„Freie Privatstädte können alles besser“

8.7.2016 – Interview mit dem Unternehmer Titus Gebel.

Titus Gebel

Herr Gebel, Sie arbeiten gerade an einem Projekt, das vielen Menschen futuristisch oder gar utopisch vorkommen dürfte … an der Gründung privater, freier Städte. Was hat es damit auf sich?

Stellen Sie sich vor, ein privates Unternehmen bietet Ihnen als „Staatsdienstleister“ Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum in einem bestimmten Gebiet, einer Stadt. Diese Leistung umfasst etwa Polizei, Feuerwehr, Notfallrettung, einen rechtlichen Rahmen sowie eine unabhängige Gerichtsbarkeit. Sie zahlen einen vertraglich fixierten Betrag für diese Leistungen pro Jahr. Der Staatsdienstleister als Betreiber der Stadt kann den Vertrag später nicht einseitig ändern. Sie haben einen Rechtsanspruch darauf, dass der Vertrag eingehalten wird und einen Schadensersatzanspruch bei Schlechterfüllung. Um alles andere kümmern Sie sich selbst. Und Sie nehmen nur teil, wenn und solange Ihnen das Angebot zusagt. Streitigkeiten zwischen Ihnen und dem Staatsdienstleister werden vor unabhängigen Schiedsgerichten verhandelt, wie im internationalen Handelsrecht üblich. Ignoriert der Betreiber die Schiedssprüche oder missbraucht er seine Macht auf andere Weise, wandern seine Kunden ab, und er geht in die Insolvenz.

Eine freie Privatstadt oder Free Private City ist mithin keine Utopie, sondern eine Geschäftsidee, deren Elemente bereits bekannt sind und die lediglich auf einen anderen Sektor übertragen werden, nämlich auf den des Zusammenlebens. Im Grunde stellt der Betreiber als Dienstleister nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die Gesellschaft ergebnisoffen entwickeln kann. Die einzige Veränderungssperre zugunsten von Freiheit und Selbstbestimmung ist der Vertrag mit dem Betreiber. Nur er konstituiert Rechte und Pflichten. So können sich zwar die Bewohner darauf einigen, einen Gemeinderat zu etablieren. Aber auch wenn 99% der Bewohner dort mitmachen, hat dieses Gremium kein Recht, den übrigen 1%, die damit nichts zu tun haben wollen, seine Ideen aufzuzwingen; z.B. eine Kinderbetreuung, ein Schwimmbad, eine Städtepartnerschaft einzurichten und jeden dafür einen Pflichtbeitrag zahlen zu lassen. Das ist der entscheidende Punkt, an dem bisherige Systeme regelmässig gescheitert sind: die dauerhafte Gewährleistung der individuellen Freiheit.

Um ein derartiges Konzept umzusetzen, ist eine (Teil-)Autonomie im Sinne territorialer Souveränität unumgänglich. Diese muss das Recht umfassen, die eigenen Angelegenheiten selbständig zu regeln. Zur Etablierung einer Free Private City bedarf es daher einer vertraglichen Vereinbarung mit einem bestehenden Staat. In diesem Vertrag räumt der Mutterstaat dem Betreiber das Recht ein, auf einem genau umrissenen Territorium die Privatstadt nach eigenen Regeln zu etablieren, ähnlich einer Sonderwirtschaftszone, aber mit deutlich größerer Eigenständigkeit.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Ich habe vor ein paar Jahren von Paul Romers Konzept der Chartered Cities gehört und der Idee, eine solche in Honduras einzurichten. Die Chartered City gibt sich zur schnelleren Entwicklung von Wohlstand eigene Regeln, die von den Gesetzen des Mutterlandes abweichen. Ich fand es auf Anhieb spannend, weil Romer klar erkannt hatte, dass es vor allem anderen die Regelungsstruktur eines Systems ist, die über dessen Erfolg oder Misserfolg entscheidet, nicht etwa Bodenschätze oder Bildungssystem. Außerdem konnte damit einfach mal etwas Neues ausprobiert werden, also Wettbewerb in einem praktisch abgeschotteten Markt, nämlich dem Staatsmarkt, geschaffen werden. Nach über 30 Jahren politischer Aktivität war ich zum Schluss gekommen, dass echte Freiheit im Sinne von Freiwilligkeit und Selbstbestimmung auf demokratischem Wege nicht zu erreichen ist. Sie wird hier schlicht nicht ausreichend nachgefragt. Aber man könnte ein entsprechendes „Nischenprodukt“ schaffen, an dem die Teilnahme freiwillig ist. Hat es Erfolg, wird es Nachahmer finden. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass Staatsdienstleistungen rein privatwirtschaftlich von Unternehmen angeboten werden können. Damit könnten wir die Hauptgedanken des freien Marktes auf unser Zusammenleben übertragen, nämlich den freiwilligen Leistungsaustausch, das Recht zur Nichtteilnahme und den Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, als Machtbegrenzungsmittel und als Qualitätsfilter. Da ich selbst Unternehmer und Gründer bin, lag es nahe, meine freiheitlichen Ideen in eben dieser Form umzusetzen. Dazu werde ich zunächst das Konzept in Buchform vorlegen, damit auch andere ähnliche Projekte leichter umsetzen können. Im Anschluss, ab 2017, werde ich Investoren angehen und schließlich Regierungen, um ein entsprechendes Territorium zu erhalten.

Was stört Sie an staatlichen Organisationen, wie wir sie heute kennen?

Eigentlich alles. Praktisch alle Staaten dieser Welt funktionieren nach dem gleichen, seit Jahrtausenden unveränderten System: Eine durch Erbfolge, Putsch oder Wahl an die Macht gelangte Gruppe von Auserwählten bestimmt die Geschicke aller. Im Laufe der Zeit bildet sich um diese Gruppe herum eine wachsende Menge von Zuarbeitern und Günstlingen. Diese wollen sich dem Risiko des freien Marktes entziehen und Leistungen ohne adäquate Gegenleistung erhalten (sogenanntes rent-seeking). Daneben finden Interessengruppen und Einzelpersonen nach und nach heraus, dass sie über die Politik ihre Wünsche der Allgemeinheit in Rechnung stellen können. Dadurch steigen unvermeidlich die Zahl der Gesetze, die Steuerbelastung und die Staatsschulden immer weiter an. Produktivitätshemmnisse und Freiheitseinschränkungen vermehren sich. Am Ende steht der Ruin bzw. der Zusammenbruch des jeweiligen Gemeinwesens – und das Spiel beginnt von neuem.

Es macht auch keinen Unterschied, ob Sie Ihre Mitmenschen unter Androhung von Gewalt selbst ausplündern oder gewählte Repräsentanten damit beauftragen. Ein wie auch immer legitimiertes System, welches per Gesetz Enteignungen zugunsten Dritter vorsieht, kann auf Dauer weder ein friedliches, noch ein berechenbares Miteinander schaffen. Stattdessen fördert es nie endende Verteilungskämpfe, sozialen Unfrieden und Neid. Solche Ordnungen haben langfristig keine Zukunft, sie sind Ancien Régimes.

Bei meinem marktwirtschaftlichen Ansatz hingegen besteht irgendwann kein Bedarf mehr für Politik, Demokratie und Streit darüber, welches die richtige, „gerechte“ Gesellschaft ist. Denn für jeden wird es ein entsprechendes Angebot geben. Und wem der ganze Ansatz missfällt, der bleibt einfach in seinem jetzigen oder irgendeinem anderen Staat.

Wie glauben Sie, werden Regierungen auf Ihr Vorhaben reagieren? Die werden keine Konkurrenz wollen…

Nicht unbedingt. Staaten können dann für ein solches Konzept gewonnen werden, wenn sie sich Vorteile davon versprechen. Nehmen Sie als Beispiele Hong Kong, Singapur oder auch Monaco. Um diese Stadtstaaten herum hat sich ein Kordon von dicht besiedelten und im Vergleich zum Rest des Landes durchaus wohlhabenden Gegenden gebildet. Dessen Einwohner arbeiten häufig im angrenzenden Stadtstaat, versteuern aber ins Mutterland. Wenn man nun davon ausgeht, dass sich solche Entwicklungen in einem vormals strukturschwachen oder ganz unbesiedelten Gebiet ereignen, dann kann der Mutterstaat dadurch nur gewinnen. Dies ist auch einer der Gründe, weshalb Hongkong nach 1997 nicht von China einverleibt wurde.

Wie werden sich „Free Private Cities“ organisieren?

Ein privates Unternehmen würde als Staatsdienstleister die Verwaltung übernehmen und jeder einzelne Bewohner hätte einen Vertrag mit der Verwaltung. Dieser Vertrag umfasst wie bereits erwähnt einige wenige Basisleistungen und Basisregeln. Die Grundidee ist, dass außerhalb dieser Basisregeln vollständige Freiheit besteht, seine eigenen Angelegenheiten zu regeln, wie man das möchte. Sie schließt ein, sich mit anderen für alle möglichen Zwecke zusammen zu schließen.

Vorstellbar ist, dass jeder Bewohner mit Ansiedlung einen Anteil am Staatsdienstleister erwirbt und damit Mitspracherecht auf den ordentlichen und außerordentlichen Gesellschafterversammlungen hat, die auch über die Besetzung des Managements der Stadt entscheiden. Hier sind Beteiligungsmodelle denkbar, die sich zwischen Aktiengesellschaft und Genossenschaft bewegen. Ebenso vorstellbar ist, dass der Staatsdienstleister nur einer Privatperson oder ausschließlich den Bewohnern gehört. Und auch alle Arten von Varianten davon sind denkbar.

Die Eigentumsverhältnisse und die Regelung der Mitsprache sind aus meiner Sicht aber gar nicht der entscheidende Punkt. Entscheidend ist, dass die Verwaltung oder auch ein von der Mehrheit gewähltes Gremium nicht immer mehr Befugnisse an sich ziehen und den Bewohnern in ihre Lebensgestaltung hineinreden kann. Daher der Vertrag mit jedem einzelnen. Es geht um größtmögliche Selbstbestimmung, nicht um größtmögliche Mitbestimmung. Wenn jeder frei entscheiden kann, was er tun und wie er leben möchte, gibt es auch für Mitbestimmungsorgane wie Parlamente keinen wirklichen Bedarf. Diese stellen vielmehr eine Gefahr für jede freiheitliche Ordnung dar, da sie letztendlich immer von Interessengruppen gekapert werden und zum Selbstbedienungsladen der politischen Klasse mutieren. Bisher hat auch noch jede Massendemokratie vormals bestehende klassisch-liberale Minimalstaaten zerstört, beispielhaft genannt seien hier nur die USA, Großbritannien oder die Schweiz.

Was können Free Private Cities besser?

Eigentlich alles. Der „Staatsbürger“ wäre umworbener Kunde, der jederzeit den Anbieter wechseln kann, anstelle einer stets verfügbaren Melkkuh, die sich den Weggang durch Wegzugsbesteuerung erkaufen muss. Anders als die Politiker des Ancien Régime, die Entscheidungen auf Kosten Anderer treffen können, ohne den geringsten eigenen wirtschaftlichen Nachteil zu haben, wenn es schiefgeht, hat der private Staatsunternehmer skin in the game. Allein diese Tatsache diszipliniert ungemein. Er ist Dienstleister, der sich Mühe geben muss und nicht einfach die Regeln zu Lasten der Kunden ändern kann, wenn es ihm gerade in den Kram passt. Der Wettbewerb wird dafür sorgen, dass es zahlreiche unterschiedliche Modelle des Zusammenlebens geben wird, für jeden Geschmack etwas. Die Grade an Freiheit, Innovation und Selbstverantwortung werden in den erfolgreichen Städten durchweg hoch sein. Ständige Verteilungskämpfe und das Aufwiegeln gesellschaftlicher Gruppen gegeneinander gehören der Vergangenheit an.

In Free Private Cities würde volle Meinungs- und Vertragsfreiheit herrschen. Man dürfte z.B. eine negative Meinung über eine bestimmte Religion offen kundtun, ohne dafür wegen „Rassismus“ oder „Volksverhetzung“ angeklagt zu werden. Es gäbe gar keinen Volksverhetzungsparagraphen. Auch keine Antidiskriminierungsgesetze. Zigaretten würden wieder ohne hässliche Warnhinweise gehandelt und beworben. Man könnte leistungsstarke Staubsauger und Duschköpfe erwerben. Glühbirnen sowieso.

Selbstfahrende oder gar fliegende Autos wären Teil des täglichen Lebens, neuartige Dienstleister wie Uber oder Airbnb nicht verboten, sondern eine Selbstverständlichkeit. Neue Medikamente und Behandlungsmethoden wären jedem zugänglich, der diese in Kenntnis des möglichen Risikos testen will. Gesundheitsgrenzwerte gälten nur für wirkliche Toxizität und auf wissenschaftlicher Grundlage, anders als in der EU, wo (z.T. absurde) Grenzwerte willkürlich von Politikern festgelegt werden, die sich davon Beifall versprechen. Es gäbe private Unternehmer, die vom Krankenhaus über Schulen und Kindergärten bis hin zur Müllabfuhr abdecken, was nachgefragt wird. Gegen sämtliche Eventualitäten des Lebens versichern sich die Bewohner auf Wunsch privat oder gründen Selbsthilfegruppen, sei es zum Schutz vor Krankheit, Tod, Pflegebedürftigkeit oder Unfällen. Strassen, Hochhäuser, Häfen, Flugplätze und Einkaufszentren werden von Investoren erstellt und betrieben. Jeder kann neue Produkte und Dienstleistungen ohne Genehmigung oder Lizenz anbieten, und sich in jeder gewünschten Währung bezahlen lassen. Auch für Ungelernte gibt es dort – mangels Mindestlohnvorschriften – Verwendung. Günstige Produkte können aus der ganzen Welt eingeführt werden, weil Freihandel herrscht und es keine Zölle gibt. Die Privatstadt macht ihre Einwanderungsregeln selbst. Sie kann jeden, der kriminell wird oder z.B. den Vorrang der Scharia vor den Regeln der Stadt propagiert, ohne viel Federlesens wieder hinauswerfen. Allein dies würde eine Positivauslese bewirken.

Nach spätestens einer Generation werden solche privaten Systeme wohlhabender, freier und friedlicher sein als alles, was wir bisher kennen.

Vielen Dank, Herr Gebel, wir freuen uns auf Ihr Buch zum Thema.

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Das Interview wurde im Juli 2016 per e-mail geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.

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Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Er gründete unter anderem die Deutsche Rohstoff AG. Derzeit arbeitet er an einem Buch zum Thema Staatsalternativen und freie Privatstädte und will anschließend die Idee in die Tat umsetzen. Es gibt bereits eine Webseite: freeprivatecities.com

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto-Startseite: freeprivatcities

 

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