Allmächtiger Staat. Der Aufstieg des totalen Staates und der totale Krieg
17. Februar 2023 – von Burkhard Sievert
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1944 veröffentlichte die Yale University Press Ludwig von Mises’ Buch “Omnipotent Government – The Rise of the Total State and Total War” in englischer Sprache und 1974 wurde es vom Liberty Fund, Inc. nachgedruckt. 2023 erscheint nun eine deutsche Übersetzung dieses Buches: “Allmächtiger Staat. Der Aufstieg des totalen Staates und der totale Krieg”. Im Folgenden lesen Sie einen Auszug aus dem Geleitwort der deutschen Ausgabe des Übersetzers Burkhard Sievert.
In Omnipotent Government[1] nimmt Ludwig von Mises den roten Faden aus Staat, Nation und Wirtschaft wieder auf. Es beruht auf dem 1938/39 in Genf geschriebenen Manuskript Vom Wesen und Werden des Nationalsozialismus – Ein Beitrag zur Befriedung Europas, das 1978 unter dem Titel Im Namen des Staates oder Die Gefahren des Kollektivismus[2] veröffentlicht werden würde. Ergänzend zum Manuskript greift Ludwig von Mises hier das Thema Antisemitismus auf, den er als Wegbereiter, wenn nicht gar als Auslöser für den Zweiten Weltkrieg ausmacht. Das Kapitel Der Kampf zwischen Demokratie und Totalitarismus wurde aus dem Manuskript in diese Übersetzung übernommen. Es zeigt Ludwig von Mises als leidenschaftlichen Demokraten. Die Fragen, „ob die deutsche Nation nicht durch Festhalten an der friedlichen Politik des viel geschmähten Liberalismus besser gefahren wäre“[3] und was die Ausweitung und den Missbrauch staatlicher Macht begrenzt, drängen sich auf. Politik ist das Problem, nicht die Lösung.
„Um an die Quelle zu kommen, muss man gegen den Strom schwimmen.“ (Stanislaw Jerzy Lec) [4]
Ideen fallen nicht wie Manna vom Himmel. Wer Ideen verstehen will, der sollte sie ideengeschichtlich zurück bis zu ihren Quellen verfolgen. Schon Aristoteles lehrt, dass Gleiches gleich und Ungleiches ungleich bewertet werden soll.[5] Die Idee des Sozialismus ist so alt wie die menschliche Gesellschaft selbst, aber nicht älter.[6] Der Sozialismus findet sich sowohl im Inkareich, in der Philosophie Platons als auch in verschiedenen Erscheinungsformen „als Todestrieb“ im 20. Jahrhundert.[7] Ludwig von Mises geht in diesem Buch den Quellen des Nationalsozialismus nach. Seine Spurensuche beginnt bei den Gründen des Zusammenbruchs des Liberalismus.
Die Aufklärung trieb eine Welle des Liberalismus durch Deutschland. „Die Idee des Liberalismus geht von der Freiheit des Einzelnen aus, sie lehnt jede Herrschaft eines Teiles der Menschen über die übrigen Menschen ab, sie kennt keine Herrenvölker und keine Knechtvölker, wie sie im Volk selbst keine Herren und keine Knechte unterscheidet.“[8]
Der Etatismus steht dem Liberalismus diametral entgegen. „Der Staat ist Gott“, formulierte Lassalle.[9] Die Synthese nationaler und egalitärer (frühsozialistischer) Ideen gebar den Etatismus. Der Liberalismus in Deutschland wurde der ätzenden Säure des Interventionismus ausgesetzt. Da gab es die ostelbischen Gebiete, in denen eine liberale Demokratie zur Unterdrückung der deutschsprachigen Minderheit geführt hätte. Der Liberalismus fordert in diesem Fall das Plebiszit[10] über den Austritt aus dem Staat. Da gab es den deutschen Protektionismus für wichtige Industriezweige und es gab die Arbeitsschutzpolitik der Regierung zur Lösung „der sozialen Frage“.[11] Und es gab die Historische Schule der wirtschaftlichen Staatswissenschaften. Sie war methodisch unzulänglich und sah ihre „Berufung“ in der Verherrlichung und Rechtfertigung der preußischen Politik. In ihrer professoralen Arroganz gegenüber den unwissenden Laien stellten sich politisierende Wissenschaftler den jeweiligen Machthabern zur Verfügung. „Die Professoren haben […] ihren Auftraggebern zu dienen gesucht: erst den Hohenzollern, dann den Marxisten, schließlich Hitler. Ihrem Glauben hat Sombart die prägnanteste Fassung gegeben, als er Hitler als den Träger göttlichen Auftrags bezeichnete, denn ‚alle Obrigkeit ist von Gott‘.“[12]
Im dritten Teil dieses Buches geht Ludwig von Mises den Quellen des Nationalsozialismus nach. Er diskreditiert die marxistische These, der Nationalsozialismus sei der letzte verzweifelte Versuch der deutschen Großindustrie zur Rettung des Kapitalismus vor den sozialistischen Massen.[13] Ein großer Teil des „Proletariats“ hatte sich von den Sozialdemokraten abgewandt und stand auf der Seite der Nationalsozialisten. Die wichtigsten Vorläufer der Nationalsozialisten waren anerkannte Ahnen des Sozialismus. Marxismus und Nationalsozialismus stimmen in der Gegnerschaft gegen das Sondereigentum an den Produktionsmitteln und in ihrem Antisemitismus[14] überein. Es gibt mehr signifikante Ähnlichkeiten als Unterschiede. Der Motor der Tat ist die Idee. Schon Marx forderte dazu auf, Kritiker nicht zu widerlegen, sondern zu vernichten.[15] Der Totalitarismus bedingt die moralische Selbstermächtigung zur Gewalt.
„Alle wesentlichen Ideen des Nationalsozialismus sind in den letzten dreißig Jahren des 19. Jahrhunderts von den Alldeutschen und den Sozialisten der Lehrkanzel der ‚wirtschaftlichen Staatswirtschaften‘ erdacht worden. Nicht ein einziger Gedanke fehlte.“ (Ludwig von Mises) [16]
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[1] Mises (1944b), deutsch: Mises (2023), vorliegende Ausgabe.
[2] Mises (1978).
[3] Mises (2014, 1919), S. 177 f.
[4] Stanislaw Jerzy Lec, aus: Neue unfrisierte Gedanken.
[5] Vgl. Aristoteles (41985), S. 107.
[6] Vgl. Koigen (1901), S. 31, in: Schafarewitsch (2016), S. 318.
[7] Vgl. Schafarewitsch (2016).
[8] Mises (2014, 1919), S. 63.
[9] Vgl. Mayer (1911), S. 196.
[10] „Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern“, Mises (42006, 1927), S. 96.
[11] „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“, Bismarck (1924/1925), S. 195 f., zitiert in: Habermann (2013), S. 181.
[12] Mises (22014), S. 9.
[13] Vgl. Hoppe (42006, 1927), S 30.
[14] „Der Kapitalist weiß, dass alle Waren, wie lumpig sie immer aussehn oder wie schlecht sie immer riechen, im Glauben und in der Wahrheit Geld, innerlich beschnittne Juden sind und zudem wundertätige Mittel, um aus Geld mehr Geld zu machen“, Marx (1962, 1867), S. 169. Marx wetteiferte mit Engels in seinen judenfeindlichen Ausfällen gegen Lassalle. Marx war überzeugt, dass ein jüdischer Stamm aus Farbigen bestand und nannte Lassalle deshalb einen „jüdischen Nigger“, Marx (1862), S. 257. Eine ausführliche Sammlung judenfeindlicher Zitate von Marx und Engels findet sich bei Kuehnelt-Leddihn (1985), S. 65.
[15] Vgl. Marx (1843), S. 380, Hervorhebung im Original.
[16] Mises (2023), S. 237.
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Quellen:
Aristoteles (41985): Nikomachische Ethik, Hamburg.
Bismarck, Otto von (1924/1925): Gesammelte Werke, Bd. 9, Berlin.
Habermann, Gerd (2013): Der Wohlfahrtstaat – Ende einer Illusion, München.
Koigen, David (1901): Zur Vorgeschichte des modernen philosophischen Sozialismus in Deutschland, Bern.
Kuehnelt-Leddihn, Erik von (1985): Die falsch gestellten Weichen, Wien.
Marx, Karl (1843): Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: MEW 1, S. 378–391.
Marx (1843): Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: MEW 1, S. S. 378–391.
Mayer, Gustav (1911): Lassalleana, in: Archiv für die Geschichte des Sozialismus, Bd. I., Leipzig.
Mises, Ludwig von (1944b): Omnipotent Government, New Haven.
Mises (1978): Im Namen des Staates, Stuttgart.
Mises (2014): Theorie und Geschichte, München.
Mises (2014, 1919): Nation, Staat und Wirtschaft, Flörsheim.
Mises (42006, 1927): Liberalismus, Sankt Augustin.
Mises (22014): Erinnerungen, Stuttgart.
Mises, Ludwig von (2023): Allmächtiger Staat, Ahrensburg.
Schafarewitsch, Igor R. (2016): Der Todestrieb in der Geschichte, Grevenbroich.
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Burkhard Sievert engagiert sich in der Fachgruppe Liberalismus der Atlas Initiative. Er hat von Anthony de Jasay die Bücher Der Gesellschaftsvertrag und die Trittbrettfahrer, Gegen Politik sowie Der Indische Seiltrick übersetzt und das Buch Liberalismus neu gefasst wiederaufgelegt.
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