Unentgeltlich ist nicht umsonst

23. Mai 2025 – Jörg Guido Hülsmann im Interview mit „Recherche D“

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Recherche D (RD): Sehr geehrter Herr Prof. Hülsmann, in Ihrem neuen Buch über „Die Wirtschaft und das Unentgeltliche“ (*) behaupten Sie, daß Eigentum „den existenziellen Kontext“ für die Entstehung kostenloser Güter liefere. Warum ist das so? Und warum soll es zugleich keine gute Idee sein, Bürger demokratisch darüber entscheiden zu lassen, was unentgeltlich vom Staat zur Verfügung gestellt wird? Wenn Straßen und Schulen kostenlos genutzt werden können, hilft das doch jedem und es wurde durch Mehrheitsbeschluss legitimiert.

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Jörg Guido Hülsmann (JGH): Unentgeltlichkeit setzt voraus, dass menschliche Ansprüche und Verpflichtungen irgendwelche Grenzen haben. Wenn ich einen Anspruch auf schönes Wetter hätte, dann wäre ein sonniger Tag für mich kein unentgeltliches Gut, sondern nur die Erfüllung meines guten Rechtes. Wenn ich für ein Bier bezahle, schenkt mir der Wirt nicht kostenlos ein. Güter können nur dann unentgeltlich sein, wenn für die Empfänger kein Anspruch auf sie besteht bzw. wenn derjenige, der sie anderen unentgeltlich verschafft, dazu nicht verpflichtet ist. Unentgeltlichkeit geht immer über solche Ansprüche und Verpflichtungen hinaus, und ein jedes Hinausgehen setzt dementsprechende Grenzen voraus. Privateigentum ist aber die wohl wichtigste Institution, durch die Ansprüche und Verpflichtungen begrenzt werden. Dort, wo es kein privates Eigentum gibt, wo ich alles verlangen und zu allem verpflichtet bin, kann es auch keine unentgeltlichen Güter und Dienste geben. Alles, was ich jemals erhielte, würde mir dann von vorneherein rechtmäßig zugestanden haben.

An und für sich ist es durchaus gut, wenn Bürger per Abstimmung darüber entscheiden, anderen bestimmte Güter kostenlos zur Verfügung zu stellen. Solche Entscheidungen werden auf jeder Eigentümerversammlung in Mehrparteienhäusern und Aktiengesellschaften getroffen. Das Problem mit der staatlichen Demokratie besteht nicht darin, dass sie demokratisch, sondern dass sie staatlich ist. Es ist eine Zwangsdemokratie, die niemand gewählt hat und aus der man sich auch nicht befreien kann, außer man wählt die Emigration oder ein Leben als Penner oder Krimineller. Wenn der Zwang ins Spiel kommt, färbt das nicht nur auf die Demokratie, sondern eben auch auf die Unentgeltlichkeit ab. Staatliche Subventionen an Arbeitslose oder Unternehmen sind eben nicht Ausdruck liebevoller Solidarität, sondern Zwangszahlungen, die dem Steuerzahler unter stillschweigenden (und manchmal auch ausdrücklichen) Drohungen abgenötigt werden. In meinem Buch lege ich dar, welche weiteren Folgen sich daraus ergeben.

(RD): Sie sprechen doch aber selbst von einer „moralischen Korruption der Begünstigten“. Das heißt: Wirksam ist eben weniger der Zwang als „hard power“, sondern das süße Gift der scheinbaren staatlichen „Geschenke“ als „soft power“. Das sieht man derzeit exemplarisch an der Diskussion um die Landwirte und Agrarsubventionen. Die große Frage ist nun, wie Sie den Egoismus der Begünstigten eindämmen wollen? Angenommen, die „staatliche Zwangsdemokratie“ würde als Konsequenz einer Hyperinflation implodieren, wie wollen Sie dann auf den Pfad des „moralischen Wachstums“ (auch ein Begriff, den Sie verwenden) zurückkehren?

(JGH): Es ist in der Tat sehr schwierig, staatliche Zuschüsse zurückzufahren, wenn sie erst einmal da sind und viele Menschen von ihnen abhängig sind. Am einfachsten ist das in einer dynamisch wachsenden Wirtschaft, weil es dann ja attraktive Alternativen gibt. Ein Landwirt, dem die Subventionen gekürzt werden, kann dann recht zügig auch woanders sein Auskommen finden. Ohne Wachstum bestehen solche Alternativen natürlich sehr viel weniger, und da beißt sich die Katze der heutigen Wirtschaftspolitik in Deutschland in den eigenen Schwanz. Wenn es aus irgendwelchen Gründen zum Zusammenbruch der staatlichen Systeme kommt, wie in Russland ab 1991, kann die Lage u.U. einfacher sein. Allen Interessierten ist dann klar, dass es nichts mehr zu verteilen gibt. Bei uns kann der Staat scheinbar noch aus dem Vollen schöpfen, und dann will keiner zurückstehen.

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(RD): Eine Umstellung auf private Systeme der freiwilligen Hilfe ist also nur in wirtschaftlich guten Zeiten realistisch? Verstehe ich Sie da richtig? Gibt es historische Beispiele dafür, dass so etwas gelungen ist? Denn in den Wohlstandsjahren der Bundesrepublik wurde die Umverteilung ganz im Gegenteil immer weiter ausgebaut.

(JGH): Eine radikale Umstellung ist in wirtschaftlich guten Zeiten am einfachsten. Das klassische Beispiel ist die weitgehende Abschaffung des britischen Wohlfahrtsstaats in den 1830er Jahren. Die Briten hatten sehr hohes Wachstum, und daher war die brutale Reform der Poor Laws politisch gangbar. Die schlimmen Folgen der Reform für Wohlfahrtsjunkies wurden dadurch abgefedert, dass das Wirtschaftswachstum nicht nur steigende Nachfrage nach Arbeitskräften schuf, sondern auch die Gründung von tausenden privaten Wohlfahrtsvereinen (Friendly Societies genannt) finanziell ermöglichte. Aber es stimmt schon, dass solche radikalen Reformen in der Geschichte sehr selten waren. In den meisten Fällen gab es graduelle Reformen, die auch nicht immer mit einem Rückbau des Wohlfahrtsstaates verbunden waren, sondern sich auf die Förderung paralleler privater Vorsorge konzentrierten. Ein wichtiges Beispiel ist die graduelle Umstellung eines Rentensystems vom staatlichen Umlageverfahren auf ein privates Kapitaldeckungsverfahren. Zumeist wurde Wirtschaftswachstum von Politikern jedoch genutzt, um den Wohlfahrtsstaat weiter auszubauen. So war es auch in Deutschland unter der Regierung Adenauer.

(RD): Ein Wort noch zum Szenario eines Zusammenbruchs: Wenn es nichts mehr zu verteilen gibt, dürfte der Mensch zum „Wolf unter Wölfen“ werden, so Hans Fallada in seinem berühmten Roman über das Inflationsjahr 1923. Gerade dann dürfte also die Moral vor die Hunde gehen.

(JGH): Raub und Diebstahl aus bitterer Not und auf eigenes Risiko haben eine ganz andere moralische Qualität als massenhafte und ständige Umverteilung durch die institutionalisierte Gewalt des Wohlfahrtsstaats. Der verwolfte Mensch ist kein unmoralischer Mensch, das zeigt gerade auch die strenge Zucht in Räuberbanden.

(RD): Aktuell stehen wir indes irgendwo zwischen diesen zwei Extrempolen „Wohlstand“ und „Zusammenbruch“. Die Zeiten werden rauer und das bedeutet: Mit Hilfe von Subventionen führen Staaten Wirtschaftskriege gegeneinander. Wie kann man aus diesem Subventionswettstreit mit den USA und China aussteigen, ohne international die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Unternehmen zu riskieren?

(JGH): Staatliche Subventionen zugunsten irgendwelcher Firmen oder Wirtschaftszweige machen die Wirtschaft insgesamt keineswegs wettbewerbsfähiger. Das Gegenteil ist der Fall, denn die Subventionen werden der Wirtschaft ja an anderer Stelle wieder entzogen. Sie bereichern einige Firmen oder Sektoren auf Kosten aller anderen. Was uns im Moment Probleme bereitet, sind nicht die Subventionen, mit denen die US-Regierung europäische Unternehmen lockt, sondern unsere eigene Politik, die unsere Energieversorgung torpediert und die Wirtschaft auch mit Steuern, Sozialabgaben und Gängelungen tausender Art stranguliert. Der drohende Zusammenbruch ist selbstgemacht.

(RD): Abschließend noch einmal zurück zu Ihrem Buch: Sie wenden sich gegen die Tendenz in den Wirtschaftswissenschaften, unentgeltliche Leistungen zu übersehen. Dazu beziehen Sie sich auf Papst Benedikt XVI., der das „Prinzip der Unentgeltlichkeit“ stärker im normalen Wirtschaftsleben verankern wollte. Wie stellen Sie sich das konkret bei einem Konzern vor? Oder anders gefragt: Ist es nicht sogar bedenklich, dass immer mehr Konzerne das Feld der Wirtschaft verlassen und meinen, eine politisch korrekte Agenda verfolgen zu müssen, wie das gegenwärtig Oliver Errichiello kritisiert?

(JGH): In der Volkswirtschaftslehre werden Geldspenden und andere Formen unentgeltlicher Zuwendungen seit langem thematisiert. Das Problem, auf das ich in meinem Buch verweise, besteht darin, dass die Volkswirtschaftslehre nur solche ausdrücklichen Zuwendungen gelten lassen will. Dagegen werden die zahlreichen Nebenwirkungen des menschlichen Handels, die anderen unentgeltliche Vorteile verschaffen, als Marktversagen angesehen. Das halte ich für falsch, und ich erkläre die theoretischen und historischen Wurzeln dieses Irrtums. Dagegen meine ich durchaus nicht, dass Unternehmen dazu angehalten, genötigt oder gezwungen werden sollten, irgendwelchen Leuten Geschenke zu machen, egal ob im Namen ihrer sozialen Verantwortung oder um die Umwelt zu retten. Was ein Unternehmer mit seinem Eigentum macht, ist und bleibt seine eigene Sache. Anders stehen die Dinge im Fall der Vorstände von Kapitalgesellschaften. Diese Damen und Herren sind Angestellte, und sie sind auf Treu und Glauben den Eigentümern, also den Aktionären verpflichtet. Ich sehe nicht, auf Grund welcher Prinzipien sie das Recht haben sollten, eigenmächtig und zweckfremd das Kapital ihrer Firmen zu verschenken.

(RD): Worauf ich hinauswill: Wenn wir anerkennen, dass es keinen kleinsten, gemeinsamen Nenner zwischen „Big Business“ und Moral gibt, müssen wir vielleicht anders herum vorgehen: Liebe und Unentgeltlichkeit werden, wie Sie selbst sagen, vor allem in der Familie kultiviert. Warum lehnen Sie dennoch den Ansatz des christlichen Distributisten Hilaire Belloc ab, „breit verteiltes Eigentum“ zu schaffen? Das Spiel Monopoly funktioniert schließlich auch nur mit einem Startgeld …

(JGH): Es stimmt nicht, dass Großkonzerne im moralischen Niemandsland operieren. Unternehmer sind natürlich mit anderen ethischen Problemen konfrontiert als Zahnärzte, Soldaten und Eltern. Aber sie müssen zahlreiche Ziele gegeneinander abwägen und die Interessen von Partnern, Angestellten, Kunden und Lieferanten berücksichtigen. Selbst wenn sie es wollten, können sie solche Entscheidungen nicht nur im Licht ihrer sofortigen Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung treffen.

Für Hilaire Belloc und seinen Freund Gilbert Chesterton empfinde ich Respekt und Bewunderung. Aber ihr Distributismus beruht auf einer sehr unzureichenden Kenntnis ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Sie haben die Funktionsweise einer freien Marktwirtschaft mit der Funktionsweise eines staatlich gegängelten Wirtschaftssystems verwechselt. Solange Zentralbanken im Geschäft sind und der Wirtschaft reines Zeichengeld aufzwingen dürfen, solange wir also mit anderen Worten dem Geldsozialismus frönen, ähnelt der Wirtschaftsprozess in vieler Hinsicht einem Monopolyspiel. Nun kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass man dann eben alle Jubeljahre einen allgemeinen Schuldenerlass braucht oder eine breite Verteilung von Eigentum mit Hilfe konfiskatorischer Besteuerung. Aber dann stellt sich ein offensichtliches Gerechtigkeitsproblem. Es ist eine schreiende Ungerechtigkeit, beraubt zu werden. Es ist schreiend ungerecht, wenn Politiker aus Macht- und Geldgier dem Markt ein Zentralbankwesen aufdrücken und anschließend mit noch mehr Gewalt die schlimmen Folgen bereinigen, die aus dieser staatlichen Institution entspringen. Es wäre sehr viel einfacher und besser, die Zentralbanken bzw. ihre Monopolrechte abzuschaffen.

Dieser Beitrag ist zuerst in der Ausgabe 21 | März 2024 „Recherche D“ erschienen und wird mit freundlicher Genehmigung hier wiederveröffentlicht.

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Jörg Guido Hülsmann ist Professor für Ökonomk an der Universität Angers in Frankreich und Senior Fellow des Ludwig von Mises Instituts in Auburn, Alabama. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste sowie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Zu seinen umfangreichen Interessen- und Forschungsgebieten zählen Geld-, Kapital- und Wachstumstheorie. Er ist Autor von „Die Wirtschaft und das Untentgeltliche: Kostenlose Güter zwischen Kapitalismus und Staat“(*) (2023),  „Krise der Inflationskultur“(*) (2013), „Ethik der Geldproduktion“(*) (2007) und „Mises: The Last Knight of Liberalism“(*) (2007).

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