Wenn das Machtmonopol versagt

20. Juli 2020 – von Andreas Tögel

Andreas Tögel

Friedrich Nietzsche hat einst über die „Umwertung aller Werte“ geschrieben. Seinen exemplarischen Ausdruck findet dieses Phänomen in den drei Parolen, die in Orwells Roman 1984 das Ministerium für Wahrheit zieren: Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke.

Je weiter das politische Spektrum sich nach links verschiebt (Positionen, wie sie Konrad Adenauer, Charles De Gaulle, Dwight D. Eisenhower, oder einige Zeit später Franz Josef Strauß oder Margaret Thatcher vertreten haben, würden heute taxfrei als „erzreaktionär“ oder gar als „rechtsradikal“ qualifiziert werden), desto weiter geht die Werteumkehrung. Besonders die Bedeutung privaten Eigentums, das die Basis des friedlichen Zusammenlebens in jeder prosperierenden Gesellschaft bildet, wird in der Spätzeit der moralisierenden Anstalt namens Wohlfahrtsstaat, mehr und mehr relativiert. Wer heute auf der kompromisslosen Bewahrung von Eigentumsrechten besteht, gilt im günstigsten Fall als herz- und rücksichtsloser Egoist und, wenn er weniger Glück hat, als dem Gemeinwohl im Wege stehend. Ludwig von Mises (1881-1973) erklärt die ungeheure Bedeutung privaten Eigentums (er spricht von „Sondereigentum“) in seinem Buch „Liberalismus“ (1927) so:

Das Sondereigentum schafft eine staatsfreie Sphäre des Individuums, es setzt dem Auswirken des obrigkeitlichen Willens Schranken, es läßt neben und gegen die politische Macht andere Mächte aufkommen. Das Sondereigentum wird damit zur Grundlage aller staats- und gewaltfreien Lebensbetätigung, zum Pflanz- und Nährboden der Freiheit, der Autonomie des Individuums und in weiterer Folge aller fortschreitenden Entwicklung des Geistigen und des Materiellen.

Spätestens, seitdem es nach einer brutalen Polizeiaktion in den USA, die den tragischen Tod von George Floyd zur Folge hatte, zu weltweiten Protestaktionen kam, darf den drei oben zitierten Parolen eine vierte hinzugefügt werden: Eigentum ist Diebstahl – ein Gedanke, der auf den französischen Syndikalanarchisten Pierre Joseph Proudhon (1809-1865) zurückgeht. (Auf den logischen inneren Widerspruch seiner Behauptung wird an dieser Stelle nicht eingegangen).

Im Zuge von Protesten gegen einen im „kapitalistischen“ Westen angeblich herrschenden „strukturellen Rassismus“ (was auch immer das sein mag), kommt es immer wieder zu Ausschreitungen, bei denen öffentliches und privates Eigentum, das mit den vorgeblichen Anliegen der Demonstranten in keinerlei Zusammenhang steht, beschädigt oder zerstört wird – ohne dass die Staatsmacht entschlossen dagegenhält. „Deeskalation“ und die Beschwichtigung der randalierenden Rechtsbrecher scheint das neue Credo der Polizei zu sein.

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„Appeasement“ ist indes, wie die politischen Ereignisse im Europa der 1930er-Jahre eindrucksvoll bewiesen haben – eine denkbar schlechte Strategie zur Gewalteindämmung. Gegen gewalttätige Aggression oder deren ernstzunehmende Androhung ist nur ein Mittel wirksam: die bewaffnete Verteidigung bestehender (Eigentums-)Rechte. Selbstverteidigung und Notwehr stehen keineswegs im Widerspruch zu liberalen oder libertären Prinzipien. Ganz im Gegenteil! Wer initiierter Gewaltanwendung nicht mit robusten Mitteln entgegentritt, liefert eine Einladung zu deren Fortsetzung und zur Verstärkung widerrechtlicher Aktivitäten.

Ein haarsträubendes Beispiel dafür, wie weit die allgemeine Werteumkehr bereits fortgeschritten ist, liefert ein aktueller Fall aus dem US-Bundestaat Missouri. Ende Juni kommt es in St. Louis zu folgendem Vorfall: einschlägigen Medienberichten zufolge tritt das vor seinem Haus stehende Ehepaar McCloskey angeblich friedlichen Demonstranten bewaffnet entgegen. Erst unter ferner liefen wird berichtet, dass die gegen „strukturellen Rassismus“ und Polizeigewalt Protestierenden sich zuvor gewaltsam Zutritt zu dem Privatgrundstück der McCloskeys verschafft hatten. Noch ehe es zur Konfrontation zwischen den Einbrechern und dem Ehepaar kommt, verständigt dieses bereits die Polizei und meldet, dass das Tor zu seinem Anwesen aufgebrochen wird. Nach Aussagen des bedrohten Ehepaares drohen die Demonstranten damit, das Haus niederzubrennen.

Wer nun meint, dass die staatliche Ordnungsmacht daraufhin schleunigst einschreitet und das Ehepaar und dessen Besitz vor dem widerrechtlich eingedrungenen Mob beschützt, der irrt. Die Polizei bleibt untätig.

Der auf römischem Recht basierende Grundsatz Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen scheint dieser Tage nicht mehr zu gelten. Nicht nur, dass die Polizei im geschilderten Fall untätig bleibt, nein, die Medien verurteilen gar einhellig das unerschrockene Paar. Dass eine aggressive Hundertschaft widerrechtlich auf eine private Liegenschaft vordringt und die Bewohner des darauf befindlichen Wohnhauses bedroht, ist unbedeutend. Dagegen bildet der Umstand, dass dessen Eigentümer den ungebetenen Eindringlingen entschlossen und bewaffnet entgegentreten, den Anlass für allergrößte Empörung. Die Medien orten „aggressives Verhalten“ und meinen damit nicht das der Einbrecher, sondern das der angegriffenen Haus- und Grundstückseigentümer. Die Demonstration der Verteidigungsbereitschaft durch das Ehepaar McCloskey wird in Umkehrung der Tatsachen zur „Aggression“ umgedeutet.

Wie zum Hohn veranlasst die für den Bezirk verantwortliche Staatsanwältin auch noch eine Hausdurchsuchung bei dem bedrohten Ehepaar und die Konfiskation der halbautomatischen Büchse vom Typ AR-15 (von ahnungslosen Journalisten werden derartige Waffen ebenso regelmäßig wie unzutreffend als „Sturmgewehre“ bezeichnet), die der Mann, ein Rechtsanwalt, zum Zeitpunkt der Konfrontation in seinen Händen hielt. Er habe damit „Machtmissbrauch“ betrieben, so der bizarre Vorwurf.

Verheerender kann ein politisches Signal nicht sein: die Staatsmacht erklärt das Recht zur Selbstverteidigung kontrafaktisch zur „Aggression“ und stellt sich auf die Seite derer, die private Eigentumsrechte mit Füßen treten. Auf diese Weise wird dem friedlichen Zusammenleben jede Grundlage entzogen. Es soll offenbar nur noch das Recht des Stärkeren gelten. Und wie die grotesken Auswüchse der Black-Lives-Matter-Kampagne zeigen, wird das nicht der rechtschaffene Bürger sein, der Werte schafft, sondern vor keiner Gewalttat zurückschreckende, politisch Fanatisierte, die nichts schaffen, sondern nur zerstören können. Keine guten Aussichten für eine zivilisierte Gesellschaft.

Die klare und unmissverständliche Unterscheidung zwischen Mein und Dein, sowie der Schutz privaten Eigentums, bilden die Basis jeder freisinnig-liberalen Gesellschaft. Wer den Wert privaten Eigentums aus politischer Opportunität relativiert oder dessen Verteidigung kriminalisiert, legt die Axt an die Wurzeln der Zivilisation.

Abgesehen von dem verheerenden Signal, das von der Aktion der Staatsanwältin ausgeht, beweist das Beispiel der McCloskeys, dass es sich lohnt, erhobenen Hauptes dem Unrecht entgegenzutreten: Immerhin bleiben sowohl sie selbst, als auch ihr Haus unversehrt, als sie an ihrer Entschlossenheit zur Gegenwehr keinen Zweifel aufkommen lassen.

Nicht nur in St. Louis kommt der Machtmonopolist seiner vornehmsten (und im Grunde einzig wahren) Aufgabe immer häufiger nicht mehr nach, nämlich jener, Sicherheit und Eigentum der Bürger zu schützen. Umso wichtiger wird demzufolge die Wehrhaftigkeit der Bürger. Die hat übrigens mit Selbstjustiz nichts zu tun!

„Wie weit“, so fragt der Ökonom Murray N. Rothbard (1926-1995) in seinem Werk „Die Ethik der Freiheit“ (1982), „erstreckt sich das Recht eines Menschen auf Selbstverteidigung von Person und Eigentum“. Und er gibt sogleich die Antwort: „… bis zu dem Punkt, an dem er beginnt, die Eigentumsrechte eines anderen zu verletzen. Denn in diesem Falle würde seine ‚Verteidigung‘ selber eine kriminelle Verletzung des gerechten Eigentums eines anderen Menschen bedeuten, wogegen dieser sich korrekterweise verteidigen könnte.“

Das Ehepaar McCloskey in St. Louis hat uns die Bedeutung des Rechtes der Menschen auf Selbstverteidigung von Person und Eigentum – dazu gehört auch das Recht, Waffen besitzen zu dürfen – eindrucksvoll vor Augen geführt, vor allem und gerade dann, wenn der Staat seinem wichtigsten Zweck – dem Schutz der Bürger und ihres Eigentums – nicht mehr jederzeit prompt und zuverlässig nachkommt.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschinenbauer, ausübender kaufmännischer Unternehmer und überzeugter “Austrian”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

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