Das US-Dollar-Biest

7. Oktober 2019 – von Thorsten Polleit

Thorsten Polleit

John Maynard Keynes (1883-1946) erklärte einst sehr gut, wie man den Gewinner eines Schönheitswettbewerbs erfolgreich vorhersagen könne. Man müsse in einer Weise an die Sache herangehen, “(…..) so daß jeder Teilnehmer nicht diejenigen Gesichter auszuwählen hat, die er selbst am hübschesten findet, sondern jene, von denen er denkt, daß sie am ehesten der Vorliebe der anderen Teilnehmer entsprechen werden (….). Es handelt sich nicht darum, jene auszuwählen, die nach dem eigenen Urteil wirklich die hübschesten sind, ja sogar nicht einmal jene, welche die durchschnittliche Meinung wirklich als die hübschesten betrachtet. Wir haben den dritten Grad erreicht, wo wir unsere Intelligenz der Vorwegnahme dessen widmen, was die durchschnittliche Meinung als das Ergebnis der durchschnittlichen Meinung erwartet.”[1]

Dies ist eine Perspektive, die diejenigen in Betracht ziehen sollten, die besorgt sind, der US-Dollar stünde kurz vor dem Zusammenbruch, und es handele sich bei ihm um die schlimmste aller Währungen. Neueste Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) sollten zunächst einmal aufhorchen lassen. In ihrer Dreijahresumfrage 2019[2] teilt die BIZ mit, dass das tägliche Handelsvolumen an den Devisenmärkten im April 2019 6,6 Billionen US-Dollar pro Tag erreichte – gegenüber 5,1 Billionen US-Dollar drei Jahre zuvor. Und dass der US-Dollar mit einem Anteil von 88 Prozent an allen Geschäften auf der einen Seite die wichtigste Einzelwährung an den Devisenmärkten blieb. Zum Vergleich: Beim Euro lag dieser Anteil bei 32 Prozent, beim japanischen Yen bei 17 und beim chinesischen Renminbi bei nur 4,3 Prozent.

Wenn es also eine Veränderung gab, dann ist die Bedeutung des US-Dollars an den Devisenmärkten in den letzten Jahren gestiegen und nicht gesunken. Warum aber wird der US-Dollar immer beliebter? Nun, der Greenback ist die Währung der größten Volkswirtschaft der Welt, der unübertroffenen militärischen Supermacht – der Vereinigten Staaten von Amerika. Die US-Finanzmärkte sind bei weitem die größten, transparentesten und liquidesten der Welt. Ob es Ihnen oder mir gefällt oder nicht: Der US-Dollar ist nach wie vor die bevorzugte Währung für internationale Handels- und Finanztransaktionen. Unter den Papiergeld-Mitbewerbern ist derzeit kein einziger Kandidat in Sicht, der den Status des US-Dollars in absehbarer Zeit in Frage stellen könnte.

Nicht weniger wichtig ist an dieser Stelle die Tatsache, dass der US-Dollar als „Basiswert“ zahlreicher anderer Papierwährungen fungiert: Der US-Dollar stellt typischerweise den größten Teil der „Vermögenswerte“ dar, die die Zentralbanken weltweit zur Sicherung – als bilanzielle Gegenposition – ihrer eigenen Währungen halten. In den meisten Fällen halten ausländische Zentralbanken auf US-Dollar lautende US-Staatsanleihen, kurzfristige Schuldverschreibungen und auch Bankeinlagen. Mit anderen Worten: Die Währungsbehörden auf der ganzen Welt sind auf das Engste verbunden mit dem US-Dollar. Das Schicksal ihrer Währungen ist eng und im Grunde untrennbar mit dem des Greenback verbunden.

Sollte der US-Währung etwas Schreckliches passieren, ist es sehr wahrscheinlich, dass viele andere Währungen noch härter getroffen würden. Denn die Finanzmärkte, insbesondere das internationale Bankgeschäft, wurden in den letzten Jahrzehnten zusehends „dollarisiert“: Banken auf der ganzen Welt haben eine strukturelle Nachfrage nach US-Dollar als Refinanzierungsquelle; sie sind auf die Verfügbarkeit von US-Dollar angewiesen und benötigen jederzeit Zugang zu den US-Dollar-Kreditmärkten. Wie die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 nur zu deutlich gemacht hat, hatten die Spannungen an den US-Dollar-Kreditmärkten ausländische Banken mindestens genauso stark oder sogar noch stärker getroffen wie US-Banken.

Denn wenn Investoren das Vertrauen in den US-Dollar verlieren, wird das Vertrauen in andere Währungen, die vom Greenback abhängig sind, noch stärker schwinden. Das ist auch der Grund, warum nahezu jeder Ausbruch von „Finanzmarkt-Stress“ die Anleger dazu bringt, in den US-Dollar zu flüchten, da dieser weithin als die „sichere Hafenwährung“ angesehen wird: In Krisenzeiten wird der US-Dollar im Vergleich zu anderen Währungen grundsätzlich immer stark nachgefragt. Also auch vor diesem Hintergrund kann man mit Fug und Recht sagen, dass der US-Dollar aus Sicht der Mehrheit der Marktteilnehmer als die weltweit führende Währung angesehen werden kann.

Welch ein Privileg: Amerika gibt eine Währung heraus, die weltweit akzeptiert wird, die sehr gefragt ist! Auf diese Weise können die Amerikaner sich problemlos die Ersparnisse des Restes der Welt leihen: Sie können weit über ihre eigenen Ressourcen hinaus konsumieren und investieren. Oder, um eine andere Perspektive einzunehmen: Menschen auf der ganzen Welt schicken ihre Ersparnisse gerne in die USA, anstatt sie in ihren Heimatländern zu investieren. Dies ist zweifellos einer der Gründe, warum die USA eine negative Handelsbilanz „genießen“ – was bedeutet, dass die USA mehr Waren und Dienstleistungen importieren als exportieren; mit anderen Worten: die Kapitalimporte in die USA übersteigen die Kapitalausfuhren aus den USA.

An dieser Situation wird sich in naher Zukunft wohl kaum etwas ändern. Und genau das ist auch Grund zur Besorgnis. Denn das Währungssystem der Welt ist zweifellos in einer schlechter Verfassung. Nach vielen Jahrzehnten unerbittlicher Kreditausweitung unter dem Zentralbankensystem leiden die meisten Volkswirtschaften nun unter Überschuldung. Darum haben auch die Geldbehörden begonnen, die Marktzinsen zu senken. So versuchen sie, die nächste Krise abzuwehren, die die Kreditpyramide zum Einsturz bringen könnte. Sie sorgen für eine fortwährende Abwertung ihrer Währungen – denn die Politik der Unterstützung des ungedeckten Papiergeldes muss Hand in Hand gehen mit der Ausweitung der Geldmenge. Und wenn die Geldmenge steigt, steigen die Preise für Waren und Dienstleistungen und die Kaufkraft des Geldes sinkt.[3]

Sollten die USA eine Politik der starken Abwertung des US-Dollars einleiten – etwa als Reaktion auf eine Wirtschafts- oder Kreditkrise –, ist es sehr wahrscheinlich, dass andere Währungsräume noch stärker inflationieren werden. Zum einen befinden sich alle bedeutenden Währungsräumen im Schlepptau der US-Geldpolitik. Was Amerika macht, wird früher oder später auch anderswo gemacht. Gerade eine zunehmend inflationäre Geldpolitik des US-Dollars würde von anderen Zentralbanken imitiert werden. Es wäre für sie quasi eine Steilvorlage, ihre eigenen Währungen zu entwerten, um den realen Wert der ausstehenden Schulden zu senken; und die USA würden verantwortlich gemacht für die ökonomische und soziale Zerrüttung durch die Preisinflation.

Die Menschen auf der ganzen Welt fragen den US-Dollar nicht deshalb nach, weil sie ihn für die beste Währung halten, die sie sich vorstellen können. Für sie ist der Greenback einfach nur die beste Währung, die sie auswählen können. Neue Ideen wie zum Beispiel Facebooks Libra, auch wenn sie bei vielen Menschen rund um den Globus an Beliebtheit gewinnen sollte, deuten leider nicht darauf hin, dass der Superstatus des US-Dollars bald ersetzt wird: Denn Libra, wenn sie denn auf den Markt kommt, wird nichts anderes sein als ein Korb ungedeckter Papierwährungen, darunter eben auch der US-Dollar. Natürlich könnte man sich eine aufkommende Kryptowährung vorstellen, die sich zu einer ernsten Herausforderung für die derzeitige Dominanz des Greenbacks entwickelt.

Eine solche Veränderung würde jedoch Zeit in Anspruch nehmen, und, vielleicht noch wichtiger, einen tiefgreifenden Wandel in den Köpfen der Menschen voraussetzen. Um den US-Dollar zu entthronen, müssten die Menschen nämlich entschlossen einen wirklich freien Markt für Geld fordern, das heißt, sie müssen nach einem Ende der Geldproduktionsmonopole der Regierungen verlangen. Ansonsten wird wohl die Abhängigkeit der Welt vom Greenback in den kommenden Jahren nicht abnehmen, sondern vermutlich noch weiter zunehmen. Zweifellos ist der US-Dollar zu einem riesigen Biest geworden – einem Biest, das sich jedoch für seinen Besitzer als weniger schädlich erweisen wird verglichen mit dem Besitzer der anderen ungedeckten Papierwährungs-Biestern.

Natürlich wird auch der US-Dollar keine verlässliche Währung sein. Auch seine Kaufkraft wird zweifellos durch die Geldpolitik der Fed herabgesetzt. Wenn Sie nach zuverlässigem Geld suchen, so ist es ratsam, sich an Keynes’ empfohlener Technik zu orientiert, die hilft, den Gewinner eines Schönheitswettbewerbs vorwegzunehmen. Meine Einschätzung: Es gibt derzeit nur einen ernstzunehmenden Konkurrenten gegenüber dem US-Dollar – und das ist das Gold. Ludwig von Mises brachte diese Erkenntnis auf den Punkt:

Der Goldstandard ist sicherlich kein perfekter oder idealer Standard. Es gibt keine Perfektion in menschlichen Dingen. Aber niemand ist in der Lage, uns zu sagen, wie man an Stelle des Goldstandards etwas Befriedigenderes setzen könnte.[4]

Die Wahrheit dieser zeitlosen Weisheit verdient es, immer wieder wiederholt zu werden.

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[1] Keynes, J. M. (1936), Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes, S. 133.
[2] Siehe Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, Dreijahresumfrage, Foreign exchange turnover in April 2019, 16 September 2019 ( https://www.bis.org/statistics/rpfx19_fx.pdf ).
[3] Oder, um präziser zu sein: Die Kaufkraft des Geldes wird geringer sein, verglichen mit einer Situation, in der die Geldmenge unverändert geblieben war.
[4] Mises (1998), Human Action, S. 470.

Thorsten Polleit, Jahrgang 1967, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungspartner und volkswirtschaftlicher Berater eines Alternative Investment Funds (AIF). Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.comHier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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