Was Thatcher und Milei gemeinsam haben – zum 100. Geburtstag von Margaret Thatcher
17. Oktober 2025 – von Rainer Zitelmann
Es gibt so viele Gemeinsamkeiten zwischen Margaret Thatcher, Premierministerin des Vereinigten Königreichs von 1979 bis 1990 und Javier Milei, seit 2023 Präsident von Argentinien, dass sich ein Vergleich geradezu aufdrängt. Trotzdem wollen die Argentinier nicht darüber sprechen. Ich fragte anlässlich von Thatchers 100. Geburtstag am 13. Oktober 2025 marktwirtschaftlich orientierte Ökonomen aus mehreren Ländern nach ihrer Einschätzung der historischen Rolle von Thatcher. Ein Ökonom aus Argentinien, der mit Milei – und auch mit mir – befreundet ist und dessen Namen ich nicht nennen will, bat um Verständnis, warum er sich nicht äußern wollte:
In Argentinien hat man den Falklandkrieg nicht vergessen
Obwohl ich Margaret Thatcher in vielerlei Hinsicht bewundere – ihre Entschlossenheit, strukturelle Reformen durchzuführen, ihren Mut, festgefahrenen Interessen entgegenzutreten, und ihre Rolle bei der Wiederbelebung der britischen Wirtschaft –, ist es für einen Argentinier schwer, zu vergessen, was während des Malwinen-/Falklandkriegs geschah.
Der Falkland-Krieg von 1982 war ein kurzer, aber intensiver Konflikt zwischen Großbritannien und Argentinien um die Falklandinseln im Südatlantik. Ausgelöst wurde er durch die argentinische Besetzung der Inseln, die Großbritannien als sein Überseegebiet beanspruchte. Thatcher entsandte eine Marineflotte, die nach zehn Wochen die argentinischen Truppen zur Kapitulation zwang.
Bei allen Unterschieden zwischen Thatcher und Milei ließen sich beide jedoch von sehr ähnlichen Überzeugungen leiten und verfolgten einen ähnlichen politischen Stil. Die Ausgangsposition im Vereinigten Königreich und Argentinien wies viele Parallelen auf: Beide Länder waren einstmals durch den Kapitalismus wirtschaftlich extrem erfolgreich und mächtig und wurden dann durch Jahrzehnte von Etatismus und Sozialismus heruntergewirtschaftet. Großbritannien war die Wiege des Kapitalismus und der industriellen Revolution und dominierte im 19. Jahrhundert die Weltwirtschaft.
Etatismus ruinierte England und Argentinien
In Großbritannien hatte die linke Labour Party 1945 die Wahlen gewonnen und begann, unter Premierminister Clement Attlee einen demokratischen Sozialismus zu implementieren. Kern war ein gigantisches Verstaatlichungsprogramm. Es wurden Banken verstaatlicht, die zivile Luftfahrt, die Kohleindustrie und das Fernmeldewesen. Es folgten die Eisenbahnen, Schifffahrtskanäle, der Güter- und LKW-Transport, Strom und Gas. Schließlich wurden auch verarbeitende Industrien wie die Eisen- und Stahlindustrie verstaatlicht. Bevor Thatcher 1979 an die Macht kam, hatte die Inflation bis zu 27 Prozent ereicht, die Steuerlast für Bestverdiener lag bei 83 Prozent, wer hohe Kapitaleinkünfte hatte, wurden mit einem Spitzensteuersatz von 98 Prozent geschröpft. Dreißig Prozent der Arbeitnehmer arbeiteten in Staatsbetrieben. Die Produktivität stieg nicht mehr, aber dafür die Staatsverschuldung.
Argentinien war einstmals eines der reichsten Länder der Welt, ähnlich reich wie die Vereinigten Staaten. Anfang des 20. Jahrhunderts war das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung eines der höchsten der Welt. Der Ausdruck „riche comme un argentin“ – reich wie ein Argentinier – war damals ein geflügeltes Wort.
Der Abstieg Argentiniens ist mit einem Namen eng verbunden – Oberst Juan Domingo Perón. Im Februar 1945 wurde er zum Präsidenten gewählt. Seine erste Amtszeit dauerte bis 1955. Sein Programm: mehr Staat. Die Telefongesellschaft wurde verstaatlicht, die Eisenbahn, die Energieversorgung, der private Rundfunk. Allein zwischen 1946 und 1949 verdreifachten sich die Staatsausgaben. Die Zahl der Staatsbediensteten stieg von 243.000 im Jahr 1943 auf 540.000 im Jahr 1955 – viele neue Jobs in Behörden und im öffentlichen Dienst wurden geschaffen, um die Anhänger von Perons Arbeiterpartei zu versorgen. Der Abstieg ging über Jahrzehnte und als Javier Milei 2023 zum Präsidenten gewählt wurde, betrug die Inflationsrate monatlich 25 Prozent, 40 Prozent der Menschen lebten in Armut, die Staatsverschuldung war außer Kontrolle geraten.
Milei und Thatcher – die gleichen Vorbilder
Thatcher und Milei waren beide der Auffassung, dass nur radikale, kapitalistische Reformen helfen könnten. Thatcher war stark beeinflusst von den Ökonomen Friedrich August von Hayek und Milton Friedman, die sie auch persönlich kennengelernt hatte. Regelmäßig nahm sie an Versammlungen des pro-marktwirtschaftlichen Thinktanks „Institut for Economic Affairs“ teil und bei ihren Reformen orientierte sie sich an den Ideen des Adam Smith Institutes.
Milei, selbst Ökonom, war maßgeblich von den Lehren der Österreichischen Schule, zu der auch Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek gehörten, geprägt. Ohne die jahrelange Vorarbeit libertärer Thinktanks wie etwa des Fundación Libertad y Progreso wäre Milei nicht möglich gewesen.
Auch der politische Stil beider hat manche Gemeinsamkeiten, vor allem die entschiedene, aggressive Wendung gegen den Sozialismus und Kommunismus. „I hate Communists“, bekannte Thatcher. Sie wandte sich gegen das Establishment ihrer Partei, das Jahrzehntelang einen Kurs der Kompromisse mit den Sozialisten verfolgt hatte. Milei warnt immer wieder davor, man dürfe den Linken kein Zentimeter entgegenkommen, denn die würden jede kleinste Nachgiebigkeit nutzen, um später stärker zurückzuschlagen. Das sah Thatcher genau so.
Die Rezepte der beiden sind ähnlich: Weniger Staat, mehr Markt, ist die Überschrift. Die Methoden: Schluss mit der exzessiven Verschuldung, um die Währung zu stabilisieren, Privatisierung, Steuersenkung. Thatcher senkte den Spitzensteuersatz von bis zu 98 auf 40 Prozent, Milei hat ebenfalls drastische Steuersenkungen angekündigt, jedoch noch nicht umgesetzt. Thatcher nahm den Kampf gegen die Gewerkschaften auf, die eine Machtposition erreicht hatten, wie wohl in keinem anderen Land der Welt.
Thatchers Erfolge
Madsen Pirie, der Präsident des Adam Smith Institutes, der Thatcher persönlich kannte, schrieb mir:
Thatcher wird von der Linken dämonisiert, weil sie gezeigt hat, dass marktwirtschaftliche Politik funktioniert – was man von sozialistischer Politik nicht behaupten kann. Sie hinterließ Großbritannien in einem weit besseren Zustand, als es bei ihrem Amtsantritt war. Als sie ihr Amt antrat, gab es viermal so viele Gewerkschaftsmitglieder wie Aktionäre. Als sie abtrat, besaßen mehr Menschen Aktien, als in Gewerkschaften organisiert waren. Großbritannien hatte beim Amtsantritt die meisten durch Streiks verlorenen Arbeitstage in Europa – bei ihrem Abschied die wenigsten.
Und Philipp Bagus, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid, der Milei persönlich sehr gut kennt und das Buch „Die Ära Milei“ geschrieben hat, sagt:
Thatcher hat gezeigt, dass es politisch möglich ist, die Macht privilegierter Gewerkschaften zu brechen, die ein ganzes Land als Geisel hielten. Etwas Ähnliches geschieht derzeit in Argentinien, wo die politische Klasse, einschließlich der Gewerkschaften, die hart arbeitenden Argentinier ausgebeutet hat. Milei setzt sich in ähnlicher Weise gegen die Macht der politischen Klasse zur Wehr, wie Thatcher es mit den Gewerkschaften tat.
Der Ökonom Stefan Kooths, Forschungsdirektor am Kieler Institut für Weltwirtschaft meint:
In den frühen 1970er Jahren war das Vereinigte Königreich der kranke Mann Europas. Viele hielten das Land sogar für todkrank. Thatcher ist eines der herausragenden Beispiele der modernen Geschichte dafür, dass schwierige Zeiten keine Ausrede für Fatalismus, Pessimismus oder Verzweiflung sind. Wenn der Meeresspiegel der Probleme steigt, hebt er auch die Boote potenzieller Problemlöser. Das geschieht allerdings nicht automatisch. Es braucht weitsichtige politische Denker mit einer klar marktorientierten Geisteshaltung. Thatcher orientierte sich vor allem an den Ideen von Friedrich A. von Hayek, der damit zum geistigen Urheber der britischen Erneuerung wurde, die mit ihr einherging. Bis heute ist Thatcher ein Vorbild für Reformer, um das westliche Modell einer freien Gesellschaft wieder auf Kurs zu bringen.
Milei hat im Moment eine schwere Zeit. Nach erstaunlich raschen Erfolgen gibt es jetzt mehr Gegenwind. Wenn Milei erfolgreich sein wird, was man ihm nur wünschen kann, werden die Namen der beiden in den Geschichtsbüchern im gleichen Kapitel gewürdigt werden, auch wenn der Falklandkrieg Argentinier und Briten daran hindern mag, die Gemeinsamkeiten zu betonen.
Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
Rainer Zitelmann hat ausführlicher über Margaret Thatcher in seinem Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ geschrieben. In dieser Woche veröffentlichte Rainer Zitelmann Artikel über Margaret Thatcher, die in 18 Ländern erschienen sind, u.a in Corriere della Sera, L’Express, City AM und hier auf der Seite des Adam Smith Institutes.
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Titelfoto: Work of the United States Government, Public Domain, Quelle: Wikimedia Commons (Margaret Thatcher und George H. W. Bush in London, aufgenommen am 1. Juni 1989); bearbeitet.