Es ist ein Krieg gegen die Freiheit
6. Juni 2025 – von Ludwig von Mises
Im Folgenden lesen Sie den ersten Abschnitt „Der Liberalismus“ aus der Einleitung des 1927 erschienen Buches „Liberalismus“ von Ludwig von Mises (1881 – 1973).
Die Philosophen, Soziologen und Nationalökonomen des 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts haben ein politisches Programm ausgearbeitet, das zuerst in England und in den Vereinigten Staaten, dann auf dem europäischen Kontinent und schließlich auch in anderen Teilen der bewohnten Welt mehr oder weniger zur Richtschnur der praktischen Politik gemacht wurde. Ganz durchgeführt wurde dieses Programm nirgends und zu keiner Zeit. Selbst in England, das man als die Heimat des Liberalismus und als das liberale Musterland bezeichnet, ist es nie gelungen, alle Forderungen des Liberalismus durchzusetzen. Vollends in der übrigen Welt hat man immer nur Teile des liberalen Programms übernommen, andere nicht minder wichtige Teile aber entweder von vornherein zurückgewiesen oder doch wenigstens nach kurzer Zeit wieder verleugnet. Man kann eigentlich nur mit einiger Übertreibung davon sprechen, dass die Welt einmal eine liberale Ära durchgemacht hat. Seine volle Wirkung hat der Liberalismus nie entfalten können.
Man kann eigentlich nur mit einiger Übertreibung davon sprechen, dass die Welt einmal eine liberale Ära durchgemacht hat.
Immerhin hat die leider nur zu kurze und allzu beschrankte Dauer der Herrschaft liberaler Ideen hingereicht, um das Antlitz der Erde zu verändern. Eine großartige ökonomische Entwicklung setzte ein. Die Entfesselung der menschlichen Produktivkräfte hat die Menge der Unterhaltsmittel vervielfacht. Am Vorabend des Weltkrieges, der selbst schon das Ergebnis jahrelangen scharfen Kampfes gegen den liberalen Geist war und der eine Zeit noch schärferer Bekämpfung der liberalen Grundsätze einleitet, war die Welt unvergleichlich dichter bewohnt, als sie es je vorher gewesen war, und jeder einzelne dieser Bewohner konnte unvergleichlich besser leben, als es in früheren Jahrhunderten möglich gewesen war. Der Wohlstand, den der Liberalismus geschaffen hatte, hat die Kindersterblichkeit, die in früheren Jahrhunderten schonungslos gewütet hatte, beträchtlich herabgesetzt, und durch Verbesserung der Lebensbedingungen die durchschnittliche Lebensdauer verlängert. Dieser Wohlstand floss nicht nur einer engen Schicht von Auserwählten zu. Am Vorabend des Weltkrieges lebte der Arbeiter in den europäischen Industriestaaten, in den Vereinigten Staaten von Amerika und in den überseeischen Dominions Englands besser und schöner als noch vor nicht allzu langer Zeit der Edelmann. Er konnte nicht nur nach Wunsch essen und trinken, er konnte seinen Kindern eine bessere Erziehung geben, er konnte, wenn er wollte, am geistigen Leben seines Volkes teilnehmen, und er konnte, wenn er Begabung und Kraft genug besaß, ohne Schwierigkeiten in die höheren Schichten aufsteigen. Unter den Männern, die an der Spitze der gesellschaftlichen Pyramide standen, waren gerade in den Ländern, die im Liberalismus am weitesten gegangen waren, nicht die in der Überzahl, die schon durch ihre Geburt von reichen und hochgestellten Eltern bevorzugt worden waren, sondern die, die sich aus eigener Kraft, von den Umständen begünstigt, aus engen Verhältnissen hinaufgearbeitet hatten. Die Schranken, die in alter Zeit Herren und Knechte geschieden hatten, waren gefallen. Es gab nur noch gleichberechtigte Burger. Niemand wurde wegen seiner Volkszugehörigkeit, wegen seiner Gesinnung, wegen seines Glaubens zurückgesetzt oder gar verfolgt. Man hatte im Innern mit den politischen und religiösen Verfolgungen aufgehört, und im Äußeren begannen die Kriege seltener zu werden. Schon sahen Optimisten das Zeitalter des ewigen Friedens anbrechen.
Man hatte im Innern mit den politischen und religiösen Verfolgungen aufgehört, und im Äußeren begannen die Kriege seltener zu werden. Schon sahen Optimisten das Zeitalter des ewigen Friedens anbrechen. – Es ist anders gekommen.
Es ist anders gekommen. Dem Liberalismus waren im 19. Jahrhundert heftige und starke Gegner erwachsen, denen es gelungen ist, einen großen Teil der liberalen Errungenschaften wieder rückgängig zu machen. Die Welt will heute vom Liberalismus nichts mehr wissen. Außerhalb Englands ist die Bezeichnung „Liberalismus“ geradezu geachtet; in England gibt es zwar noch „Liberale“, doch ein großer Teil von ihnen sind es nur dem Namen nach, in Wahrheit sind sie eher gemäßigte Sozialisten. Die Regierungsgewalt liegt heute allenthalben in den Händen der antiliberalen Parteien. Das Programm des Antiliberalismus hat den großen Weltkrieg entfesselt und die Völker dazu gebracht, sich gegenseitig durch Ein- und Ausfuhrverbote, durch Zölle, durch Wanderungsverbote und durch ähnliche Maßnahmen abzusperren. Es hat im Innern der Staaten zu sozialistischen Experimenten geführt, deren Ergebnis Minderung der Produktivität der Arbeit und damit Mehrung von Not und Elend war. Wer seine Augen nicht absichtlich schließt, muss überall die Anzeichen einer nahenden Katastrophe der Weltwirtschaft erkennen. Der Antiliberalismus steuert einem allgemeinen Zusammenbruch der Gesittung entgegen.
Das Programm des Antiliberalismus hat den großen Weltkrieg entfesselt und die Völker dazu gebracht, sich gegenseitig durch Ein- und Ausfuhrverbote, durch Zölle, durch Wanderungsverbote und durch ähnliche Maßnahmen abzusperren.
Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
Ludwig von Mises (1881 – 1973) hat bahnbrechende und zeitlose Beiträge zum systematischen Studium in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaft geleistet. Vor allem hat er die wissenschaftstheoretische Begründung für das System der freien Märkte geliefert, das auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut ist, und er hat jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben als kontraproduktiv entlarvt und zurückgewiesen.
„Jeder trägt einen Teil der Gesellschaft auf seinen Schultern,” schrieb Ludwig von Mises, „niemandem wird sein Teil der Verantwortung von anderen abgenommen. Und niemand kann einen sicheren Weg für sich selbst finden, wenn die Gesellschaft sich im Untergang befindet. Deshalb muss sich jeder, schon aus eigenem Interesse heraus, mit aller Kraft in den geistigen Kampf begeben.“
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