Die Moral des Wählens

7. März 2025 – von Michael Wolf

Bereits Ludwig von Mises (1881 – 1973) zeigte sich kritisch im Hinblick auf eine Mehrheitsherrschaft, die nicht von klassisch-liberalem Gedankengut geprägt und getragen ist, wenn er schrieb (1944, „Allmächtiger Staat“, 2023, S. 94 f.):

Der Staat ist eine menschliche Einrichtung, kein übermenschliches Wesen. Wer ‚Staat‘ sagt, meint Zwang und Unterdrückung. … Die Anbetung des Staates ist die Anbetung der Gewalt. … Der Staat kann die Hauptquelle von Unheil und Katastrophen sein und ist es im Laufe der Geschichte auch oft gewesen. …

Die These des Etatismus, die Mitglieder der Regierung und ihre Gehilfen seien intelligenter als das Volk und wüssten besser, was für den Einzelnen gut ist, als er selbst, ist purer Unsinn. …

Auch die Demokratie ist nicht göttlich. … man darf nie vergessen, dass Mehrheiten nicht weniger anfällig für Fehler und Enttäuschungen sind als Könige und Diktatoren. Dass eine Tatsache von der Mehrheit für wahr gehalten wird, beweist nicht ihre Wahrheit. Dass eine Politik von der Mehrheit für zweckmäßig gehalten wird, beweist nicht ihre Zweckmäßigkeit. Die Menschen, die die Mehrheit bilden, sind keine Götter, und ihre gemeinsamen Schlussfolgerungen sind nicht notwendigerweise gottgleich.

Diese Gedanken Ludwig von Mises vorausgeschickt möchte ich mich im Folgenden mit der Moral des Wählens beschäftigen.

Ist Wählen wirklich der Weg zu Frieden und Freiheit? Oft wird uns gesagt, dass es eine Bürgerpflicht ist und ein Grundpfeiler der Demokratie. Doch welche Konsequenzen hat es tatsächlich, wenn wir unsere Stimme abgeben?

Bei den jüngsten US-Wahlen wurde in der Bitcoin-Community energisch für das Wählen plädiert, da der vermeintlich ‚richtige Kandidat‘ versprach, Ross Ulbricht, den Gründer von Silk Road, zu begnadigen. Diese Situation wirft die Frage auf, ob es nicht widersprüchlich ist, sich zu wünschen, dass niemand über dem Gesetz steht, während man gleichzeitig hofft, dass ein Präsident die Macht hat, jemanden zu begnadigen. Dies wirft Zweifel auf, ob Wählen wirklich der moralisch richtige Weg ist.

Aktuell stellt die Präsidentschaft von Javier Milei in Argentinien eine ähnliche Frage: Kann ein Anarchokapitalist in einem politischen Amt seinen Idealen treu bleiben? Wird Milei tatsächlich sein eigenes Amt abschaffen, oder wird er der Macht verfallen, die er als Präsident besitzt? Diese Situation lädt uns ein, das Wählen aus einer neuen Perspektive zu betrachten: nicht nur als Mitbestimmung, sondern als Zustimmung zu bestehenden Machtstrukturen.

Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Handlungen zu überdenken und sicherzustellen, dass sie wirklich mit unseren Idealen von Freiheit und friedlichem Miteinander übereinstimmen.

Wenn du nicht Wählen gehst, brauchst du dich hinterher nicht beschweren!

Wählersprech

In der Diskussion über Wählen wird oft behauptet, dass diejenigen, die nicht wählen, kein Recht haben, sich zu beschweren. Doch diese Aussage wirft tiefgreifende Fragen auf. Bedeutet das, dass Menschen in repressiven Regimen, wie Juden unter Hitler, Chinesen unter Mao oder Russen unter Stalin, die nicht wählen konnten oder wollten, kein Recht auf Beschwerde hatten? Sollten nicht gerade diejenigen, die sich bewusst von einem System distanzieren, das auf Machtverteilung durch Wahlen beruht, das Recht haben, ihre Stimme gegen Unterdrückung zu erheben?

Indoktrination und Loyalität

Patriotische oder nationalistische Gefühle sind nicht von Natur aus gegeben, sondern werden durch Erziehung und Indoktrination anerzogen. Diese Indoktrination führt zu einer unkritischen Loyalität gegenüber dem ‚Land‘ und der herrschenden Klasse. Menschen werden dazu gebracht, das System zu verteidigen, auch wenn es ihre eigenen Interessen untergräbt.

Verdrehung des Begriffs „Land“

Der Begriff Land wird oft romantisch verklärt, doch in Wirklichkeit handelt es sich um das territoriale Herrschaftsgebiet einer bestimmten Klasse von Machthabern. Die Vorstellung, dass man sein Land lieben sollte, ist eine Manipulation, um die Herrschaft der Eliten zu sichern. Anstatt sich auf Freiheit und Gerechtigkeit zu konzentrieren, werden die Menschen angeleitet, einer bestimmten Gruppe von Machthabern treu zu dienen.

Das ‚Krabben-Phänomen‘

Du kannst ja das Land verlassen, wenn es dir hier nicht passt!

Wählersprech

Die Aussage „Wenn es dir hier nicht passt, kannst du ja gehen“, wird häufig nicht von den Herrschenden selbst geäußert, sondern von anderen Mitgliedern der Gesellschaft, die durch Indoktrination gelernt haben, ihre eigene Unterdrückung zu akzeptieren. Ähnlich wie in der Allegorie von  Krabben in einem Eimer, die eine fliehende Krabbe zurückziehen, verteidigen diese Menschen das bestehende System und kritisieren diejenigen, die es infrage stellen. Dieses Verhalten zeigt, wie effektiv die Manipulation durch die herrschende Klasse sein kann, indem sie Loyalität und Verteidigung des Status quo innerhalb der unterdrückten Gruppe selbst verankert.

Vergleich mit dem „Battered Person Syndrome“

Diese Loyalität ähnelt dem ‚Battered Person Syndrome‘[1], besser bekannt als ‚Battered Woman Syndrome‘[2], bei dem ein misshandeltes Opfer seinen Peiniger verteidigt. Die Indoktrination erzeugt ein Trauma-Band, das es den Menschen schwer macht, die Realität ihrer eigenen Unterdrückung zu erkennen. Sie sind bereit, ihre eigenen Rechte aufzugeben, um sich der herrschenden Klasse unterzuordnen.

Verlust der Freiheit

Indem Menschen ihre Loyalität auf die Nation und die Regierung richten, verlieren sie den Fokus auf ihre persönliche Freiheit. Sie sind bereit, ihre eigenen Rechte und Freiheiten zu opfern, um sich einem System zu unterwerfen, das sie letztlich kontrolliert und unterdrückt. Diejenigen, die dieses System hinterfragen, werden oft als Bedrohung angesehen und kritisiert.

‚Komplizenschaft‘ durch Wählen

Hast du jemals darüber nachgedacht, dass deine Stimme bei einer Wahl mehr als nur eine Unterstützung für einen Kandidaten oder eine Partei ist? Sie ist eine Ermächtigung. Indem du wählst, gibst du jemandem das Recht, in deinem Namen zu handeln – und oft bedeutet das auch die Legitimierung, Gewalt auszuüben. Dies führt zu der philosophischen Frage:

Wie kannst du jemandem das Recht geben, Gewalt anzuwenden, wenn du selbst dieses Recht gar nicht besitzt?

„Recht ist, was mir recht ist.“ Wenn es dir nicht recht ist, dass jemand Gewalt oder Zwang über dich ausübt, dann ist Wählen wohl ein ungeeignetes Mittel, um in Einklang mit deinen inneren Werten zu leben.

Wenn du einem Politiker deine Stimme gibst, erlaubst du ihm oder ihr, Gesetze zu verabschieden und Zwang auszuüben. Mit diesen Gesetzen können sie Steuern erheben, Kriege führen oder individuelle Freiheiten einschränken. All dies geschieht unter dem Deckmantel der Legitimität, die du durch deine Stimme gewährt hast. Aber ist es moralisch vertretbar und überhaupt logisch möglich, jemandem das Recht zu geben, über andere zu herrschen, wenn du selbst gar nicht über dieses Recht verfügst?

Wenn du wählst, nimmst du an einem gesellschaftlichen Ritual teil, das impliziert, dass du das Spiel verstehst und akzeptierst. Du zeigst der Welt, dass du damit einverstanden bist, dass, egal wer dieses Spiel gewinnt, er oder sie das moralische Recht hat, nicht nur dich, sondern auch 80 Millionen andere Menschen, die du nicht einmal kennst, mit Gewalt zu dominieren.

[1] Battered Person Syndrome

[2] Battered Woman Syndrome

Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit diesen Themen, lesen Sie das vollständige Essay „Wählen: Ein geeignetes Mittel für Frieden und Freiheit?“ von Michael Wolf, veröffentlicht am 1. Januar 2025 auf Bitcoinlighthouse.de

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Michael Wolf ist Inhaber von bitcoinlighthouse.de. Seit 2021 gibt er Vorträge, Workshops und veranstaltet Meetups zu Bitcoin. Er ist Autor von «Der Bitcoin-Ratgeber für Einsteiger und Aussteiger» (*) und mehreren Publikationen auf verschiedenen Online-Portalen. Sein Ziel ist es, den Menschen zu vermitteln, dass Bitcoin nicht nur ein spekulatives Finanzinstrument ist, sondern vielmehr die bedeutendste Erfindung seit dem Internet.

[(*) Mit * gekennzeichnete Links sind Partner-Links. Kommt über einen solchen Link ein Einkauf zustande, unterstützen Sie das Ludwig von Mises Institut Deutschland, das mit einer Provision beteiligt wird. Für Sie entstehen dabei keine Mehrkosten.]

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Das Ludwig von Mises Institut Deutschland e.V. setzt sich seit Jahren für die Verbreitung der Lehre der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ein. Freiheit gibt es nicht geschenkt, sie muss stets neu errungen und erhalten werden. Bitte unterstützen Sie daher das Ludwig von Mises Institut Deutschland mit einer Spende, damit wir uns weiterhin für unser aller Freiheit einsetzen können!

Spendenkonto:

Ludwig von Mises Institut Deutschland e. V.

IBAN: DE68 7003 0400 0000 1061 78

BIC: MEFIDEMM

Merck Finck A Quintet Private Bank (Europe) S.A. branch

Verwendungszweck: Spende

Titel-Foto: Adobe Stock – bearbeitet

Soziale Medien:
Kontaktieren Sie uns

We're not around right now. But you can send us an email and we'll get back to you, asap.

Nicht lesbar? Text ändern. captcha txt

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen