Bitcoin, Blockchains und ökonomische Theorie: Ein Interview mit Konrad S. Graf

11.10.2017 – Konrad S. Graf publizierte Artikel über Geldtheorie und Bitcoin sowie handlungsbasierte Rechtsphilosophie und hielt Vorträge zu diesen Themen auf Konferenzen in Europa und Australien. 2015 veröffentlichte er die Monographie „Ist ein Eigentumsrecht an Bitcoins möglich?“ über Bitcoin und Eigentums-Rechtsphilosophie. Sein Artikel „Waren, Knappheit und Geldwert-Theorie im Lichte von Bitcoin betrachtet“ erschien im Journal of Prices & Markets in 2014. Seine Monographie aus 2013 „Über den Ursprung von Bitcoin“ war unter den drei Finalisten für den Blockchain Award 2014 für die beste akademische Arbeit über das Thema. Seine gesammelten Werke finden sich auf seiner Homepage konradsgraf.com.[1]

Das Interview führte für das Ludwig von Mises Institut: Dr. Andreas Tiedtke, Unternehmer, Rechtsanwalt und Autor.[2]

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Herr Graf, wissen Sie, wer Satoshi Nakamoto ist, der vermeintliche „Erfinder“ des Bitcoins? Handelt es sich wirklich um Craig Steven Wright?

Konrad S. Graf

Satoshi legte großen Wert darauf, anonym zu bleiben, und das aus gutem Grund. Seine Erfindung könnte große Umwälzungen herbeiführen. Er könnte auch Eigentümer von einer Million oder noch mehr Bitcoins sein (und nunmehr auch über einer Million Bitcoin Cash), die aus den Anfängen des „Minings“ stammen, um das Netzwerk aufzubauen. Sie haben heute einen potentiellen Marktwert von mehreren Milliarden Euro. Diese „Coins“ wurden nie bewegt. Ich kann nichts erkennen, dass mich zu der Annahme bewegen könnte, er habe seine Auffassung in Bezug auf seine Anonymität geändert.

Es gibt diese Legende, dass eine der ersten Transaktion mit Bitcoin die Lieferung einer Pizza für 10.000 Bitcoins gewesen sei. Können Sie sagen, ob das wahr ist? Der Pizzabäcker müsste jetzt Millionär sein (etwa 40 Millionen Euro)!

Jemand bot über eine Serien-Mail an eine Vielzahl von Empfängern 10.000 Bitcoins für jedermann, der ihm hierfür eine Pizza liefern würde. Jemand nahm das Angebot an, bestellte eine Pizza von einem dem Anbieter nahegelegenen Lieferservice und benutzte hierzu eine Kreditkarte, wobei der Zahlungsverkehr über ein anderes Land abgewickelt wurde. Der Pizza-Käufer erhielt dann die Bitcoins, der Anbieter erhielt die Pizza und der Pizza-Lieferservice erhielt lediglich die Kreditkartenzahlung. Technisch gesehen war die Pizza nur ein mittelbares Austauschmedium, um Bitcoin gegen eine Kreditkartenzahlung auszutauschen, da Bitcoin damals noch nicht zur direkten Bezahlung der Pizza eingesetzt werden konnte. Nichtsdestotrotz, diese Transaktion wurde zu einem Meilenstein in den Köpfen der Leute, da durch sie Bitcoin mit der „Realwirtschaft“ in Berührung kam.

Im Hinblick auf die Geldtheorie ist es wichtig zu wissen, dass die handelbaren Bitcoin-Einheiten während der ersten Monate der Existenz Bitcoins (fast ein Jahr) keinerlei Marktwert hatten. Es handelte sich lediglich um ein technisches Experiment. Erst hiernach erlangten die handelbaren Coins Schritt für Schritt einen Marktwert.

Manche glauben, dass die Blockchain-Technologie zwei hauptsächliche Nachteile hat: Erstens können keine anonymen Transaktionen stattfinden, weil jede Transaktion gespeichert wird. Und zweitens werden die Bitcoins in Zukunft „zu groß“, weil eben jede Transaktion aufgezeichnet wird. Ist an dieser Kritik etwas dran?

Alle Bitcoin-Transaktionen sind insofern anonym, als dass grundsätzlich keine Informationen aufgezeichnet werden, mit denen Personen oder Organisationen identifiziert werden könnten; ganz im Gegensatz zum Bankensystem, wo Konten Identitäten zugeordnet werden müssen – mit Ausnahme der alten Schweizer Nummernkonten. Es gibt keine Konten innerhalb der Bitcoin-Technologie selbst, nur Adressen und Transaktionen. Neue, gültige Adressen können überall quasi aus dem Nichts heraus generiert werden, man kann sie auch ganz zufällig auswürfeln.

Allerdings ist Bitcoins Blockchain öffentlich und es ist möglich „die Punkte zu verbinden“, um die Identitäten jener festzustellen, die hinter den Transaktionen stecken. Jede Wallet (Bitcoin-Geldbeutel) hat unterschiedliche Privacy-Eigenschaften und es gibt so etwas wie eine Privacy-Best-Practice: Zum Beispiel jedes Mal eine neue Adresse zu verwenden, wenn man Bitcoins empfängt.

Zwischen Privacy-Funktionen und Blockchain-Analyse-Möglichkeiten ist ein „evolutionäres Kopf-an-Kopf-Rennen“ im Gange. Die Blockchain liefert eine permanente Aufzeichnung von allem, was innerhalb ihrer selbst je geschehen ist, sodass es für Analysten möglich ist, nach ihrem Belieben alle diese Daten zu untersuchen, um Verbindungen zu finden. Auf der anderen Seite sind verschiedene Entwicklungsprojekte im Gange, die auf die Verbesserung der Anonymität abzielen. Zum Beispiel Zahlungs-Codes, die eine Ebene hinzufügen, von der aus die zu Grunde liegende Adresse nicht mehr erkennbar ist. Wenn Ihre Leser mehr über die Privacy-Eigenschaften von momentan erhältlichen Wallets wissen möchten, so finden sie Informationen hierüber unter Open Bitcoin Privacy Project.

Was die Frage angeht, ob eine Blockchain „zu groß“ werden könnte, so handelt es sich hierbei um eine subjektive Wertung. Zu groß für wen und für was? Grundsätzlich fallen die Kosten für Datenspeicherung, Rechenleistung und Bandbreiten Jahr für Jahr, und die Entwickler sind auch ständig daran, die Software zu verbessern, um die vorhandenen Ressourcen effizienter zu nutzen. Wenn man über „zu groß“ nachdenkt, ist es wichtig, diese grundsätzlichen Erwägungen und Entwicklungen im Auge zu behalten.

Worum handelt es sich bei Bitcoin Ihrer Meinung nach? Um Geld, einen Vermögensgegenstand, ein Kapitalgut?

Das ist eine spannende Frage! Der beste Ausgangspunkt ist, dass Bitcoin etwas komplett Neues ist, was es niemals zuvor gegeben hat. Wenn wir versuchen, Bitcoin zu verstehen, und hierbei die hergebrachte ökonomische oder rechtliche Terminologie verwenden, so müssen diese bisherigen Konzepte vor dem Hintergrund des technisch-ökonomisch neuartigen Bitcoin selbst hinterfragt werden. Jenseits der ökonomischen Fragestellung habe ich diesen Ansatz in einem kurzen Buch verfolgt, um auf das Verhältnis von Bitcoin zur Eigentumsrechts-Theorie einzugehen. Mein Herangehen ist nicht nur zu Fragen: „Was ist Bitcoin?“, sondern auch: „Brauchen unsere theoretischen Konzepte im Lichte von Bitcoin eine Überarbeitung oder Ergänzung?“ Die gegenläufige Tendenz wäre, Bitcoin in eine bereits existierende „Schublade“ hinein zu stopfen, in die es eigentlich nicht passt.

Ein weiterer wichtiger Grundsatz, den es anzuwenden galt, ist in den Werken Ludwig von Mises zu finden: Ökonomische Konzepte haben mit der Analyse menschlichen Handelns zu tun. Bei einer Analyse von Bitcoin ist es also wichtig, zwischen Technik und Ökonomik zu trennen. Beispielsweise existierte Bitcoin fast ein Jahr, bevor seine handelbaren Einheiten einen Marktwert hatten. Und es dauerte fast zwei Jahre, bevor Bitcoin eine nennenswerte Verwendung im Kauf und Verkauf von Gütern erlangte. Es ist also klar, dass das ökonomische Wert-Erhalten zu dem hinzukam, was technisch bereits vorhanden war. Das bedeutet, dass die Menschen begannen, zu erkennen, dass sie das technisch bereits Vorhandene für ökonomische Zwecke nutzen konnten. Tauschwerte und Einnahmen aus dem Handel mit Bitcoin sind so Schritt für Schritt nebeneinander entstanden.

Ich habe hier beschrieben, dass der Bitcoin einen Marktwert erhalten hat, weil er als Tauschmittel genutzt wurde. Ein Tauschmittel ist ein ökonomisches Gut, das nicht um seiner selbst willen nachgefragt wird, sondern gehalten und getauscht wird, um andere Güter oder Leistungen an einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft dafür zu erhalten. Bevor Bitcoin einen Marktwert erlangte, waren die Verwendungen sehr rar und es braucht einiges an Analyse, um überhaupt welche auszumachen: zum Beispiel, dass Bitcoin ein Wert zugeschrieben wurde, weil es ein sammelbares Gut war oder weil es sozusagen ein Zeichen oder Symbol war für die Teilnahme an einem interessanten Software-Projekt, ein Forscher-Spielzeug. So war es in den ersten Tagen des Bitcoins.

Heute sehen manche den Bitcoin eher als einen Vermögensgegenstand an. Im Gegensatz zu Geld, das für tagtägliche Transaktionen genutzt wird, handele es sich bei Bitcoin eher um ein Instrument, größere Werte aufzubewahren. Richtig ist, dass verschiedene Leute Bitcoin auf beide Weisen verwendet haben und dass es dieselben Leute zu verschiedenen Zeitpunkten auch auf beide Weisen benutzt haben. Beides ist möglich, solange Bitcoin einen positiven Wert behält und hinreichende Liquidität in Bitcoin besteht. Die Tatsache, dass die Angebotsmenge unveränderlich ist, kann dabei über ein gewisses Maß an anderen Unannehmlichkeiten hinweghelfen.

Allerdings sind diese Kriterien nicht ausschließlich, sondern ein Kontinuum. Die Verwendung eines Tauschmittels findet immer innerhalb der Zeit statt und beinhaltet das eigentümliche Risiko der Ungewissheit über die Zukunft. Die zu Grunde liegenden Variablen sind: die relative Menge der gehaltenen Einheiten, die Haltedauer und die geplanten Ausgaben im Verhältnis zum Gesamtvorrat des Tauschmittels. Im Gegensatz hierzu wird oft die Idee eines „Wertspeichers“ angeführt, als ob dies ein anderes oder zusätzliches Kriterium für ein Tauschmittel sei, was nicht nur unpräzise ist, sondern geradezu impressionistisch (post-faktisch). Ebenso wie Geld nicht Wert „messen“ kann, wie Mises herausgestellt hat, sondern zum Eintausch für Güter an einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft verwendet wird, kann „Wert“ nicht „gelagert“ werden, als handele es sich um eine gewisse Menge an Essensvorräten. Die Idee des „Wertspeicherns“ ist mehr oder weniger eine schwache, intuitive Analogie als ein exaktes ökonomisches Konzept. Jenseits dieser Illusion gibt es lediglich intertemporalen Austausch, der innerhalb verschiedener Zeiträume und in unterschiedlichen Mengen stattfindet.

Warum wurde Bitcoin in Bitcoin (BTC) und Bitcoin Cash (BCH) aufgespalten?

Die BTC/BCH-Aufspaltung war das Ergebnis einer Meinungsverschiedenheit über eine Protokoll-Beschränkung betreffend die maximale Größe jedes einzelnen Blockes, der zur Blockchain hinzugefügt wird. Über die politisch-ökonomischen Erwägungen zur Limitierung der Block-Größe habe ich hier geschrieben, und hier, innerhalb einer Serie von Artikeln über weitverbreitete Kritiken.

Die „Cash“-Partei meint, dass es für die Menschen wichtig sei, ohne zu viele Komplikationen mit Bitcoin bezahlen zu können und dass die leichte Verwendbarkeit eine wichtige Komponente für den Wert des Bitcoins sei. Die „Digitales Gold“-Partei legt ihren Schwerpunkt auf die Idee, dass solcherlei Bequemlichkeit nicht besonders wichtig sei im Vergleich dazu, ein sicheres Medium für das Langzeit-Sparen zur Verfügung zu haben, fügt jedoch hinzu, dass noch zu errichtende Transaktions-Optionen auf einer 2. Ebene diese zusätzlichen praktischen Bedürfnisse in der Zukunft lösen können wird, und zwar weiterhin innerhalb der einen Bitcoin-Blockchain und auch weiterhin denominiert in Bitcoin. Ein verbreiteter Irrglaube in diesem Konflikt ist es, dass die beiden Positionen gegensätzlich wären, in Wirklichkeit ergänzen sie sich jedoch.

Nach dem jüngsten sprunghaften Anstieg des Bitcoins warnen manche nun davor, weiterhin in Bitcoin zu investieren. Es könne sich um ein ähnliches Phänomen wie bei der berühmten holländischen Tulpen-Hausse im 17. Jahrhundert handeln. Wie denken Sie darüber?

Genau das ist es, was dieselben Leute immer wieder sagen, Jahr für Jahr, aber der Bitcoin ist immer noch stark, und hat neun Jahre in Folge grundsätzlich ohne technische Ausfälle funktioniert. Ich bin diesem Argument erstmals im Frühjahr 2013 begegnet, als der Bitcoin die 250 $-Marke übersprang, aber offensichtlich wurden diese Bedenken bereits in 2011 geäußert, als er über die 30 $-Marke ging. Es mag fair sein, zu gewissen Zeiten davon zu reden, dass sich der Bitcoin in einer Blasen-Phase befindet, aber es ist etwas komplett anderes, zu behaupten, der Bitcoin selbst sei eine Blase – und nichts anderes tun diese Leute.

Ich denke, dass dieses „Bitcoin ist nichts als eine Blase“-Denken oft mit einem minimalen bis überhaupt nicht vorhandenem Wissen darüber einhergeht, wie Bitcoin überhaupt auf einer technischen Ebene funktioniert. Und weil ihnen dieses Wissen abgeht, können sie sich Bitcoin lediglich als ein vages Nichts vorstellen, anstelle von Bitcoins technischen Funktionen. Da mittlerweile aber Beschreibungen der technischen Basis von Bitcoin online für jedermann zugänglich sind, und zwar für ein Anfänger- wie für ein Experten-Niveau, zeigen solche Behauptungen nur, dass diese Leute nicht bereit sind, sich die Mühe zu machen, zu lernen, was Bitcoin ist und wie es funktioniert.

Manche gehen so weit, zu behaupten, dass die Blockchain-Technologie weitgehende Veränderungen in der Gesellschaft bewirken könnte und Dezentralisierung begünstigen würde. Sie meinen, dass diese Technologie kleinen, dezentralisierten Einheiten einen Vorteil gegenüber großen, zentralisierten Einheiten geben würde. Manche sind sogar der Meinung, dass große Organisationen wie Google oder selbst Staaten durch die Blockchain Technologie ins Wanken geraten könnten. Ist da etwas dran?

Aus meiner Sicht sind zwei Eigenschaften der ersten Blockchain von besonderer Bedeutung: Erstens werden Bitcoins als Tauschmittel genutzt und sie haben das Potential, zu einer Art von Geld zu werden, das aus dem privaten Bereich stammt – also dem Bereich ohne Zwang – und nicht vom Staat ausgegeben wird. Dies würde die Behauptung der Chartalisten als falsch erweisen, die der Meinung sind, dass Geld nur vom Staat kommen kann – oder zumindest nur dann dauerhaft bestehen kann, wenn es Geld von Staates Gnaden ist. Im Gegensatz dazu hat es Jahre gedauert, bis die Staaten überhaupt auf Bitcoin aufmerksam wurden.

Zweitens ermöglicht es Bitcoin, dass die Menschen ohne die Vermittlung einer dritten Partei Transaktionen abschließen können. Nennen wir es „erlaubnisfreie Transaktionen“. Jede andere Art der Transaktion über eine räumliche Distanz hinweg erfordert, dass eine dritte Partei diese Transaktion vermittelt und durchführt; oft sind dies Banken. Aber die Einbindung eines Dritten, der die Transaktion abwickelt, ermöglicht es, dass der Dritte sich weigert, sie durchzuführen, sei es wegen seiner Geschäftspolitik oder weil die Behörden ihn anweisen. Ebenso haben diese Dritten die Möglichkeiten, Transaktionen zu verfolgen und aufzuzeichnen, also für was das Geld ausgegeben wurde, zu welchem Zeitpunkt, wer die Parteien waren und in welcher Höhe; und damit zerstören sie die Privatsphäre der Parteien.

Natürlich können Staaten bestimmte Arten von Bitcoin-Transaktionen für illegal erklären, aber anders als innerhalb des Banken-Systems können Staaten solche Transaktionen nicht von Anfang an unterbinden. Sie können gegen eine kriminalisierte Handlung nur im Nachhinein mittels Strafverfolgung vorgehen. In Gesellschaften, die sich vorgeblich an das Rechtsstaatsprinzip halten, ist dies sowieso das einzige, was die Autorität tun sollte – im Gegensatz zu der Verbrechensverhütungs-Einheit in dem Science-Fiction Film Minority Report.

Wenn es bei Bitcoin-Diskussionen um die Begriffe „zentralisiert“ und „dezentralisiert“ geht, so handelt es sich hierbei zu allererst um Konzepte der Computer-Wissenschaften. Ein Netzwerk wird entweder um ein Zentrum herum gestaltet, wie etwa bei dem konventionellen „Server/Client“-Konzept, oder es kommt ohne ein Zentrum aus, und dann ist es eben „dezentralisiert“. In Bezug auf Bitcoin bedeutet dies, dass es sich um eine sogenannte Peer-to-Peer-Struktur handelt, die keinen zentralen Währungs-Herausgeber hat, der die Angebotsmenge manipulieren könnte.

Meiner Wahrnehmung nach wurden diese Begriffe der Computer-Wissenschaften vermengt mit ökonomischen Konzepten wie etwa Monopole und Wettbewerb, Größenvorteile und industrielle Wettbewerbsfähigkeit. Durch diese Vermengung gelangt man eher zu konfusen Ideen als zu nützlichen Analysen. Größenvorteile in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft und andere Faktoren, die die relative Größe von Firmen bestimmen, werden sich nicht notwendigerweise auf magische Art verändern, sollte Bitcoin zu einer Art nichtstaatlichen Geldes werden, das ohne eine Zentralbank und ohne die Vermittlung einer dritten Partei auskommt.

Könnten Sie kurz erklären, was die Essenz der Blockchain-Technologie ist? Was ist so großartig daran?

Ich würde empfehlen, meinen Artikel hierzu zu lesen, um ein vollständigeres Bild über Bitcoin und die zu Grunde liegenden Techniken und Methoden zu bekommen, und zwar im Hinblick auf beides: das Ausmaß der technischen Innovation und wieso sich die Leute so schwer damit tun, es zu begreifen. Im Wesentlichen verbindet Bitcoin vier Haupt-Komponenten, von denen die meisten erst innerhalb der letzten 40 Jahre entwickelt wurden. Die meisten Leute verstehen keine einzige dieser Komponenten oder nur eine oder zwei von ihnen, aber dann meist nur vage. Die Komponenten sind: Hash-Funktionen, digitale Signaturen, Peer-to-Peer-Strukturen und Open-Source-Entwicklung. So wird es klar, dass jemand, der nur einige oder gar keine dieser Komponenten geistig durchdringt, nicht darauf hoffen kann, dass er die Kombination dieser Elemente begreifen kann, die sie zu etwas verbindet, was weit über die Summe der Einzelteile hinausgeht.

Eine Sache, die eine Blockchain schafft, ist eine unmanipulierbare Aufzeichnung vergangener Information zu liefern, an die kontinuierlich neue Information angehängt werden kann. Und während neue Information hinzugefügt werden kann, kann die bereits aufgezeichnete in keiner Weise gelöscht oder überarbeitet werden. Diese Historie kann nicht neu geschrieben werden! Die Tatsache, dass die handelbaren Bitcoin-Einheiten einen Marktwert haben, ist ebenso wichtig, um das Mining-Netzwerk in dezentraler Art und Weise zu finanzieren. Die Sicherheit des Systems und der Marktwert der Einheiten sind wechselseitig voneinander abhängig.

Es hat eine Bewegung gegeben, die die Blockchain als die „wirkliche“ Innovation des Bitcoin Netzwerkes ansieht, mit dem Bitcoin (der Tauscheinheit) als einer Art alberner Anfangsidee, wie man eine Blockchain nutzen kann. Nach dieser Ansicht sind die „vielen anderen möglichen Anwendungen“ und die unterschiedlichen Sorten von „Tokens“ das wirklich Aufregende. Ich denke, es ist genau umgekehrt.

Während es zutreffen mag, dass die Blockchain-Struktur auch andere nützliche Anwendungen hervorbringen kann als digitales Geld, und wenn diese Anwendungen es schaffen, tatsächlich in der Praxis zu bestehen und wirkliche Anwender und Nachfrager zu finden, so wäre das sicherlich positiv; aber dennoch ist eine Blockchain eine extrem aufwendige und teure Sache. Das bedeutet, dass es wichtige Gründe für den Einsatz einer Blockchain-Technologie geben muss gegenüber einfacheren, schnelleren und günstigeren Techniken. Die Blockchain wurde entworfen, um ein sehr spezifisches Problem zu lösen: wie kann knappes digitales Geld ohne einen zentralen Herausgeber geschaffen werden. Für die meisten anderen Anwendungen, bei denen es nicht um die Herausgabe digitalen Geldes geht, ist die Verwendung der Blockchain-Technologie wahrscheinlich eine Verschwendung, unnötig und „over-hyped“ – außer der Einsatz der Blockchain-Technologie beweist sich in der praktischen Verwendung im Gegensatz zu Marketing Kurz-Präsentationen.

Es wird gesagt, dass das Herzstück der Blockchain-Technologie die Mathematik sei, die dahintersteht. Die Lösung des sogenannten „Problems der Byzantinischen Generäle“. Könnten Sie beschreiben, worum es sich dabei handelt und wie die Blockchain dieses Problem löst?

Es geht um das Problem, wie es gelingt, unterschiedliche Leute an unterschiedlichen Plätzen dazu zu kriegen, sich über die Korrektheit einer gegebenen Information zu einigen, ohne dass sie auf Kommunikationsformen zurückgreifen müssen, bei denen es möglich ist, dass die Information während der Übertragung oder bereits am Ausgangsort (oder beides) kompromittiert oder verfälscht wurde.

Der Dreh- und Angelpunkt der Lösung, die Satoshi fand, lag in einer Eigenschaft von Hash-Funktionen. Eine Hash-Funktion ist eine „Einbahnstraßen-Funktion“. Bildlich gesprochen gelangt eine Information hinein und ein spezifischer Hash dieser Information gelangt auf der anderen Seite wieder heraus. Allerdings kann der Hash nicht andersherum genutzt werden, das heißt, die ursprüngliche Information kann nicht wiederhergestellt werden.

Bei Bitcoin müssen die „Miner“ einen Hash finden, der unterhalb eines gewissen Wertes liegt. Optisch beginnt dieser Hash mit einer gewissen Anzahl von Nullen:

000000000000000000aebd4d821ad8ee2ef30c4aaccc7619ce309d8570f7fb9b

Die „Schwierigkeits-Anpassung“ ändert diesen Schwellenwert. Die Miner müssen eine Zufallszahl hinzufügen und die daraus resultierenden Hashes untersuchen, bis sie eine finden, die unterhalb eines bestimmten Wertes ist. Es ist unvorstellbar schwierig innerhalb des anfänglichen Schwierigkeitsgrades einen gültigen Hash herauszubekommen. Es braucht Milliarden Trail-and-Error-Versuche. Allerdings ist es trivial im Nachhinein zu checken, ob ein gegebener vorgeschlagener Hash für den Block zulässig ist. Es ist also extrem schwierig, den Hash für den nächsten Block zu finden (=Mining). Und die Lösung kann nicht manipuliert oder gefälscht werden, weil jeder innerhalb des Netzwerkes schnell herausfinden kann, ob die gefundene Lösung stimmt. Eine zulässige Lösung dient als Beweis dafür, dass Arbeit aufgewendet werden musste, um die Lösung zu finden, und deshalb wird sie „Arbeitsnachweis“ (Proof of Work) genannt. Es gibt keine Abkürzungen um einen zulässigen Hash zu finden, es gibt nur die Hash-Arbeit, was bedeutet, dass in Räumlichkeiten, Ausrüstung und Strom investiert werden muss, um den Hash für jeden spezifischen Block-Kandidaten zu „schürfen“.

Um auf die Situation der Byzantinischen Generäle zurückzukommen: Mit der Methode des Arbeitsnachweises kann jede Nachricht dahingehend überprüft werden, ob sie stimmt, und zwar anhand der in der Nachricht selbst enthaltenen Information, nachdem die Nachricht angekommen ist. Die Nachricht, so wie sie ankommt, enthält sämtliche erforderliche Information, die nötig ist, um sie daraufhin zu überprüfen, ob sie im Hinblick auf die Blockchain, die sie zu ergänzen vorgibt, korrekt ist. Es gibt keinen Grund, sie daraufhin zu überprüfen, ob sie bei der Übersendung gefälscht wurde. Es spielt überhaupt keine Rolle, ob dies passiert ist. Die Information ist entweder korrekt, so wie sie sich selbst präsentiert, wenn sie ankommt, oder nicht.

Eine andere Methode um dies zu erreichen, ist es, dass der Hash eines jeden Miners nur für diesen Miner gültig ist, weil seine eigene „Reward Address“ bereits in seinen Kandidatenblock eingebettet wurde, noch bevor der Hash gefunden wurde. Die Reward Address ist dann Teil dessen, was gehashed wird. Deswegen kann dann niemand anders eine vorgeschlagene Antwort einfach für sich selbst „stehlen“. Die spezielle Lösung, die sie suchen, beinhaltet bereits die Reward Address des Miners für das Empfangen des gesuchten Block-Rewards.

Bitcoin ist limitiert auf 21 Millionen Stück. Im August dieses Jahres kam es aber zu einer Aufteilung der Blockchain in Bitcoin und Bitcoin Cash. Bedeutet das nicht, dass die Produktion eigentlich unbegrenzt ist, wie bei Zentralbanken? Und auch außerhalb der Bitcoin Blockchain können unbegrenzt andere digitale Coins geschaffen werden. Könnte dies nicht Bitcoins Werthaltigkeit gefährden?

Das ist ein faszinierendes Thema und ich habe bereits einen Artikel hierüber geschrieben. Im Wesentlichen sind Bitcoin (BTC) und Bitcoin Cash (BCH) beides vollwertige Fortführungen der ursprünglichen Bitcoin Blockchain, aber von nun an dauerhaft voneinander getrennt. Sie können künftig niemals mehr innerhalb derselben Chain miteinander in Verbindung treten. Es ist in etwa so wie die Artenbildung in der Natur. So wie seit langem getrennte Arten einen gemeinsamen Vorfahren haben in der weit zurückliegenden Vergangenheit, haben sie sich doch auf eine Art und Weise verändert, dass die Nachfahren, wenn sie wieder aufeinandertreffen, nicht mehr zur gemeinsamen Fortpflanzung im Stande sind – und dies ist unumkehrbar. Im Falle von Bitcoin fand am 1. August 2017 eine solche „Artenbildung“ statt, als Blocks gefunden wurden, die von der einen Software als zulässig erachtet wurden, von der anderen aber wegen der spezifischen Differenzen nach deren Regeln nicht zulässig waren.

Was die Frage betrifft, ob der Split inflationär war, werde ich aus meinem Artikel zitieren, denn ich denke nicht, dass ich das ein zweites Mal besser sagen könnte:

„Aus der Perspektive monetärer Inflation wurden 0 neue Bitcoins produziert. Die Verfügungsmacht über einen existierenden Bitcoin vor dem Split führte zu einer Verfügungsmacht über einen BTC und einen BCH nach dem Split. Da dies die präzise und komplette vorher existierende Konstellation der Kontrolle über die Einheiten wiederspiegelt, ohne jede Änderung für jeden einzelnen und alle vorherigen Inhaber der ungeteilten Bitcoin-Blockchain, ergeben sich hieraus keine umverteilenden Cantillon-Effekte.“

Cantillon-Effekte – für diejenigen, die mit der Terminologie nicht vertraut sind – beschreiben die Änderungen in der Vermögensverteilung zwischen Geldbesitzern, wenn neues Geld zuerst an nur einige Verwender ausgegeben wird und erst später zu anderen gelangt. Im vorliegenden Fall wurde aber aus jeder existenten BTC-Einheit im selben Moment eine BTC- und eine BCH Einheit für jeden Inhaber.

Ich habe bereits den Standpunkt vertreten, dass die Tatsache, dass die kombinierten Preise von BTC und BCH in den folgenden Wochen gestiegen sind – und zwar dramatisch gestiegen –, darauf hindeuten kann, dass hier ein Mehrwert für die Nutzer geschaffen wurde. Die Ursache hierfür könnte sein, dass der Markt nunmehr erwartet, dass die unterschiedlichen Entwickler-Teams nunmehr ungestört ihre jeweiligen Vorstellungen hinsichtlich der Größe einer Einheit verwirklichen können und dass wir dann in der Realität sehen können, was aus diesen Bemühungen wird, anstatt auf begrenzte Modelle, Gespräche und Versprechungen angewiesen zu sein.

Sicherlich könnte jeder zu jeder Zeit eine Blockchain splitten und mit modifizierten Regeln fortführen, aber es ist eine ganz andere Frage, ob eine solche Blockchain ökonomischen Wert erlangt, und insbesondere zu irgendeinem Investment von knapper SHA256 Mining Leistung führt. Der wahrscheinlichste Ausgang ist, dass niemand eine neue Abspaltung schürft und die gesplittete Blockchain schlicht nicht fortgeführt wird: sie also schlicht „abstirbt“.

Bis heute haben aber sowohl die BTC als auch die BCH Blockchain überlebt. BCH hat einen Marktpreis zwischen 200 und 900 $ gehalten und steht gerade bei etwa 350 $. Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde dies als hoher Preis für einen BTC vor dem Split angesehen. Es war keineswegs sicher, dass das Ergebnis des Splits so aussehen würde!

Eine unbegrenzte Anzahl neuer Chain-Splits ohne einen wirklichen wirtschaftlichen Hintergrund oder Unterstützung aus der realen Welt sollte schlicht zu einer unbegrenzten Anzahl von Nicht-Ereignissen führen, da jeder Split entweder schnell erstirbt oder gar nicht erst ins Laufen kommt. Für Tochter-Chains, die überleben – und in diesem Falle haben sowohl BTC als auch BCH dies geschafft – bedeutet das Überleben selbst, dass manche davon ausgingen, dass hier für die Inhaber der Coins vor dem Split ein zusätzlicher Wert geschaffen wurde. Die beiden sind jetzt Wettbewerber, zusammen mit all den anderen Kryptowährungen. Und dieser Chain-Split kann auch nicht mit dem Entstehen von hunderten anderer Kryptowährungen verglichen werden, bei denen es sich um neue Chains handelt, die mit ihren eigenen Regeln und neuen Strukturen der Coin-Inhaberschaft aufwarten.

Bitcoin-Gegner kritisieren, dass das Volumen des Bitcoin Handels begrenzt ist und die Technologie nicht im Stande sei, die Menge der Transaktionen abzubilden, die mit Fiat-Geld jeden Tag stattfinden. Was meinen Sie dazu?

Das Volumen der Bitcoins, die auf der BTC Chain gehandelt werden können, wurde in Bezug auf die Nachfrage durch das 1 MB Limit der Block-Größe künstlich begrenzt; dieses Limit gibt es seit 2010. BCH war eine Methode, dies anzugehen, in dem das Block-Größen-Limit des Protokolls auf 8 MB erhöht wurde. Dabei handelt es sich um eine Größe, die wiederum reichlich über der momentan gewöhnlichen Nachfrage liegt, wie dies auch im Hinblick auf die vorhergehende Geschichte des Limits bis zu den letzten Jahren der Fall war. Ein weiterer Ansatz, um das Transaktionsvolumen zu erhöhen, ist es, kryptographische Systeme zu erstellen, die sogenannte „Off-Chain“-Transaktionen ermöglichen, dabei aber vorgeblich weiterhin die Qualität behalten sollen, dass die Transaktionen in Bitcoin denominiert sind und ohne die Erlaubnis einer Dritten Partei vorgenommen werden können.

Ich sehe keinen Widerspruch zwischen diesen Modellen, wie ich es bereits hier erklärt habe, aber da viele Beteiligte diese mehr als konkurrierende als komplementäre Ansätze sehen – und einen sportlichen Wettkampf daraus gemacht haben, diejenigen geringzuschätzen und zu beleidigen, die die jeweils andere Ansicht vertreten -, hat dies zu dem Chain-Split beigetragen, wie auch zu möglichen künftigen Splits und einem Kommunikations-Niveau, das an politische Auseinandersetzungen erinnert.

Mein eigener Ansatz ist, dass sowohl die Möglichkeiten „On-Chain“ als auch vorhandene und vorgeschlagene „Off-Chain“ Optionen als sich dynamisch einschränkende, konkurrierende Konzepte in einem Verhältnis von Synergie und Wettbewerb behandelt werden sollten. Wenn eine Off-Chain-Option tatsächlich überlegene Eigenschaften in Bezug auf Kosten und Geschwindigkeit bietet, wird dies natürlich dazu führen, dass einige Transaktionen außerhalb der Haupt-Chain stattfinden und somit zu einer Verringerung der On-Chain-Transaktionen (und Gebühren) führen. Dies könnte bestimmte Arten von Transaktionen außerhalb der Chain ermöglichen, die innerhalb der Chain gar nicht stattgefunden hätten.

Gleichzeitig erfordern die Off-Chain Optionen selbst einige On-Chain-Transaktionen, zum Beispiel um Zahlungsverkehr anzustoßen oder abzuschließen oder um eine Verbindung mit einer Side-Chain-Einheit herzustellen. Wenn solche Möglichkeiten verbreitet Anwendung finden, könnten sie wiederum den On-Chain-Zahlungsverkehr selbst steigern. So arbeiten diese Faktoren in beide Richtungen und auf unvorhersehbare Weise. On- und Off-Chain-Optionen können sowohl mehr Geschäft für die jeweils andere Methode schaffen als auch einander Geschäft „wegnehmen“, und dies in einer komplexen und unvorhersehbaren Weise. Die Existenz beider Optionen erweitert die Wahlmöglichkeiten der End-User. In dieser Situation sollten On-Chain- und Off-Chain-Optionen in der Praxis frei sein, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen, anstatt innerhalb von Modellen und „sich gegenseitig überbietenden Versprechungen“ zu „konkurrieren“.

Ich sehe die Blockgrößen-Beschränkung, so wie sie jetzt ist, als künstliche Begünstigung für Off-Chain-Lösungen vor dem Hintergrund dieses natürlichen Wettbewerbs um Handelsverkehr. Die Forderung der Weitergeltung einer Bitcoin-weiten Obergrenze für die Bereitstellung von Diensten für On-Chain Transaktions-Einbindungen hat den Preis für On-Chain-Transaktionen weit über das hinausgetrieben, wo er sich sonst in diesem frühen Stadium der Entwicklung von Bitcoin befunden hätte. Zahlreiche Bitcoin-Unternehmen haben die BTC-Chain deswegen verlassen, zumindest vorläufig.

Und während dessen sind die meisten der versprochenen Off-Chain Ideen für eine „zweite Transaktionsebene“ für die Nutzer noch nicht verfügbar. Es gibt auch keine Garantie, wie viele Benutzer diese annehmen werden, wenn sie auf den Markt kommen. Diese Lösungen arbeiten bemerkenswert gut in den Köpfen der Menschen, die sie planen und bewerben und in den Vorstellungen anderer, die sich auf ihre Anwendung freuen. Allerdings können solche Überzeugungen niemals einen tatsächlichen Marktannahme-Test ersetzen. Dennoch blieb die On-Chain-Kapazität bis heute relativ zur steigenden Nachfrage eingeschränkt, noch bevor versprochene alternative Transaktionslösungen a) auf den Markt gekommen und b) tatsächlich von den Nutzern angenommen wurden.

Eine Folge hiervon war das Aufblähen des Marktwertes anderer Kryptowährungen. Da die Beibehaltung der aktuellen Blockgrößengrenze für die BTC-Chain tatsächlich funktionierende Bitcoin-Geschäftsmodelle vergrämt hat, ist BTCs Marktanteil von etwa 85-90% der Gesamtbewertung aller Kryptowährungen auf 45-50% gesunken. Und dies trotz der überwältigenden „First-Mover“-Vorteile innerhalb von Netzwerk Effekten und proaktivem Entwickler-Talent. Bei dem First-Mover-Vorteil handelt es sich zwar um einen sehr wirkungsvollen Vorteil, aber „allmächtig“ ist auch dieser Vorteil nicht.

Ein Artikel der Schweizerischen Neuen Züricher Zeitung[3] befasst sich mit einer Konferenz von Wirtschaftswissenschaftlern in Wien, bei der sich Bitcoin-Kritiker trafen. Mehrere Argumente gegen eine Zukunft von Bitcoin wurden ins Feld geführt, unter anderem von Adi Shamir, der angeblich zu den Co-Entwicklern der kryptographischen Grundlagen gehört, auf denen die Bitcoin-Technologie aufgebaut wurde. Er sagt, dass es nicht genug Bitcoins gebe, weil die Zahl auf 21 Millionen begrenzt sei. Soweit ich weiß, ist ein Bitcoin nahezu unendlich in kleinere Einheiten teilbar. Und Murray Rothbard sagte, dass, sobald sich etwas als Geld auf dem Markt etabliert habe, grundsätzlich jede Menge “optimal” sei. Es gebe keinen sozialen Gewinn bei der Erhöhung der Geldmenge. Was sind Ihre Gedanken hierzu?

Wie Sie bereits sagen, sind dies zwei getrennte Fragen, die einmal die Teilbarkeit betreffen und zum anderen die Inflation. Beginnen möchte ich damit, dass die Einheit, die in der Bitcoin-Software verwendet wird, als Satoshi bezeichnet wird, und die maximale Anzahl der Satoshis beträgt 2,1 Billiarden (2.100.000.000.000.000). Das sind 280.000 Einheiten pro Person auf der Erde bei der aktuellen Weltbevölkerung von 7,5 Milliarden. Ein “Bitcoin” ist nur eine beliebige Rechnungseinheit von 100.000.000 Satoshis und eine, die das Bitcoin-System selbst noch nicht einmal erkennt. Wallets und Tauschbörsen verwenden die Rechnungseinheit “Bitcoin” nur aus Konvention und für Zwecke der intuitiven Bequemlichkeit.

Off-Chain-Lösungen wie Zahlungskanäle könnten bereits zu noch kleineren Einheiten führen. Es wäre auch möglich, die Bitcoin-Software so zu verändern, dass sie unmittelbar selbst kleinere Einheiten als ein Satoshi erkennt, aber hierfür gibt es keine Garantie.

Anders als bei der Frage der Teilbarkeit, handelt es sich bei den meisten Menschen, die sich über die mengenmäßige Begrenzung beschweren, schlicht um Inflationisten, und darüber habe ich bereits hier geschrieben. Das Gegenteil von Inflation ist Deflation, die in praktischer Hinsicht vor allem bedeutet, dass die Währungseinheit an Wert zunimmt, anstatt zu verlieren. Obwohl sich die Gesamt-Bitcoin-Menge noch für einige Zeit weiter erhöhen wird, sinkt ihre Expansionsrate stetig ab und erreicht schließlich Null. Dennoch kann Bitcoin immer noch als deflationär im Sinne einer steigenden Kaufkraft im Laufe der Zeit betrachtet werden. Der herausragende Ökonom Jörg Guido Hülsmann beschrieb in Deflation and Liberty, warum eine steigende Kaufkraft für eine Gesellschaft so bedeutend ist:

„Deflation … beseitigt den Vorteil, den die inflationsbasierte Fremdfinanzierung in der Marge gegenüber der auf Ersparnissen basierenden Eigenkapitalfinanzierung genießt. Und damit dezentralisiert sie die finanzielle Entscheidungsfindung und macht Banken, Firmen und Einzelpersonen umsichtiger und selbstständiger, als sie es bei Inflation gewesen wären. Am wichtigsten ist, dass die Deflation die Umlenkung von Einkommen beseitigt, die sich aus den Monopolprivilegien der Zentralbanken ergibt. Sie zerstört so die ökonomische Basis der falschen Eliten und verpflichtet sie, entweder schnell zu wahren Eliten zu werden, oder abzudanken und Platz zu machen für neue Unternehmer und Anführer im sozialen Bereich …

Deflation hat zumindest potentiell eine große Befreiungskraft. Sie bringt nicht nur das aufgeblasene Geldsystem zurück auf den Boden, sie bringt die ganze Gesellschaft wieder in Berührung mit der realen Welt, weil sie die ökonomische Basis der Sozialingenieure, Meinungsmacher und Gehirnwäscher zerstört.“ (S. 40-41)

Hier kommt das Wort „dezentralisieren“ wieder vor, diesmal in einem explizit ökonomischen Zusammenhang und nicht in einem computerwissenschaftlichen Sinne. Dass Deflation „finanzielle Entscheidungsfindung“ dezentralisiert, bedeutet, dass Menschen, die ihre eigenen Ersparnisse ausgeben, anstatt geliehenes Geld zu verwenden (oder Geld der staatlichen Wohlfahrtsfürsorge), über mehr Autonomie und Unabhängigkeit verfügen. Sie müssen nicht buhlen um das Wohlwollen von Gläubigern oder Venture Capital-Gebern (oder Wohlfahrtsbürokraten) in Bezug darauf, ob sie die Mittel erhalten und wie sie sie verwenden dürfen. Doch diese Unterscheidung trifft für Einheiten jeder Größe zu, die in der Lage sind, ihr eigenes Geld anstelle des von jemand anderem zu investieren und mit Eigenkapital statt Schulden zu arbeiten. Eine in der Kaufkraft zunehmende Einheit fördert das Sparen, wohingegen abnehmende Kaufkraft – wie dies bei allen Fiat-Währungen der Fall ist – Schuldenmachen und ungesunde Abhängigkeit begünstigt.

Bitcoin kam auf dem Markt als das erste im Wert steigende Tauschmittel seit langer Zeit. Inflationssüchtige und schuldenabhängige Regierungen würden nie so etwas wie den Bitcoin hervorgebracht haben.

[1] Auf Twitter können Sie Konrad S. Graf unter: @KonradSGraf folgen.
[2] Das Interview wurde in englischer Sprache geführt und von Dr. Tiedtke ins Deutsche übertragen. Das englische Original finden Sie hier: http://www.konradsgraf.com/blog1/2017/10/10/bitcoin-blockchains-and-economic-theory-an-interview-with-konrad-s-graf
[3] https://www.nzz.ch/wirtschaft/wettbewerb-der-waehrungen-kann-der-bitcoin-die-notenbanken-in-bedraengnis-bringen-ld.1314854

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