Das Bestreben, das Bargeld zu entwerten

25. Februar 2019 – Interview mit Franz Seitz.

Professor Dr. Franz Seitz lehrt Volkswirtschaftslehre, insbesondere Geldpolitik und Finanzmärkte, an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Weiden. Zugleich ist er federführendes Mitglied im „Aktionskreis: Stabiles Geld“. Professor Seitz ist Autor zahlreicher Artikel in nationalen und internationalen Fachzeitschriften. Das in seiner Ko-Autorschaft inzwischen in der 6. Auflage vorliegende Buch „Europäische Geldpolitik: Theorie, Empirie und Praxis“ ist inzwischen ein Standardwerk im deutschsprachigen Raum. Zudem forscht er zu Fragen des Zahlungsverkehrs und des Bargelds. Seit Jahren fungiert Professor Seitz in mehreren Projekten als Berater verschiedener Zentralbanken, Geschäftsbanken und Industrieunternehmen. Seine website ist: www.oth-aw.de/seitz

Die Fragen stellte Thorsten Polleit.

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Sehr geehrter Professor Seitz. Sie haben sich eingehend mit dem Thema Bargeld beschäftigt – als Sie noch bei der Deutschen Bundesbank gearbeitet haben und jüngst in wissenschaftlichen Ausarbeitungen. Viele unserer Leser fragen sich: Was sind eigentlich die Motive, warum Regierungen und Zentralbanken das Bargeld loswerden wollen?

Franz Seitz

Zunächst einmal ist festzustellen, dass diese Bestrebungen nicht von den Konsumenten oder Bürgern ausgehen. Sie kommen von Regierungen, Zentralbanken, angloamerikanischen Wissenschaftlern und internationalen Organisationen wie der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Und Finanzinstitutionen, Kartenunternehmen (wie zum Beispiel Visa Card und Mastercard) sowie FinTechs schließen sich dem gerne an. Dabei werden vor allem zwei Begründungen vorgebracht.

Zum ersten, die Bekämpfung von Schwarzarbeit, Kriminalität und Terrorismus. Dieses Argument kommt seit Jahren immer wieder auf und verschwindet auch immer wieder, da sich die Argumente als nicht stichhaltig erwiesen haben. So fällt es einem schwer, damit die starke Zunahme des Bargeldumlaufs in der Schweiz und in Japan zu erklären, recht sicheren Ländern mit geringer Kriminalität. Der schattenwirtschaftlichen Begründung einer Bargeldabschaffung ist zudem entgegen zu halten, dass dieser Effekt nur sehr begrenzt auftreten würde, wenn ein Währungsgebiet isoliert einen solchen Schritt vornimmt.

Weiterhin sollte bedacht werden, dass einerseits illegale Aktivitäten, vor allem die Großkriminalität, bei der es um bedeutende Summen geht, bevorzugt bargeldlos abgewickelt werden, andererseits aber der größte Teil der mit Bargeld finanzierten Transaktionen legaler Natur ist. Mit Hilfe kompliziert verschachtelter Transaktionsketten über Ländergrenzen hinweg gelingt es Kriminellen bemerkenswert gut, die Herkunft ihrer Gelder zu verschleiern. Schätzungen des Umfangs der Schattenwirtschaft zeigen auch, dass es keinen gesicherten Zusammenhang zwischen der Intensität der Bargeldnutzung und der Größe der Schattenwirtschaft gibt.

Auch haben Länder ohne große Stückelungen wie zum Beispiel Großbritannien oder die USA nicht notwendigerweise eine geringere Schattenwirtschaft. Auf der anderen Seite hat die Schweiz mit dem 1000-Franken-Schein die Banknote mit dem weltweit höchsten Nominalwert. Der Umfang schattenwirtschaftlicher Aktivität in der Schweiz ist im internationalen Kontext dagegen äußerst niedrig. Schweden wiederum, das einer bargeldlosen Gesellschaft am nächsten kommt, hat Schätzungen zufolge eine deutlich höhere Schattenwirtschaft als Deutschland.

Insgesamt lässt sich somit feststellen, dass Bargeld vermutlich weniger intensiv bei kriminellen Aktivitäten genutzt wird, wie häufig vermutet und dass seine Abschaffung oder Begrenzung weniger effektiv Verbrechen eindämmen würde als erhofft. Ein elektronisches Zahlungsmittel, das alle Eigenschaften von Bargeld besitzt, wäre zudem ein Traum für alle, die in der Schattenwirtschaft aktiv sind, auch von Terroristen. Einen ersten Hinweis darauf haben die Schilderungen im Zusammenhang mit Bitcoins und Ransomware bereits geliefert.

 … von zentraler Bedeutung scheint derzeit ja die Idee zu sein, dass das Bargeld abgeschafft werden muss, damit die Zentralbank ungehindert eine Negativzinspolitik verfolgen kann …

In der Tat. Eine vergleichsweise neue Überlegung ist, dass Bargeld die Effektivität der Geldpolitik einschränkt, weil Zentralbanken in Krisenzeiten die Zinsen nicht beliebig senken können. Da bei negativen Nominalzinsen stets die Alternative besteht, auf Bargeld auszuweichen, ergibt sich für den risikolosen kurzfristigen Zins zwingend eine Zinsuntergrenze, oftmals unter Vernachlässigung von Umstellungs- und Anpassungskosten etwas vereinfacht als „Nullzinsschranke“ oder „zero lower bound“ bezeichnet.

Die Verfügbarkeit von Bargeld verhindert auf natürliche Weise, dass Zentralbanken tief negative Zinsen durchsetzen können. Negativzinsen von -5 bis -10% könnten aber – so Befürworter der Bargeldabschaffung – erforderlich sein, um die Wirtschaft in konjunkturell schwierigen Zeiten wieder in Schwung zu bringen. Der expansive geldpolitische Kurs entlang der Nullzinslinie soll also effektiver werden und eine noch größere Durchschlagskraft durch Negativzinsen erhalten, indem durch staatliche Intervention das Medium abgeschafft wird, mit dem man sich gegen diese Politik „zur Wehr setzen“ kann.

Würde man dem Argument folgen – und nicht denken, dass sich ein böses Motiv dahinter verbirgt –, dann stellt sich die Frage, welche makroökonomische Theorie steckt hinter der Idee, mit der Zinspolitik der Zentralbanken ließe sich jedes Problem lösen?

Dahinter steckt die Idee, jede makroökonomische Krise lasse sich bewältigen, wenn man nur den Zins genügend senken könnte. Die Wirkungen wären zunächst erneut recht begrenzt, wenn die Abschaffung des Bargelds nur einen Währungsraum beträfe. Zudem werden die Bürger selbstverständlich versuchen, auf alternative Transaktions- und Wertaufbewahrungsmittel auszuweichen, die keinem Negativzins unterliegen. So ist es jederzeit möglich, auf Gutscheine überzugehen, Schecks zu verwenden und zunächst nicht einzulösen, Steuervorauszahlungen zu leisten oder Kredite vorzeitig zurückzubezahlen.

Des Weiteren ist es nicht unplausibel, dass die Nachfrage nach Gold und anderen Edelmetallen deutlich ansteigt. Auch Immobilien würden vermutlich sehr gefragt sein. Auf diesen Märkten könnte es dann zu ausgeprägten Preisblasen kommen mit der Konsequenz finanzieller Instabilitäten und Ungleichgewichte. Das geldpolitische Argument zielt darauf ab, dem Bürger die Wahlfreiheit in Bezug auf die Geldformen zu nehmen, sodass dann das Buchgeld mit (unbeschränkten) Negativzinsen belegt werden kann, das Sparen sinkt, der Konsum zunimmt und die Investitionen angeregt werden. Hiervon erhoffen sich die Befürworter eine nachhaltige Stimulierung der Konjunktur.

Allerdings kann auch nach der Problemadäquanz, speziell im Euro-Währungsgebiet, und den Nebenwirkungen dieser Maßnahme gefragt werden. So sind in der EWU die Probleme nicht so sehr konjunkturell, sondern strukturell bedingt. Und wenn realistischer Weise davon ausgegangen wird, dass die Null- bzw. Negativzinspolitik nur ein temporäres Phänomen für Ausnahmesituationen und mit ambivalenten Wirkungen darstellt, sollte darauf nicht mit einer absoluten und prinzipiell unumkehrbaren Maßnahme, der dauerhaften Bargeldabschaffung, reagiert werden.

Jüngst hat der IWF eine Empfehlung gemacht, das Bargeld abzuwerten, es also für den Geldnachfrager unattraktiv zu machen. Entwertung, nicht Abschaffung heißt das neue Motto. Auf welche Weise kann und soll das geschehen?    

Hier geht es um das zweite, oben genannte Argument, also die Möglichkeit, deutliche Negativzinsen durchzusetzen. Dafür muss, soll Bargeld beibehalten werden, dessen Verwendung unattraktiv gemacht beziehungsweise die Kosten der Bargeldhaltung müssen erhöht werden, um die effektive Zinsuntergrenze in den negativen Bereich zu drücken. Der Vorschlag des IWF setzt an dem Tausch zu pari (1:1) zwischen Bar- und Buchgeld an. Er plädiert für einen von der Zentralbank gesetzten, aber veränderlichen Wechselkurs zwischen Bar- und Buchgeld zuungunsten von Bargeld. So würden beispielsweise bei einer Abhebung von 100 Euro in bar 105 Euro vom Konto abgebucht werden.

Implementiert werden soll der Vorschlag durch eine zeitvariable Depositengebühr auf Bargeld, die von den Geschäftsbanken beim Bargeldbezug bei der Zentralbank zu entrichten ist. Bei Negativzinsen würde sich Papiergeld gegenüber Buchgeld abwerten. Sollen tiefere Negativzinsen implementiert werden, müsste die Gebühr ansteigen. Bargeld bleibt Tauschmittel, wird aber ökonomisch gesehen zu einer Art „internen Fremdwährung“. Das würde dann dem Schwundgeldkonzept von Silvio Gesell entsprechen. Verhaltensänderungen beim Bargeldbezug sind hier natürlich naheliegend.

Könnten sich dabei nicht zwei Geldkreisläufe herausbilden? Güterpreise werden in Bargeld und in Elektrogeld ausgewiesen? Was wären die möglichen Folgen?

Wie schon gesagt, das System kann letztlich als Parallelwährung aufgefasst werden: Bargeld und Buchgeld mit einem flexiblen Wechselkurs. Wie bei parallel umlaufenden Fremdwährungen in instabilen Ländern kann sich auch hier ein zweiter Geldkreislauf etablieren. Und natürlich auch Schwarzmarktkurse, die von den offiziellen abweichen können. Für den Konsumenten ist dann immer die tatsächliche Inflationsrate und der Wechselkurs – entweder der offizielle oder der inoffizielle – bei Barzahlungskäufen relevant. Bargeld wird de facto zu einem Wertpapier, das Zahlungsmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Spekulationsobjekt in einem ist. Es ist denkbar, dass manche Einzelhändler Bargeld weiterhin zum (höheren) Nennwert akzeptieren und damit womöglich auch werben. Doch spätestens, wenn der Einzelhändler die Bareinnahmen auf das Konto seiner Hausbank einzahlt, käme der Abschlag zum Tragen. Die entscheidende Frage ist nur; ob er das noch macht.

Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass der IWF-Vorschlag in die Tat umgesetzt wird? Abschließend noch ein Gedanke: Für mich ist das Abschaffen des Bargeldes ein Frontalangriff auf die finanzielle Privatsphäre der Menschen. Das Folgen, die Verwendungsmöglichkeiten des Bargeldes derart zu hintertreiben, wie es der IWF-Vorschlag vorsieht, stehen dem kaum nach, oder?

Die Umsetzungswahrscheinlichkeit des Vorschlags stufe ich als sehr gering ein, auch wenn dem Erfindungsreichtum staatlicher Instanzen ja keine Grenzen gesetzt sind. Ich hätte auch nie gedacht, dass man den Vorschlag einer Bargeldabschaffung ernsthaft diskutiert und dass die Produktion des 500-Euro-Scheins eingestellt wird. In der Schweiz würde es bei derartigen Vorschlägen innerhalb kürzester Zeit ein Referendum geben. Anonymität und Schutz der Privatsphäre sind hohe Güter. Und natürlich ist auch der IWF-Vorschlag ein Schritt zur Einschränkung dieser „Güter“. Warum fördert denn die chinesische Führung intensiv die Verbreitung von Smartphones zur Verwendung für Bezahlvorgänge? Offiziell wird das selbstverständlich nicht zugegeben, sondern vom Ziel einer modernen und effizienten Gesellschaft gesprochen. Aber ich möchte nur an Walter Ulbricht erinnern – Vorsitzender des Staatsrats der DDR –, der am 15. Juni 1961, wenige Wochen vor dem Berliner Mauerbau, anlässlich einer Pressekonferenz feststellte: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“

Vielen Dank für Ihre Einschätzungen, Herr Seitz!

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Das Interview mit Professor Franz Seitz wurde per e-mail am 20. und 21. Februar 2019 geführt.

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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