Professor Hans-Werner Sinn im Interview: „Wir kasteien uns, und für die Welt kommt nichts dabei heraus“
9. September 2020 – Interview mit Professor Dr. Hans-Werner Sinn zu seinem neuen Buch „Der Corona-Schock“. Die Fragen stelle Andreas Marquart.
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Herr Professor Sinn, Ende Juli ist Ihr neues Buch „Der Corona-Schock“ erschienen. Das Buch ist äußerst lesenswert. Die Themen, die Sie im Zusammenhang mit ‚Corona‘ besprechen sind so vielfältig, dass wir gleich mehrere Interviews dazu führen könnten. Wir wollen uns in diesem Gespräch aber auf die deutsche Klimapolitik konzentrieren, schließlich sind Sie am 10. Oktober mit dem Vortrag „Das Klimaproblem und die deutsche Energiewende“ Gast auf unserer diesjährigen Jahreskonferenz. Mit Kritik an der deutschen Klimapolitik sparen Sie in Ihrem Buch nicht, und Sie schreiben, dass die Corona-Krise uns sehr viel Geld kostet, und wir Luxusthemen wie den deutschen Alleingang in der Klimapolitik überdenken sollten. Beim Lesen beschlich mich der Gedanke, was Sie wohl zum Grünen-Politiker Jürgen Trittin sagen würden, würden Sie ihn treffen, hinsichtlich seiner Vorhersage aus 2004, dass die Klimawende einen Durchschnittshaushalt monatlich nicht mehr als eine Kugel Eis kosten würde …
Davon kann keine Rede sein, das sind ganz andere Größenordnungen, sodass man um die Stabilität der deutschen Finanzen und unseren Lebensstandard fürchten muss. Wir haben heute schon – immer mal im Wechsel mit Dänemark – die höchsten Strompreise in der ganzen industrialisierten Welt. Das ist schrecklich. Wir vertreiben unsere Industrie und machen unseren Standort kaputt – jedenfalls, wenn wir die Energiewende unilateral betreiben und die anderen Länder nicht mitziehen, was letztlich nur über eine einheitliche Bepreisung von CO2 sinnvoll geschehen kann. So kasteien wir uns, und für die Welt kommt nichts heraus dabei.
Auf die Co2-Bepreisung kommen wir später noch zu sprechen. Ich möchte zuvor auf die Sendung ‚Markus Lanz‘ Mitte August zu sprechen kommen – in der Sendung ging es auch um ihr Buch und ihre Argumente zur deutschen Klimapolitik. Sie sind dort mit der Grünen-Chefin Annalena Baerbock zusammengetroffen. Wie lange hat es nach der Sendung gedauert, bis Ihr Blutdruck wieder auf Normalwerten war?
Ach (lacht), das geht sehr schnell.
Für die Leserinnen und Leser, die die Sendung nicht gesehen haben: Sie sind mit Frau Baerbock ja nicht nur ‚zusammengetroffen‘, sondern vielmehr ‚aneinandergeraten‘. Sie haben ihr in einer hitzigen Diskussion schließlich ganz konkret ‚Wissensanmaßung‘ vorgeworfen …
Ja, weil die Grünen alles und jedes regulieren wollen, aber das machen nicht nur die Grünen, das machen all die grün Beseelten in der Politik. Auch Svenja Schulze hat als Umweltministerin eine Menge dazu beigetragen. Einer will grüner sein als der andere. Grün sein heißt hier, eine Gefahr zu proklamieren und einen Weg zu finden, wie man noch ein bisschen CO2-Ausstoß irgendwo reduzieren kann. Dann wird mittels Ordnungsrecht eingegriffen, und es wird gesagt, was man tun und was man nicht tun darf. Das finde ich schrecklich. Das ist aber keine Sache des Ordnungsrechtes, sondern man müsste ein Preissignal einheitlich in Europa schaffen, um die Kosten für die Verminderung des CO2-Ausstoß in der Summe aller Länder zu minimieren. Wenn es nämlich für alle Verwendungen fossiler Brennstoffe den gleichen CO2-Preis gibt, dann strengen sich alle Verschmutzer hinsichtlich deren Vermeidung entsprechend an bis zu dem Punkt, wo ihre Grenzvermeidungskosten dem einheitlichen Preis entsprechen und damit haben wir automatisch ein Kostenminimum erreicht. Bei gegebener Gesamtverschmutzung der Luft gibt es keine Möglichkeit, die Anstrengungen zur Verschmutzungsreduktion in der Summe aller Verschmutzer billiger zu realisieren. Oder umgekehrt: Bei gegebenen Kosten in Form von Wohlstandseinbußen, die die europäische Gesellschaft für das Klima zu tragen bereit ist, führt ein einheitlicher Preis zu der höchstmöglichen Verminderung des CO2-Ausstoßes. Davon abgesehen ist die unilateral europäische Maßnahme auch wirkungslos, denn Brennstoffe sind handelbar. Wenn wir mehr CO2 einsparen, brauchen wir auch weniger Brennstoffe, das ist strikt proportional. Und die Frage ist: Bleiben diese Brennstoffe dann in der Erde? Was Öl und Gas betrifft, ist es so, dass das, wir nicht verbrauchen, dann eben andere verbrauchen.
Bei ‚Markus Lanz‘ sagten Sie, was wir nicht verbrauchen, das verbrauchen dann amerikanische SUVs …
Genau. Der Mechanismus ist eindeutig. Wenn die Ölscheichs nicht reagieren in Form einer Produktionseinschränkung aufgrund einer Nachfrageeinschränkung der Europäer, dann muss logischerweise der Brennstoff woanders hinfließen. Alles, was aus der Erde herauskommt, wird irgendwo auf der Welt verbrannt werden, geht als CO2 in die Luft und ruft den Klimaeffekt hervor. Schaut man sich die Kurve der Ölproduktion an, sieht man, dass es hier keinerlei Reaktion auf Preisschwankungen gibt. Sie ist absolut stabil. Einmal verdoppeln sich die Ölpreise, dann halbieren sie sich wieder. Eigentlich sollte man meinen, das Angebot würde darauf reagieren. Das tut es aber nicht. Und das zeigt, dass es nicht nur eine theoretische Überlegung ist, dass das, was wir nicht verbrauchen, woanders in die Luft gepustet wird, sondern dass es tatsächlich passiert.
Wie weit sind wir – auch unter dem Aspekt, wie mit der deutschen Automobilindustrie umgegangen wird – noch von der Planwirtschaft weg?
Das ist schon alles sehr viel Planwirtschaft. Die Autos müssen Grenzwerte bei den Stickoxid-Emissionen einhalten aufgrund ordnungsrechtlicher Vorschriften. Aber vor allem müssen sie jetzt auch noch CO2-Grenzwerte einhalten, was erzwungen wird durch die Verordnung des Jahres 2018, wonach der Flottenverbrauch bis 2030 nicht mehr als 59 Gramm CO2-Ausstoß pro Kilometer betragen darf. Das entspricht umgerechnet in Dieseläquivalenten 2,2 Liter pro 100 Kilometer. Zeigen Sie mir mal ein Auto mit diesem Verbrauch. Das ist eine Seifenkiste, in die sich keiner hineinsetzen will. Es geht technisch überhaupt nicht, was hier vorgegeben wurde. Die Lösung, die die Politik erzwingen will, ist, dass Elektroautos gebraucht werden – mit der Behauptung im Hintergrund, die würden kein CO2 ausstoßen. Wenn ich also 2/3 Elektroautos in der Flotte habe und der Rest sind Verbrenner, die 6,6 Liter verbrauchen, dann sind es im Durchschnitt eben 2,2 Liter.
Das klingt nach einer Milchmädchenrechnung …
Richtig, und es ist sogar eine bewusste Täuschung und Irreführung der Öffentlichkeit, die eine moralische Dimension hat, die erinnert an die Abschalteinrichtungen, die die Automobilhersteller eingebaut haben. Jeder weiß, dass nirgendwo in Europa ein Elektroauto ohne CO2-Ausstoß fährt. Überall gibt es Kohle und andere fossile Brennstoffe im Energiemix der Länder, selbst in Frankreich, dementsprechend ist auch ein CO2-Ausstoß vorhanden. Übrigens werden die Batterien unter hohem Energieaufwand und viel CO2-Ausstoß in China produziert, und so schleppt eine solche Batterie rechnerisch einen schweren CO2-Rucksack mit sich herum, der sich erst über die Zeit verbraucht. Das Österreichische Institut Joanneum Research hat für den österreichischen und den deutschen Automobilclub ausgerechnet und durch Testfahrten explizit belegt, dass man mit einem Diesel 219.000 Kilometer fahren muss, bis sich der Vorteil des E-Autos materialisiert. Verglichen wurde ein E-Golf mit einem gleichwertigen Diesel-Golf. Für die Energiebilanz bringt das also gar nichts, denn in Deutschland wird ein Auto im Schnitt nur 180.000 bis 190.000 Kilometer gefahren. Man kommt also gar nicht in den Bereich der Fahrleistungen, bei denen das E-Auto seine potenziellen Vorteile ausspielen könnte.
Wie sehr sehen Sie bei all den klimapolitischen Maßnahmen die Institution des Eigentums gefährdet, als Voraussetzung für Freiheit, Unabhängigkeit und vor allem auch unseren Wohlstand?
Staatliche Politik hat stets Verteilungswirkungen, weil die Preisstrukturen verändert werden, was natürlich auch das Eigentum betrifft. Auch natürliche Ereignisse führen zu Entwertungen von Vermögen hier und zu Vermögensgewinnen dort. Die Frage ist, ob der Staat tun darf, was er tut und ob sein Tun wirksam ist, ob diese Eigentumseffekte legitim sind. Man kann nicht sagen, es sei nicht legitim, dass der Staat Wirtschaftspolitik betreibt, weil sie Umbewertungseffekte im privaten Sektor zur Folge hat. Dann dürfte der Staat ja gar nichts mehr machen.
Lassen Sie uns über die CO2-Bepreisung sprechen, die Sie eingangs schon erwähnten. Beschreiben Sie doch bitte den Weg, den Sie gehen würden …
Statt im Einzelnen technische Vorschriften zu erlassen, wie man Häuser isoliert, wie Autos konstruiert werden müssen usw., könnte man einen Preis für CO2 setzen und die ganzen Regulierungen abschaffen. Der Preis müsste einheitlich für alle Sektoren und alle Güter gelten, auch für die ganze Welt – das ist die Grundvoraussetzung. Natürlich kann man den Preis politisch festsetzen, aber das unterstellt, dass die Politik weiß, wie die Wirtschaft darauf reagiert. Besser ist es, man lässt den Preis sich herausbilden durch die Marktkräfte, indem man einen weltweiten Emissionshandel etabliert, mit einem Cap, der politisch kontrolliert und von Klimawissenschaftlern mit beeinflusst wird. Dann würden alle Länder, Hersteller und Verbraucher sich an diesem einheitlichen Weltmarktpreis orientieren. Indem Emissionszertifikate an Börsen handelbar sind, kann derjenige, der keine Zertifikate hat, anderen welche abkaufen und die Verkäufer wiederum müssen dann ihren CO2-Ausstoß reduzieren. Das ist nicht utopisch. Wir haben ein solches System bereits bei den Kraftwerken in Europa. Das funktioniert schon viele Jahre. Das Problem: es gilt nur für den Strom und der macht nur ein Fünftel des Energieverbrauches aus. Die ganzen anderen Sektoren sind nicht erfasst. Das jedoch müsste geschehen. Dann bräuchte man keine CO2-Verordnung der EU, keine DIN-Norm für die Isolierung von Häusern. Das könnte man alles abschaffen, denn die Leute würden von sich aus optimal auf den Preis reagieren.
Sie haben gerade das Stichwort ‚Klimawissenschaft‘ gegeben. Kommt in der ganzen Diskussion um CO2 nicht zu kurz, welche Kosten ein möglicher Klimawandel verursacht und wie hoch die Kosten wären, wenn man sich bestmöglich auf die Folgen eines Klimawandels einstellt? Auch unter dem Aspekt, dass es sich bei CO2 ja nicht um ein Gift handelt, sondern sogar überlebensnotwendig ist … in der öffentlichen Debatte ist von solchen Diskussionen nichts zu hören und es wird aus meiner Sicht auch ausgeblendet, dass die Erde in den letzten 20 Jahren grüner geworden ist, wie eine NASA-Studie Anfang des Jahres zeigte. Ich vermisse diese Diskussionen in der Politik …
Es gibt bereits solche Berechnungen. Der ‚Stern-Report‘ aus dem Jahr 2006 hat ja solche Vergleichsrechnungen angestellt mit dem Ergebnis, dass es billiger ist, den CO2-Ausstoß zu reduzieren, statt sich darauf einzustellen. Aber solche Rechnungen sind immer mit viel Willkür behaftet …
Das sind politische Maßnahmen auch …
Ja, natürlich. Sie haben vollkommen recht, man weiß es nicht. Für uns Nord-Europäer ist es möglicherweise günstiger, die Erderwärmung zuzulassen, denn manchmal denkt man, es könnte schon etwas wärmer sein. Wenn da jetzt fünf Grad hinzukämen – das ist das, was im äußersten Fall erwartet wird von den Klimaforschern – dann hätten wir hier ein Klima wie in Italien. Und anderswo würden riesige Landflächen bewohnbar, es gäbe also auch Vorteile. Andererseits aber wären große Teile Afrikas beispielsweise nicht mehr bewohnbar, und selbst Italien würde so unter der Hitze leiden, dass es zu einer Entvölkerung käme. Es gäbe riesige Migrationsströme auf der Welt, die zu Streit und Kriegen führen können. Man kann sich die Erde zwar mit höheren Temperaturen vorstellen, aber der Übergang dahin ist schwierig. Deswegen sind die Maßnahmen zur Verlangsamung des Klimawandels grundsätzlich gerechtfertigt.
Ich möchte noch auf eine Passage am Ende Ihres Buches zu sprechen kommen. Sie schreiben, man solle nicht glauben, dass die Politik bereit sei, wirklich auf die Beratung von Volkswirten zu hören. Gleichzeitig klingt auch Kritik heraus, wenn Sie über Volkswirte schreiben, die mit ‚den Politikern kungeln und sich gebauchpinselt fühlen, wenn sie von ihnen einmal zum Gespräch oder gar zum Essen eingeladen werden …‘. Wie frustrierend ist es, wenn man immer wieder auf taube Ohren stößt, vor allem auch, wenn man wie Sie im Ökonomen-Ranking der FAZ jahrelang auf Platz 1 gelegen war und als ‚Top-Ökonom‘ gilt?
Mit dem Frust muss ein Volkswirt leben, es gibt für die vielen Volkswirte mit ihren Meinungen nun einmal nicht genug Völker (lacht). Deswegen muss man sich damit begnügen, am Diskussionsprozess teilzunehmen und die Argumente, die man hat, einzubringen, in der Hoffnung, dass das eine oder andere Argument über die Wahlprozesse einer Demokratie am Ende Berücksichtigung findet. Problematisch dagegen finde ich, wenn unliebsame Meinungen gleich diskreditiert werden, statt dass man sich mit den Argumenten auseinandersetzt. Wir Volkswirte handeln mit Argumenten und möchten, dass diese sich verbreiten, als Erkenntnistatbestände und Fakten. Die Reaktion darauf muss durch den politischen Prozess selbst bestimmt werden. Wenn aber diese Argumente niedergemacht werden durch Kommunikationsprofis, die schmutzige Tricks verwenden, um Vertreter von Meinungen persönlich zu diskreditieren, das ist dann nicht mehr so schön.
Nun spielt ja auch das Volk selbst insofern eine gewichtige Rolle, und das schreiben sie auch, dass nämlich die Politik erst reagiert, wenn das Volk ein Thema als Problem begreift. Wenn man die Konformität der Medienlandschaft betrachtet, gerade auch, was das Thema Klima betrifft, kann man große Zweifel haben, dass die Menschen die politischen Maßnahmen, die ihnen gerade aufoktroiert werden, in naher Zukunft in Frage stellen werden…
Diese Zweifel habe ich auch. Es gibt immer zwei Wege der öffentlichen Kommunikation. Der eine ist das rationale Argument und der andere ist die Ideologisierung und die Moralisierung unter Weglassung der Argumente. Die Wissenschaftler kämpfen stets um die Rationalität, aber in der politischen Praxis obsiegen häufig diejenigen, die besser moralisieren und ideologisieren können. So war das schon immer. Wenn Sie in die Geschichte schauen, dann sehen Sie, dass wir schon immer solche Ideologisierungswellen hatten, ob das jetzt die Reformation war, die 100 Jahre später zum 30jährigen Krieg führte, ob das der Sozialismus war, der bei uns erfunden wurde oder ob das der Faschismus war. Immer sind es diese ‚Ismen‘ … Deutschland ist irgendwie auch anfällig für solche Ideologien. Hoffen wir, dass wir da inzwischen etwas geheilt sind, ich bin mir aber nicht sicher.
Eine sehr nachdenkenswerte Schlussbemerkung. Vielen Dank für das Interview, Herr Professor Sinn.
Hans-Werner Sinn, geboren 1948, ist emeritierter Professor für Volkswirtschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und war siebzehn Jahre lang Präsident des renommierten ifo Instituts. Er gründete zudem das internationale CESifo-Forschernetzwerk, heute eines der weltweit bedeutendsten seiner Art, und hatte viele Gastprofessuren inne (u.a. in Stanford, Princeton, London/Ontario, Jerusalem, Bergen, Wien und Luzern).
Hans-Werner Sinn erhielt zahlreiche Ehrendoktorwürden, Preise und Auszeichnungen aus dem In- und Ausland, so auch als bislang einziger Volkswirt die zum „Hochschullehrer des Jahres“. Auch nach seiner Emeritierung gilt er als einer der einflussreichsten Ökonomen im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Durch seine wirtschaftspolitischen Sachbücher, viele davon Bestseller, und seine pointierten Auftritte in den Medien ist er einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
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