Der Mythos vom aussterbenden Eisbär
16. September 2019 – von Jon Miltimore
Viele von uns sahen mit Entsetzen das virale Video: Ein hungernder Eisbär, der auf kargem Boden nach Nahrung sucht, seine Rippen sichtbar unter einem gelb-weißen Fell.
„So sieht der Klimawandel aus“, kommentierte National Geographic.
Das Magazin erklärte, aufgrund des durch den Klimawandels schmelzenden Meereises würden immer mehr dieser Säugetiere verhungern. Sie verwiesen auf eine neue wissenschaftliche Studie, die darauf hindeutet, dass Eisbären zur Ernährung eine wesentlich höhere Kalorienzufuhr benötigen, als bisher angenommen.
Das Video, aufgenommen von den Fotografen Paul Nicklen und Cristina Mittermeier auf Somerset Island, löste einen Aufschrei über die Dezimierung der Eisbären durch die globale Erwärmung aus.
National Geographic schätzt, dass der Film von 2,5 Milliarden Menschen angesehen wurde. Das Video ist nach wie vor das am häufigsten angesehene auf der Website von National Geographic.
Was danach geschah
Während sich viele an die Aufnahmen des Eisbären erinnern, wissen nicht so viele, was danach geschah.
Wie Michele Moses kürzlich in The New Yorker erklärte, warfen Wissenschaftler National Geographic vor, „locker mit den Fakten umzugehen“. Viele wiesen darauf hin, dass es keine Beweise dafür gäbe, dass der Zustand des Bären die Folge des Klimawandels war. Der Bär hätte auch einfach alt, krank sein oder an einer degenerativen Krankheit leiden können.
Ein Jahr später gab Mittermeier das zu.
„Ich kann nicht sagen, dass dieser Bär wegen des Klimawandels hungerte”, schrieb sie in National Geographic.
Vielleicht haben wir einen Fehler gemacht, indem wir nicht die ganze Geschichte erzählt haben – dass wir nach einem Bild gesucht haben, das die Zukunft voraussagt und dass wir nicht wussten, was speziell mit diesem Eisbären passiert war.
Der Eisbär als Symbol
Mittermeier suchte nach visuellen Beweisen für die Zukunft, die sie sich vorstellte, eine, die vom Klimawandel heimgesucht wurde. Und sie fand an diesem Tag diesen Beweis in Gestalt eines hungernden Bären.
Wie Moses vom New Yorker betont, sind Eisbären zu einem „unbestreitbaren Abbild des Klimawandels“ geworden.
„Die Geschichte des Klimawandels wurde zum Teil durch Bilder von Eisbären erzählt“, schreibt Moses. „Kein Wunder: In ihrem glitzernden, eisigen Lebensraum spiegeln sie eine jenseitige Schönheit wider, die durch ansteigende Temperaturen zerstört zu werden droht.”
Dieses Bild eines einzigen, hungernden Bären hat wohl mehr dazu beigetragen, um die Thematik des Klimawandels voranzubringen, als es jedes Whitepaper oder jeder IPCC-Bericht hätte tun können. Leider sagt uns das Filmmaterial relativ wenig über den aktuellen Zustand der Eisbärenpopulation.
Was die Zahlen sagen
Während es nicht an Schlagzeilen mangelt, in denen erklärt wird, Eisbären seien vom Aussterben bedroht, sprechen die Zahlen eine andere Sprache.
Daten von Naturschutzverbänden und der Regierung zeigen, dass die Eisbärenpopulation etwa fünfmal so groß ist wie in den 1950er Jahren und drei- oder viermal so groß wie in den 1970er Jahren, als Eisbären durch ein internationales Abkommen geschützt wurden.
Obwohl Eisbären im Jahr 2008 unter den Schutz des Endangered Species Act gestellt wurden, weil man befürchtete, dass ihre arktischen Jagdgründe durch ein sich erwärmendes Klima reduziert würden, ist die Eisbärenpopulation seit drei Jahrzehnten stabil.
Im Jahr 1984 wurde die Eisbärenpopulation auf 25.000 geschätzt. Als 2008 die Eisbären als geschützte Spezies ausgewiesen wurden, stellte die New York Times fest, dass die Zahl unverändert geblieben war: „Es gibt mehr als 25.000 Bären in der Arktis, von denen 15.500 auf kanadischen Territorium umherstreifen“.
Neue Schätzungen der International Union for Conservation of Nature zeigen eine Mittelwertschätzung von 26.500 (im Bereich 22.000 bis 31.000) im Jahr 2015. Im State of the Polar Report 2018 schreibt die Zoologin Susan J. Crockford, dass nach Aktualisierung der IUCN-Daten die neue globale Mittelwertschätzung bei mehr als 30.000 liegt.
Selbst wenn man von der niedrigeren Zahl ausgeht, ist die Schätzung die höchste, seit der Eisbär im Jahr 1973 unter internationalen Schutz gestellt wurde.
Der Zustand der Eisbärenpopulation steht im Widerspruch zu den Vorhersagen von Wissenschaftlern, die gesagt haben, zwei Drittel der Eisbären würden in den kommenden Jahrzehnten aufgrund der Erwärmung und des schmelzenden Meereises in der Arktis verschwinden.
Die gute Nachricht, dass die Eisbären gedeihen, wird wahrscheinlich nicht so viel Aufmerksamkeit erregen wie die Bilder eines hungernden Eisbären, der auf Somerset Island nach Nahrung sucht. Dennoch verdient die Geschichte einer wiederauflebenden Eisbärenpopulation es, erzählt und mit Applaus bedacht zu werden.
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Der Originalbeitrag mit dem Titel The Myth That the Polar Bear Population Is Declining ist am 9.9.2019 auf der website der Foundation of Economic Education erschienen.
Jonathan Miltimore ist Managing Editor von FEE.org. Seine Beiträge sind im TIME Magazine, The Wall Street Journal, CNN, Forbes, Fox News und der Washington Times erschienen.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
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