Japan – ein weiteres Opfer des Vulgärkeynesianismus
16. August 2024 – von Antony P. Mueller
Die gesamtwirtschaftliche Nachfragetheorie ist nicht mehr das führende makroökonomische Paradigma in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, aber sie lebt als vulgärer Keynesianismus auf politischer Ebene weiter. Dort wird noch immer verbreitet, dass die Wirtschaft eine aktive Stabilisierungspolitik braucht und dass monetäre und fiskalische Anreize notwendig sind, um ein hohes Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und ein stabiles Preisniveau zu erreichen. Japan liefert seit zweieinhalb Dekaden die Evidenz, dass eine solche Politik mehr schadet als nutzt.
Vulgärkeynesianismus
Obwohl der Keynesianismus schon lange nicht mehr zu den führenden Leitideen der akademischen Volkswirtschaft gehört, lebt er in Regierungskreisen und in der Politik nahestehenden Institutionen in seiner vulgären Form weiter. Der Grund dafür ist, dass diese Theorie den Politikern passt. Sie lieben die Vorstellung, dass die Wirtschaft den Staat braucht. Der Politik kommt es gut gelegen, höhere Staatausgaben zu rechtfertigen. Der Keynesianismus dient als Schutzbehauptung, dass mehr Staatsverschuldung nötig sei, um Wirtschaftsabschwünge zu vermeiden und Rezessionen zu überwinden. Anders jedoch als John Maynard Keynes (1883-1946) selbst in seiner „Allgemeinen Theorie“ (1936) es vorgesehen hat, dient die „Theorie er effektiven Gesamtnachfrage“ dazu, mehr Schulden in schlechten wie in guten Zeiten zu machen. Die Staatsverschuldung steigt in der Rezession, aber sie sinkt auch nicht, wenn die Wirtschaft expandiert.
Besonders deutlich zeigt sich das Elend der keynesianischen Wirtschaftspolitik im Fall der japanischen Krise.
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Konjunkturpolitik in Japan
Japan liefert ein lehrreiches Beispiel für eine von der Regierung verursachte lange Stagnation. Aufgrund der keynesianischen Politik steckt die japanische Wirtschaft seit rund vierzig Jahren in der wirtschaftlichen Flaute, wobei hinzukommt, dass die Konjunkturschwäche mit einer Stagnation der Produktivität verbunden ist.
Seit Beginn des wirtschaftlichen Abschwungs in den frühen 1990er Jahren versucht in Japan eine Regierung nach der anderen, der gesamtwirtschaftlichen Zwickmühle mit einer Politik der Stimulierung der Gesamtnachfrage zu entkommen. Seit Beginn der Rezession versucht man, die Wirtschaft mit einer Reihe von umfangreichen Ausgabenprogrammen anzukurbeln. Die japanische Zentralbank unterstützte massiv diese Expansionspolitik und drückte die Zinssätze in den negativen Bereich. Doch trotz dieser perfekten keynesianischen Lehrbuchpolitik hat sich die Wirtschaft nicht belebt. Als Vermächtnis dieser Politik ist die japanische Staatsverschuldung in eine Dimension angewachsen, die außerhalb von Kriegszeiten nur selten erreicht wird.
Seit den 1990er Jahren ist die japanische Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts um 200 Prozentpunkte auf über 250 Prozent Ende 2017 gestiegen. Jüngste Daten zeigen, dass die Staatsschuldenquote (Öffentliche Verschuldung in Prozent des Bruttoinlandsprodukts) im Jahr 2023 rund 260 Prozent erreicht hat. Diese Quote übersteigt deutlich die für die USA (122 Prozent) und die der Eurozone (89 Prozent).
Auch die japanische Geldpolitik operierte extrem expansiv. Um die Stagnation zu bekämpfen, setzte die Bank of Japan ihren Leitzins bereits 1996 auf nahe null und senkte ihn von 2016 bis 2024 auf minus 0,1 Prozent (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1
Japan. Zinssatz und Staatsverschuldung, 1972/1979 – 2022/2024
Staatsverschuldung in Prozent des Bruttoinlandsproduktes (blaue Linie, linke Skala)
Leitzinssatz der Bank of Japan (graue Linie, rechte Skala)
Quelle: TradingEconomics.com
Trotz dieser enormen Nachfrageimpulse kam die japanische Wirtschaft nicht aus der Stagnation. Während die Volkswirtschaft in den 1980er Jahren noch hohe Wachstumsraten mit einer Spitze von 9,4 Prozent im Jahr 1988 verzeichnen konnte, kam es zu Beginn der 1990er Jahre zum Einbruch. Während im dritten Quartal 1990 die jährliche Wachstumsrate noch 7,7 Prozent betrug, fiel sie im dritten Quartal 1993 auf minus 0,9 Prozent. Seitdem ist das japanische Wirtschaftswachstum nicht nur sehr schwach, sondern auch ausgesprochen volatil. Weder die Fiskalpakete noch die geldpolitischen Impulse haben Japan aus der Stagnation herausgeholt. Schlimmer noch, die Wirtschaft leidet unter einer stagnierenden Produktivität. Die Daten zeigen, dass Japan in Bezug auf Arbeitsproduktivität drastisch hinter die anderen großen Industrieländer zurückgefallen ist (Abbildung 2).
Abbildung 2
Produktivität. Output pro geleistete Arbeitsstunde. USA, Deutschland, Frankreich und Japan
Quelle: Our World in Data
Einen deutlichen Indikator der japanischen Malaise liefert der Aktienmarktindex. In den 1980er Jahren war der japanische Vermögensmarkt das Mekka der Anleger. Ebenso wie die Immobilienpreise schienen auch die Aktienbewertungen keine Grenzen zu kennen. Das im Dezember 1989 erreichte Hoch wurde erst im März 2024 kurzfristig wieder erreicht. Aber gleich danach ging es schon wieder bergab. Am 5. August 2024 kam es zu einem scharfen Einbruch des Nikkei Index von 12,4 Prozent, der weltweit ein Aktienbeben auslöste. Während die internationalen Aktienmärkte noch nicht so vehement abgestürzt sind wie in Japan, deuten die Zeichen auf einen kommenden Sturm auch für die Märkte in den USA und Europa hin.
Aktuelle Krise
Gegen Ende des Jahres 2021 stieg die japanische Preisinflation an und erreichte im Januar 2023 4,3 Prozent. Während die Inflationsrate im Januar 2024 noch auf fast 2 Prozent gefallen war, ist sie seitdem aber erneut gestiegen und bewegt sich aktuell auf 3 Prozent zu. Angesichts dieser Entwicklung konnte die japanische Notenbank die Notwendigkeit, ihren Leitzins anzuheben, nicht länger ignorieren. Den ersten Schritt machte sie mit einer Zinserhöhung auf 0,1 Prozent am 19. März 2024. Am 31. Juli 2024 erfolgte dann eine zweite Erhöhung, um den Zinssatz auf 0,25 Prozent zu erhöhen.
Ein Zinssatz von 0,25 Prozent pro Jahr erscheint zwar sehr gering, bedeutet aber eine massive Erhöhung, wenn der frühere Ausgangswert bei null oder negativ lag. Es ist nicht verwunderlich, dass ein solcher Schritt weltweite Auswirkungen auf die Finanzmärkte haben würde. Schließlich bildete die japanische Niedrigzinspolitik die Grundlage für den sogenannten Yen-Carry-Trade: Das Ausleihen von billigem Geld in Japan und das Anlegen der Mittel an den Vermögensmärkten rund um den Globus.
Das Erbe des Keynesianismus, das sich jetzt zeigt, läuft auf einen riesigen Schuldenüberhang hinaus, der die private Wirtschaftstätigkeit gelähmt hat. Die Ersparnisse gehen zurück, die Angst vor Steuererhöhungen nimmt zu und der Innovationseifer hat nachgelassen.
Anstatt eine rasche Erholung durch Liquidation der Fehlinvestitionen zu fördern, hat die japanische Wirtschaftspolitik die strukturellen Verzerrungen der Wirtschaft weiter verstärkt. Die makroökonomische Politik seit den 1990er Jahren hat einen Großteil des Reichtums verschwendet, den Japan in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg angehäuft hatte.
Die keynesianische Falle
Japan ist nicht das einzige Land, das in der keynesianischen Falle gefangen ist. Seit 2008 begehen die Vereinigten Staaten und Europa ähnliche Fehler. Die Federal Reserve und die Europäische Zentralbank haben die Zinssätze gesenkt und die Regierungen haben ihre Ausgaben ausgeweitet. Zu einem soliden wirtschaftlichen Aufschwung haben diese Maßnahmen jedoch nicht geführt.
Wie werden die Vereinigten Staaten und die europäischen Länder reagieren, wenn sie mit einer neuen Rezession konfrontiert sind? Werden sie dem japanischen Modell folgen und die öffentlichen Ausgaben auf das japanische Niveau anheben?
Die Kosten einer solchen Wirtschaftspolitik sind enorm. Die Staatsverschuldung wird zu einer wachsenden Belastung für die Wirtschaft. Im Laufe der Zeit gerät die Geschwindigkeit des Produktivitätsfortschritts noch mehr ins Stocken, wie es in den letzten zwei Jahrzehnten bereits in den Vereinigten Staaten und in europäischen Ländern der Fall war. Wenn der Zinssatz auf null und noch darunter gedrückt wird, führt dies zu einer wirtschaftlichen Fehlallokation und verzerrt die Verteilung von Einkommen und Vermögen.
Fazit
Die von John Maynard Keynes formulierte makroökonomische Nachfragetheorie ist nicht mehr das führende Paradigma in den wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten, aber sie lebt als vulgärer Keynesianismus auf politischer Ebene weiter. Dort wird verbreitet, dass die Wirtschaft eine aktive Stabilisierungspolitik braucht und dass monetäre und fiskalische Anreize notwendig sind, um ein hohes Wirtschaftswachstum, Vollbeschäftigung und ein stabiles Preisniveau zu erreichen. Diejenigen Ökonomen, die, ausgehend von der Österreichischen Nationalökonomie, betonen, dass die Wirtschaftspolitik der Hauptgrund für Preisinflation, Arbeitslosigkeit und Rezession ist, werden von der Politik weitgehend ignoriert. Am Ende ist es die Bevölkerung, die den Preis für diese Ignoranz zahlt.
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Antony Peter Mueller ist promovierter und habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, wo er von 1994 bis 1998 das Institut für Staats- und Versicherungswissenschaft in Erlangen leitete. Antony Mueller war Fulbright Scholar und Associate Professor in den USA und kam im Rahmen des DAAD-Austauschprogramms als Gastprofessor nach Brasilien.
Bis 2023 war Dr. Mueller Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Makroökonomie und Internationale Wirtschaftsbeziehungen, an der brasilianischen Bundesuniversität UFS. Nach seiner Pensionierung ist Dr. Mueller weiterhin als Dozent an der Mises Academy in São Paulo tätig und als Mitarbeiter beim globalen Netzwerk der Misesinstitute aktiv.
In deutscher Sprache erschien 2024 sein Buch „Antipolitik“ (*), ein Jahr zuvor erschien „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit und Wohlstand“(*). 2021 veröffentlichte Antony P. Mueller das Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“(*). 2018 erschien sein Buch „Kapitalismus ohne Wenn und Aber. Wohlstand für alle durch radikale Marktwirtschaft“(*).
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