„Moderne Geldtheorie“: Alter Wein in neuen Schläuchen

14. Juni 2019 – von Andreas Tögel

Andreas Tögel

Gegenwärtig laufen intensive Bestrebungen, die letzten verbliebenen Reste ökonomischer Vernunft zu entsorgen. Symptomatisch dafür ist die derzeit von linken Politikern und Ökonomen in den USA propagierte „moderne Geldtheorie“ (Modern Monetary Theory, MMT), die es ermöglichen soll, Amerika von jeder Art von Mangel zu befreien, indem unbegrenzte Geldmittel in Umlauf gebracht werden, mit denen ein neuer „New Deal“ initiiert werden soll.

Der Grundgedanke dahinter: Staaten, die über ein Monopol zur Geldproduktion verfügen, können nicht pleite gehen, da sie jede beliebige Menge Geld drucken können, um ihre Schulden zu bezahlen. Von dieser prinzipiell richtigen Feststellung ist es nur ein kleiner Schritt zur Illusion, mit einer Ausweitung der Geldproduktion, also mit aus dem Nichts geschaffenen Geld, jeden politischen Traum realisieren zu können. Theoretische Einwände und Hinweise auf – ausschließlich negative – Erfahrungen mit einer inflationistischen Geldpolitik, werden von den Protagonisten dieses Gedankens ignoriert. Denn diesmal wird angeblich alles anders! Das klingt vertraut, denn noch nach jedem gescheitertem sozialistischem Experiment – und sie sind alle fulminant gescheitert – wird beim nächsten Anlauf versprochen, diesmal wirklich alles richtig zu machen.

Zu den „Basics“: Das Geldsystem leistet der Wohlstandsproduktion dann Vorschub, wenn es stabile Verhältnisse garantiert und damit verlässliche Entscheidungsgrundlagen für die Marktakteure bietet. Beste Voraussetzung dafür ist ein „unpolitisches“ Geld, das den Interessen der Geldnutzer dient, nicht aber ein Werkzeug der Regierungspolitik darstellt. Der Ökonom Friedrich A. von Hayek hat schon 1976 eine „Entstaatlichung“ des Geldes gefordert. Geld soll sich, wie jede andere Ware auch, auf dem Markt bewähren und nicht politisch manipuliert werden.

Die Schaffung einer politisch kontrollierten Notenbank, das darf nie vergessen werden, war eine der im „Kommunistischen Manifest“ von 1848 enthaltenen Zentralforderungen. Dessen Verfasser, Karl Marx und Friedrich Engels, hatten sehr präzise Vorstellungen davon, welchem Zweck das dienen sollte: der Zerstörung der bürgerlichen Gesellschaft. Hoheitlich kontrollierte und gesteuerte Geldproduktion bildet in einem Marktsystem ganz offensichtlich einen schädlichen Fremdkörper, der zwar, wie Ludwig von Mises elaboriert nachweist, die Ursache aller zyklischen Krisen bildet, deren Entstehung allerdings dem „Kapitalismus“ angelastet wird.

Die Vorstellung, mit aus dem nichts geschaffenem Geld die Gesellschaft zu kollektivem Reichtum führen zu können, spiegelt sowohl ökonomischen Unverstand als auch die Hybris ideologischer Überzeugungstäter wider. Die Tatsache, dass die Summe aller Wünsche der Menschen stets die Möglichkeit zu deren Realisierung übersteigt, kann durch eine noch so expansive Geldpolitik nämlich nicht aus der Welt geschafft werden. Der nicht zu überwindende „Naturzustand“ der Menschheit ist und bleibt, allen linken Utopien zum Trotz, der des Mangels. Wer die Schaffung unbegrenzten Überflusses auf Erden verspricht, indem er die Geldmenge aufbläht, ist entweder ein Scharlatan oder ein Dummkopf.

Der US-Ökonom Thomas Sowell bringt es auf den Punkt: „Die erste Lektion der Ökonomie ist die Knappheit. (…) Die erste Lektion der Politik ist es, die erste Lektion der Ökonomie zu missachten.“ In einem politischen System wie dem gegenwärtig im einst liberalen Westen herrschenden, in dem jede individuelle Verantwortung so gut wie restlos abgeschafft wurde, verspricht die Nomenklatura das Unmögliche. Sei es emissionsfreie Energieproduktion, „Klimarettung“ oder Reichtum für alle. Das Stimmvieh, abgestumpft und längst ans betreute Denken gewöhnt, läuft jenen Polit-Visionären hinterher, die mit den schrillsten Programmen winken. Es wird nicht lange dauern, bis auch in Europa die ersten Narren auftauchen, die darauf brennen, die „Moderne Geldtheorie“ umzusetzen.

Doch nichts wirkt so tödlich auf die schönste Theorie wie hässliche Fakten. Wohin eine ungebremste Geldmengenausweitung führt, hat die Geschichte hinlänglich gezeigt: in die Hyperinflation. Wie beispielsweise 1922/23 in Deutschland und Österreich, oder in jüngster Zeit in Simbabwe oder in Venezuela. Es muss aber gar nicht so weit kommen! Es reicht allein schon die von der EZB verursachte „Asset-price-inflation“, die es jungen Leuten dieser Tage bereits nahezu unmöglich macht, Immobilien in guten Lagen zu erwerben. Die Proletarisierung der Gesellschaft wird dadurch zügig vorangetrieben. Welchen irreparablen Schaden würde unsere einst freie Gesellschaft durch eine Umsetzung der MMT nehmen!

Die modernen Geldalchemisten verfügen weder über das Wissen noch über die Fähigkeiten, um das Geldsystem so zu steuern, dass Hyperinflationsdebakel und andere grobe Verzerrungen des Wirtschaftssystems vermieden werden. Was die Anhänger der MMT dazu veranlasst zu glauben, Wohlstand für alle mittels Anwerfens der Notenpresse und hemmungsloser Staatsverschuldung schaffen zu können, ist rätselhaft. Alle – wirklich alle – bisher unternommenen Versuche sind fulminant gescheitert.

Die politische Klasse behauptet rund um den Globus, dass „der Kapitalismus“ ausgedient hat. Ein „Dritter Weg“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus müsse beschritten werden. Die kontrafaktische Behauptung, die „Ideologie des Neoliberalismus“, „unregulierte Finanzmärkte“ und ein „entfesselter Turbokapitalismus“ hätten die Welt in die zurückliegenden Wirtschaftskrisen gestürzt, wird von den Mainstreammedien kritiklos propagiert. Dass Politiker und Staatsintellektuelle es verstehen, ein System, in welchem der Staat alle relevanten Gesellschaftsbereiche rigoros kontrolliert, in dem das Unternehmertum beinahe zu Tode reguliert wird und das den Bürgern überdies Steuern auf historischem Rekordniveau abpresst, als „Kapitalismus“ zu verkaufen, ist schon eine beachtliche Leistung. Dass es eine dem „Kapitalismus“ innewohnende Schwäche wäre, „zyklische Krisen“ zu produzieren, ebenfalls. Zyklische Krisen sind das Produkt einer erratischen Geldpolitik.

Dass es in einem frei von politischen Interventionen agierenden Markt zu Fehlallokationen und zu Firmenpleiten kommt liegt daran, dass einige Unternehmer oder Manager den künftigen Bedarf der Konsumenten fehlerhaft antizipieren und daher falsche Entscheidungen treffen. Strategisch nachteilige unternehmerische Entscheidungen zu treffen, hat aber weder mit Unfähigkeit oder Wirtschaftskriminalität, noch mit einer Systemschwäche zu tun, sondern liegt in der Natur von im Zustand der Ungewissheit vorgenommenen Handlungen. Der US-Ökonom Murray N. Rothbard dazu: „No Businessman in the real world is equipped with perfect foresight; all make errors.“ Das trifft in umso größerem Ausmaß allerdings auch auf Politiker und Experten zu, die – frei von jedem persönlichen Risiko (Der Finanzmathematiker und Bestsellerautor Nassim Taleb spricht in diesem Zusammenhang von mangelndem „Skin in the Game“) – die Menschheit mit konstruktivistischen Rezepten beglücken.

Gesellschaftsklempner aller Kaliber maßen sich an, von der Zahl der zu produzierenden Rasierklingen bis zur Höhe der Investitionen in die Automobilindustrie alle wirtschaftlich relevanten Faktoren eines Wirtschaftsraumes verlustfrei planen und verordnen zu können. Dabei handelt es sich um eine klassische Form der, wie Hayek es nennt, Anmaßung von Wissen.

Für kein Unternehmen kann es eine dauerhafte Bestandsgarantie geben, da im Zustand der Ungewissheit getroffene Entscheidungen eben falsch sein können. Es ist daher unvermeidlich, dass immer wieder Betriebe scheitern, andere dafür aber neu entstehen. Warum indes sollten – und damit sind wir bei der „zyklischen Krise“ – zeitgleich sehr viele Betriebe in Schwierigkeiten geraten und trotzdem keine neuen entstehen? Dass über viele Jahre hindurch korrekt planende und erfolgreich agierende Unternehmer exakt zur selben Zeit allesamt ähnliche unternehmerische Fehler begehen, ist nur dann zu erklären, wenn es einen für alle gleichermaßen bedeutsamen Grund für ihre Fehleinschätzungen gibt. Murray Rothbard spricht in diesem Zusammenhang vom „Sudden general cluster of business errors“.

Dessen alles entscheidenden Teilaspekt bildet die Manipulation des Zinses durch das staatliche Währungssystem, die durch die Umsetzung der MMT noch weiter verschärft würde. Der Zins ist nämlich der Indikator dafür, dass der Mensch die Möglichkeit zur augenblicklichen der zukünftigen Verfügung über ein Gut vorzieht. Anders formuliert: heutiger Konsum wird höher bewertet als künftiger Konsum. Man spricht von der „Zeitpräferenz“. Je höher die Zeitpräferenz, desto mehr ist man bereit, für den augenblicklichen Konsum zu bezahlen beziehungsweise ein umso höheres Entgelt wird für den momentanen Verzicht gefordert. Seinen konkreten Niederschlag findet die Zeitpräferenz in der Höhe eines Aufschlags auf den Preis: im Zins.

Da der Zins also ein natürliches Phänomen ist, das in einer freien Wirtschaft ausschließlich vom Aggregat der Zeitpräferenzen der Konsumenten bestimmt wird, ist dessen Höhe der entscheidende Indikator für die Investitionsplanung von Unternehmern. Niedrige Zeitpräferenzen der Konsumenten manifestieren sich in hohen Sparquoten und niedrigen Zinsen. Das von den Unternehmern empfangene Signal lautet: die Konsumenten verfügen über hohe Ersparnisse und sind bereit, ihre Konsumwünsche auf später aufzuschieben. Dies führt zur Konzentration der Investitionen auf „Güter höherer Ordnung“ (das heißt solche, die nicht dem augenblicklichen Konsum dienen, sondern die nach längerer Vorlaufzeit den Konsum von durch ihren Einsatz erstellten Gütern in der Zukunft verfügbar machen). Das heißt, dem Konsumenten werden erst nach dem Bau entsprechender Fabriken oder der Entwicklung neuer Produkte Güter angeboten und verkauft werden können. Anders formuliert: Es kommt zu einer tendenziellen Verlagerung der unternehmerischen Investitionen von der Konsum- zur Kapitalgüterindustrie.

Das alles wäre unbedenklich, wenn die Konjunktur durch real gebildete Ersparnisse angetrieben wäre, und den Konsumentenpräferenzen tatsächlich entspräche. Denn dann hätten die Unternehmer richtig gehandelt: die künftig produzierten Güter träfen auf eine kaufkräftige Nachfrage. Ist der Boom aber nicht auf reale Ersparnisse, sondern auf aus dem Nichts geschaffene Kredite gegründet, verhalten sich die Unternehmer auf breiter Front fehlerhaft, weil sie Investitionsentscheidungen auf Grund nicht gegebener Voraussetzungen treffen. Die aufwendigen Investitionen in Güter höherer Ordnung gehen vielfach verloren, weil die ausgestoßenen Güter auf keine kaufkräftige Nachfrage treffen, da die zum Kauf der erstellten Güter erforderlichen Ersparnisse nie gebildet wurden. Überkapazitäten in vielen Industriezweigen und kostspielige Abschreibungen sind die Folge. Das bedeutet die Vernichtung realer Werte. Nach Abschluss des Boom-Bust-Cycles liegt das Wohlstandsniveau einer Volkswirtschaft, dank des Totalverlustes der Fehlinvestitionen, auf einem niedrigeren Niveau als wenn dieser Zyklus nie in Gang gesetzt worden wäre.

Die von Ludwig von Mises vor rund 80 Jahren entwickelte „Konjunkturzyklustheorie“ ist von der Wirtschaftswissenschaft nie widerlegt, sondern einfach „vergessen“ worden. Denkt man sich an die Stelle politischer Führer, ist das nicht verwunderlich. Welches Konzept erscheint ihnen wohl attraktiver: wirtschaftliches Laissez-faire, wie vom klassischen Liberalismus gefordert, das sie der Möglichkeit beraubt, Gott zu spielen? Oder eine sozialistische Utopie wie der (Neo-)Keynesianismus oder die MMT, in der allein sie das Sagen haben?

Die „moderne Geldtheorie“ ist alter Wein in neuen Schläuchen. Ohne Produktion, Arbeit und Anstrengung reich zu werden, ist ein schöner Traum. Allein durch Geldschöpfung Wohlstand schaffen zu wollen, eine Illusion.

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Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschinenbauer, ausübender kaufmännischer Unternehmer und überzeugter “Austrian”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: © Thomas Reimer – Fotolia.com

 

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