Bust umschlagen. Der derzeit von den wichtigen Notenbanken praktizierte Geldpolitik fehlt der analytische Rahmen, um die Rolle des Kapitals in Form der Produktionsstruktur angemessen zu berücksichtigen.

In Zeiten geringerer Produktivitätszuwächse führt die inflationäre Ausrichtung moderner Zentralbanken zu einer Stagflation, da sich die expansive Geldpolitik direkt in höheren Verbraucherpreisen niederschlägt. Vor allem unter den Bedingungen steigender Produktivitätszuwächse oder wenn andere Faktoren die Produktionskosten in großem Umfang senken, ist es für die Zentralbanken leicht, die Inflationsrate innerhalb des festgelegten Ziels zu halten. Die kritische Phase und der Wendepunkt treten jedoch ein, wenn die Phase starker Produktivitätsgewinne endet oder wenn es zu einem negativen Angebotsschock kommt. Dann bricht das Fundament weg, auf dem die Schuldenpyramide errichtet wurde. Ein solides Wachstum hätte erreicht werden können, wenn die Zentralbank die deflationäre Episode ihren Weg hätte gehen lassen. Stattdessen haben die Währungsbehörden in ihrer Fixierung, eine Deflation um jeden Preis zu vermeiden, einen kreditgetriebenen Boom ausgelöst. In der ersten Stufe der monetären Expansion bewirkt der künstlich gedrückte Zinssatz einen wirtschaftlichen Aufschwung. Aber am Höhepunkt des Booms macht die Schuldenlast die Wirtschaft immer anfälliger für negative Schocks. Externe Einwirkungen, die eine robuste Konjunktur kaum beeinträchtigen würden, stellen dann eine Bedrohung dar. Das Management der Zentralbanken wird immer prekärer, und die Tendenz nimmt zu, so lange wie möglich gegen einen möglichen Abschwung mit weiteren Erhöhungen der Geldmenge zu kämpfen.

Aufgrund der monetären Expansion scheint es, als ob mehr Ersparnisse zur Verfügung stünden, als sie tatsächlich vorliegen. Dadurch entsteht bei Konsumenten und Unternehmen die Illusion, man könne gleichzeitig den Konsum und die Investitionen erhöhen. So wird die Nachfrage nach Investitionsgütern, insbesondere in den frühen Phasen des Produktionsprozesses, zusammen mit der Nachfrage nach Konsumgütern steigen. Diese Phase wird von Politikern und Zentralbanken als Erfolg verkündet, wobei verschwiegen wird, dass ein solcher Boom nur ein Strohfeuer ist. Wenn ausgleichende Produktivitätsgewinne ausbleiben, fließt der monetäre Überschuss nun direkt in die Güterpreise. Sollten die Zentralbanken ihre Geldmengenexpansion fortsetzen, ist eine weitere Preisinflation die Folge. Mit steigenden Preisen steigt der monetäre Multiplikator und die Geschwindigkeit des Geldumlaufs nimmt tendenziell zu und treibt das Preisniveau noch schneller in die Höhe. Versuchen die Zentralbanken jedoch, dem höheren Preisniveau mit einer restriktiven Geldpolitik entgegenzuwirken, verlieren sie in der Regel die Kontrolle über den monetären Multiplikator und die Kontraktion der Umlaufgeschwindigkeit wird die restriktive Haltung der Geldpolitik verstärken. Auf die übermäßige Expansion folgt eine übermäßige Schrumpfung.

Wenn ein exzessiver Schuldenstand im Verhältnis zur Produktionsbasis erreicht ist, wird die Deflation tatsächlich zum Problem. In einer niedrig verschuldeten Volkswirtschaft überwiegen die positiven Effekte der Preisdeflation in Form einer höheren Kaufkraft. In einer hochverschuldeten Volkswirtschaft bewirkt die Deflation jedoch einen Teufelskreis. Daher werden die Zentralbanken mit aller Kraft versuchen, den Schuldenschub soweit wie möglich fortzusetzen. Solange das institutionelle Gefüge der modernen Zentralbanken in seiner jetzigen Form fortbesteht, werden sie die Deflation bekämpfen, selbst wenn sie vorteilhaft ist. Die Währungshüter werden den Boom übermäßig stimulieren und bereiten auf diese Weise den Weg für eine ‚bösartige‘ Deflation.

Die Österreichische Volkswirtschaftslehre lehnt einen Eingriff in die Märkte konsequent ab – sowohl aus theoretischen Gründen als auch aufgrund der empirischen Evidenz. Interventionismus funktioniert nicht so, wie es sich die Planer vorstellen. Nach wie vor aber ist der Glaube weit verbreitet, dass es einen sogenannten ‚dritten Weg‘ bräuchte, ein System, das ‚das Beste‘ aus Kapitalismus und Sozialismus verbinden würde. Aus dieser Sicht wäre das ideale sozioökonomische System eines, in dem der Kapitalismus gezähmt und unter staatliche Autorität gestellt wird. In diesem Sinne operiert die gesamte Wirtschaftspolitik einschließlich der Geldpolitik.

Doch die Anhänger dieses Modells vergessen, dass Politiker und Amtsinhaber eigennützig handeln und, wie alle anderen Menschen auch, auf Täuschungen hereinfallen. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass, wenn der Interventionismus erst einmal als das richtige politische System angesehen wird, es kein Ende der interventionistischen Aktivität geben wird. Ein Versagen eines Eingriffs führt zum nächsten. Wird auf diesem Weg fortgeschritten, ist die letzte Station die vollständige Zerstörung der Wirtschaft und damit des Gemeinwesens.

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Dieser Artikel beruht auf dem Buch „A Primer on Austrian Macroeconomics. Austrian Capital Theory for Macroeconomic Research and Teaching“ (*), dessen Erscheinung bei Palgrave Studies in Austrian Economics für den 4. Februar 2025 angekündigt ist.

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Auf der Grundlage dieses Buches gibt es schon einen Online-Kurs bei Udemy.

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Antony P. Mueller

Antony Peter Mueller ist promovierter und habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, wo er von 1994 bis 1998 das Institut für Staats- und Versicherungswissenschaft in Erlangen leitete. Antony Mueller war Fulbright Scholar und Associate Professor in den USA und kam im Rahmen des DAAD-Austauschprogramms als Gastprofessor nach Brasilien.

Bis 2023 war Dr. Mueller Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie und Internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS. Nach seiner Pensionierung ist Dr. Mueller weiterhin als Dozent an der Mises Academy in São Paulo tätig und als Mitarbeiter beim globalen Netzwerk der Misesinstitute aktiv. Darüber hinaus ist er wissenschaftlicher Beirat der Partei „Die Libertären“.

In deutscher Sprache erschien 2023 sein Buch „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit und Wohlstand“(*). 2021 veröffentlichte Antony P. Mueller das Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“(*).  2018 erschien sein Buch „Kapitalismus ohne Wenn und Aber. Wohlstand für alle durch radikale Marktwirtschaft“(*).

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