Warum Interventionismus in den Sozialismus führt

22.1.2018 – von Ludwig von Mises.

Ludwig von Mises (1881-1973)

Interventionismus bedeutet, dass die Regierung ihre Tätigkeit nicht auf die Aufrechterhaltung der Ordnung beschränkt, oder – wie man vor hundert Jahren zu sagen pflegte – auf die „Produktion von Sicherheit“. Interventionismus bedeutet, dass die Regierung mehr tun will. Sie will sich in das Marktgeschehen einmischen.

Wenn man Widerspruch erhebt und sagt, die Regierung solle sich nicht in die Wirtschaft einmischen, antworten die Leute sehr oft: „Aber die Regierung mischt sich notgedrungen immer ein. Sobald Polizisten auf der Straße sind, greift die Regierung ein. Es hindert einen Räuber daran, einen Laden zu plündern, oder einen Mann, ein Auto zu stehlen.“ Aber wenn wir uns mit Interventionismus befassen und definieren, was mit dem Begriff gemeint ist, dann sprechen wir von staatlicher Einmischung in den Markt. (Dass von der Regierung und der Polizei erwartet wird, dass sie die Bürger, zu denen auch Geschäftsleute und natürlich deren Angestellte gehören, vor Angriffen in- und ausländischer Gangster schützen, ist in der Tat eine normale, notwendige Erwartung an jede Regierung. Ein solcher Schutz ist kein Eingriff, denn die einzige legitime Aufgabe der Regierung ist es, Sicherheit zu schaffen.)

Was wir im Sinn haben, wenn wir über Interventionismus sprechen, ist der Wunsch der Regierung, mehr zu tun, als Angriffe und Betrug zu verhindern. Interventionismus bedeutet, dass die Regierung nicht nur darin versagt, das reibungslose Funktionieren der Marktwirtschaft zu gewährleisten, sondern auch in die verschiedenen Marktphänomene eingreift; sie greift in Preise, Löhne, Zinsen und Gewinne ein.

Die Regierung will sich einmischen, um Geschäftsleute zu zwingen, ihre Geschäfte anders zu führen, als sie es getan hätten, wenn sie nur den Verbrauchern gehorcht hätten. Somit sind alle Interventionsmaßnahmen der Regierung darauf ausgerichtet, die Vorherrschaft der Konsumenten einzuschränken. Die Regierung will die Macht, oder zumindest einen Teil der Macht, die in der freien Marktwirtschaft in den Händen der Verbraucher liegt, für sich in Anspruch nehmen.

Betrachten wir ein Beispiel für Interventionismus, das in vielen Ländern sehr populär ist und von vielen Regierungen immer wieder versucht wird, besonders in Zeiten der Inflation. Was ich meine, ist die Kontrolle der Preise.

Regierungen greifen in der Regel auf Preiskontrollen zurück, wenn sie die Geldmenge aufgebläht haben und sich die Menschen über den daraus resultierenden Preisanstieg beschweren. Es gibt viele berühmte Beispiele in der Geschichte für Methoden der Preiskontrolle, die gescheitert sind, aber ich möchte nur auf zwei davon eingehen, denn in beiden Fällen waren die Regierungen wirklich sehr energisch bei der Durchsetzung oder dem Versuch, ihre Preiskontrollen durchzusetzen.

Das erste berühmte Beispiel ist der des römischen Kaisers Diokletian, sehr bekannt als letzter römischer Kaiser, der die Christen verfolgte. Der römische Kaiser in der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts verfügte nur über eine einzige Finanzierungsmethode, und das war die Entwertung der Währung. In jenen primitiven Zeitaltern – vor der Erfindung der Druckpresse – war sogar die Inflation, sagen wir mal, primitiv. Es ging um die Entwertung bei der Prägung von Münzen, insbesondere der Silbermünzen. Die Regierung mischte immer mehr Kupfer in das Silber, bis die Farbe der Silbermünzen sich veränderte und das Gewicht erheblich reduziert wurde. Das Ergebnis dieser Münzschwächung und der damit verbundenen Erhöhung der Geldmenge war ein Preisanstieg, gefolgt von einem Erlass zur Preiskontrolle. Und die römischen Kaiser waren nicht sehr milde, wenn sie ein Gesetz durchsetzten; sie hielten den Tod nicht für eine zu milde Strafe für einen Mann, der einen höheren Preis verlangt hatte. Sie schafften es zwar, die Preiskontrollen durchzusetzen, aber sie schafften es nicht, die Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten. Das Ergebnis war der Zerfall des Römischen Reiches und der Zusammenbruch der Arbeitsteilung.

Dann, 1500 Jahre später, fand während der Französischen Revolution die gleiche Währungsabwertung statt. Aber diesmal wurde eine andere Methode angewandt. Die Technik zur Geldproduktion wurde erheblich verbessert. Es war nicht mehr nötig, dass die Franzosen auf die Entwertung der Münzen zurückgreifen mussten: Sie hatten die Druckerpresse. Und die Druckmaschine war sehr effizient. Das Ergebnis war wiederum ein beispielloser Preisanstieg. Aber während der Französischen Revolution wurden Höchstpreise nicht mit der gleichen Methode der Todesstrafe durchgesetzt, die Kaiser Diokletian angewandt hatte. Denn es gab auch eine Verbesserung in der Technik des Tötens von Bürgern. Sie alle erinnern sich an den berühmten Doktor J. I. Guillotin (1738-1814), der dafür plädierte, die Guillotine zu verwenden. Aber trotz der Guillotine scheiterten auch die Franzosen mit ihren Gesetzen der Höchstpreise. Als Robespierre selbst zur Guillotine gebracht wurde, riefen die Leute: „Aus ist’s mit dem Maximum.“

Ich muss das alles erwähnen. weil es oft heißt: „Was wir brauchen, um die Preiskontrolle effektiv und effizient zu gestalten, ist nur mehr Brutalität und mehr Energie.“ Nun ja, Diokletian war sehr brutal, ebenso wie die Französische Revolution. Dennoch scheiterten die Maßnahmen zur Preiskontrolle in beiden Zeitaltern gänzlich.

Lassen Sie uns nun die Gründe für dieses Scheitern analysieren. Der Regierung kommt zu Ohren, dass sich die Leute beschweren, weil der Milchpreis gestiegen ist. Milch ist sicherlich sehr wichtig, besonders für heranwachsende Kinder. Deshalb setzt die Regierung einen Höchstpreis für Milch fest, einen Höchstpreis, der niedriger ist als der potentielle Marktpreis. Dann sagt die Regierung: „Jetzt haben wir bestimmt alles getan, damit arme Eltern so viel Milch kaufen können, wie sie brauchen, um ihre Kinder zu ernähren.“

Was geschieht aber nun? Einerseits steigt durch den niedrigen Milchpreis die Nachfrage nach Milch. Leute, die sich Milch zum höheren Preis nicht leisten konnten, können es jetzt zu dem niedrigeren, von der Regierung festgesetzten Preis. Andererseits erleiden einige Produzenten nun Verluste, nämlich jene, die mit den höchsten Kosten produzieren, d.h. die Grenzproduzenten. Denn der Preis, den die Regierung festgesetzt hat, bringt weniger ein, als ihre Kosten ausmachen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt in der Marktwirtschaft. Der private Unternehmer, der private Produzent, kann nicht lange mit Verlusten arbeiten. Deshalb schränkt er die Milchproduktion für den Markt ein. Vielleicht verkauft er seine Kühe als Schlachtvieh oder er verkauft stattdessen Milchprodukte, wie Rahm, Butter oder Käse.

Das Ergebnis dieses staatlichen Eingriffs in den Milchpreis ist, dass weniger Milch als zuvor angeboten wird und gleichzeitig die Nachfrage steigt. Nicht mehr alle Leute, die bereit sind, den von der Regierung festgesetzten Preis zu zahlen, können nun Milch kaufen. Besonders ängstliche Menschen werden versuchen, als erste in den Geschäften zu sein. Sie müssen nun vor den Geschäften anstehen; lange Warteschlangen vor den Geschäften sind eine bekannte Erscheinung in solchen Städten, in denen die Regierung Höchstpreise für die Waren, die sie für wichtig hält, festgesetzt hat. Das war immer so, wenn der Milchpreis kontrolliert wurde, und das wurde von den Wirtschaftswissenschaftlern auch immer so vorausgesagt. Natürlich nur von den vernünftigen Nationalökonomen, und deren Zahl ist nicht sehr groß.

Was ist aber am Ende das Ergebnis dieser staatlichen Preiskontrolle? Die Regierung ist enttäuscht. Sie wollte die Zufriedenheit der Milchtrinker vergrößern. Aber in Wirklichkeit sind diese jetzt unzufriedener als zuvor. Bevor die Regierung sich einmischte, war die Milch teuer, aber man konnte sie kaufen. Jetzt ist nicht mehr genug Milch verfügbar, der Gesamtkonsum an Milch geht zurück. Die Kinder bekommen weniger Milch, nicht mehr. Die nächste Maßnahme, zu der die Regierung greifen wird, ist die Rationierung. Aber Rationierung bedeutet, dass bestimmte Menschen privilegiert sind und Milch bekommen, während andere leer ausgehen. Wer Milch bekommt und wer nicht, das wird immer sehr willkürlich entschieden. Es kann z.B. angeordnet werden, dass Kinder unter vier Jahren Milch bekommen sollen und Kinder, die älter als vier oder zwischen vier und sechs Jahren sind, nur die halbe Ration bekommen sollen.

Wie immer die Regierung auch entscheidet, es bleibt bei der Tatsache, dass die verfügbare Milchmenge geringer sein wird. Deshalb sind die Menschen unzufriedener als zuvor. Fragt nun die Regierung die Milchproduzenten (weil sie nicht genug Phantasie hat, es selbst herauszufinden), warum sie nicht dieselbe Milchmenge wie zuvor liefern, bekommt sie zur Antwort: „Das können wir nicht, denn die Produktionskosten sind höher als der von der Regierung festgesetzte Höchstpreis.“ Wenn dann die Regierung die Produktionskosten im Einzelnen überprüft, wird sie feststellen, dass das Futter ein wichtiger Posten ist.

„Oh“, sagt die Regierung jetzt, „das ist sehr einfach. Wir werden die gleiche Kontrolle, die wir bei Milch angewandt haben, nun auch auf Futter anwenden und einen Höchstpreis für Futtermittel festsetzen. Sie können dann ihre Kühe billiger füttern und werden weniger Aufwendungen haben. Dann kommt alles in Ordnung. Sie werden mehr Milch produzieren und mehr Milch verkaufen können.“

Was geschieht aber nun? Die gleiche Geschichte wiederholt sich mit dem Futter und verständlicherweise aus denselben Gründen. Die Futterproduktion sinkt und die Regierung steht vor dem gleichen Problem. Sie sorgt nun dafür, dass neue Anhörungen stattfinden, um herauszufinden, was bei der Futterproduktion falsch läuft. Und die Futterproduzenten geben ihr genau die gleiche Erklärung wie die Milchproduzenten. So muss die Regierung noch einen Schritt weitergehen, denn sie will ja das Prinzip der Preiskontrolle nicht aufgeben. Sie setzt jetzt einen Höchstpreis für die Güter fest, die zur Futterproduktion notwendig sind. Und wieder geschieht dasselbe.

Die Regierung geht nun dazu über, nicht nur Milch, sondern auch Eier, Fleisch und andere zum Lebensunterhalt notwendige Güter zu kontrollieren. Und stets erzielt sie dasselbe Ergebnis mit den gleichen Folgen. Sobald sie einen Höchstpreis für Konsumgüter festgesetzt hat, muss sie einen Schritt weiter zurückgehen und auch ein Preislimit für die Produktionsgüter festsetzen, die man zur Produktion der preisgebundenen Konsumgüter braucht. Und so greift sie, nachdem sie mit einigen wenigen Preiskontrollen angefangen hat, immer tiefer in den Produktionsprozess ein und setzt Höchstpreise für alle möglichen Produktionsgüter fest, natürlich auch den Preis für Arbeit, denn ohne Lohnkontrolle bliebe die staatliche „Preiskontrolle“ wirkungslos.

Hinzu kommt, dass der Staat Eingriffe in das Marktgeschehen nicht auf jene Güter beschränken kann, die er für lebensnotwendig hält, wie Milch, Butter, Eier und Fleisch. Er muss sie zwangsläufig auch auf Luxusgüter ausdehnen; denn wenn er deren Preise nicht auch festsetzt, würden Arbeit und Kapital aus der Produktion der lebensnotwendigen Güter in jene Produktionsbereiche abwandern, die der Staat als unnötigen Luxus betrachtet. So zieht – es ist wichtig, sich das klar zu machen – die begrenzte Einmischung in die Preisbildung bei einigen wenigen Konsumgütern zwangsläufig weitere Folgen nach sich, die noch weit weniger zufriedenstellend sind als es die Zustände zuvor waren.

Bevor der Staat sich einmischte, waren Milch und Eier zwar teuer, aber nach der staatlichen Einmischung begannen sie vom Markt zu verschwinden. Die Regierung hielt diese Bereiche für so wichtig, dass sie sich einmischte. Sie wollte das Angebot vergrößern und die Versorgung verbessern. Doch sie erreichte das Gegenteil: Die punktuellen Eingriffe führten zu einem Zustand, der vom Standpunkt der Regierung aus noch viel unerwünschter war als die früheren Verhältnisse, die sie hatte verändern wollen. Und da die Regierung, nachdem sie einmal mit Preiskontrollen begonnen hat, gezwungen ist, weiter und weiter zu gehen, wird sie schließlich an einem Punkt anlangen, wo alle Preise, alle Löhne, alle Zinsen, kurzum alles im Wirtschaftssystem vom Staat bestimmt wird. Und das ist – daran besteht kein Zweifel – Sozialismus.

Was ich Ihnen hier dargelegt habe, diese schematische und theoretische Erklärung, ist genau das, was in jenen Ländern passiert ist, die versucht haben, eine maximale Preiskontrolle durchzusetzen, in denen die Regierungen so stur waren, dass sie Schritt für Schritt bis zum Ende voranschritten.

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Aus Ludwig von Mises, „Economic Policy: Thoughts for Today and Tomorrow.“

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Ludwig von Mises, geb. 1881 in Lemberg, war der wohl bedeutendste Ökonom und Sozialphilosoph des 20. Jahrhunderts. Wie kein anderer hat er die (wissenschafts)theoretische Begründung für das System der freien Märkte, die auf unbedingter Achtung des Privateigentums aufgebaut sind, und gegen jede Form staatlicher Einmischung in das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben geliefert. Seine Werke sind Meilensteine der Politischen Ökonomie. Das 1922 erschienene “Die Gemeinwirtschaft” gilt als erster wissenschaftlicher und umfassender Beweis für die “Unmöglichkeit des Sozialismus”. Sein Werk “Human Action” (1949) hat bei amerikanischen Libertarians den Rang einer akademischen “Bibel”. Mises war Hochschullehrer an der Wiener Universität und Direktor der Österreichischen Handelskammer. Ab 1934 lehrte er am Institut des Hautes Etudes in Genf. 1940 Übersiedlung nach New York, wo er nach weiteren Jahrzehnten der Lehr- und Gelehrtentätigkeit 1973 im Alter von 92 Jahren starb.

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