Es gibt keine Konstanten im menschlichen Handeln

17. Januar 2020 – von Karl-Friedrich Israel

[Der Autor ist Referent beim diesjährigen Ludwig von Mises Seminar. Nähere Informationen finden Sie hier.]

Karl Friedrich Israel

Ludwig von Mises war ein Befürworter des methodologischen Dualismus. Er argumentierte, dass sich die eigentliche Methodik der Sozialwissenschaften, wie der Ökonomik, grundlegend von der Methodik der Naturwissenschaften, wie der Physik, unterscheide. Seine Rechtfertigung wird oft auf einen einfachen Einzeiler heruntergebrochen: „Es gibt keine Konstanten im menschlichen Handeln.“ Aber natürlich steckt viel mehr in seinem Argument, das leider nur selten gewürdigt wird. Mises’ Arbeiten über die erkenntnistheoretischen und methodischen Grundlagen der Wirtschaftswissenschaften werden nach Angaben seines Biographen Professor Jörg Guido Hülsmann nur selten aufmerksam studiert und sind unter seinen vielen Beiträgen diejenigen, die am wenigsten verstanden werden. Gleiches gilt zweifellos auch für die Begründung und Verfeinerung der Mises’schen Position durch Professor Hans-Hermann Hoppe. Im Folgenden soll eine prägnante Zusammenfassung sowohl des ursprünglichen Mises‘schen Arguments als auch dessen Ausarbeitung durch Professor Hoppe gegeben werden.

Die Mises’sche Argumentation

Als Sozialwissenschaft beschäftigt sich die Ökonomik mit den Wahl- und Handlungsentscheidungen der Menschen. Damit unterscheidet sie sich kategorisch von den Naturwissenschaften, die sich mit unbelebten Objekten beschäftigt. Für Mises ist genau dies der Grund, warum die Ökonomik eine andere Methode der wissenschaftlichen Untersuchung erfordert. Damit wendet er sich gegen den methodologischen Monismus – eine weit verbreitete Position, die davon ausgeht, dass die Methoden der naturwissenschaftlichen Untersuchung, nämlich die empirische Hypothesenbildung und -prüfung, auch in der Ökonomik anwendbar seien. Mises würde einen solchen Ansatz ganz entschieden ablehnen.

Dabei hat er natürlich nicht bestritten, dass es eine wichtige Rolle für die naturwissenschaftliche Analyse des menschlichen Körpers und seiner Funktionen gibt, wie sie etwa in der medizinischen Forschung durchgeführt werden. Allerdings sind die wichtigen Elemente der ökonomischen Analyse letztlich nicht beobachtbar und nicht messbar. Menschliches Handeln, definiert als zielgerichtetes Verhalten, im Gegensatz zu der bloßen physischen Bewegung eines Körpers, ist streng genommen nicht beobachtbar. Das Ziel, der Zweck oder das Motiv einer Handlung kann, zumindest noch nicht, physiologisch erklärt werden. Auch Ideen, Denken oder Entscheidungen lassen sich nicht naturwissenschaftlich erklären. Das Wählen von Handlungsoptionen wird also in der Ökonomik als ultimative Prämisse bzw. als Ausgangspunkt der Analyse vorausgesetzt, wie Mises schon früh in seinem Werk Theorie und Geschichte darlegt. Später, in Die Letztbegründung der Ökonomik, stellte er klar, dass dies keineswegs bedeute, dass man einen Determinismus in jedem Fall leugnen müsse. Er schreibt, dass der Mensch „in jedem Augenblick seines Lebens – seiner irdischen Pilgerreise – ein Produkt der gesamten Geschichte des Universums“ sei. Er fährt fort: „Alle seine Handlungen sind das unvermeidliche Ergebnis seiner Individualität, wie sie von allem Vorhergehenden geformt wurde.“ Damit könnte Mises gemeint haben, dass es letztendlich gar keinen freien Willen gäbe, und deshalb auch keine Wahl von Handlungsoptionen. Es ist für uns aber nicht zweckdienlich darüber zu streiten. Wir können bei dieser rätselhaften Frage agnostisch bleiben.

Tatsache ist, dass wir sehr weit davon entfernt sind, das menschliche Handeln und das, was wir introspektiv als Wahlentscheidungen wahrnehmen, mit naturalistischen Begriffen zu erklären. Es ist unmöglich, eine bestimmte Handlung mit einer greifbaren Anzahl von feststellbaren äußeren Faktoren derart in Beziehung zu setzen, dass die Handlung als die unvermeidliche Folge dieser Faktoren angesehen werden kann. Deshalb stellt Mises fest: „Über eine bestimmte Instanz des menschlichen Handelns und Entscheidens lässt sich nicht mehr sagen, als dass sie der Individualität des Menschen zuzuschreiben ist.“ Und genau diese Individualität, auch wenn sie aus einer übermenschlichen Perspektive determiniert sein mag, ist der Grund dafür, dass es keine konstanten Beziehungen gibt zwischen den beobachtbaren Variablen, die als Ursachen für eine Handlung betrachtet werden können, und jenen beobachtbaren Variablen, die Effekte und Auswirkungen der Handlung sind. Aufgrund dieser fehlenden Konstanz hält Mises das positivistische Forschungsprogramm der Mainstream-Ökonomik für trügerisch.

In der Vergangenheit beobachtete empirische Zusammenhänge unterliegen zukünftigen Veränderungen, solange mindestens eine der beobachteten Variablen das Ergebnis menschlichen Handelns ist. Aber natürlich sind fast alle empirischen Beziehungen, die in der Wirtschaftsforschung von Interesse sind, genau dieser Art. Wirtschaftswachstum, Preisinflation, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrisen sind allesamt Ergebnisse bestimmter Kombinationen individueller menschlicher Entscheidungen und Handlungen. Jede Handlung setzt Alternativen voraus, und daher hätte sie unter sonst gleichen beobachtbaren Bedingungen auch durchaus anders sein können.

Die zentrale Frage, die Mises aufwirft, ist also folgende: Als was betrachten wir den Menschen? Der monistische Ansatz in den Sozialwissenschaften muss letztlich von der menschlichen Individualität abstrahieren und den Menschen als etwas betrachten, dessen Verhalten konstanten und unveränderlichen Regeln folgt, ganz so wie Steine oder Maschinen. Damit wird die menschliche Fähigkeit zu denken, zu argumentieren, zu wählen und zu handeln weggebürstet. Für ein richtiges Verständnis der sozialen Phänomene sollten wir jedoch diese Eigenschaften berücksichtigen, auch wenn dies bedeutet, dass einige der Methoden, die sich in den Naturwissenschaften als so mächtig erwiesen haben, in den Sozialwissenschaften abgelehnt werden müssen.

Hoppes Ausarbeitung

Die Ablehnung des methodologischen Monismus durch Mises hat viele Ökonomen nicht überzeugt. Und seine Rechtfertigung war wohl auch nicht ausreichend. Einige erkannten einen krassen Widerspruch in seiner deterministischen Gesamtsicht einerseits und seiner Betonung der Bedeutung menschlichen Handelns andererseits. Diese Spannung lässt sich kaum leugnen. Ein möglicher Ausweg aus dieser Sackgasse besteht darin, die ultimative Quelle des Determinismus als etwas grundsätzlich Unerkanntes zu interpretieren – etwas, das ein allwissender Verstand vielleicht begreifen könnte, nicht aber ein begrenzter menschlicher Verstand. Aus dessen Perspektive bleibt das Ganze höchst spekulativ.

Dennoch haben wir keine Alternative, als in Ursache und Wirkung zu denken. Die relevanten Ursachen sind aber vielleicht keine feststellbaren äußeren Faktoren. Oder doch? Wer kann das schon wissen? Das einzige, was wir tun können, ist, nach etwas zu suchen, das in der menschlichen Rationalität und Erfahrung liegt, um das methodische Rätsel zu lösen. Die entscheidende Frage ist dann, wie genau aus der Perspektive eines handelnden Menschen die Behauptung gerechtfertigt werden kann, dass es „keine Konstanten im menschlichen Handeln“ gäbe.

Ein ausgearbeitetes Argument lieferte Hans-Hermann Hoppe in seiner Kritik der kausalwissenschaftlichen Sozialforschung. Interessanterweise fand Hoppe die Grundlage für seine Argumentation in den Schriften von Karl R. Popper, der in vielerlei Hinsicht das genaue Gegenteil der Mises’schen Position vertrat. Sir Karl hat in seiner Schrift Das Elend des Historizismus insbesondere den Historizismus von Oswald Spengler und Karl Marx überzeugend widerlegt. Sein Argument war schlicht und einfach: Es gibt keine wissenschaftliche Theorie der historischen Entwicklung, die als Grundlage für eine historische Vorhersage dienen kann, weil der Weg der Geschichte vom zukünftigen Stand des menschlichen Wissens abhänge, der selbst wiederum wissenschaftlich nicht vorhersagbar ist.

Hoppe ist es gelungen diese Einsicht in das Mises‘sche Gedankengebäude einzubetten. Er hat gezeigt, dass sie auch als Grundlage für eine Widerlegung des positivistischen Forschungsprogramms der Mainstream-Ökonomik und eine Rechtfertigung des methodologischen Dualismus von Mises dienen kann. Lassen Sie uns Hoppes Argument Schritt für Schritt rekonstruieren.

Zunächst müssen wir verstehen, dass empirische Konstanten tatsächlich eine Notwendigkeit für den positivistischen Ansatz sind. Genauer gesagt, muss das sogenannte Konstanzprinzip zwischen den beobachtbaren Ursachen und Wirkungen erfüllt sein. Nach diesem Prinzip erzeugt die gleiche Konfiguration der beobachtbaren Ursachen immer die gleiche Wirkung, und Unterschiede in den Wirkungen implizieren unterschiedliche Ursachen.

Stellen Sie sich einen Ökonomen vor, der ein ökonometrisches Modell verwendet, um die Beziehung zwischen einer „erklärten“ Variable und einer Gruppe „erklärender“ Variablen zu schätzen. Für die Schätzung stehen dem Ökonomen zwei verschiedene Datensätze zur Verfügung. Wenn zwei verschiedene Ergebnisse herauskommen, muss der Ökonom das Konstanzprinzip annehmen, wenn auch nur implizit, sobald er zu dem Schluss kommt, dass bei der Entstehung eines der beiden Datensätze mindestens ein weiterer kausaler Faktor am Werk gewesen sein muss, der die Entstehung des anderen nicht in gleichem Maße beeinflusst hat. Aber genau diese Art von Schlussfolgerung liegt jeder Überarbeitung der ursprünglichen Modellspezifikation zugrunde, die in der Hoffnung durchgeführt wird, den fehlenden Faktor einzubeziehen. Die allmähliche Annäherung an die Wahrheit, die das positivistische Forschungsprogramm auf diese Art und Weise verspricht, erfordert daher das Konstanzprinzip. Wenn es nicht erfüllt ist, wird der Ökonom von den sich ständig ändernden Bedingungen getäuscht und auf Abwege geraten.

Ob das Prinzip gilt, lässt sich nun aber empirisch nicht beweisen oder widerlegen. Der einzige Weg zur Klärung dieser Frage ist die rationale Argumentation. Es folgt der zweite Schritt in Hoppes Argument, der auf Poppers Einsicht basiert.

Menschliches Wissen kann sich ändern, und es ist unmöglich, den zukünftigen Stand des menschlichen Wissens wissenschaftlich vorherzusagen. Mit anderen Worten, wir können neue Dinge lernen und es ist unmöglich, vorherzusagen, was wir lernen werden. Wenn wir vorhersagen könnten, was wir lernen werden, könnte in der Tat von „Lernen“ gar nicht die Rede sein, da wir vorher wissen müssten, was wir erst noch „lernen“ werden. Darüber hinaus ist die Behauptung, dass Menschen neue Dinge lernen können, eigentlich nicht falsifizierbar, denn sie zu falsifizieren, wäre gerade ein Akt des Lernens. Die Aussage, dass „Menschen lernen können“ ist a priori als richtig anzuerkennen. Sie kann nicht argumentativ verneint werden, ohne in einen Widerspruch zu geraten. Man kann nicht lernen, dass man lernunfähig ist. Und natürlich hat jede wissenschaftliche Untersuchung, auch in der positivistischen Tradition der Wirtschaftswissenschaften, das ausdrückliche Ziel, etwas über die Wirklichkeit zu lernen. Warum sollte man sich mit Wissenschaft beschäftigen, wenn wir nichts lernen könnten?

Nun, menschliches Handeln, verstanden als der Einsatz von Mitteln zur Erreichung von Zielen, ist abhängig vom Stand des menschlichen Wissens und den Überzeugungen (natürlich auch falschen Überzeugungen), welche Mittel geeignet sind, die jeweiligen Ziele zu erreichen. Wenn sich Wissen, Überzeugung und Glauben ändern, ändert sich auch das Handeln bei sonst gleichen Rahmenbedingungen. Das Konstanzprinzip im Bereich der Ökonomie ist daher abzulehnen. Wäre der Grundsatz der Konstanz erfüllt, würde dies die Unmöglichkeit des Lernens implizieren, was uns in Widersprüche führt. Menschen lernen ständig. Da es aber keine Möglichkeit gibt, den zukünftigen Wissensstand wissenschaftlich vorherzusagen, gibt es auch keine Möglichkeit, menschliches Handeln und seine Auswirkungen wissenschaftlich vorherzusagen.

Der letzte Schritt in Hoppes Argument ist die Verknüpfung der beiden vorangegangenen Schritte. Das oben definierte Konstanzprinzip ist die notwendige Voraussetzung für die Falsifizierung, Revision und Verbesserung empirischer Hypothesen und damit für den positivistischen Forschungsansatz insgesamt. Das Konstanzprinzip ist jedoch immer dann abzulehnen, wenn die „erklärten“ empirischen Phänomene das Ergebnis menschlichen Handelns sind, denn der Mensch lernt und der Stand des menschlichen Wissens ändert sich im Laufe der Zeit. Das menschliche Handeln und seine messbaren Effekte sind abhängig vom Wissensstand der Menschen. Daher ist der positivistische Ansatz in der Ökonomik widersprüchlich und muss abgelehnt werden. Wie Hoppe gezeigt hat, lässt sich die dualistische Position von Mises tatsächlich mit ein wenig Hilfe eines unerwarteten Freundes, Sir Karl Popper, rechtfertigen.

Die praktische Relevanz des Arguments

Es ist wichtig, die Tragweite des Arguments zu verstehen. Auch wenn der methodologische Monismus aus der Sicht des lernenden menschlichen Akteurs eine von Widersprüchen durchzogene Position ist, können wir natürlich nicht ausschließen, dass alle Phänomene letztlich den gleichen Gesetzen folgen und dass es tatsächlich eine monistische Struktur gibt, die allem zugrunde liegt, der äußeren physischen Welt ebenso wie dem menschlichen Geist. In Theorie und Geschichte schreibt Mises:

Sterbliche Menschen wissen nicht, wie das Universum und alles, was es enthält, einer übermenschlichen Intelligenz erscheinen mag. Vielleicht ist ein solch erhabener Verstand in der Lage, eine schlüssige und umfassende monistische Erklärung aller Erscheinungen auszuarbeiten. Bis jetzt wenigstens scheiterte der Mensch in beklagenswerter Weise in seinen Bestrebungen, die Kluft zu überbrücken, die er zwischen Geist und Materie erblickt, zwischen Reiter und Pferd, zwischen Steinmetz und Stein. Es wäre absurd, dieses Scheitern als ausreichenden Beweis für die Richtigkeit einer dualistischen Philosophie zu betrachten. Alles, was wir daraus ableiten können, ist, dass die Wissenschaft – zumindest vorläufig – einen dualistischen Ansatz verfolgen muss, weniger im Sinne einer philosophischen Erklärung als eines methodischen Werkzeugs.[1]

Die Mises‘sche Position enthält nicht die Antwort auf alle Fragen, aber sie ist von enormer praktischer Bedeutung, um geeignete Forschungsmethoden in den Sozialwissenschaften zu finden und Trugschlüsse zu vermeiden. Das hier zusammengefasste Argument ist nur aus der Perspektive des lernenden Menschen gültig. Daher hat es insofern ein gewisses Gewicht, als dass wir vermeintlich alle zu dieser Gruppe gehören. Aber es ist nicht zu leugnen, dass unser Verständnis und unsere Wahrnehmung der Realität wahrscheinlich sehr begrenzt sind.

Es ist eine merkwürdige Tatsache, dass einige moderne Mainstream-Ökonomen sich implizit auf dem Rang eines solch erhabenen Verstandes wähnen, den Mises im obigen Zitat erwähnt. Sie versetzen sich in die Lage eines Zoologen, der eine von seiner eigenen Spezies verschiedene – und vermutlich minderwertige – Art studiert. Es ist an der Zeit, von diesem hohen Ross abzusteigen und ehrlich die fundamentalen Probleme einzugestehen, die in vielen Bereichen der Ökonomik auftreten.

Schließlich muss betont werden, dass Mises die empirische und ökonometrische Forschung als solche nicht abgelehnt hat. Statistik und Ökonometrie sind Werkzeuge der Wirtschaftsgeschichte. Sie haben eine beschreibende Funktion. Sie beschreiben die Phänomene, die die Wirtschaftstheorie zu erklären versucht, aber sie formen und revidieren die Wirtschaftstheorie nicht von sich aus.

[1] Dies ist eine leicht abgewandelte Version der publizierten Übersetzung von Helmut Krebs, die ich in diesem Absatz für nicht ganz treffend halte.

Dr. Karl-Friedrich Israel hat Volkswirtschaftslehre, Angewandte Mathematik und Statistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der ENSAE ParisTech und der Universität Oxford studiert. Er wurde 2017 an der Universität Angers in Frankreich bei Professor Dr. Jörg Guido Hülsmann promoviert. An der Fakultät für Recht und Volkswirtschaftslehre in Angers unterrichtete er von 2016 bis 2018 als Dozent. Seit Herbst 2018 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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