Die südlichen Länder brauchen nicht mehr Geld, sondern mehr Kapitalismus

22. Juli 2020 – Milliardentransfers von Nord- nach Südeuropa werden Ländern wie Italien, Spanien oder Griechenland nicht helfen. Sie brauchen mehr Kapitalismus.

von Rainer Zitelmann

Rainer Zitelmann

Über Wochen standen sich die „sparsamen Vier“, also Dänemark, Niederlande, Österreich und Schweden, sowie Finnland auf der einen und Frankreich und die Südländer (vor allem Italien und Spanien) auf der anderen Seite gegenüber.

Die Südländer wollten Milliarden-Transferleistungen aus dem Norden. Die „sparsamen Vier“ wollten das an Bedingungen knüpfen. Österreichs Bundeskanzler Kurz forderte beispielsweise, dass die Südländer endlich auf den Gebieten Arbeitsmarkt, Rentensystem, Bürokratieabbau und Korruptionsbekämpfung vorankommen.

Der niederländische Regierungschef Mark Rutte hatte verlangt, dass Empfänger von EU-Hilfen vor der Auszahlung Reformen nicht nur zusagen, sondern bereits umgesetzt haben. Dafür müsse es eine „absolute Garantie“ geben. Dabei wollte Rutte jedem Land ein Vetorecht geben.

Am Ende gab es einen Kompromiss, aber dieser Kompromiss – obwohl er mit gigantischen Transferzahlungen verbunden ist – wird die Situation der Südländer dauerhaft nicht verändern.

Kurz und Rutte haben Recht. Denn die Corona-Krise ist nicht der Grund dafür, warum es Ländern wie Italien wirtschaftlich so schlecht geht. Die Corona-Krise hat nur bestehende Defizite offen gelegt. Und diese kann man mit drei Worten umschreiben: zu wenig Kapitalismus.

Index der wirtschaftlichen Freiheit

Dies wird belegt durch den „Index of Economic Freedom“, der seit dem Jahr 1995 jährlich von der amerikanischen Heritage-Foundation ermittelt wird. Der Index misst die wirtschaftliche Freiheit von 180 Ländern. Man kann diesen Index auch als „Kapitalismusskala“ bezeichnen, so der Soziologe Erich Weede. Die „sparsamen Vier“ sowie Finnland gehören alle zu den Ländern mit einem relativ hohen Grad an wirtschaftlicher Freiheit. In dem Ranking (je niedriger die Zahl, desto wirtschaftlich freier ist das Land) liegen diese Länder wie folgt:

  • 8 Dänemark
  • 14 Niederlande
  • 20 Finnland
  • 22 Schweden
  • 29 Österreich

Zum Vergleich: Frankreich und die Südländer sind wirtschaftlich viel unfreier:

  • 58 Spanien
  • 64 Frankreich
  • 74 Italien
  • 100 Griechenland

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Das Korruptionsproblem

Auch ein Blick auf den jährlich von „Transparency International“ erstellten Index der Korruptionswahrnehmung zeigt, dass das Misstrauen der „sparsamen Vier“ berechtigt ist, wenn Geld unkontrolliert in die Länder im Süden fließt.

Die Korruptionswahrnehmung ist bei den sparsamen vier und Finnland sehr gering (nachfolgend das Ranking: Je niedriger der Rang desto niedriger die Korruptionswahrnehmung):

  • Dänemark 1
  • Finnland 3
  • Schweden 4
  • Niederlande 8
  • Österreich 12

Ganz anders in den Südländern:

  • Spanien 30
  • Italien 61
  • Griechenland 60

Erfahrungen von Schweden, Deutschland, Großbritannien

Ähnlich verhält es sich auch, wenn man den Grad der Arbeitsmarktregulierung oder der Bürokratie vergleicht. Die Geschichte hat immer wieder gezeigt: Wenn es Ländern wirtschaftlich schlecht geht, liegt das oft an zu viel Staatseinfluss und zu wenig Marktwirtschaft. Marktwirtschaftliche Reformen helfen dann. In den 70er Jahren war Großbritannien der „kranke Mann Europas“ und gesundete wieder durch Margaret Thatchers marktwirtschaftliche Reformen. Schweden reformierte Anfang der 90er-Jahre sein Wirtschaftssystem: Die Steuern wurden gesenkt (manche Steuern wie die Vermögen-, Erbschafts- und Schenkungssteuer wurden sogar ganz abgeschafft), der Arbeitsmarkt wurde dereguliert und Auswüchse des Wohlfahrtsstaates beseitigt. In dem Scoring des „Index der wirtschaftlichen Freiheit“ legte Schweden von 1995 bis 2019 um 13,5 Punkte zu – von 61,4 Punkten auf 74,9 Punkte. Die Reformen waren Voraussetzung für die Gesundung der schwedischen Wirtschaft. Auch die Agenda 2010-Reformen von Gerhard Schröder in Deutschland führten zu einer Halbierung der Arbeitslosigkeit und einem lang anhaltenden Wirtschaftsboom.

Keines dieser Länder gesundete wirtschaftlich durch Transferzahlungen anderer Länder, alle gesundeten durch kapitalistische Reformen. Die historischen Erfahrungen zeigen, was jetzt Ländern wie Italien helfen würde. Transferzahlungen ohne Reformen werden mit Sicherheit die strukturellen Probleme dieser Länder nicht lösen. Was helfen würde wäre: Mehr Kapitalismus wagen! Dies trifft übrigens auch in hohem Maße für Frankreich zu – ein Land, das sich beharrlich gegen die Reformanstrengungen von Emmanuel Macron wehrt.

Und, um auch das zu ergänzen: Auch jene Länder, denen es heute vergleichsweise gut geht – so etwa Deutschland – brauchen dringend wirtschaftliche Reformen. Deutschland ruht sich heute auf den Reformen von Gerhard Schröder aus, die bald zwei Jahrzehnte zurückliegen. Seitdem ist nichts Positives geschehen. Im Gegenteil: Deutschland hat seine Energiewirtschaft faktisch in eine Planwirtschaft verwandelt – und ist dabei, dies auch für die Automobilwirtschaft zu tun. Auch im Wohnungswesen wird immer mehr staatlich reguliert und die Marktkräfte eingeschnürt. Nicht nur die Südländer, sondern ganz Europa braucht mehr Kapitalismus.

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist promovierter Historiker und Soziologe. Er arbeitete Ende der 80er-/Anfang der 90er-Jahre am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung der Freien Universität Berlin. Danach war er Ressortleiter bei der Tageszeitung „Die Welt“. Im Jahr 2000 gründete er ein Unternehmen zur Kommunikationsberatung in der Immobilienwirtschaft, das er zum Marktführer machte und 2016 verkaufte. Zitelmann hat 22 Bücher geschrieben, die weltweit in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Mit seiner Studie über die „Psychologie der Superreichen“, die vor allem in den USA, Großbritannien und China große Beachtung fand, machte er sich international einen Namen als Reichtumsforscher. https://www.facebook.com/r.zitelmann/?epa=SEARCH_BOX

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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