Wie Präsident Milei ein argentinisches „Wirtschaftswunder“ schaffen will

18. Dezember 2023 – von Antony P. Mueller

Antony P. Mueller

Am 10. Dezember 2023 begann in Argentinien eine neue Ära. Bei strahlend blauem Himmel fand die Amtseinführung von Javier Milei statt. Von der internationalen Presse als „rechtsradikaler Populist“ verunglimpft, gewann der 53-jährige Ökonom die Präsidentschaftswahl am 19. November 2023 als politischer Außenseiter mit 56 Prozent der Stimmen. Wie geht es nun weiter mit dem neuen Präsidenten Argentiniens, der sich selbst als Libertärer und Anarcho-Kapitalist bezeichnet?

Warum Milei?

Javier Milei wurde gewählt, weil das argentinische Volk es satthatte, von einer rücksichtslosen politischen Klasse immer weiter in die Verarmung getrieben zu werden. Der starke Anstieg der Preissteigerungsrate auf eine offizielle Jahresrate von über 140 Prozent war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Im Land hat sich ein breiter Konsens über die Notwendigkeit einer Trendwende herausgebildet. Trotz der Vorbehalte, die manche gegenüber der Exzentrik von Javier Milei hegten, hat der Wunsch nach einem Neuanfang bei vielen Wählern den Ausschlag gegeben, vor allem bei jungen Leuten.

Betrachtet man das Regierungsprojekt des neuen Präsidenten und vergleicht es mit der Entwicklung der letzten Jahrzehnte, so muss man eher von einer Rückkehr zur Vernunft als von einem radikalen Programm sprechen. Argentinien wird seit Jahrzehnten von einer politischen Klasse dominiert, die sich zunehmend von den Interessen und Bedürfnissen der Menschen abwendet und in ihrer Blase lebt. Ein riesiges System von Trittbrettfahrern und Günstlingen hat sich um eine Regierung ausgebreitet, die übermäßig mehr an Staatsausgaben verteilt als sie durch Steuern und Abgaben einnimmt. Das schien wegen des immensen Naturreichtums des Landes lange Zeit gut zu gehen. Aber in den letzten zwei Jahrzehnten sind die Übel dieses Systems immer offensichtlicher geworden. Das Land versank immer mehr im Sumpf der Stagflation und die etablierten Parteien fanden keinen Ausweg. Es reicht, „basta„, ist so der Slogan von Javier Milei. Genug ist genug! Die Kassen sind leer: „No hay plata„.

Antrittsrede

Wie Präsident Milei in seiner Antrittsrede betonte, ist die derzeitige Misere in seinem Land das Ergebnis einer Wirtschaft der Verteilung von Privilegien, die sich in Argentinien seit Jahrzehnten ausbreitet. Es formierte sich die ungezügelte Herrschaft einer politischen Klasse, die den Bedürfnissen der meisten Menschen immer weniger Aufmerksamkeit schenkte. Es kamen Parteivertreter an die Macht, die sich immer weniger um die Bedürfnisse des einfachen Mannes kümmerten. Lange Zeit ließen sich viele Argentinier von der leeren Rhetorik der Machthaber blenden, doch die triste Realität wurde immer unleugbarer.

Die alte politische Klasse liegt nun am Boden. Javier Milei hat einen eindrucksvollen Wahlsieg errungen. Im Wahlkampf hatte er als Präsidentschaftskandidat kein Blatt vor den Mund genommen und in zahlreichen Debatten mit starken Worten die herrschende politische Klasse angeklagt. „Carajo“ war eines der feineren Worte, die er benutzte.

In seiner halbstündigen Antrittsrede zur Amtsübernahme am 10. Dezember stimmte Javier Milei als frisch vereidigter Präsident die Argentinier auf schwere Zeiten ein. Es gebe keine Alternative zur Schocktherapie. Bevor es besser werden kann, wird es noch schlimmer werden. Um die Inflation zu bekämpfen, muss das Sozialprodukt schrumpfen. Eine scharfe Anpassungsrezession ist notwendig.

Argentinien wird nicht in der Lage sein, zu seinem früheren Wohlstand zurückzukehren, solange es den linken Kollektivismus nicht für immer ablehnt. Die neue Regierung muss sich mit einem schweren Erbe auseinandersetzen. Das Land steckt nicht nur in einer Krise, sondern tief in einer wirtschaftlichen und sozialen Katastrophe. Nicht nur die Inflation ist außer Kontrolle, sondern auch die Staatsverschuldung. Das Land leidet nicht nur unter wirtschaftlicher Stagnation, auch das Gesundheitssystem ist marode, ebenso wie Bildung und Sicherheit. Erst auf lange Sicht wird sich das Licht am Ende des Tunnels zeigen.

Für Milei gilt es, als Erstes Raum für private Initiative zu schaffen. Er geht davon aus, dass der Aufschwung durch die Kapitalbildung aus privaten Investitionen zustande kommen wird. Dazu müssen Maßnahmen ergriffen werden, die die innere Sicherheit gewährleisten und die Bildung von Humankapital fördern. Der neue Weg, den Milei einschlagen will, unterscheidet sich grundlegend von dem, der seit Jahrzehnten verfolgt wurde. Nicht mehr der Staat, der Kollektivismus und die Herrschaft der politischen Parteien sollen in Argentinien tonangebend sein, sondern die individuelle Freiheit, die persönliche Verantwortung und das private Unternehmertum sollen zum Zuge kommen.

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Freiheit gibt es nicht umsonst. Sie muss immer wieder neu errungen und bewahrt werden

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Programm

Der offizielle „Plan der Regierung Milei“ geht von der These aus, dass der argentinische Staat aufgrund seiner „elefantenartigen Größe“ und wegen des „Gewirrs von Vorschriften“ die Hauptursache für die Verarmung der Argentinier sei. Das Programm des Präsidenten stellt klar, dass die Rolle des Staates nicht darin besteht, sich in jeden Aspekt des menschlichen Lebens einzumischen. Die vornehmliche Aufgabe des Staates muss es sein, die Grundrechte des Einzelnen zu schützen. Der Staat muss schrumpfen, angefangen mit der Regierung. Aus diesem Grund hat die neue Regierung alle Ministerien mit Ausnahme der Ministerien für Wirtschaft, Justiz, Sicherheit, Inneres, Gesundheit, Verteidigung, Auswärtige Angelegenheiten, Infrastruktur und Humankapital abgeschafft.

Reformbereiche

1. Wirtschaftsreformen

Dass Argentinien seit Jahrzehnten stagniert, liegt am vorherrschenden Wirtschaftsmodell, das darauf abzielt, alle wirtschaftlichen Entscheidungen in den Händen von Bürokraten zu zentralisieren. Dieses Modell diente vor allem dazu, die Bürokraten und Politiker zu bereichern. Im Gegensatz zu diesem gescheiterten Ansatz verfolgt der neue Präsident „das Modell der Freiheit: begrenzter Staat, freier Handel und volle Achtung des Privateigentums“.

Konkret werden folgende Reformen in Angriff genommen:

– Drastische Kürzung der öffentlichen Ausgaben um 15% des Bruttoinlandsprodukts.

– Steuersenkungen: Sobald die öffentlichen Ausgaben gekürzt werden, sollen die Steuern gesenkt werden, 90 % der derzeitigen Steuerarten sollen abgeschafft werden.

– Arbeitsmarktreform: Nach der Kürzung der öffentlichen Ausgaben und der Steuersenkung soll der argentinische Arbeitsmarkt grundlegend liberalisiert werden.

– Öffnung des Handels: Sobald die oben genannten Reformen durchgeführt sind, soll eine vollständige Öffnung des Außenhandels folgen.

– Währungsreform: Parallel zu diesen Reformen wird das Projekt der Abschaffung der Zentralbank dazu dienen, die Inflation „für immer“ zu beenden, um den Argentiniern es zu ermöglichen, ihre Geschäfte mit der Währung ihrer Wahl abzuwickeln.

– Energiewende und Investitionsförderung. Um die Energieversorgung zu sichern, sollen wirtschaftliche Subventionen abgebaut und der Sektor für private Investitionen geöffnet werden.

– Agrarreform: Argentinien soll wieder zur „Kornkammer der Welt“ werden.

Um die Korruption auszurotten und die öffentlichen Ausgaben zu senken, sollen die staatlichen öffentlichen Arbeiten vollständig abgeschafft und durch ein privates Initiativprogramm ersetzt werden. Der Wohnungsmarkt sollte durch ein Paket von Verwaltungs- und Finanzreformen angekurbelt werden.

2. Justizreform

Das Programm stellt klar, dass die Justiz in den letzten Jahrzehnten von Politikern vereinnahmt wurde. „Anstatt als Verteidiger der Rechte des Einzelnen zu agieren“, wurde das Rechtssystem dazu ausgenutzt, „Gegner zu verfolgen oder Freunde zu begünstigen.“ Die Justiz erfüllte ihre wesentlichen Funktionen nicht. Die Reform zielt darauf ab, die Justiz zu entpolitisieren und die Grundrechte der Bürger zu verteidigen.

3. Entwicklung des Humankapitals

Die bestehenden Ministerien für Kultur, Soziales und Arbeit werden unter dem Namen „Humankapital“ zu einem neuen Ministerium zusammengeführt. Das Regierungsprogramm sieht unter anderem die Bereitstellung eines Einkommenssicherungsprogramms zur Linderung extremer Armut und zur Bereitstellung von Ernährungsplänen vor.

Die Eltern sollen die Bildungseinrichtung für ihre Kinder frei wählen können und das Bildungssystem sollte auf der Grundlage des Wettbewerbs organisiert sein. Wie die Bildung soll auch das Gesundheitssystem dezentralisiert werden, von angebotsseitigen Subventionen auf nachfrageseitige Subventionen umgestellt werden.

4. Sicherheit und Außenbeziehungen

Angesichts der Tatsache, dass sich die Sicherheitslage in Argentinien in den letzten Jahren stetig verschlechtert hat, ist ein Umdenken notwendig. Der Präsident wolle die Kultur beenden, die sich in Justiz und Politik entwickelt habe, „die die Kriminellen als Opfer und die Opfer als die Täter sieht“.

Das Regierungsprogramm beschreibt die Landesverteidigung als „eine grundlegende und unveräußerliche Verantwortung der Bundesregierung“. Die Streitkräfte sind das Rückgrat der Landesverteidigung und müssen daher in den Augen der Bürger aufgerüstet werden. Weiter steht hierzu im Regierungsplan: „Ein Mensch, der eine argentinische Uniform trägt, ist ein Mensch, der bereit ist, sein Leben für uns zu geben. Sie sollten als Helden betrachtet werden, und wir sollten ihnen jeden Tag für ihren Dienst danken.“

Auf dem Gebiet der auswärtigen Beziehungen sowie in den verschiedenen Zweigen der Regierung soll eine neue Doktrin der auswärtigen Beziehungen gelten, wonach alle liberalen Demokratien der Welt uneingeschränkt zu verteidigen sind und der freie Handel zwischen den Nationen zu fördern ist.

Ausblick

Ob Milei sein Programm in die Tat umsetzen kann, hängt nicht nur von ihm ab. Obwohl die argentinische Verfassung dem Präsidenten beträchtliche Befugnisse einräumt, kann er keine Politik gegen die Politik machen, sondern nur mit der Politik. Er ist gezwungen, mit dem Kongress zu kooperieren und Teil des politischen Spiels zu werden. Er wird beträchtliche Teile seines libertären Glaubensbekenntnisses opfern müssen. Schon jetzt beinhaltet Mileis Programm mehr Aspekte eines „Argentinien wieder groß machen“, als den Anarcho-Kapitalismus zu etablieren.

Die Legislative in Argentinien besteht aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus. Mileis Parteienbündnis „La Libertad Avanza“ (Die Freiheit schreitet voran) hat noch keine Sitze im mächtigen Senat, der aus 69 Mitgliedern besteht, die von den Parlamenten der Bundesstaaten (die sog. „Provinzen”) für eine Amtszeit von neun Jahren gewählt werden. Das Repräsentantenhaus besteht aus 259 direkt gewählten Mitgliedern. Hier hat das Wahlbündnis von Milei lediglich 9 Sitze. Im Zuge seiner Regierungsbildung hat Milei durch die Einbeziehung anderer Parteien seine parlamentarische Basis erweitert.

Die argentinische Verfassung stammt aus dem Jahr 1853 und ist formell immer noch gültig. Das Präsidialsystem ist stark von der amerikanischen Verfassung geprägt und basiert formal auf der Gewaltenteilung. Allerdings ist in Argentinien die Position der Judikative als Gegenmacht zur Exekutive schwächer als die des Obersten Gerichtshofs der USA. Die argentinische Justiz ist hoch politisiert und ihre Mitglieder wurden von den früheren Regierungen ausgewählt. Milei wird bei diesem Machtblock kaum Unterstützung finden.

Die politische Konstellation in ihrer jetzigen Form macht das argentinische Volk zum wichtigsten politischen Verbündeten von Javier Milei und seiner Regierung. Der Wille zur Veränderung ist in der Bevölkerung virulent. Insofern ist das Bündnis des neuen Präsidenten keine Minderheitsbewegung. Seit seinem Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im November ist die Unterstützung für ihn sogar noch gestiegen. Doch wird die Bevölkerung bereit sein, die Kosten der „ajuste“ (Anpassung) zu tragen – die Härten, die mit der Schocktherapie des Präsidenten einhergehen werden? Als erste Bewährungsprobe für den neuen Präsidenten steht die Herausforderung an, die derzeitige Preisinflation ohne Massenarbeitslosigkeit zu senken.

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Antony Peter Mueller ist promovierter und habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg, wo er von 1994 bis 1998 das Institut für Staats- und Versicherungswissenschaft in Erlangen leitete. Antony Mueller war Fulbright Scholar und Associate Professor in den USA und kam im Rahmen des DAAD-Austauschprogramms als Gastprofessor nach Brasilien.

In deutscher Sprache erschien 2023 sein Buch „Technokratischer Totalitarismus. Anmerkungen zur Herrschaft der Feinde von Freiheit und Wohlstand“. 2021 veröffentlichte Antony P. Mueller das Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ (KDP 2021).  2018 erschien sein Buch „Kapitalismus ohne Wenn und Aber. Wohlstand für alle durch radikale Marktwirtschaft“  (Überarbeitete Neuausgabe KDP 2021).

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

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