Was uns Parteiprogramme verraten…

6.5.2013 – von Gerd Habermann.

Gerd Habermann

Zu den Bundestagswahlen im September kommt es wieder zu einer Heerschau von Angeboten der Parteien an die Wähler nach dem Motto: wer bietet mehr? Viele halten den Wert dieser politischen Kundgebungen für gering, da das Versprochene selten mit den späteren politischen Taten genau korreliert und diese Programme angeblich sowieso niemand liest. Indessen sind sie doch ein Niederschlag dessen, was an Ideen in Umlauf ist – auch dort, wo sie sich „pragmatisch“ geben, denn mit Recht schrieb Edmund Burke einmal: dass Politiker handelnde Philosophen  sind. Dies ist auch dort so, wo sie die „Realisten oder Pragmatiker“ geben, denn fast alle umlaufenden politischen Begriffe, von Demokratie, Freiheit, Solidarität usw. angefangen, sind ja philosophische Begriffe, hinter denen alte sozialethische Ideale und „Weltanschauungen“ stecken, nur durch verschiedene und oft irreführende Auslegung oder inflationären Gebrauch abgenutzt und schäbig wie alte Münzen – bis zu dem Punkt hinunter, wo sie unkenntlich, zu bloßen Phrasen geworden sind und der ganze politische Wortkampf schemenhaft wie seine Träger erscheinen: so etwa zum Thema „soziale Gerechtigkeit“ oder „Europa“. So oder so: namentlich die Wahlprogramme zeigen noch deutlich genug, wes Geistes Kind ihre Verfasser sind, was ihnen von Wert ist und was nicht, was sie ablehnen, fürchten oder bekämpfen zu müssen meinen, sie sind Spiegel eines „Zeitgeistes“, der eine gewisse dominierende Einstellung der herrschenden meinungsbildenden Schichten von Publizisten, Lehrern, Sozialarbeitern, politisierenden Wissenschaftlern und Pfarrern, politischen Funktionären, Lobbyisten usw. widergibt und sich meist im Einklang mit deren materiellen Interessen befindet.

Das Schrecklichste an den Wahlprogrammen ist ihr Umfang – es sind inzwischen regelmäßig Bücher – und ihre Sprache, ein hohles feierliches Pathos, kombiniert mit langweiliger Pedanterie im Detail und oft bemühten Originalität in der Prägung „neuer“ Begriffe (nur Verlautbarungen der EU sind noch öder). Abstoßend ist auch die Bemühung, überall Probleme, Notstände, Ungerechtigkeit, Benachteiligungen und Opfergruppen jeder Art aufzuspüren, um damit Unzufriedenheit zu erwecken, neue politische Aktionsfelder und Karrieremöglichkeiten aufzuschließen und sich dann als die universalen Problemlöser zu empfehlen. Die Frage nach ihrem eigenen Anteil an den Problemen, mit denen sie so leidenschaftlich und in der Dauerpose der sozialpolitischen Entrüstung ringen, wird dabei verständlicherweise nicht gestellt. Auch die Frage, welches dieser Probleme in der Natur der Dinge („conditio humana“) liegt und keiner politischen „Lösung“ fähig ist oder bedarf, oder welches die nur nicht gewollte Nebenwirkung eines früheren Eingriffs ist, taucht nicht auf. Der Glaube an die Machbarkeit aller Umstände durch politische Intervention ist überwältigend. Auch wird es immer wieder deutlich, wer die eigentlichen Verfasser solcher Kundgebungen sind: es sind theoretisierende, manchmal sehr junge Ideologen (ergänzt durch spezialisierte Fachreferenten) in den großen Stäben unserer überwiegend steuerfinanzierten Parteien. Nur wenige haben unmittelbare Anschauung von dem, was sie analysieren oder kritisieren, noch empfinden oder übersehen sie immer, was sie da eigentlich fordern. Ihr Horizont und ihre Wertmaßstäbe ergeben sich aus ihrer Existenz als abhängige, meist mittlere Angestellte, z.B. wenn sie zu Unternehmertum, Marktwirtschaft oder Selbstverantwortung schreiben. Wir werden uns in den kommenden Kommentaren den einzelnen Programmen zuwenden, deren Grundgeist fast durchgehend durch einen Egalitarismus mit totalitärem Ansatz gekennzeichnet ist, spreche man nun von Gleichstellung, Nichtdiskriminierung, Gerechtigkeit oder „sozialer Inklusion“. Es läuft offenbar auf eine möglichst weltweite Harmonie der entindividualisierten Gleichen hinaus – und über all den Gleichgestellten der wachende und sorgende Überstaat. Naturgemäß sind die größeren Parteien von dieser Tendenz besonders betroffen. Bei den „Grünen“ ist sie indessen am stärksten. Es geht gegen die gegebenen Ungleichheiten, sei es an Eigentum, sei es an allgemeinen Vorzugschancen des Lebens. Ungleich ist offenbar immer „ungerecht“.

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Gerd Habermann ist liberaler Wirtschaftsphilosoph und Publizist. Er ist Initiator und Sekretär der Friedrich A. von Hayek-Gesellschaft und Vorstandsvorsitzender der Friedrich A. von Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft, ferner Honorarprofessor an der Universität Potsdam und ordnungspolitischer Berater der Familienunternehmer – ASU, deren Unternehmerinstitut er bis 2010 geleitet hat. Gerd Habermann ist Mitglied der Mont Pelerin Society und Autor von über 400 Publikationen – darunter: Der Wohlfahrtsstaat. Die Geschichte eines Irrwegs (3. Aufl. in Vorbereitung), Philospohie der Freiheit – ein Friedrich August von Hayek-Brevier (4. Aufl. 2005) und Mitherausgeber des Bandes “Der Liberalismus – eine zeitlose Idee”. Er ist ferner regelmäßig Autor in der Neuen Zürcher Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Welt.

 

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