EZB: Nächste Geldflut im Anmarsch
26. Juli 2019 – von Andreas Marquart
In der vergangenen Woche wurde bekannt, dass innerhalb der EZB über ein neues Inflationsziel nachgedacht wird. Das berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.
Das Mandat, das sich die Europäischen Zentralbank (EZB) gegeben hat, ist die ‚Geldwertstabilität‘. Darunter versteht man im Frankfurter EZB-Tower eine Geldpolitik, die im Idealfall eine jährliche Teuerungsrate unter, aber nahe zwei Prozent, zur Folge hat.
Bevor wir uns den Draghi-Plänen zuwenden, werfen wir zunächst einen näheren Blick auf den status quo, denn allein bei diesem sollte der gesunde Menschenverstand schon rebellieren. Eine Teuerungsrate von unter, aber nahe zwei Prozent jährlich, mag harmlos klingen, doch eine längere Betrachtung zeigt ihre Zerstörungskraft und wie sie am Geldwert nagt. Wenn über beispielsweise einen Zeitraum von zehn Jahren die jährliche Teuerungsrate bei 1,9 Prozent liegt, kommt das einem Kaufkraftverlust von fast 18 Prozent gleich. Nach zwanzig Jahren sind von 100 Euro gar nur noch 68 Euro übrig. ‚Stabil‘ ist etwas anderes!
Doch damit nicht genug. Denn was meist nicht bedacht wird, ist die Tatsache, dass – eine gleichbleibende Geldnachfrage unterstellt – bei zunehmender Produktivität einer Volkswirtschaft, bei fortschreitender internationaler Arbeitsteilung und in Folge einem höheren Güterausstoß die Kaufkraft je Geldeinheit steigen würde. Dem aber wirkt die EZB gemeinsam mit den Geschäftsbanken durch eine stetige Ausweitung der Geldmenge entgegen. Eine ansonsten eintretende Stärkung der Kaufkraft des Geldes, die man leider auch nicht berechnen kann, müsste man eigentlich zur offiziell verkündeten Teuerungsrate hinzuaddieren. Möglicherweise ist das Phänomen, dass die Menschen regelmäßig eine höhere als die gemessene Teuerung fühlen, genau darauf zurückzuführen.
Eine ohnehin fragwürdige Geldpolitik an einem ebenso fragwürdigen Verbraucherpreisindex auszurichten, macht sie noch schädlicher. Zum einen, weil z.B. die Preise für Vermögensgüter wie Aktien und Immobilien im Verbraucherpreisindex keinen Niederschlag finden und zum anderen, weil es einen für alle Marktteilnehmer allgemeingültigen Preisindex gar nicht geben kann. Ein Durchschnittsverdiener-Ehepaar mit zwei Kinder, das sein Einkommen Monat für Monat vollständig für die Ausgaben des täglichen Bedarfs ausgeben muss, leidet zwangsweise stärker unter steigenden Preisen als ein Single mit Top-Einkommen.
Die negativen Folgen von Geldmengenausweitung wurden auf der Internetseite des Ludwig von Mises Institut Deutschland schon vielfach besprochen und seien hier daher nur in Stichworten genannt: Cantillon-Effekt, Boom-Bust-Zyklen – einhergehend mit der Fehlleitung und Verschwendung von Ressourcen. Auch muss immer wieder darauf hingewiesen werden, dass diese Effekte selbst dann eintreten, wenn die Geldmengen ausgeweitet werden, ohne dass dies Preisanstiege zur Folge hat. Das macht die Politik der Geldwertstabilität besonders perfide.
Mit den nun bekannt gewordenen Plänen der EZB würde das nächste Kapitel ‚zerstörerischer Geldpolitik‘ aufgeschlagen. EZB-Präsident Mario Draghi schwebt ein „Symmetrisches Inflationsziel“ vor. Das bedeutet: Wenn die Teuerung einige Jahre unter dem Inflationsziel lag, kann die EZB auch eine Teuerung über dem Inflationsziel zulassen, um einen Güterpreisanstieg gewissermaßen ‚nachzuholen‘. Ein Plan dieser Art war im Grunde eine Frage der Zeit und man muss sich nicht wundern. Denn es ist leicht vorstellbar, dass Draghi & Co. sich schon längere Zeit den Kopf darüber zerbrochen haben, mit welchem Argument sich die Nullzinspolitik auch dann aufrechterhalten lässt, wenn die Preise für Güter und Dienstleistungen deutlicher als bisher zu steigen beginnen.
Die negativen Effekte durch die Geldschöpfung auf die Volkswirtschaften erhalten, soweit die Pläne umgesetzt werden, eine weitere Verstärkung. Und auch die Sparer werden weiter und noch stärker als bisher zur Ader gelassen. Holger Tschäpitz von der WELT hat schon mal gerechnet:
Für Sparer hätte eine solche Änderung gravierende Folgen. Denn zwischen Inflationsziel und tatsächlicher Inflation liegt inzwischen eine Lücke von sechs Prozent. Wird der neue Ansatz Wirklichkeit, könnte die EZB für ganze drei Jahre eine Teuerung von vier Prozent akzeptieren. Faktisch würde das Inflationsziel erhöht. Die Währungshüter könnten mit diesem Argument noch mehr billiges Geld in die Märkte pumpen und selbst bei einer zulegenden Inflation den Leitzins bei null oder sogar darunter halten.
Ganz scheint es so, als wolle Draghi der EZB ein Abschiedsgeschenk machen. Obwohl er schon als der Präsident in die EZB-Geschichte eingehen wird, in dessen Amtszeit es nicht eine Zinserhöhung gab, will er kurz vor seinem Ausscheiden die Geldtore endgültig zu offenen Scheunentoren machen und seiner designierten Nachfolgerin Christine Lagarde mit allen Mitteln eine ‘Carte blanche’ verschaffen.
Im Rahmen der gestrigen Sitzung der EZB wurde erneut die Bereitschaft bekräftigt, alle Instrumente einzusetzen, wenn sich der Inflationsausblick weiter „verschlechtere“. Dass zu diesen Instrumenten auch die Wiederaufnahme der Anleihekäufe zählt, darüber dürften keine Zweifel bestehen.
Nicht nur Europa, die Welt ist überschuldet wie niemals zuvor. In den letzten 20 Jahren sind die Schulden der Marktteilnehmer weltweit von etwa 80 Billionen auf aktuell knapp 250 Billionen US-Dollar gestiegen. Diese Schuldenmenge ist für die Volkswirtschaften nur mehr finanzierbar, weil die Notenbanken weltweit die Zinsen auf praktisch Null heruntermanipulierten.
Aber das herrschende Papiergeldsystem hängt wie ein Drogenabhängiger an der Spritze und braucht, um nicht zusammenzubrechen, immer neuen Nachschub an Krediten. Die Angst bei den Verantwortlichen in den Notenbanken scheint groß. Und sie ist berechtigt. Denn ein Blick nach Griechenland und die dortige Entwicklung seit Ausbruch der Krise zeigen wie in einem Lehrbuch, was die Welt erwartet, wenn die Papiergeldblase platzt.
Doch was ist die Alternative? Die Antwort darauf ist einfach. Wir brauchen einen freien Markt für Geld. Nur ein Geld-Wettbewerb würde und könnte der schädlichen EZB-Politik Einhalt gebieten und zugleich den Weg frei machen für gutes Geld.
Thorsten Polleit hat es dieser Tage im Degussa-Marktreport eindrucksvoll formuliert:
Dazu braucht es einen wirklich freien Markt für Geld: Einen Markt, auf dem die Geldnachfrager ein Geld nachfragen können, das sie verwenden wollen. Es braucht so gesehen ein Zurück zur ökonomischen Vernunft: Es braucht eine breite Bewegung, die sich für einen freien Markt für Geld stark macht (in Anlehnung an “Fridays for Future” so etwas wie “Free People Need A Free Market In Money” oder so etwas wie Immanuel Kants Wahlspruch der Aufklärung).
Ökonomisches Wissen gerade zum Thema Geld zu verbreiten, ist heute wichtiger denn je. Denn mit Christine Lagarde, die im Herbst Mario Draghi nachfolgen wird, bekommt die EZB eine Chefin, die – obwohl Französin – als langjährige Chefin des Internationalen Währungsfonds möglicherweise globaler denkt, als Draghi es getan hat.
Das Papiergeldsystem aufrecht zu erhalten, wird immer größere Anstrengungen erfordern – politische Anstrengungen, die die Marktkräfte mehr und mehr aushebeln werden. Und diese Anstrengungen werden auch mehr und mehr global wirkende, geldpolitische Allianzen erforderlich machen, an deren Ende eine Welt-Währungsunion stehen könnte. Wir wollen den Teufeln nicht an die Wand malen, noch ist nicht aller Tage Abend. Aber es ist schon ganz schön spät geworden.
Andreas Marquart ist Vorstand des „Ludwig von Mises Institut Deutschland“. Er ist Honorar-Finanzberater und orientiert sich dabei an den Erkenntnissen der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie. Im Mai 2014 erschien sein gemeinsam mit Philipp Bagus geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen”. Zuletzt erschienen, ebenfalls gemeinsam mit Philipp Bagus: Wir schaffen das – alleine!. Am 21. August erscheint im FinanzBuchverlag sein neues Buch Crashkurs Geld.
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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.
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