Wie Sie mit Handlungslogik die Gesellschaft besser verstehen und Ihre Lebenssituation verbessern können

Praxeologie – Die Lehre vom menschlichen Handeln

Antony P. Mueller

26. September 2022 – Auszug aus dem Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie“ von Antony P. Mueller

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Praxeologie (Handlungslogik) behandelt die epistemologischen Grundlagen und die psychologisch-philosophischen Aspekte der Österreichischen Schule. Die Lehre vom menschlichen Handeln ist als eine notwendige Ergänzung zu den wirtschaftlich-politischen Analysen der Österreichischen Schule zu sehen. Der Mensch handelt, wenn er Ziele durch den Einsatz von Mitteln verfolgt. Dabei ist der Einzelne genötigt, nicht nur sein Einzelinteresse zu beachten, sondern auch das seiner Mitmenschen. Die Praxeologie ist der Versuch, die logische Struktur der menschlichen Handlungen herauszuarbeiten. Ludwig von Mises betrachtete die Praxeologie als den wichtigsten Beitrag der Österreichischen Schule.

Grundkategorien

Der Mensch handelt, um von einem weniger befriedigenden Zustand aus in einen subjektiv höher bewerteten zu gelangen. Damit sind unweigerlich Kategorien wie Kosten und Profit sowie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbunden. Kausalität und Finalität sind praxeologische Kategorien und enthalten als Kategorien des menschlichen Denkens die Temporalität.

Praxeologie als Lehre vom menschlichen Handeln (Ludwig von Mises: Human Action, 1949 und als Scholars Edition 1998 – ursprünglich auf Deutsch 1940 mit dem Titel „Nationalökonomie“ erschienen) ist eine theoretische und systematische Wissenschaft, deren Geltungsbereich das menschliche Handeln als solches ist – unabhängig von den jeweils bestehenden Umständen.

Ludwig von Mises betrachtete die Praxeologie als den wichtigsten Beitrag der Österreichischen Schule.

Die Grundaussagen der Praxeologie sind ihrer Natur nach a priori und somit unabhängig von der Erfahrung gültig. Die praxeologischen Aussagen sind somit ähnlich zu verstehen wie beispielsweise der Satz des Pythagoras, dessen Folgerungen sowohl keinen Nachweis durch Messung bedürfen als auch durch Messabweichungen nicht widerlegt werden können.

Ausgehend von der grundlegenden Erkenntnis, dass der Mensch Mittel einsetzt, um seine Ziele zu erreichen, errichtet die Praxeologie ihr logisches Denkgebäude.

Ein Schlüsselwerk zur Praxeologie – der Lehre vom menschlichen Handeln – bietet das Buch „Der Kompass zum lebendigen Leben“ von Andreas Tiedtke, das 2021 erschienen ist. In diesem Werk zeigt der Autor ausführlich, wie die praxeologischen Einsichten dazu verhelfen, Grundsätze zu formulieren, die unser Handeln auf ein friedliches und freundliches Zusammenleben und auf eine fruchtbare Kooperation ausrichten.

Für die Welt von heute, in der, so scheint es, Neurosen und Psychosen eher zu- als abnehmen, bietet die Praxeologie ein Schatzkästlein an Einsichten.

Der Praxeologie geht es nicht nur um Recht und Wirtschaft, sondern umfassend um das Handeln und Denken des Einzelnen in der Gesellschaft. An vielen Beispielen zerlegt Tiedtke in seinem „Kompass zum lebendigen Leben“ viele Scheinprobleme. Anwendungsbezogen zeigt die Praxeologie, wie der Einzelne durch praxeologisches Denken seine Lebenssituation verbessern kann und durch seinen individuellen Beitrag das Gemeinschaftsleben verbessern kann.

Anwendungsbezogen zeigt die Praxeologie, wie der Einzelne durch praxeologisches Denken seine Lebenssituation verbessern kann und durch seinen individuellen Beitrag das Gemeinschaftsleben verbessern kann.

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Handeln in der Lebenswirklichkeit

Nur Nichthandelnde haben keine Probleme.

Für das Alltagsleben zeigt die Praxeologie weiterhin, dass es im Leben nicht darum geht, ein ruhiges Leben zu führen und sich in Gelassenheit und Gleichmut dem Schicksal hinzugeben. Nur Nichthandelnde haben keine Probleme. Vielmehr entsteht menschliches Handeln überhaupt erst aus der Unzufriedenheit und besteht im zweckgerechten Mitteleinsatz, den gegenwärtigen Zustand durch einen erwarteten besseren zu ersetzen.

Das Lebewesen ist also a priori in Unruhe, sobald es lebt und handelt.

Um diese unaufhebbare Unruhe im menschlichen Dasein zu beruhigen, neigen manche Menschen dazu, sich falsche Einstellungen und Überzeugungen anzueignen. Damit aber verschlimmbessern sie ihre Lage, indem sie glauben, Sicherheit zu gewinnen, wo es keine gibt. Für handelnde Lebewesen gibt es aber keine ewige Glückseligkeit.

Die Praxeologie ist so verstanden ein Kompass zum lebendigen Leben, weil mit dem Wissen um die praxeologischen Schlussfolgerungen der Handelnde nicht mehr bemüht sein muss, ein “besserer Mensch” zu werden oder sich eine “gewisse Zukunft” zu schaffen, weil dies für handelnde Wesen letztlich nicht machbar ist.

Was der Einzelne kann, ist sich mit der Realität eines handelnden Wesens auszusöhnen und friedlich und freundlich mit den anderen Menschen in der gemeinsamen Realität kooperieren.

Fehlerlosigkeit, absolute Sicherheit, Gewissheit, all dies wird er auch bei stärkster Anstrengung seines Willens weder in seiner Vergangenheit noch in seiner Zukunft finden, weil diese Konzepte nicht mit der Realität des Handelns übereinstimmen.

Für ein friedliches Zusammenleben gelten die Grundprinzipien, keinem anderen absichtlich Leiden zuzufügen, sich gegen Zufügung von Leid zu verteidigen und wer Verteidigung in Anspruch nimmt, sie nachzuweisen hat.

Auf der Grundlage der Mittel-Ziel-Beziehung formuliert die Praxeologie Prinzipien. Schon aus den Grundsätzen, dass Werturteile subjektiv sind und die Zukunft stets unsicher ist, ergibt sich eine Art, den Herausforderungen des Lebens in einer Weise gegenüberzutreten, die befreiend wirkt. Etwas weitergedacht erschließen sich daraus handlungslogische Einsichten, die auch Politik und Gesellschaft und die mit ihnen verbundene Ideologien betreffen.

Praxeologie als die Lehre vom menschlichen Handeln bezieht die Bereiche des Seelenlebens und des Denkens mit ein. Dabei wird deutlich, wie die Kenntnis der praxeologischen Kategorien dazu verhelfen kann, das eigene Denken und Handeln zu verbessern und sich von unnötigen psychologischen Konflikten zu befreien.

Praxeologie bedeutet Systematik und Logik. Die Grundlagen dieser Lehre sind ihrer Natur nach „a priori“ – von vornherein gültig. Ausgangspunkt der Praxeologie ist die „selbsterklärende Tatsache“, dass der Mensch handelt. Der entscheidende Unterschied zwischen diesem apriorischen Ansatz und den empirisch („a posteriori“) ausgerichteten modernen Gesellschafts- und Naturwissenschaften besteht darin, dass die Praxeologie axiomatisch aufgebaut ist. Sie entwickelt ihre Prinzipien a priori, das heißt vor der Erfahrung. Damit erhält die Praxeologie ihre Aussagen als zwingende Schlussfolgerungen. Ausgehend von Grundannahmen (Axiomen) erhalten die Aussagen somit ihre apodiktische Gültigkeit. Im Unterschied dazu sind die „Erfahrungswissenschaften“ an die Vergangenheit gebunden und können nie endgültig wahr sein.

Ein weiteres Kennzeichen der Praxeologie ist die strikte Ablehnung des Anthropomorphismus (Vermenschlichung) und der Hypostasierung (Verdinglichung abstrakter Begriffe). Nur weil etwas einen Namen hat, heißt das nicht, dass es in der Realität ein Objekt oder Subjekt gibt, das Träger dieses Namens ist.

Die Praxeologie kommt, ausgehend vom Mittel-Ziel-Verhältnis, zur Analyse des Problems der Werturteile – der „Subjektivität des Wertens und Wollens“. Daraus ergeben sich die elementaren Grundbegriffe der Praxeologie wie Kosten und Profit, Grenznutzen und Grenzleid, und die Problematik der Zeit als Grundkategorien des menschlichen Denkens und Handelns. Praxeologisch definiert gewinnen diese Begriffe eine Deutlichkeit, die weit über den allgemeinen Sprachgebrauch hinausgeht.

Handeln in der Gesellschaft

Die Praxeologie wendet sich den Fragen des menschlichen Zusammenlebens und dem Aspekt zu, wie eine freiwillige Kooperation und freundliches Handeln im Gegensatz zur erzwungenen Kooperation und feindlichem Handeln möglich sind. Aus diesem Ansatz heraus ergibt sich auch die praxeologische Definition von „Kapitalismus“ als einem System des friedlichen Austauschs.

In diesem Sinn hat es den Kapitalismus allerdings noch nie gegeben. Dieser praxeologische Kapitalismusbegriff steht im Unterschied zu einer Definition, die den Kapitalismus als die Verwendung von Kapitalgütern bezeichnet und der als solcher seit Beginn des Gebrauchs von Werkzeugen existierte. Aus der praxeologischen Perspektive betrachtet ist es auch so, dass die Entwicklung, welche Historiker als die Anfänge des modernen Kapitalismus beschreiben, nicht unter diese praxeologische Definition fällt.

Die großen Handelsunternehmen zum Beispiel, die im 16. und 17. Jahrhundert entstanden sind, wie etwa die Ostindien-Kompanien (die niederländische Vereenigde Oostindische Compagnie, VOC, und die British East India Company, BEIC) oder die Hudson’s Bay Company (HBC), können in diesem Sinne nicht als kapitalistische Unternehmen bezeichnet werden, denn es handelte sich nicht um friedliche Händler, sondern um vom Staat mit Monopolen ausgestattete privilegierte Gruppierungen, die sogar über eigene Streitkräfte verfügten. So wie der Sklavenhandel und die Ausbeutung von Kolonien gehören diese Unternehmungen nicht zum Bereich des freundlichen oder sozialen Handelns.

Bezeichnungen wie „feindlich“ im Gegensatz zu „friedlich und freundlich“ sind als praxeologische und nicht als moralische Kriterien zu verstehen. Es handelt sich um tautologische Aussagen in Bezug auf menschliche Handlungen. In diesem Sinne ist festzustellen, dass politisches Handeln als ein Handeln unter Einsatz von Täuschung, Zwang und letztlich Gewalt gegen friedliche Menschen von vornherein feindliches Handeln ist.

Bezeichnungen wie „feindlich“ im Gegensatz zu „friedlich und freundlich“ sind als praxeologische und nicht als moralische Kriterien zu verstehen.

Um die Grundelemente der Privatrechtsordnung zu bestimmen, ist die Praxeologie unentbehrlich. Man kann das Recht als die Regelung des zwischenmenschlichen Handelns bezeichnen und folglich wäre es die Aufgabe des Rechts, dazu beizutragen, wie friedliches und freundliches Handeln möglich sind. Ausgehend von den zentralen Begriffen des Rechts und der Rechte gewinnt die praxeologische Methode ihre Kategorien aus praxeologischer Sicht, um von hier aus Kategorien wie Freiheit und Gewalt, Rechte und Pflichten sowie den Begriff des Eigentums und der Herrschaft zu bestimmen.

In seinem Buch behandelt Andreas Tiedtke auch die die Probleme des menschlichen Handelns wie sie im Zusammenhang mit Vergeltung und fahrlässigem Handeln entstehen und die zu den Fragen von Strafe, Schuld und Sühne führen. Die Analyse der Gesellschaft als Herrschafts- oder Friedensordnung führt zur Frage nach den praxeologischen Kriterien eines Friedensvertrages. Welche Regeln über Verkehr, Sprache und Sitte sollen in einer Gesellschaft gelten?

Das Primat der Politik wird als feindliches Handeln gekennzeichnet, das dem friedlichen und freundlichen Handeln entgegensteht. Ausführlich wird kategorial der Unterschied zwischen friedlichem und feindlichem Handeln herausgearbeitet. Für die Analyse des politischen Geschehens liefert die praxeologische Herangehensweise einen Analyseapparat, der in hervorragender Weise dazu dienen kann, den Blick zu schärfen und Denkfallen auszuweichen. Mithilfe der Praxeologie lassen sich so eine ganze Reihe populärer Irrtümer widerlegen.

Viele falsche Urteile haben sich so sehr bei vielen festgesetzt, dass man die Wichtigkeit ihrer Widerlegungen nicht genug betonen kann. Diese Irrtümer – seien es die Thesen von den Grenzen des Wachstums oder der Notwendigkeit eines staatlichen Angebots öffentlicher Güter – sind heute weit verbreitet. Seien es die Pandemiepolitik oder Sanktionen, das bedingungslose Grundeinkommen oder der Umweltschutz. Selbst zu solchen Fragen leistet die Praxeologie ihren wichtigen Beitrag, indem sie die meisten der populären Ansichten dazu analytisch als unhaltbar zurückweist.

Die Praxeologie beschäftigt sich auch mit Psychologie des Alltags und liefert wertvolle Einsichten. Eine Neurose zum Beispiel würde die Praxeologie nicht als geistige Erkrankung verstehen, sondern als eine Einstellung oder Überzeugung, die im Widerspruch zu den logischen Schlussfolgerungen der praxeologischen Grundprinzipien steht. Dazu zählt der praxeologische Grundsatz, dass der Einzelne als Einheit handelt und dass Werte subjektiv sind. Darüber hinaus gilt, dass die Vergangenheit unumkehrbar, die Zukunft ungewiss und die Gegenwart vorläufig sind, sowie, dass ein Kollektiv nicht selbst handeln kann, sondern nur Einzelne. Da es keine Kollektive gibt, die handeln könnten, gibt es auch nicht etwas, was von vornherein über dem einzelnen Menschen stünde.

Eine Neurose zum Beispiel würde die Praxeologie nicht als geistige Erkrankung verstehen, sondern als eine Einstellung oder Überzeugung, die im Widerspruch zu den logischen Schlussfolgerungen der praxeologischen Grundprinzipien steht.

Praxeologie verbindet das individuelle Handeln mit seinen gesellschaftspolitischen Aspekten. Die Quintessenz dieses Ansatzes ist die Idee eines Gesellschaftsvertrages im Sinne einer praxislogischen Ordnung die als friedlich und freundlich zu beschreiben ist. Zum Abschluss des Buches findet sich sogar ein hypothetischer ausformulierter Gesellschaftsvertrag für friedliches und freundliches Zusammenleben im Sinne der Praxeologie.

Je mehr Menschen es verstünden, praxeologisch zu denken, desto besser wäre es auch um die Gesellschaftswissenschaften und letztlich um die Gesellschaft bestellt.

Professor Dr. Antony P. Mueller ist habilitierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg und Professor der Volkswirtschaftslehre an der brasilianischen Bundesuniversität UFS (www.ufs.br). Vor kurzem erschien sein Buch „Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie: Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik“ . Kontakt: antonymueller@gmail.com

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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