Corona: Viel Raum für eine wissenschaftliche Aufarbeitung

8. Juli 2020 – von Stephan Ring

Das zweite Quartal 2020 ist vergangen und inzwischen liegen die Corona-Zahlen per 30. Juni vor – Zeit, sich noch einmal mit dem Verlauf der Pandemie im zweiten Quartal zu beschäftigen. Eine Analyse scheint insofern geboten, als die im Rahmen der Pandemie getroffenen Maßnahmen massiven Einfluss auf die Volkwirtschaft hatten und noch haben.

Blickt man auf das zweite Quartal 2020 zurück, dann fällt im Weltmaßstab eine beachtenswerte Gegenläufigkeit zwischen den neuen Infektionszahlen (braune Linie) und den Todesfällen (rote Linie) auf. Während sich die Pandemie – gemessen an den Ansteckungen – global ungebremst fortsetzte, gingen die Todesopfer im Trend deutlich zurück.

Das kann unterschiedliche Ursachen haben. So könnte zum Beispiel die Durchseuchung früherer Zeiten angesichts fehlender Tests in Wirklichkeit höher gewesen sein als es die braune Linie in der Grafik für diese Zeiträume andeutet. Die aktuell höheren Werte wären dann schlicht ein Ergebnis der vermehrten Testauswertungen. Erinnern wir uns an die Situation in Deutschland zu Beginn der Pandemie: man musste um einen Test regelrecht „betteln“ und klare Symptome aufweisen. Heute wird jeder getestet, der dies möchte. Ein anderer Grund könnte sein, dass die Behandlungsmethoden auf mehr Erfahrung aufbauen und daher erfolgreicher sind als früher. Dafür könnte sprechen, dass zum Beispiel in Deutschland – wie noch gezeigt wird – der Anteil der Beatmungen an intensivmedizinisch versorgten Patienten deutlich gesunken ist. Offenbar setzen die behandelnden Ärzte dieses den Patienten sehr beanspruchende Verfahren nicht mehr so gerne ein wie zuvor.

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Eine dritte Hypothese könnte sein, dass eine Reihe von hochgefährdeten Risikopatienten (sehr alt/diverse Vorerkrankungen) schlicht schon verstorben oder aber wirksam isoliert sind. Unabhängig von Spekulationen, Fakt ist: die internationale Sterblichkeit geht zurück, obwohl die bestätigten Infektionen noch steigen.

Wer den globalen Zahlen – mit gewisser Berechtigung – nicht ganz über den Weg traut, dem kann man noch die deutschen Werte des Robert Koch Instituts (RKI) in Berlin anbieten. Die Situation in Deutschland unterscheidet sich von der weltweit in der Hinsicht, dass hierzulande auch die Neuinfektionen einen klaren Abwärtstrend aufweisen. Die folgende Grafik zeigt Neuinfektionen und Todesfälle kombiniert. Man sieht, dass auch die neuen Ansteckungen seit Ende März deutlich gesunken sind.

An dieser Stelle ein kleiner methodischer Hinweis hinsichtlich der Tatsache, dass die Grafik sowohl die täglichen Infektionen als auch einen 7 Tage-Durchschnitt (blaue, gepunktete Linie) zeigt. Denn im Grunde müssten diese Werte alle mit diesem Wochendurchschnitt betrachtet werden, weil die Angaben durch einen Rückgang für das Wochenende die Vermutung nahelegen, dass am Samstag und Sonntag einige Zahlen nicht gemeldet und dann am Wochenbeginn nachgemeldet werden. Der Durchschnitt glättet diesen Effekt heraus.

Für Deutschland kann man angesichts hier deutlich verbesserter statistischer Erfassung noch einen weiteren Indikator für die Intensität der Seuche liefern. Denn seit dem 16. April muss das Vorhandensein und die Belegung von Intensivbetten in Krankenhäusern zentral an die DIVI-Erfassung gemeldet werden. Es lässt sich so täglich sehen, wie viele Corona-Kranke intensivmedizinisch behandelt werden. Per Jahresmitte waren das noch 337 Patienten, von denen 174, also 52 Prozent, künstlich beatmet wurden. Man kann die Zahl dieser Intensivbehandelten in der nächsten Grafik im Zeitablauf verfolgen (braune Linie). Die rote Linie zeigt den Anteil der jeweils künstlich beatmeten Corona-Kranken. Dieser ist in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Seit Monaten stehen auch durchgehend über 10.000 Intensivbetten leer und damit für die einige Zeit befürchtete Behandlungswelle zur Verfügung.

Auch bei den bestätigt Kranken zeigt sich das gleiche Bild wie bei Neuinfektionen und Todesfällen: Die Lage hat sich deutlich entspannt. Waren auf dem Höhepunkt am 6. April 64.318 Menschen laborbestätigt mit Corona infiziert – und weder wieder genesen noch gestorben -, so liegt die Zahl dieser akut Kranken derzeit nach den RKI-Daten nur noch bei 5.940 und damit bei einem Neuntel des Höchstwerts. Hauptsächlich durch einige Hotspots (z.B. Tönnies-Fleischfabriken) kam es vom 16. bis 27. Juni zu einem Anstieg um gut 2.000 Akutfälle, der aber in den letzten Tagen wieder abklingt. Eigentlich ist diese „zweite Welle“ – zumindest bislang – überraschend zahm geblieben, wenn man berücksichtigt, dass ein Teil der Quarantäne- und Schutzregeln in den letzten Wochen gelockert worden sind.

Diese Entwicklung spricht ein wenig für die Annahme, dass Corona eher dem Influenza-Saisonmuster (im Frühjahr und Sommer drastisch verringert) als den getroffenen Radikalmaßnahmen vom 23. März folgt. Aber das mit aller gebotenen Vorsicht, denn scheinbar spricht der Seuchenverlauf in anderen Ländern gegen diese Vermutung. Aber die Gründe dafür kann man von hier schwer beurteilen, waren doch die ergriffenen Maßnahmen und die Gefahrenlage durchaus differenziert.

Es scheint, als würde die Intensität der Seuche, die sich dann in Todesfällen und notwendiger Intensivbetreuung äußert, scheinbar auch sozialen Bedingungen wie Wohn- und Arbeitssituation sowie der medizinischen Betreuung folgen. Aber auch die Verteilung der alten Mitbürger spielt wohl eine Rolle. Wohnen diese mit der jungen und leicht ansteckbaren Familie unter einem Dach zusammen oder sind sie – vergleichsweise leicht gegen den Virus abzuschotten – in einer Alten- oder Pflegeeinrichtung untergebracht? Das ist nicht unerheblich, denn 85,7 Prozent aller bisherigen Corona-Toten sind in Deutschland 70 Jahre und älter und nicht einmal ein Prozent unter 50 Jahre alt. Im Nachhinein betrachtet hätte es wohl genügt, den Lockdown mit Homeoffice nur für über 60-jährige zu verfügen. Die Altersstruktur der Todesfälle hat sich seit Beginn der Pandemie praktisch nicht verändert.

Die genannten Daten und Fakten lassen den Schluss zu, dass das Corona-Virus – zumindest hierzulande und zum gegenwärtigen Zeitpunkt – nicht zu einer übermäßigen Furcht Anlass gibt.

Und am Ende sollte man auch eine durchaus rätselhafte Frage stellen: Warum haben die Bundesbürger allein seit dem Kriegsende rund ein Dutzend relativ tödliche Influenza-Epidemien ziemlich klaglos hinter sich gebracht und sind nun bei Corona derart in Aufruhr? Damit soll nicht die Gefahr der derzeitigen Pandemie relativiert werden, aber immerhin gab es nach RKI-Schätzungen in der Grippesaison 2017/18 fast unbemerkt rund 25.000 Grippetote und auch nicht viel weniger im Jahr zuvor. Und nun sollen die bislang rund 9.000 Corona-Verstobenen, die zudem anscheinend alle „mit“ Corona Verstorbenen beinhaltet, eine solch epochale Bedrohung sein, obwohl diese Zahl bis jetzt nur etwa dem jährlichen Durchschnitt aller Influenza-Toten der letzten 20 Jahre entspricht?

Selbstredend schmäleren diese Feststellungen nicht das Leid der Betroffenen und Angehörigen im Einzelfall, aber die Diskrepanz ist durchaus bemerkenswert.

Es bleibt in vielfacher Hinsicht noch viel Raum für eine wissenschaftliche Aufarbeitung.

Dr. Stephan Ring ist Jurist und Vorstand des Ludwig von Mises Institut Deutschland.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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