Donald Trump führt die EU an den Scheideweg
6.3.2017 – von Karl-Friedrich Israel.
Der folgende Text ist eine leicht abgewandelte Version meines Artikels „What Trump Means: A European Perspective“, veröffentlicht in The Austrian 3, no. 1 (January-February 2017): 18–19. Es sei darauf hingewiesen, dass der Originalbeitrag bereits im Dezember des letzten Jahres geschrieben wurde. Nun ist die Politik aber ein äußerst schnelllebiges Geschäft. Was gestern noch versprochen wurde, kann heute schon vergessen sein. Deshalb habe ich einige kleine Veränderungen in der folgenden Übersetzung vorgenommen.
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Viele Mitglieder der europäischen Polit- und Medienelite waren sich einig, dass Hillary Clinton die 45. Präsidentschaft der Vereinigten Staaten von Amerika antreten würde – oder zumindest haben sie verzweifelt darauf gehofft. In den Tagen nach der Wahl konnte man unzählige Stimmen der Entrüstung von führenden Medienvertretern und Politikern gleichermaßen vernehmen. Es fühlte sich fast so an als hätte das Europäische Projekt Schulter an Schulter mit Clinton verloren, jetzt da Amerika, Europas wichtigster Partner, von einem „menschenverachtenden Rechtspopulisten“, einem ausgewiesenen „Europaskeptiker“ und Sympathisanten der UK Independence Party regiert wird. Und zu alledem steht für ihn auch noch „Amerika an erster Stelle!“ Für das europäische Establishment ist dies eine unzumutbare Haltung des Amerikanischen Präsidenten. Hat es sowas überhaupt schon einmal gegeben?
Der Generalsekretär der regierenden Sozialistischen Partei Frankreichs, Jean-Christophe Cambadélis, hat Trump mit der französischen Präsidentschaftskandidatin des Front National, Marine Le Pen, verglichen, und darauf hingewiesen, dass die französische Linke sehr wohl wisse, welche Herausforderungen bevorstünden. Der französische Premierminister Manuel Valls betonte, dass Europa nun enger zusammenrücken und sich den neuen Herausforderungen stellen müsse. Man brauche eine passende Antwort auf die Entwicklungen jenseits des Atlantiks. Er unterstrich auch, dass er nicht an den „Triumph der Naivität und Demagogie“ glaube.
Der damalige deutsche Außenminister und neue Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der Trump während der Wahlkampagne einen „Hassprediger“ nannte, konstatierte kurz nachdem das Wahlergebnis feststand, dass die amerikanische Außenpolitik nun schwieriger vorherzusehen sei, aber dass Deutschland nicht „wie das Kaninchen vor der Schlange starren“ darf. Stattdessen sollte Deutschland weiterhin selbstbewusst die eigene „politische Kultur“ und Debatte aufrechterhalten. Doch wer weiß schon mit Sicherheit, welche politische Debattierkultur hier gemeint sein könnte?
Donald Trump wurde im deutschen Nachrichtenfernsehen mit Adolf Hitler verglichen zu einem Zeitpunkt, da er bereits die Erwartungen der meisten Experten weit überschritten hatte. Doch kaum einer konnte sich vorstellen, dass er tatsächlich der nächste amerikanische Präsident werden würde. Am Abend des 9. November, als das Undenkbare Gestalt annahm, veröffentlichte die ARD eine repräsentative Umfrage, nach der nur etwa 4 Prozent der deutschen Wähler für Trump gestimmt hätten. Man fragt sich verwundert, ob die Umfrage ausschließlich unter den Mitarbeitern der deutschen Rundfunkanstalten durchgeführt wurde.
Als der österreichische Präsidentschaftskandidat Norbert Hofer gegen Alexander Van der Bellen im frühen Dezember verlor, hatte das EU Establishment den ersten Moment der Erleichterung seit der Brexit-Wahl im Juni. „Hofer hat vergeblich auf den Trump-Effekt gesetzt“, verkündete eine ARD Nachrichtensprecherin triumphierend am Abend nach der Wahl.
Zeitgleich wählten jedoch die Italienischen Bürger gegen den Vorschlag zur Verfassungsänderung ihres Präsidenten Matteo Renzi. Das Votum führte zum Rücktritt Renzis und könnte eine frühzeitige Neuwahl in Italien herbeiführen, und somit der euroskeptischen Fünf-Sterne-Bewegung um Komiker Beppe Grillo eine große Plattform liefern, mit durchaus guter Aussicht auf unerwünschte Wahlerfolge. Dies würde bedeuten, dass innerhalb des nächsten Jahres in den drei größten Ländern der Eurozone und der EU (das Vereinigte Königreich ausgenommen) – Deutschland, Frankreich und Italien – neue Regierungen gewählt werden. Die Tageszeitung La Stampa schrieb, dass das italienische Referendum die „gleiche Geschichte wie Brexit und Trump“ erzähle.
Es ist also ganz offensichtlich, dass alle politischen Geschehnisse und Entwicklungen in Europa nun im Lichte des Wahlsiegs Donald Trumps interpretiert werden. Und es steht außer Frage, dass Trump bereits einen Effekt auf die politische Strategie und Rhetorik der etablierten europäischen Parteien hatte.
Die erdrückenden Probleme Europas
Die drängendsten Probleme, vor denen die europäischen Länder stehen – nach der Geld- und Schuldenkrise, die für eine ganze Weile auf mysteriöse Art in Vergessenheit geraten war – sind die Stabilisierung des Nahen Ostens und die Reaktion auf Millionen von Migranten, die in ausgewählte Länder Europas strömen.
Trump hat deswegen eine so große Bedeutung für das politische Regime der EU, weil er die Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, obwohl er in gerade diesen Punkten Positionen bezogen hatte, von denen keiner dachte, dass sie mehrheitsfähig wären – weder in Amerika noch in Europa. Sie sind konträr zum Ansatz, den die Bush- und Obama-Administrationen verfolgt haben, den Clinton hätte weiterführen wollen, und an dem die Europäische Union weiter entschlossen festhält. Dieser Ansatz scheint in ein größeres politisches Programm eingebettet zu sein, dass durch die Leitmedien energisch propagiert wird. Dieses Programm stellt die echten und vermeintlichen Vorteile von offenen Staatsgrenzen, Diversität und Multikulturalität in den Vordergrund. Es unterstreicht ferner die Bedeutung humanitärer Hilfeleistung, sowie die Verpflichtung des Westens, zur Verbesserung der Lebensstandards in den Entwicklungsländern Asiens und Afrikas beizutragen. Dass gerade letzterer Impuls nur allzu oft zum genauen Gegenteil in Form von aggressiven Militäreinsätzen führt, wird mutwillig geschönt. Trumps anti-interventionistische Wahlkampfpositionen waren überraschenderweise erfolgreich gegen den globalistischen Ansatz seiner Gegner.
Nach einer Eingangsphase, in der man sich nur arrogant über Trump und seine Anhänger amüsiert hatte, brach sich eine gehörige Portion des alten europäischen Überwertigkeitskomplexes gegenüber Amerika Bahn, und der allgemeine Tenor wurde ernster. Als man die möglichen Implikationen der Trump-Bewegung erkannte, haben Polit- und Medieneliten in einem Akt der Selbstverteidigung verzweifelt versucht, einen Buhmann aus Trump zu machen.
Sicherlich hat er sich einige Kritik redlich verdient, wie so ziemlich jeder Politiker. Aber viele Vorwürfe sind haltlose und hysterische Übertreibungen. Und während sich die Mitglieder des europäischen Establishments beherzt als Moralapostel aufspielen, werden selbst die vielversprechendsten Aspekte des Trumpschen Isolationismus, aus humanitärer Sicht, gegen ihn verwendet. Sollte Trump tatsächlich einen weniger aggressiven außenpolitischen Kurs fahren, so wie er es angekündigt hat, wäre dies zu begrüßen. Stattdessen argumentiert man, dass Trump Europa im Stich lassen wird, und dass Europa deshalb das eigene Militärbudget aufstocken müsse.
Ob Trump beim Thema Außenpolitik sein Wort hält, wird sich zeigen. Ernste Bedenken sind immer angebracht. Immerhin ist auch Obama mit dem Versprechen angetreten, Militäreinsätze zu beenden, was ihm viel Lob, Anerkennung und einen Friedensnobelpreis eingebracht hat, aber sonst ohne politische Folgen geblieben ist.
Die aggressive Außenpolitik des Westens unter Führung der USA, zuletzt unter Barack Obama, ist maßgeblich für die Destabilisierung des Mittleren Ostens und Nordafrikas verantwortlich. Sie hat somit die Migrationskrise ins Rollen gebracht, die Europa jetzt stemmen muss. Dies wird allerdings geflissentlich übergangen.
Trump als Rechtfertigung für mehr Zentralisierung
Die Europäische Union hat ganz offensichtlich selbst zu den Problemen beigetragen, die sie jetzt zur weiteren Zentralisierung der Machtstruktur Europas auszunutzen gedenkt. Trump könnte dabei als schwarzes Schaf dienen, das Europa inmitten eines internationalen Konflikts und einer humanitären Krise alleine lässt. Diese Geschichte wurde bereits erzählt als Trump noch keinen einzigen Tag im Amt war, und sie wird weiterhin als Rechtfertigung für immer aufdringlichere EU-Maßnahmen dienen, sofern es die Europäischen Völker zulassen.
Dennoch könnten auch in Europa mehr oder weniger starke Oppositionsbewegungen den Nationalregierungen zur Last werden. Unglücklicherweise wirken auch diese nicht in jeder Hinsicht in die richtige Richtung. Aber unsere Probleme werden ohnehin nicht mit der nächsten Wahl gelöst. Sie sind viel fundamentaler und letztlich ideologischer Natur. Sie lassen sich nur über die lange Frist lösen.
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Karl-Friedrich Israel, 28, hat Volkswirtschaftslehre, Angewandte Mathematik und Statistik an der Humboldt-Universität zu Berlin, der ENSAE ParisTech und der Universität Oxford studiert. Zur Zeit absolviert er ein Doktorstudium an der Universität Angers in Frankreich.
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