Wieso der Sozialismus nichts mit Wissenschaft zu tun hat, sondern mit der inneren Haltung seiner Anhänger

Hundert Jahre „Die Gemeinwirtschaft“ von Ludwig von Mises

Teil 1

Antony P. Mueller

5. Dezember 2022 – von Antony P. Mueller

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Im Jahre 1922 erschien erstmals Ludwig von Mises‘ Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus. Auf mehr als fünfhundert Seiten bietet der prominenteste Vertreter der Österreichischen Schule eine umfassende Darstellung und tiefgreifende Analyse des „sozialistischen Phänomens“. Trotz aller Katastrophen, die mit dem Versuch, den Sozialismus zu verwirklichen, bis heute verbunden sind, hat diese Ideologie wenig von ihrer Anziehungskraft eingebüßt. Nach wie vor ist die moderne Zivilisation durch das sozialistische Denken und die daraus folgende Politik bedroht. Der Marxismus vergiftet zuerst die Köpfe, erfasst dann die Politik, um schließlich als Herrschaftsmacht zerstörerisch in Erscheinung zu treten. Deshalb ist es so wichtig, die geistigen Grundlagen des Sozialismus zu begreifen. Es gibt keine bessere Grundlage dafür als „Die Gemeinwirtschaft“ von Ludwig von Mises.

Teil 1: Warum der Sozialismus triumphierte

Wiedererweckung des Sozialismus durch Karl Marx

„Um die Mitte des 19. Jahrhunderts schien die Idee des Sozialismus abgetan.“ (Die Gemeinwirtschaft, Vorwort S. III). Die ihm zugrundeliegenden Denkfehler waren entlarvt. Die praktischen Versuche waren gescheitert. Aber dann kam Karl Marx (1818-1883) und schuf das Denkgebäude des Marxismus als „Antilogik, Antiwissenschaft und Antidenken“ (Mises, Gemeinwirtschaft, Vorwort, S. V – In dieser und den nachfolgenden Artikeln dieser Reihe folgen wir der zweiten umgearbeiteten Auflage von 1932)

Der Einfluss von Marx war mehrfach zerstörerisch. Als erstes widersprach er der Allgemeingültigkeit der Logik. Diese war nun „klassenabhängig“. Zweitens griff er die dialektische Methodik von Hegel auf und stellte sie „vom Kopf auf die Beine“. Nicht der Hegelsche „Weltgeist“ bestimmt die Dynamik der Geschichte, sondern der „Unterbau“, die wirtschaftlich-technische Entwicklung. Drittens reklamiert Marx „Wissenschaftlichkeit“ in dem Sinne für sich, dass er mit seiner Methode historische Gesetzmäßigkeiten ausfindig zu machen glaubt, wonach die Weltgeschichte deterministisch zum Sozialismus hinführt. Was bei Hegel „Ende der Geschichte“ heißt wird von Marx umgedeutet in die Vervollkommnung der irdischen Welt im Sozialismus mittels der Vergesellschaftung der Produktionsmittel.

Die geschichtliche Unentrinnbarkeit des Sozialismus als „wissenschaftlich bewiesen“ darzustellen, passte sehr gut zum Zeitgeist der Mitte des 19. Jahrhunderts. Der „historische Materialismus“ erhob den Anspruch, auf dieselbe Stufe gestellt zu werden, wie physikalische Erkenntnisse und wie die Darwin’sche Evolutionstheorie. Marx‘ Sponsor und Mitarbeiter, Friedrich Engels (1820-1895), bestimmt in der Grabrede für seinen Genossen die Leistung von Karl Marx folgendermaßen:

Wie Darwin das Gesetz der Entwicklung der organischen Natur, so entdeckte Marx das Entwicklungsgesetz der menschlichen Geschichte: die bisher unter ideologischen Überwucherungen verdeckte einfache Tatsache, dass die Menschen vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; dass also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben, und aus der sie daher auch erklärt werden müssen – nicht, wie bisher geschehen, umgekehrt. (Friedrich Engels, 1883)

Nach der Darstellung von Friedrich Engels entdeckte Marx „das spezielle Bewegungsgesetz der heutigen kapitalistischen Produktionsweise und der von ihr erzeugten bürgerlichen Gesellschaft“. Schlüssel zu dieser Erkenntnis war die „Entdeckung des Mehrwerts“. Diese Erkenntnis schuf „plötzlich Licht“ für die wissenschaftliche Durchdringung der kapitalistischen Bewegungsgesetze.

Es ist enthüllend, wenn Engels in der Grabrede feststellt, dass Marx in erster Linie Revolutionär war und ihm die Wissenschaft als Mittel dazu diente, seine revolutionären Ziele mit diesem Mittel zu verfolgen. Engels liefert die Bestätigung, dass man auch die ökonomischen Schriften von Marx erst richtig verstehen kann, wenn man sie als Hilfsmittel zur kommunistischen Revolution begreift. Dass Marx kein Wissenschaftler oder Gelehrter war, sondern vor allem anderen ein Kommunist, und man sein Werk unter diesem Gesichtspunkt sehen muss, hat Murray Rothbard lapidar so zum Ausdruck gebracht:

Der Schlüssel zu dem von Karl Marx geschaffenen komplizierten und massiven Gedankensystem … ist im Grunde ein einfacher: Karl Marx war Kommunist. (Murray N. Rothbard, Classical Economics. S. 317)

Nach Engels war Marx ein kommunistischer Revolutionär, dem es vor allem anderen darauf ankam, „am Sturz der kapitalistischen Gesellschaft und der durch sie geschaffenen Staatseinrichtungen mitzuwirken“.

Für Mises (Gemeinwirtschaft, 1932) beruht der „unvergleichliche Erfolg des Marxismus“ darauf, „dass er tief verankerten uralten Wunschträumen und Ressentiments der Menschheit Erfüllung verheißt.“ Mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Gültigkeit verspricht er ein Paradies auf Erden, „ein Schlaraffenland voll Glück und Genuss und, was den Schlechtweggekommenen noch süßer mundet, Erniedrigung aller, die stärker und besser sind als die Menge.“ (Vorwort, S. V)

Für Mises (Gemeinwirtschaft, 1932) beruht der „unvergleichliche Erfolg des Marxismus“ darauf, „dass er tief verankerten uralten Wunschträumen und Ressentiments der Menschheit Erfüllung verheißt. … ein Schlaraffenland voll Glück und Genuss und, was den Schlechtweggekommenen noch süßer mundet, Erniedrigung aller, die stärker und besser sind als die Menge.“ (Vorwort, S. V)

Seit seinem Entstehen als Ideologie besteht die Attraktivität des Sozialismus darin, dass, wer für sozialistische Maßnahmen eintritt „als Freund des Guten, des Edlen und des Sittlichen“, gilt, „als uneigennütziger Vorkämpfer einer notwendigen Reform, kurz als ein Mann, der seinem Volk und der ganzen Menschheit selbstlos dient, vor allem aber auch als wahrer und unerschrockener Forscher“. Wer hingegen an den Sozialismus mit den Maßstäben des wissenschaftlichen Denkens herantritt, „wird als Verfechter des bösen Prinzips, als Schurke, als feiler Söldling der eigensüchtigen Sonderinteressen einer das Gemeinwohl schädigenden Klasse und als Ignorant in Acht und Bann getan.“  (Vorwort S. VII)

An diesem Tenor hat sich bis heute wenig geändert. Während es nach dem Ende der Sowjetunion vor über dreißig Jahren so aussah, als hätte die kommunistische Ideologie für immer ausgedient, erleben wird seit einiger Zeit eine neue Sympathiewelle für den Sozialismus. Diesmal kommt die Begeisterung für die sozialistische Planwirtschaft nicht mit roten Fahnen auf der Straße daher, sondern im „grünen Gewand“ in akademischen Seminaren und Fernseh-Talkshows.

Diesmal kommt die Begeisterung für die sozialistische Planwirtschaft nicht mit roten Fahnen auf der Straße daher, sondern im „grünen Gewandt“ in akademischen Seminaren und Fernseh-Talkshows.

Wer könnte nicht in der heutigen Gegenwart zustimmen, wenn Mises für seine Zeit feststellt, dass es üblich geworden ist, „über wirtschaftspolitische Dinge zu reden und zu schreiben, ohne die Probleme, die in ihnen stecken, rücksichtslos bis ans Ende gedacht zu haben.“

Die öffentliche Erörterung der Lebensfragen der menschlichen Gesellschaft hat sich „ent-geistigt“. Sie lenkt die Politik auf Bahnen, „die geradewegs zur Zerstörung aller Kultur führen.“ (Vorwort, S. XII) Auch ist es immer noch so, dass es als „aussichtsloses Beginnen scheint, die leidenschaftlichen Anhänger der sozialistischen Idee durch logische Beweisführung von der Verkehrtheit und Widersinnigkeit ihrer Auffassungen zu überzeugen.“ Damals wie heute ist es so, dass die Anhänger des Sozialismus keinem Argument zugänglich sind, „dass sie nicht hören und nicht sehen und vor allem nicht denken wollen.“ (Vorwort S. XIII)

Damals wie heute ist es so, dass die Anhänger der Sozialismus keinem Argument zugänglich sind, „dass sie nicht hören und nicht sehen und vor allem nicht denken wollen.“ (Vorwort S. XIII)

In der heutigen Zeit wird das fortgesetzt, was auch Marx und Engels schon praktiziert haben. Anstatt mit Argumenten zu widerlegen, haben die Sozialisten ihre Gegner beschimpft, verspottet, verhöhnt, verdächtigt, verleumdet … Ihre Polemik richtet sich nie gegen die Darlegungen, immer gegen die Person des Gegners. Nur wenige halten solchen Angriffen stand. Es haben sich so stets nur wenige gefunden, die den Mut aufbringen, den Sozialismus rücksichtslos zu kritisieren, wie es diePflicht des wissenschaftlich Denkenden ist. (Einleitung, S. 6)

Anstatt mit Argumenten zu widerlegen, haben die Sozialisten ihre Gegner „beschimpft, verspottet, verhöhnt, verdächtigt, verleumdet … Ihre Polemik richtet sich nie gegen die Darlegungen, immer gegen die Person des Gegners.“ Nur wenige halten solchen Angriffen stand.

Mises hegte die Hoffnung, dass neue Geschlechter heranwachsen werden „mit offenem Auge und offenem Sinn“, die „unbefangen und vorurteilslos an die Dinge herantreten“ und die „wagen und prüfen“ werden, die wieder zu denken beginnen und die mit Vorbedacht handeln werden. Mises widmet diesen neuen Generationen sein Buch. „Zu ihnen will dieses Buch sprechen.“ (Vorwort S. XIII).

Mises hegte die Hoffnung, dass neue Geschlechter heranwachsen werden „mit offenem Auge und offenem Sinn“, die „unbefangen und vorurteilslos an die Dinge herantreten“ und die „wagen und prüfen“ werden, die wieder zu denken beginnen und die mit Vorbedacht handeln werden. Mises widmet diesen neuen Generationen sein Buch. „Zu ihnen will dieses Buch sprechen.“ (Vorwort S. XIII).

Auch für unsere Zeit stellt sich dieselbe Herausforderung und Aufgabe, denn immer noch ist der Sozialismus der Irrglaube vieler Menschen. Sozialismus erfüllt das Denken und Empfinden der Massen und drängt sie zum Sozialismus. Wie zu Zeiten der Erstveröffentlichung der Gemeinwirtschaft, müssen wir ebenfalls zugeben: Wir leben im „Zeitalter des Sozialismus“ (Einleitung, S. 1)

Mises sagt (S. 1), und wir müssen dem für die heutige Zeit in der Bundesrepublik Deutschland zustimmen, dass es keine einflussreiche politische Partei gibt „die es wagen dürfte, frank und frei für das Sondereigentum an den Produktionsmitteln einzutreten.“ Damals wie heute ist das Wort ,,Kapitalismus“ verfemt und wird als „Summe des Bösen“ benutzt. Der Sozialismus ist die beherrschende Idee der Zeit: „Selbst die Gegner des Sozialismus stehen ganz und gar unter dem Bann seiner Ideen.“ (Einleitung, S. 2)

Während das Versagen des Kommunismus, den Menschen Wohlstand und Freiheit zu schenken, offensichtlich wurde, blühte das marxistisch-sozialistische Denken als Ideologie im akademischen Betrieb, in der Erziehung und in den Medien. Getarnt als Vorkämpfer der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit in Verbindung mit planwirtschaftlichen Forderungen, dem Klimawandel zu begegnen, gelingt es den roten und neuerdings vor allem den grünen Sozialisten zunehmend, staatliche Herrschaftsmacht auch in den Demokratien des Westens zu erlangen.

Getarnt als Vorkämpfer der sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit in Verbindung mit planwirtschaftlichen Forderungen, dem Klimawandel zu begegnen, gelingt es den roten und neuerdings vor allem den grünen Sozialisten zunehmend, staatliche Herrschaftsmacht auch in den Demokratien des Westens zu erlangen.

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Dies ist der erste Teil einer insgesamt 12-teiligen Serie über Ludwig von Mises’ Buch Die Gemeinwirtschaft. Untersuchungen über den Sozialismus“. Die weiteren Teile folgen die nächsten Wochen und Monate.

Dr. Antony P. Mueller ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor der Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br). Vor kurzem erschien sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ . Kontakt: antonymueller@gmail.com

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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