Für radikale Dezentralisierung

10. April 2019 – von Ryan McMaken

Wer Ludwig von Mises (1881-1973) im Vergleich zu dem radikaleren Murray Rothbard (1926-1995) als den „Moderaten“ hinstellen möchte, der weist oft darauf hin, Mises sei kein „Anarchist“ gewesen.

Diese Behauptung dürfte jedoch nicht mehr ganz so leicht fallen, wenn wir Mises‘ Bemerkungen zum Thema radikale Dezentralisierung in seinem Werk Liberalismus berücksichtigen:

Das Selbstbestimmungsrecht in bezug auf die Frage der Zugehörigkeit zum Staate bedeutet also: wenn die Bewohner eines Gebietes, sei es eines einzelnen Dorfes, eines Landstriches oder einer Reihe von zusammenhängenden Landstrichen, durch unbeeinflußt vorgenommene Abstimmungen zu erkennen gegeben haben, daß sie nicht in dem Verband jenes Staates zu bleiben wünschen, dem sie augenblicklich angehören, sondern einen selbständigen Staat bilden wollen oder einem anderen Staate zuzugehören wünschen, so ist diesem Wunsche Rechnung zu tragen. Nur dies allein kann Bürgerkriege, Revolutionen und Kriege zwischen den Staaten wirksam verhindern.

Man mißversteht dieses Selbstbestimmungsrecht, wenn man es als „Selbstbestimmungsrecht der Nationen“ bezeichnet. Es handelt sich nicht um das Selbstbestimmungsrecht einer national geschlossenen Einheit, sondern es handelt sich darum, daß die Bewohner eines jeden Gebietes darüber zu entscheiden haben, welchem Staatsverband sie angehören wollen. […]

Das Selbstbestimmungsrecht, von dem wir sprechen, ist jedoch nicht Selbstbestimmungsrecht der Nationen, sondern Selbstbestimmungsrecht der Bewohner eines jeden Gebietes, das groß genug ist, einen selbständigen Verwaltungsbezirk zu bilden. Wenn es irgend möglich wäre, jedem einzelnen Menschen dieses Selbstbestimmungsrecht einzuräumen, so müßte es geschehen. Nur weil dies nicht durchführbar ist, da die staatliche Verwaltung eines Landstrichs aus zwingenden verwaltungstechnischen Rücksichten einheitlich geordnet sein muß, ist es notwendig, das Selbstbestimmungsrecht auf den Mehrheitswillen der Bewohner von Gebieten einzuschränken, die groß genug sind, um in der politischen Landesverwaltung als räumliche Einheiten aufzutreten.

Der Anarchist mag nun anmerken: „Aber Mises ist doch der Meinung, dass es praktisch nicht umzusetzen sei, dass jeder Mensch das vollständige Selbstbestimmungsrecht besitzt.“

Ryan McMaken

Hierauf lässt sich nur entgegnen: „Na und?“ Wir haben Mises gerade mit der Aussage zitiert, dass er der Sezession bis hinab zum einzelnen Menschen zumindest theoretisch zustimmt. Er merkt lediglich an, dass es gewisse praktische Überlegungen gibt, die die Umsetzung dieser Theorie in die Praxis unwahrscheinlich erscheinen lassen.

Und wer könnte anderer Meinung sein? Selbstverständlich gibt es praktische Einschränkungen für jeden Einzelnen, eine – wie Mises sagt – eigene „nationale Einheit“ zu sein. Es fällt sogar schwer, sich vorzustellen, dass die meisten Menschen überhaupt eigenständige nationale Einheiten sein wollen. Es ist viel wahrscheinlicher, dass selbst Menschen mit einer laissez-faire-Einstellung die Annehmlichkeiten des Lebens in einer Stadt, einer Vereinigung, einem Verbund oder einer Liga vorziehen würden, vorausgesetzt es gäbe die praktische Möglichkeit, diese auch wieder zu verlassen. Diese Organisationen hätten die Aufgabe, den Frieden zu sichern und den Handel zu fördern, in dem sie die Verwendung und den Schutz von Privateigentum durch zuverlässige und beständige Gesetze schützen.

Außerdem ist schwer vorstellbar, wo Murray Rothbard bei dieser Einschätzung anderer Meinung sein sollte. Schließlich kommt jeder, der die Natur und die Geschichte der Menschen studiert, und das hat Rothbard in der Tat, zu dem Schluss, dass die Menschen sich stets zusammengeschlossen haben, aus sozialen Gründen und um die Vorzüge der größeren Gruppe in Wirtschaft und Verteidigung zu genießen.

Anarchisten haben sich nie die Frage gestellt, ob einzelne Menschen als Nationen für sich existieren können, sonder ob es möglich wäre, Gesellschaften zu schaffen, in denen die Menschen verschiedene realistische Möglichkeiten haben, aus denen sie frei wählen können. Können wir also die Möglichkeit schaffen, dass Menschen sich ihr politisches Regierungssystem auf eine wahrhaft freiwillige Art und Weise aussuchen?

Wir brauchen mehr Staaten

Deshalb liegt die praktische Lösung in der jetzigen Situation der fehlenden Wahlfreiheit (also dem Mangel an „Selbstbestimmung“) auch nicht in der sofortigen Abschaffung aller Staaten (vor allem weil noch niemand beschrieben hat, wie das praktisch funktionieren soll), sondern in der Aufspaltung der bestehenden Staaten in immer kleinere und kleinere Staaten.

Dies könnte auf dem Gesetzesweg erreicht werden, wie zum Beispiel durch formale Sezessionsbewegungen, oder durch Schaffen von Tatsachen, also durch Ignorieren der großen Staaten und Bestehen auf örtliche Autonomie.

Mises beschreibt oben den Gesetzesweg und die formelle Erklärung der Unabhängigkeit, aber dasselbe Ergebnis lässt sich auch durch lokales Ignorieren und Abspaltung erreichen, wie von Hans-Hermann Hoppe vorgeschlagen. Und natürlich ist es oft aus praktischen Gründen der bessere Weg, Tatsachen zu schaffen.

Oft behaupten doktrinäre und weltfremde Anarchisten, Sezession sei etwas Schlechtes, weil so ein „neuer Staat entstehen“ würde. Das ist jedoch eine extreme Vereinfachung, wenn wir die geographischen Gegebenheiten auf der Erde berücksichtigen. Wenn man nicht gerade in internationalen Gewässern, der Antarktis oder im Weltall einen neuen Staat gründet, so wird die Gründung eines neuen Staates auf Kosten eines bestehenden Staates gehen. So würde ein neuer Staat Sardinien beispielsweise auf Kosten des bestehenden Staates Italien gehen. Der bestehende Staat würde durch den Verlust der Steuereinnahmen und der militärischen Vorzüge des größeren Territoriums notwendigerweise geschwächt.

Abgesehen von den Vorzügen schwächerer Staaten hätte dies aus Sicht des Einzelnen noch den Vorteil, dass es nun zwei Staaten gibt, zwischen denen man wählen könnte, anstatt einem. Der Einzelne hat nun mehr Möglichkeiten, was die Wahl eines Wohnortes angeht, der am ehesten seinen Wünschen in Bezug auf persönliche Lebensumstände, Ideologie, Religion, ethnische Zusammensetzung etc. entspricht.

Mit jeder weitern erfolgreichen Sezession wachsen die Wahlmöglichkeiten des Einzelnen:

Wenn es nur einen einzigen Staat gibt, hat der Einzelne keine Wahlmöglichkeit. Die Anzahl der Wahlmöglichkeiten beträgt null, da ein Monopol herrscht. Ein einziger weltweiter Staat ist also der stärkstmögliche Staat, und ein voll entwickelter Staat im engsten Sinne. Er besitzt das vollständige Gewaltmonopol über alle Menschen, da ihm niemand durch Auswanderung entkommen kann. Man kann nirgendwo mehr hinfliehen.

In einer Welt, in der es hingegen hunderte, tausende, oder sogar zehntausende Staaten (oder Regimes der einen oder anderen Art und Weise) gäbe, wären die Wahlmöglichkeiten für den, der auswandern möchte, riesig.

Außerdem wird die Möglichkeit des Auswanderns umso realistischer, je mehr und kleinere Staaten es gibt, weil örtliche Nähe ein wichtiger Faktor ist. Einem Staat, dem man nur entkommen kann, indem man 1000 Kilometer weiter wegzieht, kann man schwerer entkommen als einem, dessen Grenze nur 50 Kilometer entfernt ist.

Da Zeit und Entfernung eine Rolle spielen, bedeutet das Auswandern in entfernte Gegenden, dass es schwieriger wird, Familie und Freunde in der alten Heimat zu besuchen. Wer dagegen an einen Ort auswandert, der nur einen halben Tag entfernt ist, dessen Lebensumstände ändern sich nicht so sehr.

Das ist nur einer von zahlreichen Gründen, warum ein Staat lieber groß als klein ist. In großen Staaten ist das Auswandern eine unrealistische Option für Menschen, die in der Nähe ihrer Freunde und ihrer Familien bleiben wollen.

Falls es zum Auswandern dazugehört, sich an eine vollkommen andere Sprache und Kultur anpassen zu müssen, so wirkt dies erschwerend für Leute, die keine Fremdsprachen sprechen. So haben Staaten sehr von ihren Monopolen innerhalb eines Sprachraumes profitiert. Wenn jemand beispielsweise nur schwedisch spricht, so ist die Motivation groß, in Schweden zu bleiben, und wer nur griechisch spricht, ist in Griechenland wesentlich besser aufgehoben als woanders. Selbst im Fall von Englisch, das als internationale Sprache gilt, lässt sich beobachten, dass 80 Prozent aller Englischsprechenden in einem einzigen Staat leben – den USA. Die Implikationen für potenzielle Emigranten sind offensichtlich.

Viele dieser Einschränkungen der Auswahlmöglichkeiten könnten reduziert oder sogar ausgehebelt werden, und zwar schon durch teilweise Abschaffung der staatlichen Monopole in Kultur- und Sprachräumen.

Wenn beispielsweise die USA entlang des Mississippi in zwei Hälften geteilt würden, hätten Amerikaner, die in einem anderen Staat leben möchten, sofort eine Wahlmöglichkeit. Sie könnten in einen anderen politischen Herrschaftsbereich ziehen und würden im selben Sprach- und Kulturraum bleiben. Je mehr Staaten es auf dem Gebiet der USA gäbe, desto mehr Wahlmöglichkeiten gäbe es natürlich.

(Gegenwärtig kann ein Verbleib in den USA kaum als Beweis für „freiwillige“ Unterordnung unter das US-Regime betrachtet werden, da wegen der schieren Größe der USA der persönliche Preis für die Auswanderung unglaublich hoch ist.)

Gleiches gilt für die Aufspaltung anderer Staaten. Wenn beispielsweise Mexiko in einen Nord- und einen Südteil aufgespalten würde, hätten Mexikaner die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Regimes, ohne den mexikanischen Kulturraum verlassen zu müssen.

Ralph Raico führt die Bedeutung politisch unterschiedlicher aber kulturell gleicher Gegenden hier näher aus.

Wenn wir uns nun eine Welt vorstellen, wie von Mises beschrieben, in der Selbstbestimmung durch ein dynamisches, auf den örtlichen Gegebenheiten basierendes System der Sezession politischer Regimes ermöglicht wird, kommen wir einem System immer näher, dessen Grundlage die Wahlfreiheit und nicht das Monopol ist. Dies wäre das Gegenteil des heutigen Systems großer Staaten.

Die Wahlmöglichkeiten sind begrenzt, selbst in einer Welt ohne Staaten

Selbst dem mögen einige Anarchisten widersprechen, indem sie behaupten, es müsse eine unbegrenzte Wahlmöglichkeit an Gesellschaften und Regierungen geben. Aber eine unbegrenzte Wahlmöglichkeit an Regierungen wäre der erste Fall von unbegrenzten Wahlmöglichkeiten in der Geschichte.

In der realen Welt sind unsere Wahlmöglichkeiten immer begrenzt, sei es durch die physische Realität, die Zeit, oder den Willen anderer, freiwillig Geschäfte einzugehen. Wir haben nicht die Möglichkeit, das perfekte Hamburger-Restaurant mit den perfekten Preisen auszuwählen, selbst in einem vollständig freien Markt. Auch wenn Unternehmer eine riesige Auswahl an Hamburgern geschaffen haben, so bleibt die Auswahl auf die existierende Menge beschränkt. „Unbegrenzte Wahlmöglichkeit“ (mit der Bedeutung, tun zu können, was immer man will, wann immer man will) kann es nicht geben.

Das gilt auch für politische Regimes, unter denen man leben möchte. Selbst wenn jeder seinen eigenen Staat erschaffen könnte, gälten die Gesetze der Knappheit immer noch. Die Probleme eines solchen autarkischen Unterfangens wie Verlust von Größenvorteilen, Arbeitsteilung und die Vollstreckung von Verträgen sind der Grund, warum die meisten Menschen in irgendeinem Staat oder einer Verwaltungseinheit leben wollen, idealerweise einem, den sie sich aus mehreren aussuchen können.

(Lesen Sie hier mehr über die Unterschiede zwischen Staaten und zivilen Verwaltungseinheiten.)

Es wäre in jedem halbwegs realistischen Szenario der Fall, dass bestimmte Arten von Regimes nicht zur Verfügung stehen würden, oder zumindest nicht zu einem für die meisten Menschen akzeptablen Preis zur Verfügung stehen würden. Aber das wäre selbst in einem vollkommen freien Markt der Regimes der Fall – und zwar aus dem gleichen Grund, aus dem es Mitte der 1980er nahezu unmöglich war, in der örtlichen Videothek einen Film im Betamax-Format auszuleihen. Die Ressourcen fließen üblicherweise in die Unternehmungen, die am stärksten nachgefragt werden. Dabei handelt es sich nicht um Marktversagen, sondern um das Bestreben der Unternehmer, die knappen Ressourcen am effizientesten einzusetzen.

Also gibt es stets praktische Einschränkungen beim Erreichen der sogenannten „perfekten“ Anarchie, wie Mises angedeutet hat. Aber in einer Situation wie von Mises beschrieben, in der es stets die Möglichkeit des Austrittes gibt, riskiert man wesentlich weniger, wenn man sich für eine politische Gruppierung entscheidet. In solch einer freiwilligen Situation werden aus Steuern „Gebühren“, weil die Zahlung tatsächlich freiwillig ist. Und sie sind selbst freiwillig, wenn jemand keine  Jurisdiktion findet, die mit seinen Wünschen vollkommen im Einklang steht. Wenn jemand etwas kauft, das er unter den begrenzten Wahlmöglichkeiten als das beste ansieht, so bezeichnen wir den Kauf trotzdem als freiwillig, selbst wenn es sich dabei nicht um das perfekte Produkt handelt.

Das Problem der Verteidigung

Jeder, der mit Mises‘ Arbeit vertraut ist, weiß, dass er in Bezug auf Außenpolitik nicht naiv war. Mises verstand auch, dass die liberalsten und dezentralisiertesten Staaten oft die größte Wirtschaftskraft, und somit auch den größten politischen Einfluss besaßen, entgegen der Weisheit, dass Staaten in diplomatischer Hinsicht um so stärker sind, je größer und zentralisierter sie sind. Das ist schon an und für sich Grund genug, Regimes zu dezentralisieren und zu liberalisieren, um ihre Selbstverteidigung effektiver zu machen.

Es zeigt sich, wie differenziert Mises‘ Ansichten zu Thema Selbstbestimmung und Sezession waren, indem er anerkennt, dass einige sezessionistische Gegenden sich wohl eher, mit Mises‘ Worten, würden „anderen Staaten anschließen“ wollen.

Warum sollte sich ein Staat einem anderen anschließen wollen? Nun, weil die Mitgliedschaft in bestehenden, mächtigen, politischen Einheiten durchaus Vorteile bietet. Es gibt militärische Vorteile und auch Handelsvorteile, wenn es eine Zollunion oder eine Freihandelszone gibt.

Die Vereinigten Staaten wurden ursprünglich als Zoll- und Verteidigungsunion geschaffen, mit der expliziten Absicht, freiwillig neue Gebiete hinzuzugewinnen. Tatsächlich waren die USA vor 1860 ein sehr schwacher und stark dezentralisierter Staat.

Mises hat sicher an dieses Beispiel gedacht, sowie an die zahlreichen Beispiele mitgliedsbasierter Regimes in der Geschichte Europas, die zu Verteidigungs- und Verwaltungszwecken bestanden.

Mitgliedsbasierte Staaten

Das bedeutendste Beispiel ist die Hanse – eine Art Handelsliga -, die der Wissenschaftler für internationale Beziehungen, Hendrik Spruyt, als „interessanten Fall [bezeichnet], da sie anders als Nationalstaaten organisiert ist“. Die Hanse konnte als Mitgliedsorganisation „eine Armee stellen, Gesetze und soziale Regularien erlassen, und Steuern eintreiben“.

Im Gegensatz zu einem Staat gab es in der Hanse, die aus über ganz Europa verteilten Städten bestand, jedoch keine Zwangsmitgliedschaft (Mitglieder konnten jedoch ausgeschlossen werden). Es gab auch keine Hauptstadt, und keine direkte Beziehung zu den Steuerzahlern der einzelnen Mitgliedsjurisdiktionen. Die Mitgliedsstädte, die jeweils eine Stimme hatten, trafen sich ab und zu, um über Politik und Ziele der Liga abzustimmen.

Wie von Spruyt beschrieben, waren Städte an der Mitgliedschaft interessiert, um von den Verteidigungsdienstleistungen der Hanse gegen andere Staaten und Seeräuber zu profitieren. Die Mitgliedschaft erleichterte auch den Handel mit anderen Mitgliedern und mit Städten außerhalb der Liga, zu denen die Hanse diplomatische Beziehungen aufgenommen hatte.

Kurz, die Hanse bot die Dienstleistungen eines Staates, ohne ein Monopol über die innere Verwaltung der Mitgliedskörperschaften auszuüben. Die Angelegenheiten, in denen keine Einmischung der Hanse nötig war, wurden auf lokaler Ebene geregelt.

Die Vorteile einer Mitgliedschaft sind in diesem Fall offensichtlich, da die Kosten der Abwehr anderer Staaten oder Piraten hoch sein können. Städte, denen diese Dienstleistungen wichtiger waren, waren aktivere Mitglieder, und andere waren weniger aktiv. Die Komplexität, Wandlungsfähigkeit und freiwillige Natur der Mitgliedschaft betont die Fähigkeit der Hanse, regionale Selbstverwaltung zu ermöglichen, und trotzdem Handels- und Verteidigungsvorzüge zu bieten.

Obwohl die Hanse nicht die einzige Organisation ihrer Art war, war sie die einflussreichste und erfolgreichste. Wie andere Städtebünde hatte sie laut Spruyt keine „klare Hierarchie oder Gebietsgrenzen“.

Trotzdem war sie oft militärisch erfolgreich und konnte in dieser Hinsicht mit den eher konventionellen, monopolistischen Staaten mithalten, die sie umgaben. Sie überlebte vom 13. bis zum 17. Jahrhundert – länger als so mancher Staat.

Die Hanse war auch nicht die einzige Organisation ihrer Art. Spruyt dazu:

Die Bürger bildeten diese Ligen, um ihre Städte gegen den Adel zu verteidigen. Sie versprachen sich gegenseitig militärische Hilfe gegen gemeinsame Feinde. … Sie legten fest, welche Stadt welche Truppenkontingente zu stellen hatte. … Juristisch verteidigten die Ligen das Recht der Städte auf Selbstverwaltung. … Es gab eine bedeutende Anzahl solcher Ligen.

Die Schwäbisch-Rheinische Liga bewies 1385, dass solche Ligen militärisch durchaus bedeutend sein konnten. Sie bestand aus 89 Städten und konnte eine 10.000 Mann starke Armee aufstellen.

Die Städteligen haben das Prinzip der gegenseitigen Verteidigung natürlich nicht erfunden. Diese Idee ist so alt wie die Politik, obwohl sie mit dem Triumph staatlicher Ideologien zur Wende des 19. Jahrhunderts verschwand. Trotzdem besitzt das Prinzip gegenseitiger Verteidigung weiterhin Gültigkeit, schlicht weil es funktioniert.

Das entscheidende Merkmal des radikalen Anarchismus und der radikalen Dezentralisierung ist die Wahlfreiheit

Selbst in einer Welt, in der sich jeder den Rechts- und Verteidigungsdienstleister frei aussuchen könnte (einem Markt für zivile Regierungsdienstleistungen also), gäbe es keine grenzenlosen Wahlmöglichkeiten. Märkte sind jedoch wegen ihrer Freiwilligkeit, Dynamik und Flexibilität Staaten vorzuziehen. Sie sind ständig bestrebt, den Konsumenten gute Dienstleistungen im Austausch für freiwillige Kooperation zu bieten.

Diese Art freiwilliger Gesellschaft kann durch freien Zusammenschluss und Sezession, wie Mises sie sich vorgestellt hat, befördert werden – oder durch örtliches Ignorieren und zivilen Ungehorsam, wie Hoppe es sich vorstellt. In beiden Fällen verschiebt sich die Konfliktlösung weg von staatlichem Zwang hin zu Verhandlungen, Kompromissen und Konsens. Zwar kann es selbst bei diesen Methoden noch zu Gewalt kommen, sollten sie scheitern, aber dennoch sind sie dem Modell der staatlichen Regierung vorzuziehen, in dem von vorneherein mit Gewalt gedroht, diese legitimiert und häufig angewandt wird.

Die Regierungen, die mehr Freiheit, Respekt vor Privateigentum und Selbstbestimmung bieten, werden auch wirtschaftlich erfolgreicher sein. Aber letztendlich kann die Macht der Staaten nur durch Menschen eingeschränkt werden, die Ideologien übernehmen, die die Legitimität monopolistischer Staaten in Frage stellen. Wenn es solche Ideologien nicht gibt, hilft auch keine Organisation, kein Dokument und kein historisches Ereignis dabei, die Bedingungen zu schaffen, die nötig sind, um erfolgreiche Selbstbestimmung zu ermöglichen.

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Aus dem Englischen übersetzt von Florian Senne. Der Originalbeitrag mit dem Titel Anarchism and Radical Decentralization Are the Same Thing ist am 29.1.2019 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen.

Ryan McMaken ist Editor von Mises Daily und The Free Man. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft an der University of Colorado.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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