„Positive Diskriminierung“ als politisches Machtinstrument

27. Oktober 2021 – von Andreas Tögel

Andreas Tögel

[Hier können Sie diesen Beitrag als Podcast hören.]

Frauen seien im herrschenden System des entmenschten Neoliberalismus angeblich „strukturell diskriminiert“, so eine durch viele Leitmedien verbreitete Meinung. Frauen würden im Neoliberalismus im Allgemeinen und von männlichen Reaktionären im Besonderen planmäßig benachteiligt, von den Arbeitgebern unterbezahlt und in ihren Karrieren gebremst. Die argumentative Inkonsistenz, den Unternehmern einerseits vorzuwerfen, ihren Mitarbeitern nur ungern „gerechte“ Löhne zu bezahlen, ihnen andererseits aber zu unterstellen, darauf zu verzichten, teure männliche durch billige weibliche Arbeitskräfte zu ersetzen, stört im Gleichstellungsfuror anscheinend nicht. Haben die „plutokratischen Unterdrücker“ am Ende verlernt, ihre „Lohnsklaven“ maximal auszubeuten? Wenn ja, dann wäre der Kapitalismus auch nicht mehr das, was er einmal war!

Was nie vergessen werden darf: Der Erfolg einer Zivilisation hängt zu einem guten Teil von ihrer sozialen Durchlässigkeit ab. Eine Gesellschaftsordnung, die es jedermann gestattet, seine Fähigkeiten ungehindert durch Herkunft, Alter oder Geschlecht zu entfalten und die Früchte seines Erfolgs zu genießen, beschert all ihren Mitgliedern ein besseres Auskommen als eine solche, in der das nicht der Fall ist.

Eine der größten Errungenschaften aufgeklärter westlicher Gesellschaften ist die Überwindung der Enge der zuvor bestehenden Statusgesellschaften. Die mit der Neuzeit einsetzende Auflösung zuvor bestehender, starrer Strukturen machte sie durchlässig. Zugleich wurde der (Aber)Glaube durch die Fähigkeit und den Willen zum Denken und selbständigen Handeln abgelöst.

Habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen!

Immanuel Kant

Am Übergang zur Neuzeit wurde der durch Geburt erworbene Status vom frei vereinbarten Vertrag abgelöst, die Statusgesellschaft von der Vertrags- und Leistungsgesellschaft. Die Ungleichheit zwischen den Menschen avancierte zum Motor des Fortschritts. Dort, wo alle gleich sind, gibt es keine Entwicklung. Wer also Gleichmacherei betreibt – gleich ob zwischen Gesunden und Kranken, Große und Kleinen, Fleißigen und Faulen oder Männern und Frauen, leistet dem suboptimalen Einsatz menschlicher Arbeitskraft und der Vergeudung von Kreativität Vorschub.

Wenn in der Welt des Realsozialismus der Sohn eines Bourgeois oder eines Großbauern keine Chance hatte, zum Studium zugelassen zu werden; wenn das indische Kastensystem jenen Menschen den beruflichen Aufstieg schwer bis unmöglich machte, die niederen Kasten angehören; wenn schließlich in den rezenten[1], politisch korrekten, gendergerechten und „woken“ westlichen Gesellschaften zunehmend nicht mehr Kenntnisse, Leistungsbereitschaft und -fähigkeit sowie charakterliche Qualitäten karrierebestimmend sind, sondern das Geschlecht zu einem karrierebestimmenden Kriterium wird, dann ist der Weg zum kollektiven Abstieg programmiert.

Und zwar nicht etwa deshalb, weil Frauen bestimmte Arbeiten nicht auszuführen in der Lage sind. Sondern deshalb, weil das Geschlecht für die allermeisten Tätigkeiten keine Rolle spielt und daher – anders als ein Nachweis von Fertigkeiten – irrelevant ist. Der Hinweis auf die unbestreitbare Benachteiligung von Frauen in der Vergangenheit, um damit die Benachteiligung von Männern in der Gegenwart zu rechtfertigen, ist abwegig und einem unheilstiftenden Denken in Kollektiven geschuldet. Hier und jetzt bestehende Chancen müssen von den dafür bestgeeigneten Individuen genutzt werden können – ungeachtet ihrer Herkunft, Gruppenzugehörigkeit, Hautfarbe oder des Geschlechts. Dafür braucht es keinen politischen Vormund, der Entscheidungen erzwingt. Schließlich handelt es sich um Angelegenheiten, die privatrechtlich zwischen den Vertragspartnern zu regeln sind.

Ludwig von Mises schrieb zur Diskriminierung der Frau:

Soweit die Frauenbewegung sich darauf beschränkt, die Rechtsstellung der Frau der des Mannes anzugleichen und der Frau die rechtliche und wirtschaftliche Möglichkeit zu bieten, sich so auszubilden und zu betätigen, wie es ihren Neigungen, Wünschen und ökonomischen Verhältnissen entspricht, ist sie nichts weiter als ein Zweig der großen liberalen Bewegung, die den Gedanken der friedlichen freien Entwicklung vertritt. Soweit sie, darüber hinausgehend, Einrichtungen des gesellschaftlichen Lebens in der Meinung bekämpft, damit naturgegebene Schranken des menschlichen Daseins aus dem Wege räumen zu können, ist sie ein Geisteskind des Sozialismus; denn es ist dem Sozialismus eigentümlich, die Wurzel naturgegebener, der menschlichen Einwirkung entrückter Umstände in gesellschaftlichen Einrichtungen zu suchen und durch deren Reform die Natur reformieren zu wollen.

(Die Gemeinwirtschaft, 2. Auflage 1932, S. 78)

Kampf gegen jede Form der Diskriminierung

Diskriminierung, das wird heute jedem Kind eingebläut, ist etwas zutiefst Böses. Kaum ein anderer Begriff ist derart negativ konnotiert wie jener der Diskriminierung. Dabei bedeutet das aus dem Lateinischen stammende Wort „discriminare“ nichts weiter als unterscheiden. Was wäre daran falsch? Ohne die Unterscheidung des Unterschiedlichen ist das Leben ja gar nicht denkbar. A unterscheidet, wen er in sein Haus einlässt oder wem er sein Auto leiht und wem nicht. B diskriminiert, indem er sich gegen Luise und Maria und für Klara als Ehefrau entscheidet. C unterscheidet, mit wem er zusammenzuarbeiten beabsichtigt und mit wem nicht. Ist das verkehrt? Sollte daran etwas geändert werden? Soll dem Einzelnen kein Recht zugebilligt werden, sich nach eigenem Gutdünken für oder gegen jemanden oder etwas zu entscheiden? Sollte dieses Recht einem demokratischen Kollektiv überantwortet oder gar das Los darüber geworfen werden? Ist wirklich alles Private politisch?

All das ist natürlich nicht der Fall. Selbstverständlich hat der freie, mündige Bürger das Recht, nach Herzenslust zu diskriminieren. Gleich ob es sich um die Wahl des Sexualpartners, der Wohnung, des Arbeitsplatzes oder des Verkehrsmittels handelt. Das Erkennen und Benennen von Unterschieden und das Ziehen entsprechender Konsequenzen sind nämlich keine Übel. Jedermann steht tagtäglich vor „diskriminierenden“ Entscheidungen, die einfach notwendig sind. Diskriminierungsverbote haben daher nur für den territorialen Machtmonopolisten, den Staat, zu gelten. Der hat alle Bürger tatsächlich gleich zu behandeln.

Teile und herrsche

Die Politik des Teilens und Herrschens ist ein bewährtes Mittel zum Machterhalt und -ausbau. Je kleiner die den Herrschenden gegenüberstehenden Gruppen von Untertanen sind, je breiter und tiefer die Spaltung der Gesellschaft ausfällt, desto weniger Widerstände haben sie zu erwarten und zu überwinden. Vor diesem Hintergrund hat die herrschende Klasse daher jedes Interesse an Buntheit und „Diversität“ der Gesellschaft in diesem Sinne. Für sie liegt es nahe, sich zu Beschützern angeblich unterprivilegierter oder „diskriminierter“ Minderheiten aufzuwerfen und sich als ihr Beschützer und Retter in Szene zu setzen. So werden die einen zu schutzbedürftigen Mündeln degradiert, während die anderen als bösartige Unterdrücker denunziert und bekämpft werden. Kein Wunder, dass die Zahl der angeblich diskriminierten Minderheiten (im Fall der Frauen handelt es sich nicht einmal um eine Minderheit!) täglich wächst. Endstation: Atomisierte Gesellschaft. Frauen gegen Männer, Weiße gegen Schwarze, Arme gegen Reiche, Blonde gegen Rothaarige, Gescheite gegen Dumme, Gutmenschen gegen Faschisten.

Ziel linker Politik war und ist es, die Menschen gegeneinander auszuspielen, ihre sozialen Bindungen zueinander aufzulösen und den von ihnen geführten Staat als Retter und Erlöser zu präsentieren. Jene durchwegs gefährlichen Typen, die ihre Mitmenschen dominieren wollen, haben ihren Machiavelli allesamt aufmerksam gelesen und wissen somit um die Geheimnisse des Machterwerbs und -erhalts.

Wer seinen Mitmenschen nicht zu dienen in der Lage ist, will sie beherrschen.

Ludwig von Mises

 In Wahrheit geht es um Privilegien

Das zeitgeistige Dogma lautet: Alle Menschen sind gleich. Selbst das Geschlecht ist nur eine gesellschaftliche Konvention. „Man wird nicht als Frau geboren, zur Frau wird man gemacht“, wie Simone de Beauvoir erklärt. Was bedeuten schon voneinander abweichende Chromosomensätze? Allerdings bleibt eine Frage offen: Wenn das Geschlecht doch frei wählbar, letztlich nur eine „gesellschaftliche Konvention“ ist, warum reiten dann die Progressiven wie besessen auf den angeblich nicht vorhanden Geschlechterunterschieden herum?

Vermutlich deshalb, weil auch die Progressiven selbst wissen, dass die Menschen in Wahrheit eben doch nicht alle gleich sind. Daher geht es ihnen auch gar nicht um die Nichtdiskriminierung bestimmter als schutzwürdig benannter Gruppen, sondern – im Gegenteil – um deren „positive Diskriminierung“ (im amerikanischen Sprachgebrauch affirmative action) oder – weniger schwülstig – um staatliche Privilegien.

Diskriminierung in Form echter Benachteiligung wird nämlich in dem Moment zulässig, ja ist sogar geboten, wenn sie die „Richtigen“ trifft. Und wer die „Richtigen“ sind, bestimmen linke, selbsternannte Intellektuelle, die sich als „Dressurelite“ verstehen. Nichts Neues unter der Sonne: Waren es unter Robespierres Fuchtel Adelige und Kleriker, unter Lenin und Stalin Kulaken und unter Pol Pot Brillenträger, so sind es heute die nicht von der Sozialhilfe lebenden, heterosexuellen weißen Männer, denen von linken Ideologen die Schuld an allen gesellschaftlichen Missständen angelastet wird. Sie sind, wie wir aus kundigem Mund erfahren – und zwar von ihrer Geburt an und ohne jegliche Aussicht auf Besserung – misogyne Sexisten und Rassisten, die dringend in die Schranken gewiesen werden müssen, um die strukturellen Ungerechtigkeiten auf dieser Welt zu beseitigen.

Bestrafe einen, erziehe hundert.

Mao Zedong

Wer sich, gleich ob als Unternehmer oder als Privatmann, darum sorgen muß, für bestimmte Aktivitäten oder Unterlassungen öffentlich angeprangert zu werden, wird sich entsprechend wegducken und anpassen. Die den Gesetzen der Political Correctness zuwiderhandelnden Täter werden heute zwar nicht mittels der Guillotine eliminiert oder im Gulag auf zeitgeistige Linie gebracht, aber mit sozialer Ausgrenzung, Verächtlichmachung und dem Zufügen wirtschaftlichen Schadens bis hin zur Existenzvernichtung „bestraft“. „Gefangene“ werden in diesem Kampf gegen das Böse nicht gemacht. Denn da es um die gute Sache von „mehr Toleranz“ und „gegen Diskriminierung“ geht, ist anscheinend nahezu jedes Mittel zulässig. Harte moralische Maßstäbe werden in politisch korrekten Kreisen natürlich nur an die anderen angelegt, niemals an sich selbst. Der Vergleich ist freilich überspitzt, aber es ist ähnlich absurd, als würden die Mitglieder des Ku-Klux-Klans Toleranz für weiße Rassisten fordern.

Die amerikanische Philosophin und Erfolgsautorin Ayn Rand („Fountainhead“, „Atlas Shrugged“, „The Virtue of Selfishness“) definiert Glück als die Möglichkeit, selbst gewählte Ziele verfolgen zu können und – wenn möglich – auch zu erreichen. Wenn also ein politisches Regime sich anmaßt, Karrieren deshalb zu behindern, weil das Vorhandensein weiblicher Geschlechtsmerkmale ihm wichtiger erscheint als Leistungsfähigkeit, dann hindert es Menschen daran, nach Glück zu streben. Und das ist übel.

Die Auswüchse des in Euroland zur „Querschnittspolitik“ erhobenen „Gender Mainstreamings“ sind ein starkes Argument gegen die politische Zentralisierung und für die Subsidiarität. Denn für den Einzelnen muss zumindest die Möglichkeit jederzeit gewahrt bleiben, politischem Irrsinn durch eine „Abstimmung mit den Füßen“ zu entrinnen.

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[1] Österreichisch für zeitgenössisch, aktuell, vor Kurzem entstanden.

Andreas Tögel, Jahrgang 1957, ist gelernter Maschinenbauer, ausübender kaufmännischer Unternehmer und überzeugter “Austrian”.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Titel-Foto: Adobe Stock

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