Der erste libertäre Präsident: Javier Milei

12. Januar 2024 – von Philipp Bagus

Philipp Bagus

Javier Milei ist der erste „liberal-libertäre“ Präsident der Welt. Er bezeichnet sich als Anarchokapitalisten. Seine libertäre Revolution strahlt über Lateinamerika bis nach Europa. Die vor Milei stehenden Aufgaben sind gewaltig. Die Inflation liegt bei 140%. 18,5 Mio. Argentinier sind arm.  Er hat keine Mehrheit im Parlament. Was sind aber seine Ideen, die ihn im peronistischen Argentinien wundersam an die Macht spülen konnten?

In der liberalen Denktradition gibt es verschiedene Strömungen. Gemein ist den liberalen Strömungen, dass sie zivile, politische und ökonomische Freiheiten verteidigen. Ferner setzen die liberalen Strömungen auf freie Märkte und sprechen dem Staat eine geringe Rolle in der Gesellschaft zu. Der Liberalismus stellt sich damit gegen Kommunismus, Nationalsozialismus, wie auch die heutigen Wohlfahrtsstaaten.

Worin unterscheiden sich nun die liberalen Strömungen? Zunächst ist der klassische Liberalismus eines John Locke, Adam Smith oder Wilhelm von Humboldt zu nennen. Der klassische Liberalismus lehnt staatliche Eingriffe in die Wirtschaft ab. Die Freiheit des Individuums ist nicht zu beschränken, auch nicht vom Staat.

Moderne Vertreter des klassischen Liberalismus wollen einen Minimalstaat, der von Ferdinand Lasalle auch abwertend als Nachtwächterstaat tituliert wurde. Ein Minimalstaat ist nur für die Verteidigung der Eigentumsrechte zuständig. Er gewährt innere und äußere Sicherheit durch Polizei, Justiz und Armee. Nur für diesen Zweck sind Steuern legitim. Weder Bildung, Gesundheit, Renten oder Bedürftigenhilfe sind Aufgabe des Staates. Diese Bedürfnisse können besser und billiger im Wettbewerb von der Zivilgesellschaft bereitgestellt werden. Zu den liberalen Vertretern des Minimalstaats zählen Denker wie Ludwig von Mises, Robert Nozick oder Ayn Rand.

Vom klassischen Liberalismus setzt sich der Neoliberalismus ab, der von den Teilnehmern des Colloque Walter Lippmann, einem Treffen von Liberalen in Paris 1938, getauft wurde. Der Neoliberalismus ist Gegner der totalitären Strömungen. Er bekämpft den Sozialismus. Jedoch sieht er den Laissez-faire Ansatz des klassischen Liberalismus, einen Minimalstaat, als nicht zielführend. Vielmehr fordert der Neoliberalismus einen starken Staat, der Rahmenbedingungen setzt und so das ökonomische Leben lenkt. Zudem solle der Staat eine soziale Grundsicherung bereitstellen. Monopol- und Kartellbildung habe er zu untersagen. Die Chicago-Schule und der deutsche Ordoliberalismus sind dem Neoliberalismus zuzuordnen. Klassische Liberale wie der Österreichische Ökonom Ludwig von Mises konnten dem Neoliberalismus wenig abgewinnen. In den 1950er Jahren sagte Mises: „Ich habe mehr und mehr Zweifel daran, ob es möglich ist, mit dem Ordo-Interventionismus in der Mont Pèlerin Society zusammenzuarbeiten.“

Nicht mehr zur liberalen Denkrichtung zählend, ist der amerikanische Liberalism. Denn in den USA wurde der Begriff „Liberalism“ von den Gegnern des Liberalismus usurpiert und bedeutet dort so viel wie Sozialdemokratie. Die Umdeutung des Liberalismus ist ein langer Prozess und geht auf John St. Mill zurück, für den Freiheit nicht nur Abwesenheit von physischem Zwang war, sondern auch Abwesenheit der „Tyrannei“ der öffentlichen Meinung und der Traditionen. Mill stellt sich damit gegen Religion, Tradition und soziale Normen. Dadurch wird der Staat von einer Gefahr für die Freiheit zu ihrem Gewährleister. Er muss Arbeiter und Konsumenten vor der Macht der Unternehmen schützen. Der Liberalism amerikanischer Prägung schafft einen großen Steuer- und Umverteilungsstaat.

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Freiheit gibt es nicht umsonst. Sie muss immer wieder neu errungen und bewahrt werden

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Milton Friedman oder der lange in den USA lebende Friedrich A. von Hayek benutzten in der englischen Sprache daher nicht mehr das Wort „liberal,“ sondern gingen zum Begriff „libertarian“ über. In Europa hat das Wort „liberal“ noch seine ursprüngliche Bedeutung, wenn auch hier immer mehr und mehr Personen den Begriff „Libertäre“ verwenden, um die konsequenteren und radikaleren Liberalen zu beschreiben; also jene, die den Staat radikal beschränken möchten oder jene, die ganz auf ihn verzichten wollen, die sogenannten Anarchokapitalisten.

Die Anarchokapitalisten lehnen die Existenz eines Gewaltmonopolisten grundsätzlich ab. Dafür führen sie ethische und ökonomische Gründe ins Feld. Aus ethischer Sicht erscheint die Initiierung von Gewalt gegen Unschuldige und die Gewaltandrohung zwecks Steuereintreibung nicht rechtfertigbar. Die ökonomischen Überlegungen lauten, dass Monopole, auch bei der Bereitstellung von Sicherheit, zu immer höheren Kosten und geringerer Qualität führen, weil der Monopolist nicht durch Wettbewerber diszipliniert wird, seinen Preis selbst bestimmt und sich nicht an Kundenwünschen zu orientieren braucht.

Geht es nach den Anarchokapitalisten, sollten alle sozialen Beziehungen freiwillig, gewaltfrei und ohne Androhung von Zwang geschehen. Der Staat bedeutet Anwendung systematischen Zwangs ist daher nicht legitim. Er ist eine kriminelle Organisation. Steuern sind Raub. Statt Staat und Zwang wollen die Anarchokapitalisten Markt und Freiheit. Sie wollen nicht, dass Politiker sich anmaßen zu bestimmen, was zu tun ist, und keine Polit-Kaste, die sich bereichert. In der Zivilgesellschaft ist jeder selbst seine Glückes Schmied, dezentral. Vertreter des Anarchokapitalismus sind Murray Rothbard, David Friedman, Jesús Huerta de Soto und Hans-Hermann Hoppe.

Nun lassen sich Liberale indes nicht nur in Neoliberale, klassische Liberale und Anarchokapitalisten unterteilen, sondern auch hinsichtlich ihrer Rechts-Links-Orientierung. Die sogenannten Paleo- oder Rechtslibertären verbinden die libertäre Idee des freien Marktes mit einem kulturellen Konservatismus. Sie sind der Meinung, dass eine freie Gesellschaft neben der Freiheit gewisse kulturelle Werte braucht, um langfristig prosperieren zu können. Paleolibertäre verteidigen Institutionen wie die traditionelle Familie und die Religion, häufig in der Form der katholischen Kirche, die dem Allmachtstreben des Staates Widerstand leisten. Konservative Werte, Moralvorstellungen, Konventionen und Traditionen werden als dem sozialen Zusammenhalt und Wohlstand förderlich angesehen. Rechtslibertäre erkennen, dass die Menschen von Natur aus ungleich sind, was zu natürlichen Hierarchien führt. Politisch empfiehlt der Rechtslibertäre Murray Rothbard daher einen rechten Populismus, wie von mir in JF 37/23 genauer analysiert.

Im Gegensatz dazu stehen die Linksliberalen oder Lifestylelibertären. Sie lehnen traditionelle Hierarchien ab, weil sie die Menschen als fundamental gleich ansehen. Unterschiede zwischen den Menschen seien künstlich. Meist antiautoritär eingestellt, üben sie Kritik an gesellschaftlichen Konventionen. Besonders die Kirche stößt sie ab. Viele Linkslibertäre unterstützen die LGBT- und Frauenbewegungen. Sie sehen sich in erster Linie als Kosmopoliten und stehen dem Nationalstaat kritisch gegenüber. Einem hedonistischen Lebensstyl zugetan schreiben sie die Verteidigung von zivilen Freiheiten, Gleichheit, und Demokratie auf ihre Fahnen. Antidiskriminierungsgesetze, offene Grenzen und das Recht auf Abtreibung finden ihre Unterstützung.

Wo lässt sich nun Milei einordnen? Er bezeichnet sich als philosophischen Anarchokapitalist. Für ihn sind Steuern Raub. Er wettert gegen die Polit-Kaste. Er glaubt an die Individuen, an die spontane Ordnung, Zivilgesellschaft und Selbstregierung. Obzwar er philosophisch und theoretisch ein Anarchokapitalist ist, findet er sich in der Praxis mit all ihren Zwängen und Widerständen mit einem Minimalstaat ab. Daher bezeichnet er sich eben als liberal-libertär. In dieser Tradition steht auch seine Definition des Liberalismus: „Der Liberalismus ist die uneingeschränkte Achtung des Lebensentwurfs anderer, basierend auf dem Grundsatz der Nicht-Aggression, und in Verteidigung des Rechts auf Leben, Freiheit und Privateigentum.“

Sein Programm beinhaltet die Reduzierung und Beseitigung von Steuern, Privatisierungen, die Abschaffung der Zentralbank, freier Währungswettbewerb, Reduzierung von Ministerien und Staatsausgaben, Deregulierung und Freihandel. Milei ist sich bewusst, dass das Ziel des Minimalstaats nicht so schnell zu erreichen ist. Selbst Friedrich v. Hayek und Milton Friedman sprachen sich für eine Mindestsozialhilfe aus. Auch für Milei wird es politisch unmöglich sein, die Sozialhilfe unmittelbar zu privatisieren. Ebenso setzt er im Bildungsbereich zunächst auf staatliche Bildungsgutscheine, die von Friedman in Spiel gebracht worden waren.

Kulturell lässt sich Milei eher dem Paleolibertarismus zuordnen. Zwar fiel er in der Vergangenheit nicht durch den Lifestyle und die Manieren eines konservativen Gentlemans auf. Zudem spricht er offen über liberale Forderungen wie die Drogenfreiheit. Dennoch ist sein Steckenpferd der Kulturkampf. Der Kulturkampf gegen den Kulturmarxismus, gegen die Linke, gegen die „zurdos de mierda.“ Kompromisslos kämpft er gegen Wokeness, Cancel Culture, Privilegien für LGTB-Gruppen und Feministinnen, die Klimahysterie und gegen Abtreibung. Passend dazu ist seine konservative Vize-Präsidentin Viktoria Villarruel Tochter eines hochrangigen argentinischen Militärs. Milei möchte die Straßen sicher machen, sie von Vagabunden und Kriminellen befreien. Und auch die Einwanderung in die sozialen Netze Argentiniens einschränken. All dies ist im Einklang mit dem Rechtslibertarismus. Der Name eines seiner Hunde „Murray“ verdeutlicht seine Nähe zum Paleolibertären Murray Rothbard, dem „Mr. Libertarian“.

Die beste Beschreibung des Argentinischen Präsidenten ist die eines philosophischen Anarchokapitalisten, der sich dem Kulturkampf gegen die Linken verschrieben hat. Mithin ist die Reise Argentinien klar. Ohne Mehrheit im Parlament, mit den Altlasten der vorherigen Regierung und einem bankrotten Staat, bekämpft von Peronisten und Gewerkschaften bläst Milei der Wind ins Gesicht. Es ist nicht klar, wie weit er den Weg des Liberalismus schreiten kann. Ein kultureller Umbruch in Richtung Ideen der Freiheit ist aber bereits geschafft.

Dieser Beitrag ist im Dezember 2023 bei der Jungen Freiheit erschienen.

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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.  Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen. Im Mai 2014 ist sein gemeinsam mit Andreas Marquart geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen” erschienen. Zuletzt erschienen, ebenfalls gemeinsam mit Andreas Marquart: Wir schaffen das – alleine!

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

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Titel-Foto: Javier Milei, Flickr / Ilan Berkenwald (CC BY-SA 2.0)

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