Der Beherrschungsdrang der Antikapitalisten

25.11.2015 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881 – 1973)

In jedem System der Arbeitsteilung ist ein Prinzip erforderlich, nach dem die Betätigungen der vielen Spezialisten koordiniert werden. Die Bemühungen des Spezialisten wären ziellos und zweckwidrig, wenn er keine Leitung in der Vorrangstellung der Öffentlichkeit fände. Natürlich liegt das einzige Ziel der Produktion im Dienst an den Konsumenten.

In der Marktwirtschaft ist das Gewinnmotiv das Leitprinzip. In der Zwangswirtschaft ist es die Disziplinierung. Es gibt keine dritte Möglichkeit. Wenn ein Mensch nicht vom Wunsch getrieben wird, Geld auf dem Markt zu verdienen, dann muß ihm ein Gesetz vorschreiben, was er zu tun hat und wie er es zu tun hat.

Sehr häufig wird gegen das liberale und demokratische System des Kapitalismus der Einwand vorgebracht, daß dieses System lediglich die Rechte des Individuums betone und darüber seine Pflichten vernachlässige. Die Menschen würden auf ihren Rechten bestehen und ihre Verpflichtungen vergessen. Tatsächlich aber seien die Pflichten der Bürger vom gesellschaftlichen Blickwinkel aus wichtiger als ihre Rechte.

Es besteht keine Notwendigkeit, an dieser Stelle den politischen und verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt dieser antidemokratischen Kritik ausführlich zu erörtern. Die Menschenrechte, wie sie in den verschiedenen Menschenrechtskatalogen gesetzlich festgelegt worden sind, wurden zum Schutz des Individuums gegen staatliche Willkür verkündet. Ohne sie wären alle Menschen die Sklaven despotischer Herrscher.

In der ökonomischen Sphäre ist das Recht, Eigentum zu erwerben und zu besitzen, kein Vorrecht. Es ist das Prinzip, welches die beste Befriedigung von Konsumentenwünschen gewährleistet. Wer immer auch ein Vermögen verdienen, erwerben und behalten möchte, muß den Konsumenten dienen. Der Gewinntrieb ist das Mittel, um der Öffentlichkeit den Vorrang einzuräumen. Je besser es jemandem gelingt, die Konsumenten zu versorgen, desto größer werden seine Einnahmen. Es ist jedermanns Vorteil, daß derjenige Unternehmer, der gute Schuhe zu den geringsten Kosten produziert, reich wird; die meisten Menschen würden einen Verlust erleiden, wenn ein Gesetz sein Recht, reicher zu werden, einschränkte. Solch ein Gesetz würde lediglich seine weniger effizienten Konkurrenten begünstigen. Es würde die Schuhpreise nicht senken, sondern steigen lassen.

Gewinn ist die Belohnung für die beste Erfüllung von Pflichten, die freiwillig übernommen wurden. Er ist das Instrument, welches die Massen zu Herrschern macht. Der gewöhnliche Mensch ist der Kunde, für den die Industriekapitäne und all ihre Gehilfen arbeiten.

Es wurde eingewendet, daß dies nur solange richtig sei, wie es sich nicht um Großunternehmen handelt. Der Konsument habe keine andere Wahl, als entweder diese Unternehmen zu unterstützen oder der Befriedigung eines Grundbedürfnisses zu entsagen. Er sei daher gezwungen, in jeden vom Unternehmer geforderten Preis einzuwilligen. Großunternehmen seien keine Anbieter und Lieferanten mehr, sondern Herren. Für sie bestünde keine Notwendigkeit, ihre Leistungen zu verbessern und zu verbilligen.

Betrachten wir den Fall einer Eisenbahnlinie, die zwei Städte verbindet, welche durch keine andere Zuglinie verbunden sind. Wir können sogar den Umstand außer Acht lassen, daß sich andere Transportmittel in Konkurrenz zur Eisenbahn befinden: Busse, Autos, Flugzeuge und Schiffe. Unter diesen Annahmen ist es wahr, daß die Eisenbahnlinie von jedem, der zu reisen wünscht, gezwungenermaßen unterstützt wird. Doch das vermindert nicht das Interesse des Unternehmens an guten und billigen Leistungen. Nicht all jene, die eine Reise in Erwägung ziehen, müssen die Reise unter allen Umständen antreten. Die Anzahl sowohl der Geschäfts- als auch der Vergnügungsreisenden hängt von der Effizienz der Leistung und von den Preisen ab. Einige Leute werden in jedem Fall reisen. Andere werden nur dann reisen, wenn die Reisequalität und -geschwindigkeit und geringe Preise das Reisen attraktiv machen. Es ist nun die Unterstützung dieser zweiten Gruppe, die für das Unternehmen den Unterschied zwischen trägem oder sogar schlechtem Geschäftsgang und gutem Geschäftsgang ausmacht. Wenn dies für eine Eisenbahnlinie unter den extremen Bedingungen zutrifft, die wir oben zugrunde legten, dann trifft es umso mehr für jeden anderen Geschäftszweig zu.

Ob Unternehmer oder andere Berufstätige – alle Spezialisten sind sich vollkommen darüber im Klaren, daß sie von den Weisungen der Verbraucher abhängen. Tägliche Erfahrung lehrt sie, daß im Kapitalismus ihre Hauptaufgabe im Dienst am Kunden besteht. Jene Spezialisten, denen es am Verständnis der grundlegenden gesellschaftlichen Probleme ermangelt, bedauern diese „Knechtschaft“ zutiefst und wollen befreit werden. Der Aufstand der kleingeistigen Experten ist eine der stärksten Kräfte, die die allgemeine Bürokratisierung vorantreiben.

Der Architekt muß seine Entwürfe den Wünschen jener anpassen, deren Heime er baut; oder – im Falle von Mietshäusern – den Wünschen der Eigentümer, die ein Gebäude besitzen möchten, das den Geschmack der voraussichtlichen Bewohner trifft und daher leicht zu vermieten ist. Es ist nicht nötig, herauszufinden, ob der Architekt mit seinem Glauben recht hat, daß er besser als unverständige Laien weiß, wie ein schönes Haus auszusehen hat. Er mag vor Wut schäumen, wenn er seine wundervollen Vorhaben zu verderben gezwungen ist, um seinen Kunden entgegenzukommen. Und er sehnt sich nach einem idealen Zustand, in welchem er Häuser nach seinen eigenen künstlerischen Maßstäben bauen könnte. Er verlangt nach einer staatlichen Baubehörde, und in seinen Tagträumen sieht er sich selbst an deren Spitze. Dann werde er Wohnungen nach seinem Geschmack errichten.

Dieser Architekt wäre in höchstem Maße beleidigt, wenn ihn jemand einen Möchtegern-Diktator nennen würde. Mein einziges Anliegen, würde er erwidern, ist Menschen glücklich zu machen, indem sie mit besseren Häusern ausgestattet werden; diese Leute wissen nicht, was ihr eigenes Wohlergehen am meisten fördern würde; der Fachmann muß sich – unter Oberaufsicht des Staates – um sie kümmern; es sollte ein Gesetz gegen häßliche Gebäude geben. Doch wir sollten fragen: Wer soll darüber entscheiden, welche Art architektonischer Stil als gut oder schlecht angesehen werden muß? Unser Architekt wird antworten: Natürlich ich, der Fachmann. Unverfroren mißachtet er die Tatsache, daß es sogar unter Architekten sehr beträchtliche Meinungsunterschiede über Stile und künstlerische Werte gibt.

Wir wollen nicht betonen, daß dieser Architekt – sogar in einer bürokratischen Diktatur und gerade in solch einem Totalitarismus – nicht frei sein wird, gemäß seinen eigenen Ideen zu bauen. Er wird sich dem Geschmack seiner bürokratischen Vorgesetzten zu beugen haben, und diese werden ihrerseits den Grillen des Diktators unterworfen sein. In Nazi-Deutschland sind die Architekten auch nicht frei. Sie müssen sich den Plänen des frustrierten Künstlers Hitler unterordnen.

Wichtiger noch ist dies: Im Bereich der Ästhetik gibt es – wie in allen anderen Bereichen menschlichen Strebens – kein absolutes Kriterium dafür, was schön ist und was nicht schön ist. Wenn ein Mensch seine Mitbürger dazu zwingt, sich seinen eigenen Wertmaßstäben zu unterwerfen, macht er sie keineswegs glücklicher. Sie alleine können entscheiden, was sie glücklich macht und was sie mögen. Man vermehrt nicht das Glück eines Menschen, der einer Aufführung von Das Küssen macht so gut wie kein Geräusch beiwohnen möchte, indem man ihn in eine Aufführung von Hamlet hineinzwingt. Man mag seinen armseligen Geschmack belächeln. Aber er allein ist das Maß aller Dinge hinsichtlich seiner eigenen Befriedigung.

Der diktatorische Ernährungsexperte will seine Mitbürger in Übereinstimmung mit seinen eigenen Vorstellungen über vollkommene Ernährung füttern. Er will mit Menschen umgehen wie der Viehzüchter mit seinen Kühen. Er bemerkt nicht, daß Ernährung kein Zweck an sich ist, sondern das Mittel zum Erreichen anderer Zwecke. Der Bauer füttert seine Kuh nicht, um sie glücklich zu machen, sondern um Zwecke zu erreichen, denen die gut gefütterte Kuh dient. Es gibt verschiedene Arten, Kühe zu füttern. Welche von ihnen er wählt, hängt davon ab, ob er so viel Milch wie möglich oder so viel Fleisch wie möglich oder etwas anderes erhalten will. Jeder Diktator plant, seine Mitmenschen genau so zu züchten, aufzuziehen, zu füttern und zu dressieren wie der Viehzüchter sein Vieh. Sein Ziel ist es nicht, das Volk glücklich zu machen, sondern das Volk in eine Verfassung zu bringen, die ihn, den Diktator, glücklich macht. Er will es zähmen, ihm den Rang von Vieh geben. Auch der Viehzüchter ist ein gutwilliger Despot.

Die Frage ist: Wer soll herrschen? Sollten die Menschen frei sein, ihren eigenen Weg zum eigenen Glück zu wählen? Oder sollte ein Diktator seine Mitmenschen wie Schachfiguren benutzen, um sich selbst glücklicher zu machen?

Wir mögen zugeben, daß einige Fachleute mit der Ansicht richtig liegen, daß die meisten Menschen sich bei der Verfolgung ihres Glückes unverständig verhalten. Aber man kann keinen Menschen glücklicher machen, indem man ihn bevormundet. Die Fachleute der verschiedenen Regierungsbehörden sind sicherlich feine Menschen. Aber sie haben kein Recht, sich beleidigt zu fühlen, wenn die Gesetzgebung nicht ihren sorgsam ausgearbeiteten Plänen entspricht. Wozu nützt repräsentative Herrschaft, fragen sie; sie macht bloß unsere guten Absichten zunichte. Doch die einzige Frage ist: Wer soll das Land führen? Die Wähler oder die Bürokraten?

Jeder Halbgebildete kann eine Peitsche benutzen und andere Leute zum Gehorsam zwingen. Aber es erfordert Intelligenz und Sorgfalt, der Öffentlichkeit zu dienen. Nur einigen Leuten gelingt es, Schuhe besser und billiger als ihre Konkurrenten zu produzieren. Der ineffiziente Fachmann wird immer eine vorrangige Stellung der Bürokratie erstreben. Er ist sich völlig darüber im Klaren, daß er innerhalb eines Wettbewerbssystems keinen Erfolg haben wird. Für ihn ist die allumfassende Bürokratisierung ein Zufluchtsort. Mit der Macht einer Behörde versehen, wird er seine Anweisungen mit Hilfe der Polizei durchsetzen.

Dieser ganzen fanatischen Verteidigung von Planwirtschaft und Sozialismus liegt oft nichts anderes zugrunde als das insgeheime Bewußtsein der eigenen Minderwertigkeit und Ineffizienz. Menschen, die sich ihrer Unfähigkeit im Wettbewerb bewußt sind, verachten „dieses kranke Konkurrenzsystem“. Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen.

[Mises, L. v. (2004 [1944]), Die Bürokratie, hrsg. vom Liberalen Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, Band 3, Academia Verlag, 95 – 98.]

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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