Wieso Demokratie ohne Liberalismus und Eigentum nicht zur Selbstbestimmung führen kann

Hundert Jahre „Die Gemeinwirtschaft“ von Ludwig von Mises

Teil 2

16. Dezember 2022 – von Antony P. Mueller

Antony P. Mueller

Dies ist der zweite Teil der Artikelreihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. In dieser und den nachfolgenden Artikeln folgen wir der zweiten umgearbeiteten Auflage von 1932.

„Sozialismus“ ist die Überführung der Produktionsmittel aus dem Sondereigentum in das Eigentum einer organisierten Gesellschaft als Eigentum des Staates. Der sozialistische Staat wird zum Eigentümer der sachlichen Produktionsmittel und damit zum Leiter der gesamten Produktion.

Privat- und Gemeinschaftseigentum

Eine besondere Differenzierung zwischen ,,Kommunismus” und ,,Sozialismus” ist unerheblich. Der entscheidende Punkt ist, dass beide die Vergesellschaftung der Produktionsmittel anstreben. (S. 30)

Sozialismus gibt es nicht erst, wenn die formelle Übertragung des Eigentums an den Staat vollzogen ist. Auch wenn die Befugnisse des Eigentümers beschränkt werden, liegt Sozialisierung vor. Der moderate Weg zum vollen Sozialismus läuft über den Schleichweg der Auflösung der Eigentumsrechte. Die teilweisen Einschränkungen des Eigentums bahnen den Weg zum Kommunismus.

Wenn ihm die Verfügungsmöglichkeit stückweise genommen wird, indem der Staat sich immer mehr Einfluss auf die Bestimmung der Richtung und der Art der Produktion sichert und von dem Ertrag der Produktion einen immer größeren Anteil heischt, so wird dem Eigentümer immer mehr und mehr entzogen, bis ihm schließlich nur der leere Name des Eigentums bleibt, das Eigentum selbst aber ganz in die Hände des Staates übergegangen ist. (S. 31)

Wirtschaftlich geht es beim Eigentum im ökonomischen Sinne um „das natürliche Haben“, also den Besitz, die tatsächliche Kontrolle über eine Sache oder einen Teilaspekt hiervon. Das Eigentum als das rechtliche „Habensollen“ tritt nur unterstützend hinzu. Das

rechtliche Habensollen liegt allein in der Unterstützung, die es der Erlangung, Erhaltung und Wiedergewinnung des natürlichen Habens leiht. (S. 11)

Beim Eigentum in diesem wirtschaftlichen Sinne kann unterschieden werden zwischen dem Eigentum an Genussgütern und dem Eigentum an Produktivgütern. Schon aufgrund der Tatsache des Habens ist es sinnlos, an die Beseitigung des Eigentums an Verbrauchsgütern zu denken, da ja die sogenannten Konsum- oder Genussgüter beim Verbrauch aufgezehrt werden. Miteigentum mehrerer Menschen, das Gemeineigentum aller ist bei Genussgütern ausgeschlossen.

Das, was man als Gütergemeinschaft zu bezeichnen pflegt, kann in Bezug auf die Genussgüter immer nur eine Gemeinschaft vor dem Genuss sein; sie wird jedes Mal in dem Augenblick gesprengt, in dem ein Gut dem Verbrauche oder Gebrauche zugeführt wird.  (S. 13/14)

Ein anderer Sachverhalt liegt bei den Produktionsgütern vor. Hier ist das Eigentum teilbar. In der arbeitsteiligen Wirtschaft erfährt das Produktiveigentum eine weitere Differenzierung. Der in den Markt einbezogene Eigentümer der Produktionsmittel bestimmt zwar unmittelbar den Mitteleinsatz, aber nicht die Richtung der Produktion, denn darüber entscheiden mittelbar die Verbraucher. Die Konsumenten setzen der Wirtschaft das Ziel. (S. 15) Denn wenn die Konsumenten über die bezahlten Preise nicht den gesamten Aufwand der Produzenten vergüten, machen Letztere Verluste bis hin zur Insolvenz, sodass das Kapital dann – aus Sicht der Konsumenten – in bessere Hände gelangt.

Der moderate Weg zum vollen Sozialismus läuft über den Schleichweg der Auflösung der Eigentumsrechte.

In der modernen Marktwirtschaft übernehmen Unternehmer also die Leitung der Produktionsprozesse und führen, wenn sie erfolgreich sein wollen, die Unternehmungen nach den Wünschen der Verbraucher. Diese Konsumenten sind ihrerseits keine anderen Personen als die Eigner der Produktionsmittel selbst, nämlich Kapitalbesitzer, Grundbesitzer und Arbeiter. Jedem Faktor fällt dabei jener Teil zu, der ihm gemäß seiner produktiven Mitwirkung am Erfolg ökonomisch zugerechnet wird.

In der arbeitsteilenden Gesellschaft ist niemand ausschließlicher Eigentümer der Produktionsmittel, der sachlichen sowohl als auch der persönlichen, der Arbeitskraft. Alle Produktionsmittel stehen im Dienst der Gesamtheit der am Marktverkehr teilnehmenden Menschen. (S. 16)

Eigentum an den Produktionsmitteln ist die unmittelbare Verfügungsmöglichkeit.  Alles Eigentum leitet sich ursprünglich von Okkupation und tatsächlicher Gewalt her (Gewalt hier im Sinne von „etwas in seiner Gewalt haben“, sich einer Sache bemächtigen). Als natürliches, rechtsfreies Eigentum wird es so lange faktisch geduldet, wie es nicht von jemanden, der über mehr Macht und Gewalt verfügt, „umgestoßen“ beziehungsweise aufgehoben wird.

Zur rechtlichen Anerkennung des Eigentums kommt es, wenn die tatsächlichen Besitzverhältnisse als erhaltenswert gelten. Aus Gewalt wird dann Recht. (S. 17)

Rechtsordnung

Die Bedeutung der Rechtsordnung ist im Liberalismus und im Sozialismus verschieden, auch wenn beide gleichermaßen die Notwendigkeit für eine Rechtsordnung anerkennen.

Im Sinne Ludwig von Mises‘ ist der Liberalismus (im Unterschied zum Anarchismus) nicht „staatsfeindlich“. Die Stellung des Liberalismus zum Staat ist in Bezug auf das Sondereigentum an Produktionsmitteln zu sehen. Der Liberalismus will das Sondereigentum an den Produktionsmitteln und muss folgerichtig alles ablehnen, was ihm entgegensteht. (S. 31)

Der Sozialismus hingegen ist ständig darauf aus, das Gebiet, das die Zwangsordnung des Staates regelt, zu erweitern:

Der Sozialismus hebt die staatliche Rechtsordnung mit ihrem Zwang nicht auf; er dehnt sie im Gegenteil auf ein Gebiet aus, das der Liberalismus staatsfrei lassen will. (S. 31/32)

Die Sozialisten behaupten, ihre Lehre würde dem Gemeinwohl dienen. Aber diesen vermeintlichen Gegensatz zwischen dem Allgemeininteresse des Ganzen (der Gesellschaft) und den Sonderinteressen des Einzelnen gibt es nicht. Vielmehr herrscht gesellschaftliches Zusammenwirken von Menschen, weil es eine Verträglichkeit der Interessen der einzelnen Individuen untereinander gibt. Sobald man erkannt hat, dass die gesellschaftliche Bindung dem Einzelnen mehr gibt, als sie ihm nimmt, löst sich der Gegensatz zwischen Eigeninteresse und Gesamtwohl auf. (S. 42/43)

Die gesellschaftliche Zusammenarbeit, das Wirtschaften verlangt Beständigkeit der Verhältnisse. Wirtschaft ist ein weitausgreifendes, zeitraubendes Beginnen, das umso erfolgreicher ist, auf je größere Zeitspannen es eingestellt ist.

Wirtschaft verlangt endlose Kontinuität, die ohne tiefsten Schaden nicht gestört werden kann. Das heißt: Wirtschaft fordert Frieden, Ausschluss von Gewalt. (S. 19)

Deshalb ist nicht Krieg der Vater aller Dinge, sondern der Frieden. Nur durch wirtschaftlichen Austausch und durch Arbeit entsteht der Wohlstand.

Arbeit, nicht Waffenhandwerk bringt den Völkern Glück. Der Frieden baut auf, der Krieg reißt nieder. (S. 45)

Demokratie ist also mit dem Liberalismus nicht nur vereinbar, sondern beide gehören wesensnotwendig zusammen, wenn Demokratie nicht nur ein formales Abzählprinzip bedeuten soll. Weil sie den überwiegenden Nutzen des Friedens erkennen, sind die Völker friedfertig. Es ist die politische Herrschaft, die den Krieg will. Der Herrschaftsmächte wollen den Krieg, weil sie dadurch Macht und Reichtum zu erringen hoffen.

Es ist die Aufgabe der Völker, den Kriegsgelüsten der Regierenden Einhalt zu gebieten. Um den Frieden zu bewahren, müssen die Bürger die Bereitstellung der Mittel zur Kriegsführung verweigern. Der Liberalismus will den Schutz des Privateigentums und verwirft so unmittelbar auch den Krieg. (S. 46)

Demokratie bedeutet die Selbstherrschaft des Volkes. So wie der Frieden nach Außen dient die Demokratie im Innern dazu, die Revolution abzuwehren. (S. 50)

Ludwig von Mises sieht eine Rolle für den Berufspolitiker, indem er davon ausgeht, dass auch in der Politik Arbeitsteilung möglich ist. Allerdings ist es wichtig, dass in der Demokratie der Politiker in Abhängigkeit von der Volksmehrheit bleibt. Das demokratische Prinzip erfordert, dass der Politiker so gebunden ist, dass er nur das durchführen kann, wofür er die Mehrheit gewonnen hat. (S. 51) Für Mises ist zur Rechtfertigung der Demokratie nicht der Aspekt der „Repräsentation“ entscheidend, sondern dass dem demokratischen Prinzip dadurch Genüge getan wird, dass die Bürger den Politiken den Auftrag zur politischen Tätigkeit entziehen können.

Nicht dass jeder selbst Gesetze schreibt und verwaltet, macht das Wesen der Demokratie aus, sondern dass Gesetzgeber und Regierende vom Volkswillen in der Weise abhängig sind, dass sie friedlich gewechselt werden können, wenn sie sich in einen Gegensatz zu ihm gestellt haben. (S. 51)

Auch wenn in der Demokratie der Staat formell die Rechtshoheit hat, wäre es verkehrt, daraus abzuleiten, die Befugnisse des Staates seien auch in materieller Hinsicht unbegrenzt. Vielmehr ist es so, dass Demokratie überhaupt nur Sinn ergibt, wenn sie mit dem Liberalismus verbunden ist. Der Liberalismus ist eine Bedingung für die Demokratie, wenn man unter Demokratie nicht nur das Mehrheitsprinzip versteht, sondern auch und gerade die Selbstbestimmung in Abgrenzung zur Fremdbestimmung:

Demokratie ist ohne Liberalismus eine hohle Form. (S. 53)

Zum Liberalismus in diesem Sinn gehört auch die Gleichheit vor dem Gesetz, aber nicht die durch den Staat erzwungene Gleichheit der Einkommen und Vermögen. Gleichheit im Sinne von „gleiche Freiheiten für alle“ und sozialistische Gleichstellung stehen sich also antagonistisch gegenüber.

Die Massen sind leicht für diese [sozialistische] Gleichheit anzuwerben. Hier liegt ein dankbares Betätigungsfeld für Demagogen. Wer gegen die Reichen auftritt, wer immer wieder das Ressentiment der Wenigerbemittelten zu erwecken sucht, kann auf großen Zulauf rechnen. Die Demokratie schafft nur die günstigsten Vorbedingungen für die Entfaltung dieses Geistes, der verborgen immer und überall vorhanden ist. Das ist die Klippe, an der alle demokratischen Staatswesen bisher zugrunde gegangen sind. Die Demokratie unserer Zeit ist auf dem besten Wege, ihnen zu folgen. (S. 55)

Demokratie ist also mit dem Liberalismus nicht nur vereinbar, sondern beide gehören wesensnotwendig zusammen, wenn Demokratie nicht nur ein formales Abzählprinzip bedeuten soll. Ganz im Unterschied zum Marxismus, für den die Demokratie nur als Steigbügel dient, eine autoritäre Staatsform einzuführen.

Demokratie ist also mit dem Liberalismus nicht nur vereinbar, sondern beide gehören wesensnotwendig zusammen, wenn Demokratie nicht nur ein formales Abzählprinzip bedeuten soll.

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Dies ist der zweite Teil der Artikelreihe zu Ludwig von Mises‘ Buch „Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. Den ersten Teil finden Sie hier.

Dr. Antony P. Mueller ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor der Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br). Vor kurzem erschien sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ . Kontakt: antonymueller@gmail.com

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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