„In der Politik findet man heute eher Blender als echte Problemlöser“

14. Oktober 2019 – Interview mit Titus Gebel, Gründer, Präsident und CEO von Free Private Cities, Inc. Er ist ein deutscher Unternehmer, hat in internationalem Recht promoviert und ist der Autor von Freie Privatstädte: Mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt.

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Herr Gebel, seit unserem letzten Gespräch hat sich bei ‚Free Private Cities‘ einiges getan. Was können Sie uns berichten?

Titus Gebel

Wir haben große Fortschritte in unserem ZEDE-Projekt in Honduras gemacht. ZEDE bedeutet übersetzt „Zone für wirtschaftliche Entwicklung und Beschäftigung“. Tatsächlich wurde sogar die honduranische Verfassung geändert, um das Programm zu ermöglichen. Und selbst wenn das gleichnamige ZEDE-Gesetz aufgehoben würde, wäre die Existenz der ZEDE für etwa 50 Jahre garantiert.

Es handelt sich bei diesem Modell zwar nicht um eine 100%ige Freie Privatstadt, eher um eine öffentlich-private Partnerschaft in einer besonderen Verwaltungszone. Doch die Rechtsautonomie, die gewährt wird, ist außergewöhnlich weitgehend. Eine solche Zone kann eine eigene Verwaltung, ein eigenes Rechtssystem, das sich von Honduras unterscheidet, eigene Gerichte und eine eigene Polizei haben. Sie wird eine Freihandelszone sein und kann fast jeden Aspekt des Zusammenlebens allein regeln. Gleichwohl gibt es einige Einschränkungen, Teile der honduranischen Verfassung sowie von Honduras geschlossene internationale Verträge gelten auch dort. Und das ZEDE-Gesetz sieht bestimmte (niedrige) Steuern und eine staatliche Kommission vor, die die von der Zone festgelegten Regeln einmal genehmigen muss. Das Gute daran ist aber, dass wie im Modell der Freien Privatstadt jeder Einwohner einen Aufenthaltsvertrag mit der Zone erhält, der seine Rechte und einen Schutz vor Regeländerungen garantiert.

Das Honduras Próspera-Projekt von NeWay Capital, bei dem meine Firma Free Private Cities Inc. investiert ist, ist die erste zugelassene ZEDE im Land. Sie hat die Strukturierungsphase erfolgreich abgeschlossen. Dieses Projekt basiert auf der besagten ZEDE-Gesetzgebung und hat einzigartige und innovative Lösungen des Zusammenlebens entwickelt. In den letzten zwei Jahren habe ich die Strukturierung des Projekts in leitender Position unterstützt. Nachdem das Projekt seine operative Phase erreicht hat und die rechtlichen Rahmenbedingungen festgelegt und von der Honduranischen Regierung genehmigt wurden, ist mein Teil der Arbeit erledigt. Alles weitere liegt jetzt in den Händen des Teams vor Ort.

Wer Interesse hat, zu den Ersten gehören, die den Status einer vollständigen physischen oder elektronischen Residenz erhalten, kann das folgende Interessenten-Formular ausfüllen (wird Ende Oktober wieder geschlossen): https://forms.gle/oomRi46aAXwFZrNcA

Ich gehe davon aus, dass noch in diesem Jahr das offizielle Bewerbungsverfahren für Siedler eröffnet wird.

Verleihung der Genehmigungsurkunde für das Rechtssystem der ZEDE Prospera (der Autor hält das Dokument in Händen).

Das klingt sehr, sehr spannend … wie muss man sich ein solches Bewerbungsverfahren vorstellen?

Im Grunde unterscheidet sich ein solches Verfahren nicht wesentlich von dem klassischer Einwanderungsländer. Es wird ein polizeiliches Führungszeugnis gefordert, eine Erklärung wie man seinen Lebensunterhalt bestreiten will und wo man zu wohnen gedenkt. Je nachdem, aus welchem Land der Antragsteller kommt, werden mehr oder weniger gründliche Hintergrundrecherchen durchgeführt. Bei Bewerbern aus OECD-Ländern wird das weniger strikt laufen als bei solchen aus problematischen Staaten. Die ZEDE wird sich vorbehalten, etwa Schwerkriminelle, Kommunisten und Islamisten nicht aufzunehmen.

Für die Erlangung der geplanten elektronischen Aufenthaltserlaubnis (e-residence) ist die Hürde geringer als für diejenigen, die tatsächlich einen dauerhaften Aufenthalt in der Zone anstreben. Letztere werden zu einem persönlichen Interview geladen, bevor die endgültige Entscheidung fällt. Wer weder kriminell noch Extremist ist, unsere Regeln akzeptiert und seinen Lebensunterhalt bestreiten kann, der hat gute Chancen aufgenommen zu werden, egal wo er herkommt.

Manchem kommt bei der Vorstellung von ‚Prospera‘ bestimmt der Roman ‚Atlas Shrugged‘ von Ayn Rand in den Sinn, in dem sich Industrielle zurückziehen, während die Welt ‚draußen‘ nach und nach in sich zusammenbricht. Diese Assoziation ist falsch, oder?

Jein. In erster Linie werden unsere Bewohner vermutlich aus Honduras kommen und ganz normale Leute sein, die Arbeitsplätze, Sicherheit und eine funktionierende Verwaltung suchen. In einem Land, in dem man nicht einmal einen Brief mit der Post schicken kann, weil man nicht weiß, ob er ankommt, in dem man seine berechtigten Forderungen nicht vor Gericht durchsetzen kann, und das eine sehr hohe Kriminalitätsrate hat, ist ein Angebot, wie wir es machen, natürlich hochattraktiv.

Auf der anderen Seite bieten wir auch einen Rahmen für Einwanderer aus den USA oder Europa, die unsicher sind, wie die politische Entwicklung in ihren Ländern weitergeht. Eines unserer Hauptanliegen ist es, einen für jeden vertraglich garantierten Rechtsrahmen zu etablieren, der nicht aller Nasen lang wieder geändert wird, je nachdem welche politische Partei gerade an der Macht oder welche Zeitgeistmode gerade angesagt ist.

Meinen Sie, dass die künftige Entwicklung in Europa Ihnen Interessenten zutreiben wird?

Eindeutig ja. Trotzdem ist für viele Mittelamerika als Alternative zu weit weg bzw. die Zeitverschiebung zu groß. Daher sind wir auf der Suche nach weiteren möglichen Standorten. Derzeit befinden wir uns in ersten Gesprächen mit Regierungen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich aufgrund des heiklen politischen Charakters solcher Projekte den Namen des entsprechenden Landes erst dann offenlegen kann, wenn alle rechtlichen Vereinbarungen getroffen wurden. Dies zu erreichen ist natürlich keine leichte Aufgabe und erfordert normalerweise zumindest eine Änderung eines Gesetzes, wenn nicht der Verfassung selbst. Mit anderen Worten: Es braucht seine Zeit. Wir stehen mit Freien Privatstädten erst ganz am Anfang. Wir versuchen gleichwohl, uns Europa zumindest geografisch anzunähern. Denn ich halte es für durchaus vorstellbar, dass wir noch zu Lebzeiten Freie Privatstädte etwa im Gebiet des heutigen Deutschlands und Italiens sehen, so wie es im Mittelalter mit den freien Reichsstädten bereits einmal der Fall war.

Demnach gehen Sie davon aus, dass sich politisch einiges verändern wird. Wie sehen Sie die künftige Entwicklung in Europa, insbesondere in der EU?

In den nächsten 10 bis 20 Jahren wird es sicher erhebliche Umwälzungen geben. Die westlichen Demokratien in ihrer herkömmlichen Form sind vermutlich nicht in der Lage, diese einfach zu absorbieren. Das liegt einfach an deren Fehlanreizen für die Politiker, nämlich Wählerstimmen mit Schuldenmachen, Gelddrucken oder Steuern anderer zu kaufen, keinerlei persönlicher Haftung zu unterliegen und eher Eindrücke als messbare Ergebnisse liefern zu müssen. Daher findet man heute durchgehend eher Blender als echte Problemlöser in der etablierten Politik. Aber die Probleme sind massiv, und sie sind praktisch alle hausgemacht: Überschuldung öffentlicher Haushalte, fehlgeschlagenes Euro-Währungsexperiment, Vernichtung der Sparerträge und Schaffung von Zombieunternehmen durch Null- und Negativzinsen, Zerstörung der inneren Sicherheit und der Sozialsysteme durch verfehlte Migrationspolitik, Verrat der Werte von Aufklärung und Freiheit durch Einknicken gegenüber dem Islam, noch verschärft durch dessen demografische Ausbreitung, bewusste Verteuerung der Lebenshaltungskosten und Verschlechterung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit aufgrund höchst fragwürdiger Klimaschutzmaßnahmen, beständige Absenkung der Niveaus an Schulen und Ausbildungseinrichtungen aufgrund der Unfähigkeit, sich einzugestehen, dass Menschen ungleich und damit auch ungleich begabt sind usw.

Das sehen viele zwar weniger dramatisch. Warum das so ist, schrieb Vera Lengsfeld dieser Tage: „Wir sind in einer Transformationsphase hin zur bewussten politischen, kulturellen und ökonomischen Destabilisierung der einst wohlhabendsten und freiheitlichsten Teile dieser Erde. Jeder könnte das erkennen. Aber der zu erwartende Schmerz der Erkenntnis verhindert bei vielen wohl den Erkenntnisprozess.“ Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis auch die Mehrheit sich eingesteht, dass es lichterloh an allen Fronten brennt. Die einzige Gegenmaßnahme, die der Regierung dann bleiben wird, ist die Repression. Und wir sehen ja schon die ersten Anzeichen von Verboten freier Meinungsäußerung, Einschränkung des Kapitalverkehrs und so weiter. Solche Maßnahmen vermögen das Ende der alten Ordnung aber nicht zu verhindern, sondern lediglich zu verzögern.

Was kommt danach?

Das ist schwierig zu prognostizieren und vermutlich von Land zu Land verschieden. Es kann sowohl einen geordneten als auch einen ungeordneten Übergang geben.

Eine mögliche positive Entwicklung wäre, dass die Menschen erkennen, dass es die Politik war, die diese Probleme aus machtpolitischen Erwägungen verursacht hat. Und dass sie dann eher Systemen zuneigen, die mehr Wert auf Selbstbestimmung des Einzelnen und persönliche und wirtschaftliche Freiheit legen. Mindestens genauso wahrscheinlich ist aber leider, dass die Verantwortlichen oder deren Nachfolger mit Erfolg auf die üblichen Sündenböcke ablenken, um das Versagen ihrer Politik zu übertünchen, als da wären: Superreiche, zionistische Weltverschwörung, internationale Großkonzerne, „entfesselte“ Märkte, der Raubtierkapitalismus usw. Das übliche marxistische Programm, das völlig verkennt, dass es stets die Politik ist, die Letztentscheidungen trifft, weil sie über die Gewehrläufe gebietet. Auch der reichste Strippenzieher der Welt kann nicht Trump, Putin oder Xi Jinping verhaften lassen. Umgekehrt geht das aber sehr wohl.

Die als „populistisch“ diffamierten Oppositionsparteien in Europa werden sich in einem solchen Szenario, wollen Sie eine Mehrheit der Wähler hinter sich bringen, in sozialdemokratische Umverteilungsparteien wandeln müssen, wenn sie es nicht ohnehin schon sind. Selbst wenn es gelingt, die Menschen mit einer Art liberalem Putsch zu überraschen, wie seinerzeit Ludwig Ehrhardt mit der Freigabe der Preise über Nacht, so werden – wie in der alten Bundesrepublik – nach spätestens 10 bis 20 Jahren doch wieder die Umverteiler obsiegen. Es ist einfach angenehmer, wenn der Staat einem alle Lebensrisiken abnimmt. Das Endergebnis wird aber immer dasselbe sein: gesellschaftliche Auflösung und finanzieller Ruin, weil mit der Zeit immer mehr umverteilt werden muss, um noch Wahlen zu gewinnen.

Das klingt nicht sehr ermutigend. Was kann man tun als freiheitlich denkender Mensch?

Die einzige Chance, die wir Freiheitlichen haben, ist, in der Zeit der Ungewissheit, also wenn die alte Ordnung erkennbar zu Ende geht, aber noch keine neue etabliert ist, ein System weitgehend unabhängiger Städte und Gemeinden zu etablieren, idealerweise Freie Privatstädte, die aufgrund ihrer Konstruktion praktisch politikfrei sind. Nur in solchen Umbruchzeiten besteht die Möglichkeit, Modelle zu etablieren, die zuvor noch undenkbar gewesen sind. Dafür könnte sich ein Zeitfenster von wenigen Jahren auftun. Das gilt es zu nutzen. Selbst dort, wo keine Mehrheiten für eine Freie Privatstadt vorhanden sind, könnte sich doch eine Mehrheit für eine genossenschaftlich organisierte Stadt mit Vertrag für jeden Bürger ergeben. Insbesondere wenn die Teilnahme an solchen Städten strikt freiwillig ist, wird es schwer werden, eine kritische Masse dagegen zu mobilisieren, zumal die meisten in einem solchen Szenario ohnehin andere Probleme haben werden. Außerdem hat die lokale Selbstständigkeit durchaus eine positive Tradition in Mitteleuropa. Man kann insoweit auf das Schweizer Modell mit der hohen Gemeindeautonomie verweisen.

Arbeiten Sie auf solche Ereignisse hin?

Im Grunde ist unsere Aktivität in Honduras ein Testlauf, wie Freie Privatstädte auch anderswo funktionieren könnten. Je mehr solcher Präzedenzfälle wir generieren, desto leichter wird es zu gegebener Zeit sein, solche auch in Europa umzusetzen.

Ich werde das nächste Jahr vor allem darauf verwenden, die rechtlichen Grundlagen für unabhängige oder vom Staat geduldete Privatstädte aufgrund meiner theoretischen Vorarbeiten und den praktischen Erfahrungen in Honduras niederzulegen, so dass diese Arbeiten jedem online zugänglich sind, der Gründungsinteresse hat.

Parallel werden wir versuchen, mit Regierungen in Europa Möglichkeiten zu eruieren, weitgehend autonome Privatstädte zu etablieren. Diese können dann als Fluchtpunkt dienen, falls es keinen geordneten Übergang gibt oder die Repression anderswo unerträglich wird. Es liegt auf der Hand, dass aus politischen und rechtlichen Gründen so etwas eher nicht innerhalb der EU möglich ist. Erste Ansätze bestehen im Kaukasus, wir untersuchen aber auch rechtliche Sonderregime in westlichen Ländern im Hinblick auf ihre Eignung für Privatstädte oder autonome Sonderzonen. Wer insofern informiert bleiben möchte, soll einfach unsere Newsletter abonnieren.

Herr Gebel, wir bedanken uns und wünschen Ihnen für Ihr wichtiges Projekt alles Gute.

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Das Interview wurde im Oktober 2019 per email geführt. Die Fragen stellte Andreas Marquart.

Titus Gebel ist Unternehmer und promovierter Jurist. Er gründete unter anderem die Deutsche Rohstoff AG. Er möchte mit Freien Privatstädten ein völlig neues Produkt auf dem „Markt des Zusammenlebens“ schaffen, das bei Erfolg Ausstrahlungswirkung haben wird. Zusammen mit Partnern arbeitet er derzeit daran, die erste Freie Privatstadt der Welt zu verwirklichen. Im April 2018 ist sein Buch „Freie Privatstädte – mehr Wettbewerb im wichtigsten Markt der Welt“ erschienen.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

Foto: Adobe Stock

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