Italienische Bankenrettung durch national-autonome Geldschöpfung

5.8.2016 – Interview mit Dirk Meyer.

Sehr geehrter Herr Professor Meyer, seit Monaten wird über die italienische Bankenkrise gesprochen – 360 Mrd. Euro (18 % BIP) der Ausleihungen gelten als notleidend. Diesen stehen jedoch lediglich eine Risikovorsorge von 120 Mrd. Euro gegenüber. Mit dem Bankenabwicklungsmechanismus ist der Weg doch eigentlich klar vorgegeben – oder?

Dirk Meyer

Neben der Bankenaufsicht und der Einlagensicherung stellt der einheitliche Bankenabwicklungsmechanismus die dritte Säule der Europäischen Bankenunion dar. Er sieht eine klare Haftungskaskade bei drohender Insolvenz einer Bank vor: erst die Anteilseigner, dann eine Umwandlung von unbesicherten Krediten und Einlagen über 100.000 Euro in haftendes Eigenkapital. Erst nachdem über diese Gläubigerbeteiligung (Bail-in) 8 % der Bilanzsumme zusammen gekommen ist, kann für die nächsten 5 % der neue Bankenabwicklungsfonds in Anspruch genommen werden. Erst zu guter Letzt werden staatliche Gelder eingesetzt – soweit die Theorie.

Und wieso soll der Bail-in-Mechanismus jetzt nicht im Fall der italienischen Banken funktionieren?

In den Worten des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ausgedrückt: ‚Weil es Italien ist‘. Aber ernsthaft: In Italien ist eine Gläubigerbeteiligung aufgrund der kleinteiligen Eigentümer- und Gläubigerstrukturen politisch umstritten. Die dortigen Institute, vielfach ehemalige Genossenschaftsbanken, finanzieren sich in erheblichem Umfang über ihre Kunden, zum einen als Anteileigner, zum anderen als Gläubiger von Bankobligationen. Bereits Ende letzten Jahres hat die italienische Regierung nach der Rekapitalisierung von vier Regionalbanken angekündigt, über Entschädigungszahlungen an Kleinanleger nachsteuern zu wollen. Hier wurden Nachranganleihen von ca. 10.600 Anlegern in Höhe von nominal etwa 330 Mio. Euro wertlos. Bei der systemrelevanten Banca Monte dei Paschi halten etwa 60.000 Anleger Vorrangobligationen in Höhe von nominal 5 Mrd. Euro, die im Falle eines Bail-in in die Haftung fließen würden.

Von daher ist der Widerstand gegen ein Bail-in der Anteils-Eigentümer und Gläubiger zur Sanierung italienischer Banken erheblich. Geht man die Haftungskaskade weiter durch, so fällt auch der Abwicklungsfonds aus, der noch weitgehend leer ist und erst 2023 auf 55 Mrd. Euro anwachsen soll. Es bleiben mögliche Staatshilfen, für die jedoch aufgrund einer Staatsschuldenquote von 132,7 % und bei Einhaltung des Fiskalpaktes kaum Spielraum besteht. Zudem sind staatliche Subventionen nach dem EU-Beihilferecht ausgeschlossen. Des Weiteren erscheint ein ESM-Kredit aufgrund der staatlichen Beantragung und der damit einhergehenden Konditionierungsauflagen als überaus unattraktiv für die italienische Regierung.

Wie könnte die Regierung einen Sonderweg rechtfertigen?

Die Abwicklungsrichtlinie (BRRD) sieht verschiedene Ausnahmen vor. So könnte die italienische Regierung auf die zeitliche Enge und die Gefahr einer ausgedehnten Ansteckung der Realwirtschaft verweisen (Art. 44 Abs. 3 BRRD). Aktuell wird das Brexit-Votum genommen, um eine Gefährdung der Finanzstabilität zu konstruieren (Art. 32 Abs. 4 lit. d BRRD). Schließlich kommen staatliche Stabilisierungsinstrumente „als letztes Mittel zum Einsatz, nachdem die übrigen Abwicklungsinstrumente so umfassend wie möglich erwogen und eingesetzt wurden.“ (Art. 56 Abs. 3 BRRD).

Die EU-Kommission hat staatliche Hilfen kategorisch ausgeschlossen. Wie könnte denn ein ‚italienischer Weg‘ aus der Bankenkrise konkret aussehen?

Im April 2016 gründete ein Bankenkonsortium auf Druck der Regierung den von der EU-Kommission als privates Vehikel eingestuften Bankenrettungsfonds Atlante. Er soll über ein Volumen von knapp 4 bis 5 Mrd. Euro verfügen können. Seine Aufgaben: die Übernahme notleidender Kreditpapiere zum Buchwert und die Garantienstellung für Kapitalerhöhungen. Bereits durch die Inanspruchnahmen als Sicherungsgeber für zwei fehlgeschlagene Kapitalerhöhungen ist etwa die Hälfte der Gelder gebunden. Damit dürfte ein Bedarf an weiteren Fondsmitteln bestehen, denn von den geschätzten 360 Mrd. Euro an notleidenden Krediten des Bankensystems sind etwa 240 Mrd. Euro nicht durch Rückstellungen gedeckt.

Die Regierung dürfte in jedem Fall vermeiden wollen, Staatshilfen im Sinne des EU-Beihilferechts zu gewähren. Geeignet wäre deshalb das Instrument der halbstaatlichen Förderbank Cassa Depositi e Prestiti (CDP), die bislang ähnlich der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die Förderung von Infrastrukturprojekten übernimmt, aber auch private Unternehmen mit Krediten unterstützt und schon an Atlante beteiligt ist. Denkbar wäre, dass der Staat einen notenbankfähigen Schuldschein an die Förderbank gibt, den diese im Rahmen ihrer wirtschaftspolitisch ausgerichteten Förderung zur Aufstockung ihrer bereits bestehenden Einlage in den Bankenrettungsfonds Atlante weiterleitet. Dieser könnte den Schuldschein als Sicherheit zur Refinanzierung im Rahmen der ELA-Notfall-Liquiditätshilfe an die italienische Notenbank einreichen, um Liquidität zum Ankauf der Problemkredite (Bad Bank) zu erhalten. Indem der Fonds zum Buchwert notleidende Kredite von quasi insolventen Finanzinstituten aufkauft, entlastet er diese von notwendigen Wertberichtigungen, ermöglicht deren Solvenz und Fortbestand, muss aber selbst die Abschreibungen vornehmen. Bei Abschlägen zum Marktwert in Höhe von 80 bis 90 % würde Atlante bei der Verwertung erhebliche Verluste anhäufen, die das Kapital aufzehren.

Wie hoch schätzen Sie die notwendigen Staatshilfen, die ja ganz offensichtlich durch neue Kredite finanziert werden? Und überfordern diese nicht die Schuldentragfähigkeit Italiens?

Geht man von einer Ausfallquote von 80 % bei den 360 Mrd. Euro notleidenden Krediten aus, bliebe bei einer bereits vorliegenden Risikovorsorge von 120 Mrd. Euro ein zu deckender Kapitalzuschuss von 168 Mrd. Euro. Bezogen auf den Staatsschuldenstand zum 31.12.2015 in Höhe von 2.172 Mrd. Euro würde die Staatsschuldenquote von 132,7 % auf 140,3 % steigen. Allerdings könnte die Regierung einen in Irland bereits erprobten Trick anwenden, um mit einer Monetarisierung des Staatskredites die Lasten zu mindern. Indem die Regierung den Schuldschein in der Höhe etwas knapp bemisst und deshalb die Kapitaleinlage der Förderbank CDP für den Fonds Atlante durch Verluste vollständig aufgezehrt wird, kann sie die Insolvenz von Atlante betreiben. Infolge der Insolvenz und der Nichtbedienung der ELA-Kredite wird die italienische Notenbank auf den als Garantie eingebrachten staatlichen Schuldschein zur Verwertung zurückgreifen.

Mit dem Ziel, eine Erleichterung der Kreditkonditionen für den italienischen Steuerzahler zu erreichen, könnte die Regierung ihre Forderung einer Umwandlung dieser Staatsschuld an die Banca d‘Italia herantragen. Nachdem der EZB-Rat bereits im Fall Irland 2013 und der Insolvenz der Abwicklungsgesellschaft IBRC eine solche Lösung „einstimmig zur Kenntnis genommen“ hatte, konnte die irische Regierung eine Verlängerung der mittleren Laufzeit der Anleihen in Höhe von 25 Mrd. Euro von acht auf mehr als 34 Jahre bei Tilgungsbeginn 2038 durchsetzen. Auch ist der neue variable Zinssatz an den europäischen Geldmarktzins Euribor gekoppelt und somit gegenüber den ehemals nominal 8 % wesentlich niedriger.

Wie beurteilen Sie die ökonomischen Wirkungen dieser Umschuldung à mo-do italiano?

Der durch die irische Bankenrettung vorgezeichnete ‚italienische Weg‘ würde weitgehend abseits des Regelwerks des einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus verlaufen. Damit werden zwei wesentliche Ziele des Bail-in-Regimes nicht erreicht: Zum einen der Schutz des Steuerzahlers, zum anderen die erzieherische Anreizwirkung einer Gläubigerhaftung. Bei hinreichender finanzieller Ausstattung der staatlichen Einlage kann im günstigsten Fall jedoch eine erfolgreiche Bankenrettung vermutet werden – vorausgesetzt die Klientelpolitik, eine riskante Kreditvergabe, mangelhafte interne Kontrollen sowie unzureichende externe Prüfungen der nationalen Aufsichtsbehörden haben ein Ende.

Ökonomisch wesentlich problematischer wären die dabei angewandten Tricks. Die Einreichung des staatlichen Schuldscheines bei der Banca d’Italia als ELA-Nothilfe zur Refinanzierung ist eine nationale Euro-Geldschöpfung, auf die das Eurosystem direkt keinen Einfluss hat. Die national-autonome Geldschöpfung führt zu einem Anstieg der so genannten ANFA- Netto-Finanzanlagen des Eurosystems. Durch den Umfang des Kredites dürften die mit der EZB verabredeten Obergrenzen stark überschritten werden. Dies gefährdet aktuell den geldpolitischen Steuerungsspielraum der EZB. Im Falle einer Staatsinsolvenz Italiens fände im Übrigen eine Vergemeinschaftung der Haftung statt, die alle Eurostaaten anteilig tragen müssten. Zudem erlangt der Fiskus quasi eine Nullzins-Finanzierung, da die Zentralbank die Zinserträge über ihren Gewinn an den Staatshaushalt abführt. Schließlich: Die nach der Insolvenz vollzogene Umwandlung des Schuldscheines in eine langlaufende Staatsanleihe zu günstigeren Zinsen würde zu einem geringeren Barwert des Kreditpapieres führen – ein Verstoß gegen das Verbot der monetären Staatsfinanzierung (Art. 123 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union).

Politisch würde Ihr aufgezeigter Weg in die bisherige Rettungspolitik passen: Regeln aufweichen, der Praxis anpassen oder gleich ganz missachten – Hauptsache das Problem gerät aus dem Blickfeld …

Wohl richtig! Durch die Zwischenschaltung der halbstaatlichen Förderbank CDP dürfte formal der Vorwurf einer nach EU-Recht schädlichen Staatshilfe entfallen. Hinsichtlich der im Aufbau befindlichen europäischen Bankenunion wäre der ‚italienische Weg‘ allerdings verheerend. Auch wenn die europäischen Entscheidungsträger die italienische Bankenrettung als ökonomisch begründbaren Sonderfall darstellen würden: Angesichts der vielen Ausnahmen und Lockerungen fiskalischer und geldpolitischer Regeln in der Vergangenheit und Gegenwart würden die Bürger anderer Eurostaaten dieser Argumentation kaum folgen. Deshalb wäre der politische Schaden voraussichtlich groß.

Was wäre Ihr Fazit?

Der ‚italienische Weg‘ wäre als Präzedenzfall für eine zukünftige europäische Bankenrettung von entscheidender Bedeutung, auch und gerade weil er im Ansatz der Blaupause der irischen Bankenabwicklung 2013 entspricht. So unterstützt EZB-Präsident Mario Draghi nicht nur die italienische Regierung im Anliegen staatlicher Hilfen. Anlässlich der EZB-Pressekonferenz v. 21. Januar 2016 formulierte er: „A good example is what’s happening in Ireland, which is one of the most successful countries as far as recovery is concerned, and regaining market access, and they’re dealing with the NPLs [non-performing loans] gradually.“

Vielen Dank, Herr Meyer.

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Das Interview wurde im August 2016 per e-mail geführt. Die Fragen stellte Thorsten Polleit.

Links:

Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen (Abwicklungsrichtlinie, BRRD) http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014L0059&from=de (Abruf 29.07.2016).

Sanierungs- und Abwicklungsgesetz vom 10. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2091) (Sanierungs- und Abwicklungsgesetz – SAG) https://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/sag/gesamt.pdf (Abruf 29.07.2016).

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Dirk Meyer ist seit 1994 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Helmut-Schmidt-Universität, Universität der Bundeswehr Hamburg, Lehrstuhl für Ordnungsökonomik. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Ordnungspolitik, Wettbewerbspolitik, Europäische Währungsunion, Technischer Fortschritt, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik, Gesundheitsökonomie, Non-Profit-Organisationen, Soziale Dienste. Dirk Meyer zählt mit Veröffentlichungen ab 1999 zu den Kritikern der Euro-Währung; Beteiligung an Verfassungsklagen zur Griechenlandhilfe und zum Rettungsschirm.

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Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Institut Deutschland wieder.

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