Die Doppelmoral der Ökosozialisten und Halbasketen: Verzichten sollen die anderen!

Hundert Jahre „Die Gemeinwirtschaft“ von Ludwig von Mises

Teil 10

Antony P. Mueller

27. März 2023 – von Antony P. Mueller

Dies ist der zehnte Teil der Artikelreihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. In dieser und den nachfolgenden Artikeln folgen wir der zweiten umgearbeiteten Auflage von 1932.

Als rein wissenschaftliche Lehre müsste der Marxismus wertneutral sein. Aber schon bei Karl Marx kommt immer wieder der auch seine Nachfolger kennzeichnende „Ressentiment-Sozialismus“ zum Durchbruch.

Produktivität und Sittlichkeit

Für die Marxisten steht die Ausgangsthese von vornherein fest und wird nicht hinterfragt, dass der Kapitalismus an sich schlecht sei und dass der Sozialismus die Welt verbessern würde. Dies wird ergänzt durch das Heilsversprechen, dass der Sozialismus eine historische Notwendigkeit sei und die Gläubigen das Paradies auf Erden erwarte.

Die bis heute anhaltende Wirkkraft des Sozialismus besteht in diesen Versprechen, dass erstens der Sozialismus geschichtsnotwendig kommt und, zweitens, dass es dadurch zu einer besseren und gerechteren Versorgung mit Gütern kommt. Je nach den Umständen wird dann im politischen Kampf der eine oder andere Punkt in den Vordergrund gestellt.

Daraus folgt für die Anhänger dieser Lehre, dass der Gegner des Sozialismus ein Reaktionär ist, der unwissenschaftlich denkt und Ungerechtigkeiten perpetuieren will. Daraus folgt: Der Sozialist ist gutwillig und progressiv, der Gegner des Sozialismus ist böswillig und rückständig.

Die Doktrin der Sozialisten ist inhärent widersprüchlich. Als apodiktische Ethik verlangt die Lehre unbedingte Geltung und tritt mit ihren entsprechenden Normen von außen her an die irdischen Verhältnisse heran, um sie – unbekümmert um die Folgen – in ihrem Sinne umzugestalten. Deshalb sind auch konstruktive Auseinandersetzungen mit den Sozialisten kaum möglich.

Wer das Sittliche als letzte Tatsache hinstellt und die wissenschaftliche Prüfung seiner Elemente durch den Hinweis auf einen transzendenten Ursprung abschneidet, mit dem kann man nie ins Reine kommen, wenn man auch das Gerechte in den Staub der wissenschaftlichen Analyse herabzieht. (S. 365)

Wie Ludwig von Mises betont, kann nur der isoliert gedachte Mensch alle seine Ziele nach seinem eigenen Gesetz festsetzen. Demgegenüber muss der in Gesellschaft lebende Mensch stets in seinem Handeln darauf achten, dass er in einer Gesellschaft lebt. Als ein Gesellschaftsmensch muss der Einzelne in seinem Handeln notwendigerweise auch den Bestand und die Fortentwicklung der Gesellschaft bejahen.

Aus dem Grundgesetz des gesellschaftlichen Zusammenlebens folgt, dass der Einzelne die Gesellschaft nicht deswegen bejaht, um Ziele zu erreichen, die außerhalb des Zwecksystems seiner eigenen Person liegen. Vielmehr macht er die gesellschaftlichen Zwecke zu seinen eigenen. Dabei ordnet er nicht seine Persönlichkeit und seine Wünsche einer anderen, über ihm stehenden, höheren Persönlichkeit unter. Als ein in der Gesellschaft lebendes Individuum verzichtet er nicht auf die Erfüllung eigener Wünsche zugunsten derer einer wie immer vorgestellten Allgemeinheit.

Der Einzelne, als Individuum

muss die Gesellschaft bejahen, weil das gesellschaftliche Zusammenleben ihm selbst eine bessere Erfüllung seiner eigenen Wünsche gewährleistet. Würde er sie verneinen, so würde er sich nur vorübergehende Vorteile schaffen können, in letzter Linie müsste er durch die Zerstörung des gesellschaftlichen Körpers auch sich selbst schädigen. (S. 365/366)

Vom Standpunkt seiner Wertung aus betrachtet, sind für das Individuum die gesellschaftlichen Ziele nicht Endziele, sondern Zwischenziele in der eigenen Rangordnung.

Egoismus und Altruismus

In dieser Perspektive gibt es keinen Dualismus zwischen egoistischen und altruistischen Motiven. Eine solche Gegenüberstellung von Egoismus und Altruismus im Handeln verkennt das Wesen der Verknüpfung zwischen Individuum und Gesellschaft. Der Einzelne steht erfreulicherweise nicht vor der Wahl, durch sein Tun und Lassen entweder sich selbst oder seinen Mitmenschen zu dienen. Wenn das so wäre, könnte es Gesellschaft überhaupt nicht geben. Vielmehr ergibt sich aus der Grundtatsache des Gesellschaftslebens, dass zwischen Handeln zu individuellen Gunsten und Handeln zugunsten der anderen kein Gegensatz besteht, sondern eine harmonische Beziehung. Aus der Tatsache, dass die Grundlage der Gesellschaft auf der Wirkung der Arbeitsteilung beruht, folgt, dass die Interessen der verschiedenen Einzelnen letzten Endes zusammenfließen.

Der Einzelne, der nicht nur als denkendes, wollendes und fühlendes Wesen, also als Mensch, sondern auch als Lebewesen überhaupt Produkt der Gesellschaft ist, kann die Gesellschaft nicht verneinen, ohne auch sein eigenes Selbst zu verneinen. (S. 366)

Liberalismus ist nicht „staatsfeindlich“. Eine Zwangsgewalt muss existieren, damit die Rechtsnormen eingehalten werden und dafür gesorgt wird, dass das Recht auf Sondereigentum an Produktionsmitteln gewahrt bleibt. Der Liberalismus richtet sich gegen den Etatismus und die anderen Formen der Staatsverherrlichung. Anders als der Etatismus, der vom Staat ausgehend denkt, schließt der Liberalismus vom Individuum auf die Gesellschaft und von der Gesellschaft auf den Staat.

Der Liberalismus richtet sich gegen den Etatismus und die anderen Formen der Staatsverherrlichung. Anders als der Etatismus, der vom Staat ausgehend denkt, schließt der Liberalismus vom Individuum auf die Gesellschaft und von der Gesellschaft auf den Staat.

Weil die Liberalen für die Aufrechterhaltung des Sondereigentums an den Produktionsmitteln sind, verlangen sie, dass der staatliche Zwangsapparat auf diesen Grundsatz eingestellt wird. Der Liberalismus will den Staat nicht abschaffen, vielmehr ist die Funktion des Staatsapparats Bestandteil des Gesellschaftsbildes des Liberalismus. Dem Staat ist die Aufgabe zugewiesen, das Sondereigentum an Produktionsmittel zu gewährleisten, für die Sicherheit des Lebens und des Eigentums Sorge zu tragen. Dieser Grundsatz schließt mit ein, dass eine darüberhinausgehende Staatstätigkeit ungerechtfertigt ist.

Der normative Prüfstein für die Ethik wird so nicht von außen an die Gesellschaft herangetragen, sondern anerkennt den eudämonistischen Charakter aller ethischen Wertungen (von Griechisch „eu-daimonia“: von gutem Geist). Das Sittliche steht nicht außerhalb der Wertskala des Nützlichen, die alle Lebenswerte umfasst:

Wer eine Handlung als gut oder böse bezeichnet, tut dies, da Handeln nie Selbstzweck, vielmehr immer Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke ist, stets nur mit Rücksicht auf die Folgen der Handlung. Die Handlung wird nach der Stellung beurteilt, die sie im Kausalsystem von Ursache und Wirkung hat. Sie wird als Mittel gewertet. Für den Wert des Mittels ist die Wertung des Zweckes ausschlaggebend. Die ethische Wertung geht wie alle Wertung von der Wertung der Zwecke, der Güter, aus. Der Wert der Handlung ist vom Wert des Zweckes, dem sie dient, abgeleitet. Gesinnung wieder hat Wert, insofern sie zum Handeln führt. (S. 368)

Das eudämonistische Prinzip des Utilitarismus besagt, dass jeder zunächst selbst zu leben wünscht. Eine solche Haltung stört keineswegs das Zusammenleben, sondern sie fördert es, weil die höchste Entfaltung des Einzellebens nur in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft möglich ist.

Mit der eudämonistischen Motivation ist es durchaus in Einklang zu bringen, dass der Einzelne sittlich handelt und gesellschaftswidrige Handlungen unterlässt, obwohl sie ihm auf kurze Sicht nützlich erscheinen mögen.

Die utilitaristisch-eudämonistische Lehre des Liberalismus besagt,

dass die Aufrechterhaltung und Fortentwicklung der gesellschaftlichen Verknüpfung der Individuen im höchsten Interesse jedes Einzelnen gelegen ist, sodass das Opfer, das der Einzelne bringt, um gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen, nur ein vorläufiges ist; ein kleinerer unmittelbarer Vorteil wird hingegeben, um einen unverhältnismäßig größeren mittelbaren Vorteil dafür einzutauschen. So fallen Pflicht und Interesse zusammen. (S. 372)

Als „Egoist“ mit Verstand und mit der Fähigkeit zu eigenem Denken und Urteilen wird der Einzelne gesellschaftsfördernd handeln. Andres jedoch, wenn er von feindseligen, sozialistischen Ideen besetzt ist, die ihn die anderen als Gegner sehen lassen.

Als „Egoist“ mit Verstand und mit der Fähigkeit zu eigenem Denken und Urteilen wird der Einzelne gesellschaftsfördernd handeln. Andres jedoch, wenn er von feindseligen, sozialistischen Ideen besetzt ist, die ihn die anderen als Gegner sehen lassen.

Ökosozialismus und Askese

Für die Altmarxisten gehörte die Verbesserung der materiellen Lebensumstände zu den vorzüglichen Zielsetzungen des Sozialismus. Mit dem Sozialismus soll es nicht nur Gerechtigkeit geben, sondern auch eine bessere Versorgung mit Gütern. So wie im Hinblick auf die Vermögensverteilung unterscheiden sich die Neomarxisten auch bei dieser Frage von ihren Vorgängern. Je mehr deutlich wurde, dass der Kapitalismus eine Fülle an Wohlstand für die Massen mit sich bringt, begannen die Sozialisten den „Konsumterror“ anzuprangern.

Es dauerte nicht lange und die kulturmarxistische Wende führte zur neuen Verzichtskultur der ökologisch-sozialistischen Bewegung. Die ökologisch-sozialistische Bewegung gleicht den in der Geschichte immer wieder auftretenden Wellen von sozialen Bewegungen, die den Reichtum geringschätzen und Verzicht fordern. Sozialismus erscheint in einem grünen Gewand. Indem man den Reichtum ablehnt, will man den Kapitalismus treffen. Jetzt ist der Kapitalismus nicht mehr schlecht, weil er anscheinend nicht genug Reichtum schafft, sondern der Kapitalismus wird auf die Anklagebank gesetzt, gerade weil er die Massen bereichert.

Die ökologisch-sozialistische Bewegung gleicht den in der Geschichte immer wieder auftretenden Wellen von sozialen Bewegungen, die den Reichtum geringschätzen und Verzicht fordern. Sozialismus erscheint in einem grünen Gewand.

Als hätte Mises 1922 die vom heutigen „Ökologismus“ beziehungsweise Ökosozialismus ausgehende Verzichtskultur bereits geahnt, stellt er fest, dass die asketische Moral nie zum allgemein verbindlichen Grundsatz des Lebens erhoben werden kann. Der Asket, der folgerichtig handelt, scheidet freiwillig aus der Welt, er verlässt die Gesellschaft. Die Askese als allgemeines Gesetz des Handelns würde die Selbstvernichtung des Menschengeschlechtes bedeuten.

Das Ideal der Askese ist das Ideal des freiwilligen Todes. Dass es keine Gesellschaft gibt, die auf dem Grundsatz allgemeiner Askese aufgebaut ist, braucht nicht erst näher erklärt zu werden. Die Askese wirkt gesellschafts- und lebensvernichtend. (S. 374)

Die Prediger des Verzichts ziehen allerdings selten die letzte Konsequenz aus ihrer Moralforderung. Sie scheiden nicht freiwillig durch Selbstmord aus der Gesellschaft aus, sondern leben weiter auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung. Um sich als Bettelmönch oder ökosozialistischer Aktivist durchs Leben schlagen zu können, brauchen sie eine Gesellschaft, die den materiellen Unterhalt bereitstellt, den sie sich – religiös verbrämt – durch Betteln oder – heute verbreiteter – politischen Zwang zu holen versuchen.

Die Doppelmoral der Verzichtsprediger besteht darin, dass sich die Ethik aufspaltet in die scheinbar „Guten“, die Verzicht üben – oder auch nur predigen –, und die Werktätigen, die insofern geduldet werden, wie sie die vorgeblich Verzichtübenden unterstützen. Mit dieser Zweiteilung der Moral muss die Philosophie der Askese allerdings darauf verzichten, das Leben zu beherrschen. Sie dankt als Gesellschaftsethik ab. Der einzige Anspruch, den sie noch zu erheben vermag, ist der, durch milde Gaben den (Schein-)Heiligen die Fortfristung ihres Daseins zu ermöglichen.

Die Doppelmoral der Verzichtsprediger besteht darin, dass sich die Ethik aufspaltet in die scheinbar „Guten“, die Verzicht üben – oder auch nur predigen –, und die Werktätigen, die insofern geduldet werden, wie sie die vorgeblich Verzichtübenden unterstützen.

Aber selbst vom Standpunkt der asketischen Ethik aus, wenn sie folgerichtig zu Ende gedacht wird, kommt man nicht umhin, den Sozialismus abzulehnen. Gerade weil sie Askese üben wollen, benötigen die Verzichtprediger ein Wirtschaftssystem höchster Produktivität, also eine auf dem Sondereigentum an Produktionsmitteln beruhende Gesellschaft.

Auch vom asketischen Standpunkt kann man daher sozialistische Produktionsweise nicht über kapitalistische stellen … Die Askese mag Beschränkung der Tätigkeit zur Bedürfnisbefriedigung empfehlen, weil sie allzu behagliche Lebensweise verabscheut. Doch sie kann innerhalb der Grenzen, die sie der Bedürfnisbefriedigung lässt, nichts anderes für richtig ansehen als das, was die rationelle Wirtschaft fordert. (S. 376)

Auch wenn man den Forderungen der Asketen, der „Halbasketen“ oder der Ökosozialisten folgen möchte, wäre damit noch lange nicht zugegeben, dass man die sozialistische Produktionsweise der kapitalistischen vorziehen müsse. Gerade weil der Kapitalismus die höchstmögliche Produktivität erzielt, erlaubt er die Reduktion der Arbeitszeit. Es braucht nicht den Sozialismus, um den Güterüberfluss zu vermindern. Jeder, der das will, kann im Kapitalismus nach seiner Façon Verzicht üben.

Es braucht nicht den Sozialismus, um den Güterüberfluss zu vermindern. Jeder, der das will, kann im Kapitalismus nach seiner Façon Verzicht üben.

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Dies war der zehnte Teil der Artikelreihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. Den neunten Teil finden Sie hier.

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Dr. Antony P. Mueller ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor der Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br). Vor kurzem erschien sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ . Kontakt: antonymueller@gmail.com

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