Verarmung durch permissive Interventionen

26. August 2024 – von Jörg Guido Hülsmann

Jörg Guido Hülsmann

Dies ist ein Abschnitt (S. 398 – 402) aus dem Buch „Die Wirtschaft und das Unentgeltliche. Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat“ von Jörg Guido Hülsmann, das im Landt Verlag erschienen ist.

Der zerstörerische Charakter permissiver Staatseingriffe ist weit weniger bekannt als der von repressiven Staatseingriffen. Wenn Regierungen einigen (oder allen) Bürgern zusätzliche Freiheiten oder Befugnisse einräumen, die sie in einer Gesellschaftsordnung, in der private Eigentumsrechte uneingeschränkt respektiert werden, nicht hätten, nehmen die meisten Beobachter spontan an, dass dies die kreativen Aktivitäten der Begünstigten und damit die Wirtschaft insgesamt ankurbeln wird. Eine solche Politik mag moralische Mängel aufweisen, so die gängige Meinung, aber die potenziellen Auswirkungen auf die Wohlstandsmehrung scheinen ganz offensichtlich positiv zu sein.

Das wichtigste praktische Beispiel ist das Geldsystem. In den letzten 150 Jahren haben die Staaten die Verwendung von Edelmetallen als Zahlungsmittel nach und nach eingeschränkt und schließlich abgeschafft. Stattdessen haben sie ein Fiat-Geldsystem eingeführt, das die Herstellung unbegrenzter Geldmengen durch die Zentralbanken ermöglicht und die Kreditschöpfung durch die Geschäftsbanken erheblich erleichtert. Diese Veränderungen scheinen nicht nur für die unmittelbaren Nutznießer, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes erhebliche Vorteile zu bringen. In einem Edelmetallgeldsystem ist die Gesamtgeldmenge zu jedem Zeitpunkt streng begrenzt und kann nur geringfügig und unter sehr hohen Kosten erhöht werden. Im Gegensatz dazu ermöglicht Fiatgeld eine schnelle und theoretisch unbegrenzte Ausweitung der Geldmenge und damit auch des Kreditangebots. Fiat-Geld ermöglicht daher eine unbegrenzte expansive Geldpolitik, die darauf abzielt, das Gesamtvolumen der Geldausgaben in der Wirtschaft zu erhöhen. Jeder von dem einem ausgegebene Euro bedeutet einen Euro Einkommen für einen anderen. Wenn auch nur einige Leuten mehr Geld ausgeben führt dies somit letztendlich auch zu erhöhten Ausgaben von allen anderen. Auf diese Weise scheint die Wirtschaft in einen positiven Kreislauf einzutreten, in dem steigende Einnahmen steigende Ausgaben nach sich ziehen, wodurch die Beschäftigung und die Gesamtproduktion steigen.

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Diese Sicht der Dinge ist jedoch fast völlig falsch. Die darin enthaltene Halbwahrheit besteht darin, dass verstärkte Ausgaben die Gesamtproduktion kurzfristig fördern können. Aber wann immer und wo immer diese kurzfristigen Vorteile erzielt werden, gehen sie auf Kosten des langfristigen Wachstums. Dank der erhöhten Ausgaben für Konsumgüter ist es möglich, dass in naher Zukunft ein größerer Teil der vorhandenen Ressourcen (Arbeitskräfte und Rohstoffe) und Produktionsgüter (Maschinen, Ausrüstungen usw.) in die Produktion von Konsumgütern fließen. Diese Reallokation der verfügbaren Kapitalgüter führt kurzfristig zu einer Steigerung der Konsumgüterproduktion. Gleichzeitig fehlen aber dieselben Kapitalgüter nun an anderer Stelle in der Wirtschaft. Vor allem sind sie nicht mehr verfügbar, um andere Kapitalgüter zu produzieren oder die vorhandenen zu reparieren. Langfristig wird die gesamtwirtschaftliche Ausbringungsmenge daher niedriger sein, als sie es ohne den Anreiz für die kurzfristige Produktion gewesen wäre (siehe Ruijs 2017).

Der soeben beschriebene Mechanismus ist ein Kapitalverbrauchskanal der permissiven Geldpolitik. Seine schädlichen langfristigen Folgen werden durch vier weitere Tendenzen verstärkt, die ebenfalls auf dieselbe Quelle zurückzuführen sind.

Die erste besteht in der Entmutigung des Sparens. Wenn es möglich wird, Investitionen aus der Notenpresse oder – was in den heutigen Geldsystemen dasselbe ist – aus dem Nichts geschaffenen Krediten zu finanzieren, dann sind potenzielle Investoren weniger auf ihre eigenen Ersparnisse angewiesen. Es gibt weniger Anreize für sie zu sparen. Und diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass eine Ausweitung der Geldmenge in der Regel mit niedrigeren Zinsen einhergeht, so dass die Grenzsparer entmutigt werden.

Zweitens beeinträchtigt der Rückgang der Zinssätze auch die Fähigkeit aller Wohltätigkeitsorganisationen, von ihren Stiftungsgeldern zu leben. Mises (1998 [1949], S. 834) traf erneut ins Schwarze, als er feststellte:

[…] die Inflation und die Bestrebungen, den Zinssatz unter den möglichen Marktzins zu senken, laufen praktisch auf eine Enteignung der Stiftungen von Krankenhäusern, Asylen, Waisenhäusern und ähnlichen Einrichtungen hinaus. Wenn die Propagandisten des Wohlfahrtsstaats die Unzulänglichkeit der zur Verfügung stehenden Mittel beklagen, beklagen sie eines der Ergebnisse der Politik, die sie selbst befürworten.

Der dritte Mechanismus, der das Funktionieren des Kapitalverbrauchskanals verstärken kann, besteht darin, dass staatliche Eingriffe in die Währungsordnung das Gleichgewicht zwischen Sparen und Verbrauch zugunsten des Letzteren verschieben können, indem sie die Finanzierung des Staates erhöhen. In republikanischen politischen Systemen dienen die Staatsausgaben nicht dem Zweck, eine Investitionsrendite zu erwirtschaften. Vielmehr geht es typischerweise darum, verschiedene Maßnahmen zu finanzieren (Arbeitslosenhilfe, Armenhilfe, öffentliche Verwaltungen usw.), die nicht existieren könnten, wenn sie nicht aus öffentlichen Mitteln subventioniert würden. Dies bedeutet, dass die Staatsausgaben unter modernen Bedingungen im Wesentlichen konsumtive Ausgaben sind. Wenn also die expansive Geldpolitik das Gewicht der Staatsausgaben in der Gesamtwirtschaft erhöht, steigt der relative Anteil der konsumtiven Ausgaben im Verhältnis zu den Investitionsausgaben, was sich langfristig negativ auf die Gesamtproduktion auswirkt.

Viertens verringert permissive Geldpolitik das langfristige Wachstumspotenzial der Wirtschaft auch dadurch, dass sie die Wahrscheinlichkeit intertemporaler Ungleichgewichte erhöht. Es kommt zu mehr Fehlentscheidungen bei der Verwendung der verfügbaren Kapitalgüter. Auch hier können wiederum unterschiedliche Kausalketten ins Spiel kommen.

Nach der berühmten österreichischen Konjunkturtheorie, die Mises (1981 [1912], dritter Teil, fünftes Kapitel) vor mehr als hundert Jahren erstmals vorstellte, führt die künstliche Senkung des Kreditmarktzinses durch eine Ausweitung der Geldmenge zu einem intertemporalen Ungleichgewicht zwischen den verschiedenen produktiven Aktivitäten. Einerseits wird der kurzfristige Verbrauch von Gütern und Dienstleistungen gefördert, andererseits werden die Unternehmer dazu verleitet, mehr Kapitalgüter in Projekte zu investieren, die erst längerfristig Früchte tragen können und daher mehr und nicht weniger Ersparnisse für ihre Fertigstellung benötigen würden. Da diese Ersparnisse einfach nicht vorhanden sind, müssen viele dieser Projekte schließlich auf halbem Wege aufgegeben werden. Zeit und gespartes Geld sind somit verschwendet worden. In dem Moment, in dem die Marktteilnehmer ihren Irrtum erkennen, verwandelt sich der künstliche Boom in eine Pleitewelle (siehe Huerta de Soto 2011 [1998], Garrison 2001, Braun 2012).

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Es gibt verschiedene Varianten dieses Ungleichgewichts, das der permissiven Geldpolitik entspringt. So verfolgen die heutigen Zentralbanken in der Regel eine Politik der Rettung von „systemrelevanten“ Investoren, d.h. von Investoren, die so groß oder so stark mit dem Rest der Wirtschaft verflochten sind, dass ihr Konkurs wahrscheinlich einen Zusammenbruch der Gesamtwirtschaft auslösen würde. Unabhängig von den Vorzügen einer solchen Politik verleitet sie doch die Begünstigten dazu, Risiken einzugehen, die sie nicht akzeptieren würden, wenn sie damit rechnen müssten, dass sie für alle Verluste aus ihren eigenen Mitteln aufkommen müssten. Die Folge ist eine exzessive Risikobereitschaft in der Wirtschaft als Ganzes. Es ist somit unvermeidlich, dass die Verluste insgesamt zunehmen werden. Wenn nun die Zentralbank dem erfolglosen Investor hilft, indem sie ihm zusätzliche Kredite gewährt oder dem Staat Geld leiht, damit dieser die Verluste ausgleichen kann, läuft dies auf eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen hinaus. Letztendlich sind es die normalen Geldnutzer, die die Rechnung bezahlen, weil alle Geldeinheiten einen Teil ihrer Kaufkraft verlieren. Der Nutzen konzentriert sich in den Händen der systemrelevanten Investoren, die von den Zentralbanken gerettet werden. Die aus den verschwenderischen Investitionen resultierende Verarmung der Gesamtheit wird durch eine Umverteilung von Einkommen und Vermögen verstärkt.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass permissive Staatseingriffe die Fähigkeit von Haushalten, Verbänden und Unternehmen, Zeit und Geld zu spenden, insgesamt negativ beeinträchtigen. Indem sie den Wohlstand der Nation zerstören, wirken sie sich negativ auf die Wirtschaft des Schenkens aus. In dieser Hinsicht unterscheiden sie sich nicht im Geringsten von den repressiven Eingriffen, die wir zuvor besprochen haben. Im Gegensatz zu letzteren sind die permissiven Eingriffe jedoch nicht nur aus diesem Grund schädlich für die Wirtschaft des Schenkens. Sie üben einen ähnlichen Einfluss aus, indem sie auch die Opportunitätskosten von Spenden erhöhen. Darauf wollen wir im Folgenden näher eingehen.

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Hinweis: Etwaige Fußnoten wurden in der Veröffentlichung dieses Abschnitts entfernt. Sie finden Sie im Original-Buch (*), S. 398 – 402.

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Jörg Guido Hülsmann ist Professor für Ökonomk an der Universität Angers in Frankreich und Senior Fellow des Ludwig von Mises Instituts in Auburn, Alabama. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste sowie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Zu seinen umfangreichen Interessen- und Forschungsgebieten zählen Geld-, Kapital- und Wachstumstheorie. Er ist Autor von „Die Wirtschaft und das Untentgeltliche: Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat“(*) (2023),  „Krise der Inflationskultur“(*) (2013), „Ethik der Geldproduktion“(*) (2007) und „Mises: The Last Knight of Liberalism“(*) (2007).

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