Wie die Geldpolitik uns schadet
28. November 2018 – von Andreas Marquart
Im Jahr 1922 veröffentlichte der amerikanische Ökonom Irving Fisher (1867 – 1947 sein Buch The Making of Index Numbers. Darin sprach er die Empfehlung aus, die Kaufkraft des US-Dollar gegenüber einem Preisindex zu definieren und seinen Wert dem Preisindex gegenüber stabil zu halten. Damit war der Grundstein gelegt für die heute weltweit gängige Preisstabilitätspolitik der Notenbanken. Fisher hatte ihnen die Legitimation verschafft, über die Steuerung der Geldmengen – in der Praxis bedeutet dies die Ausweitung derselben – ein Absinken der Preise für Güter und Dienstleistungen zu verhindern.
Ökonomen sind sich heutzutage weitgehend einig darüber, Preisstabilität sei eine wesentliche Voraussetzung für das Gedeihen von Volkswirtschaften, weil die Mechanismen von Märkten effizienter funktionieren und die Politik stabiler Preise so letztlich dem Wohlergehen der Menschen dienen würden.
Auch das Verständnis von „Inflation“ veränderte sich durch Fishers „Kunstgriff”. Aus ökonomischer Sicht ist unter Inflation das Ausweiten der Geldmenge zu verstehen. Die herrschende Volkswirtschaftslehre hat es dagegen geschafft, dass heute unter „Inflation“ ein Anstieg des allgemeinen Preisniveaus verstanden wird. Halten Notenbanken also mittels der Ausweitung der Geldmenge die Preise stabil, dann berichten sie stolz, es herrsche keine Inflation, sondern „Preisstabilität“. Die Ausweitung der Geldmengen geschieht so mehr oder weniger im Verborgenen.
Der herausragende Ökonom Ludwig von Mises (1881-1973) übte früh Kritik an Fishers Stabilisierungsidee und entlarvte sie als Irrtum. In seinem Werk Nationalökonomie. Theorie des Handelns und Wirtschaftens (1940) schreibt Mises:
Die Begriffe Stabilität und Stabilisierung sind leer, außer wenn damit die Vorstellung eines Zustands der Starre und der Erhaltung dieses Zustands verbunden wird. Doch der Zustand der Starre der Wirtschaft kann widerspruchsfrei nicht einmal gedacht werden, geschweige denn verwirklicht werden. Sowohl die äußeren Bedingungen der Umwelt, in der die Menschen leben, als auch die inneren Bedingungen ihres Daseins, ihre Ideen und ihre Einsicht in die für das Handeln entscheidenden Dinge, sind jeder Stabilisierungspolitik unzugänglich.
Doch die Idee, die Preise stabil zu halten, ist im Laufe der Jahre zum allgemeinen Lehrbuchwissen aufgestiegen. So sagte der ehemalige Präsident der Federal Reserve Bank of New York, William J. McDonough, während einer Rede im Jahr 1996:
Auf lange Sicht ist Preisstabilität der einzige nachhaltige Beitrag, den die Geldpolitik zum Wachstum leisten kann. Dies gilt für alle Länder.
Zuletzt betonte der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, auf der EZB-Presskonferenz am 13. September, das angestrebte Ergebnis der Geldpolitik sei allein die Preisstabilität.
Die allseits erzeugte Angst vor fallenden Preisen und deren angeblichen Folgen wie Unternehmenspleiten und Arbeitslosigkeit hat ihren Anteil zur allgemeinen Akzeptanz einer Geldpolitik beigetragen, die das Preisniveau der Volkswirtschaft stabil halten will. Genau besehen ist das jedoch ein Betrug: Unter Preisstabilität wird heutzutage ein Anstieg der Preise um 2 Prozent pro Jahr verstanden! Man denke nur: Eine Teuerungsrate von zwei Prozent vernichtet in 30 Jahren nahezu die Hälfte der Kaufkraft einer Währung!
Umverteilung
Mit der Ausweitung der Geldmenge stellt sich auch ein „Umverteilungsproblem” ein. Der irische Bankier Richard Cantillon (1680 – 1734) hatte schon früh eine schädliche – oder auch „sozial ungerechte“ – Auswirkung der Geldmengenausweitung erkannt. Denn die ersten Marktteilnehmer, die das neu geschaffene Geld in ihre Hände bekommen, gewinnen auf Kosten derjenigen, die das neue Geld erst später bekommen. Die frühen Geldempfänger können Güter und Dienstleistungen erwerben, bevor sich das neue Geld den Weg durch die Volkswirtschaft gebahnt hat und die Preise über das Niveau hinaus hat ansteigen lassen, welches sich ohne Geldmengenausweitung eingestellt hätte.
Auf dem Markt stattfindende Transaktionen erfüllen so nicht mehr die Voraussetzungen einer freien Marktwirtschaft, denn sie sind nicht mehr für alle Beteiligten gleich vorteilhaft. Nahe an der Quelle der Geldentstehung finden sich in aller erster Linie der Staat und die Geschäftsbanken. Aber auch dem Staat nahstehende Großunternehmen, die mittels Lobbyarbeit gute Kontakte mit der Regierung pflegen (Korporatismus). An letzter Stelle dagegen stehen die Empfänger nominaler Einkommen, vor allem Arbeitnehmer.
Dieses Phänomen der Umverteilung wurde nach Richard Cantillon benannt und trägt daher den Namen Cantillon-Effekt. Die von Cantillon beschriebene Umverteilungswirkung stellt sich bei einer Ausweitung der Geldmenge immer ein, gleich ob die Güterpreise steigen, unverändert bleiben oder fallen.
Asset Price Inflation
In den Messungen der Geldentwertung wird zudem ein wichtiges Phänomen, dessen Ursache im Wesentlichen auf die Geldmengenausweitungen zurückzuführen ist, außer Acht gelassen: Die Auswirkung auf Vermögensklassen wie Aktien und Immobilien (Asset Price Inflation).
Die Wertsteigerung von Aktiendepots und Immobilien (hier in Folge auch steigende Mieteinnahmen) hat Aktionären und Immobilienbesitzern in den vergangenen Jahren enorme Vermögens- und Einkommenszuwächse beschert. Die Bezieher niedriger Einkommen oder Rentner, die ihr gesamtes Einkommen für den Lebensunterhalt aufbrauchen müssen, dürften unter den Aktionären und Mietimmobilienbesitzern eher weniger zu finden sein als die ohnehin Vermögenden. Eher finden sie sich in der Gruppe der Mieter, die unter ansteigenden Mieten zu leiden haben.
Inflation verändert die Nachfragestruktur
Wird durch die Geldmengenausweitung Kaufkraft von unteren Einkommensschichten hin zu den oberen Einkommensschichten transportiert, dann verändert sich dadurch zwangsläufig auch die Struktur der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen. Die Bezieher niedrigerer Einkommen (spätere Geldempfänger) müssen einen prozentual höheren Anteil ihres Einkommens – vielfach auch das komplette Einkommen – für das Bestreiten ihres Lebensunterhaltes verwenden (Miete, Nahrungsmittel, usw.) als die Bezieher höherer Einkommen (frühere Geldempfänger).
Beide Einkommensgruppen weisen also von Natur her eine andere Struktur bei der Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen auf. Eine Umverteilung von Kaufkraft hin zu den früheren Geldempfänger hat demnach zur Folge, dass sich unter den Marktteilnehmern auch die Struktur der Nachfrage nach Gütern verändert.
Tendenziell wird sich die relative Nachfrage hin zu Gütern verschieben, die nicht in erster Linie dem Bestreiten des Lebensunterhaltes dienen, bis hin zu einer Erhöhung der Nachfrage nach Anlageobjekten (beispielsweise Aktien und Immobilien).
Das Zusammenwirken der vorangehend beschriebenen Effekte hat eine erhebliche Verzerrung der relativen Güterpreise zur Folge. Betrachtet man die Preissteigerung eines Gutes im Zeitverlauf, lässt sich unmöglich eine Aussage darüber treffen, ob sich die „natürliche“ Angebots- und Nachfragekonstellation verändert hat, oder die Preisveränderung allein aufgrund von monetären Bedingungen getrieben ist. Der Ökonom Murray N. Rothbard (1926 – 1995) verdeutlicht das in seinem Buch Man, Economy, and State aus dem Jahr 1962 wie folgt:
Selbst wenn alle Preise eines Sortimentes gestiegen wären, wüssten wir nicht, um wie viel die Kaufkraft des Geldes gefallen wäre, und wir wüssten nicht, wie viel von der Veränderung auf einen Anstieg der Geldnachfrage und wie viel auf Veränderungen der Bestände zurückzuführen ist.
Auswirkung auf die Ressourcenverwendung
Mit anderen Worten: Die Preise der Güter büßen ihre Signalfunktion ein. Das wiederum erschwert die richtige Allokation knapper Ressourcen. Schließlich haben die Preise Lenkungsfunktion. Die Preise sind die Signalgeber, die wichtige Informationen in sich tragen: Sie zeigen die relativen Knappheiten an. Nur wenn Preise sich frei – also ohne künstliche Geldvermehrung – bilden können, sind die Marktteilnehmer in der Lage, im Hinblick auf die Ressourcenverwendung die bestmöglichen und effizientesten Entscheidungen treffen.
Eine Volkswirtschaft ist ein hochkomplexes System, das auf eine freie, ungetrübte Preisbildung auf den Gütermärkten nicht verzichten kann. Die Marktteilnehmer haben dabei keine andere Möglichkeit, als die gegebenen Preise als Grundlage für ihre Entscheidungen zu machen. Wird das Preissystem durch die Ausweitung der Geldmenge verzerrt, gelangen die Ressourcen einer Volkswirtschaft nicht mehr zur effizientesten Verwendung, die Volkswirtschaft bleibt hinter ihren Möglichkeiten zurück.
Besonders problematisch erweist sich der „Boom-und-Bust”-Zyklus, ausgelöst durch die Geldmengenausweitung der Zentralbanken im Dienst der „Preisstabilität“. Die Zentralbanken – in enger Kooperation mit den Geschäftsbanken – erhöhen nämlich die Geldmengen durch Kreditvergabe – durch die Vergabe von Krediten, denen keinerlei Ersparnisse gegenüberstehen. Das führt zu einer künstlichen Absenkung des Marktzinses.
Dadurch nimmt die Ersparnis ab, und der Konsum und die Investitionen steigen. Unternehmer werden zu Investitionen verleitet, die sich volkswirtschaftlich gar nicht erfolgreich verwirklichen lassen. Konsumenten und Staaten werden zur Schuldenfinanzierung verleitet, die ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteigt. Die künstlich niedrigen Zinsen befördern vor allem die Kapitalgüterindustrie zu Lasten der Konsumgüterindustrie. Doch der Boom ist nicht von Dauer.
Früher oder später bemerken die Unternehmen, dass ihre Investitionen sich nicht rechnen, dass sie hinter den erhofften Erträgen zurückbleiben. Daraufhin kürzen die Unternehmen die Produktion. Arbeitsplätze, die im Boom geschaffen wurden, gehen verloren. Kreditnehmer fallen aus. Banken halten sich daraufhin zurück bei der Kreditvergabe. Der Marktzins beginnt zu steigen, und spätestens dann kippt der Boom in einen Bust um.
Eine Frage des Geldes
Die Idee, die Zentralbanken sollten die Preise stabil halten, indem sie die Geldmenge verändern, ist geradezu fatal: Denn sie ermuntert die Geldbehörden fortwährend, in das Markt- und Preisgeschehen der Volkswirtschaft einzugreifen. Das sorgt für Verzerrungen, die wiederum für Fehlentwicklungen sorgen, die die Mehrung des Wohlstandes erschweren beziehungsweise verhindern. All diese Probleme fallen besonders groß aus, weil die Staaten die Hoheit über die Geldproduktion innehaben.
Heutzutage geben die staatlichen Zentralbanken ungedecktes Geld heraus, das vor allem im Zuge der Kreditgewährung entsteht. Ein solches Geld ist nicht nur inflationär, es sorgt auch systematisch für Preisverzerrungen auf den Gütermärkten. Es behindert damit ein effizientes Wirtschaften, und zudem sorgt es dabei für mitunter schwere Wirtschaftsstörungen („Krisen”). Besonders problematisch: Die Krisen werden meist dem „freien Markt” zugeschrieben, und es werden staatliche Markteingriffe gefordert, um die Krisen zu überwinden und künftig zu verhindern. Dadurch wird die freie Marktwirtschaft unterwandert beziehungsweise abgeschafft.
Ohne eine freie Marktwirtschaft wird es jedoch keinen Wohlstand, keine friedvolle und kooperative Arbeitsteilung zwischen den Menschen geben. Will man also ein prosperierendes Gemeinwesen, so lautet die Schlussfolgerung: Das staatliche Geldproduktionsmonopol muss abgeschafft werden – und durch ein freies Marktgeldsystem ersetzt werden. Ein System, in dem das Geld frei von den Geldnachfragern gewählt werden kann, ein System, in dem das Geld unter Wettbewerbsbedingungen bereitgestellt und kontrolliert wird.
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Dieser Beitrag ist zuerst erschienen im Edelmetall- & Rohstoffmagazin 2018/2019 der Internationalen Edelmetall- & Rohstoffmesse im MVG Museum München.
Andreas Marquart ist Vorstand des „Ludwig von Mises Institut Deutschland“. Er ist Honorar-Finanzberater und orientiert sich dabei an den Erkenntnissen der Österreichischen Geld- und Konjunkturtheorie. Im Mai 2014 erschien sein gemeinsam mit Philipp Bagus geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen”. Zuletzt erschienen, ebenfalls gemeinsam mit Philipp Bagus: Wir schaffen das – alleine!
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