Der Nobelpreis 2021 und der Trend im ökonomischen Denken

18. Oktober 2021 – von Peter G. Klein

Der Wirtschaftsnobelpreis 2021 ging an David Card von der Berkeley Universität, Josh Angrist vom MIT (Massachusetts Institute of Technology) und Guido Imbens von der Stanford Universität für ihre Arbeit über „Natürliche Experimente“[1] („natural experiments“), eine Methode, die zur Zeit in Mode ist, um den ursächlichen Zusammenhang zwischen ökonomischen Variablen einzuschätzen. Card kam bereits inner- und außerhalb seiner Fachdisziplin zu Ruhm und Ehren für seine Arbeit aus dem Jahre 1994 über den Mindestlohn, die er zusammen mit dem kürzlich verstorbenen Alan Krueger durchführte. Card und Krueger vermieden im Hinblick auf den Mindestlohn den konventionellen Weg der Analyse von Angebot und Nachfrage (die voraussagt, dass unter sonst gleichen Umständen eine Zunahme des Mindestlohns zu einer Zunahme der Arbeitslosigkeit führt) und bevorzugten stattdessen einen nicht-theoretischen, empirischen Ansatz. Sie verglichen die Veränderungen der Arbeitsverhältnisse in Fast-Food-Restaurants in New Jersey, einem Bundesstaat, in dem die Mindestlöhne angehoben wurden, mit denen des benachbarten Pennsylvanias, wo dies nicht geschah, und sie fanden keine wesentlichen Unterschiede, woraus sie folgerten – entgegen der geläufigen Meinung unter Ökonomen –, dass Mindestlöhne gering-qualifizierte Arbeitskräfte nicht aus dem Arbeitsmarkt heraus preisen.

Während die Details der Card-Krueger Studie heftig umstritten sind (um es zurückhaltend auszudrücken), ist es der empirische Ansatz, den sie vertreten, nicht. Ihre Arbeit half einzuführen, was in der Angewandten Mikroökonomik die „Glaubwürdigkeitsrevolution“ (credibility revolution) oder die „Identifizierbarkeits-Revolution“ (identification revolution) genannt wurde (ebenso bezeichnet als der „Design-basierte Ansatz“ im Gegensatz zu dem älteren „Modell-basierten Ansatz“). Angrist und Imbens entwickelten ökonometrische Techniken, um die „Behandlungseffekte“ einzuschätzen, die für diesen Ansatz zentral sind. Anders als bei Labor-Experimenten, wo die Probanden nach dem Zufallsprinzip der Behandlungs- oder der Kontrollgruppe zugeteilt werden können und wo der Leiter des Experiments dafür sorgt, dass alle anderen Umstände unverändert bleiben, benötigt man bei Beobachtungs-Studien statistische Tricks, um der „Ceteris-Paribus“[2]-Anforderung gerecht zu werden. Das hauptsächliche Augenmerk des Mainstreams der Angewandten Ökonomik der letzten drei Jahrzehnte lag darauf, solche Tricks zu entwickeln und anzuwenden.

Trotz seiner Popularität hat dieser Ansatz seine Kritiker. Für Ökonomen der Österreichischen Schule ist Kausalität in den Sozialwissenschaften ein theoretischer Ansatz, nicht etwas, das man aus Daten herauskitzeln kann ohne ein A-priori-Verständnis des menschlichen Handelns und wie dieses ökonomische und soziale Phänomene beeinflusst (und von diesen beeinflusst wird). Experimentelle und quasi-experimentelleMethoden mögen zu einigen beschränkten, historisch-empirischen Einsichten führen, aber sie tendieren dazu, keine „externe Gültigkeit“ (external validity) zu haben, das heißt, man weiß nie, ob unter veränderten Umständen dieselben Resultate herauskommen werden. Es gibt zahlreiche Kritiker im Mainstream, die eine Überbeanspruchung von Natürlichen Experimenten und Feldstudien (randomisiert-kontrollierte Studien) bemängeln und eine Überbewertung von Identifizierbarkeit (identification) gegenüber Bedeutsamkeit (importance) (George Akerlof bezeichnet dies als Voreingenommenheit zu Gunsten „harter Methoden“ (bias towards „hardness“)).

Allgemeiner ausgedrückt kommt mit den neueren Ansätzen ein rückläufiges Interesse an Theorie zum Ausdruck zu Gunsten eines ansteigenden Interesses an etwas, das man etwa als Rohen Empirismus bezeichnen könnte – „roh“ nicht in dem Sinne, dass die empirischen Methoden unkompliziert wären, sondern in dem Sinne, dass die zu Grunde liegenden Fragestellungen simplizistisch sind, etwa „Beeinflusst dieses x jenes y“-Fragen, bei denen ökonomische Ideen, Theorien oder Zusammenhänge kaum eine Rolle spielen. Ich habe bereits darüber geschrieben, dass man sich von ökonomischen Fragen wegbewegt hin zu „kleinlichen“ Fragestellungen in dem Sinne, dass diese ökonomische Grundlagen überhaupt nicht betreffen. Die abnehmende Popularität der Theorie korrespondiert mit dem naiven Glauben, dass es bei Wissenschaft, wie es Lord Kelvin so populär beschrieben hat, lediglich ums Messen geht, und dass die Daten irgendwie „für sich selbst sprechen“ – während in Wirklichkeit empirische Daten nur in der Weise nützlich sind, wie sie von denkenden, wählenden und handelnden Menschen interpretiert werden.

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[1] „Ein natürliches Experiment bezeichnet eine empirische Untersuchungsmethode, bei der die Probanden aufgrund von natürlichen, nicht durch den Forscher kontrollierbaren, Ereignissen in Experimentalgruppe und Kontrollgruppe eingeteilt werden. Der Forscher registriert hierbei lediglich als Beobachter, was ohne sein Eingreifen stattfindet.“ (Wikipedia)

[2] Ceteris paribus heißt unter sonst gleichen Umständen.

Der Originalbeitrag von Peter G. Klein mit dem Titel The 2021 Nobel Prize and the Trend of Economic Thinking ist am 11.10.2021 auf der Website des Mises-Institute, Auburn, Alabama (USA) erschienen.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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