Gesetze müssen ein Verfalldatum bekommen

27.5.2015 – Die EU-Kommission macht einen Anfang – Überfällig ist das seit langem  Bei neuen Vorhaben auf die Bremse treten – Endlich das Subsidiaritätsprinzip beachten – Wenn ein Gesetzentwurf „Kosten keine“ verspricht

von Klaus Peter Krause.

Klaus Peter Krause

Gelegentlich gibt es auch einmal gefällige Nachrichten. Eine von ihnen war jüngst zu vernehmen: Die Europäische Kommission in Brüssel will sämtliche wichtigen europäischen Regeln und Vorhaben künftig alle fünf Jahre überprüfen oder von vornherein mit einem Verfalldatum versehen. Ein Entwurf dazu stammt von Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans. Darin geht es um eine neue „interinstitutionelle Vereinbarung zur besseren Rechtsetzung“. Mit ihm reagiert die EU-Kommission nach einem Bericht der FAZ vom 15. Mai[1] auf die ständige öffentliche Kritik an der Regelungswut der Behörde. Nicht zuletzt habe sich die Kritik an Vorstößen entzündet wie zum Beispiel, Ölkännchen zu verbieten und den Energieverbrauch von Staubsaugern und Kaffeemaschinen vorzugeben. Hoffen wir, dass wir das, was der Entwurf vorsieht, dann auch wirklich erleben. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.

Wie in der EU nationaler Bürgerwille umgangen wird

Überfällig ist das Vorhaben seit langem, zumal die meisten Gesetze in den EU-Mitgliedstaaten heute von den EU-Institutionen (Kommission, Ministerrat, Parlament) gemacht  werden[2] – was ohnehin schon ausgeufert ist und zu weit geht. Dieses Ausufern ist auch auf das verwerfliche undemokratische Umgehen nationalen Bürgerwillens zurückzuführen: Wenn die politische Führung eines EU-Mitgliedstaates ein neues Gesetz durchsetzen will, aber weiß, dass sie damit bei ihren Bürgern auf zu große Ablehnung stößt und scheitern würde, lanciert sie das Vorhaben über „Brüssel“. Dort wird das Vorhaben in eine EU-Richtlinie gepackt. Haben ihr dann die EU-Institutionen zugestimmt, hat die Richtlinie Gesetzeskraft, und alle Mitgliedstaaten sind gezwungen, sie in ein nationales Gesetz zu gießen. Etliche Mitgliedstaaten folgen diesem Zwang nicht oder schieben das Gebot auf die lange Bank oder gehen mit ihrem Gesetz nachlässig um. Brav und folgsam dagegen ist stets Deutschland. Gerade dessen politische Führung ist es auch, die auf diese schändliche Weise die deutschen Bürger besonders gern austrickst und hintergeht.

Nicht nur alle fünf Jahr überprüfen, sondern stets befristen

Weil es diese Fehlentwicklung gibt und Gesetze ohnehin nicht immer glücklich geraten, genügt es nicht, alle gesetzlichen EU-Regelungen alle fünf Jahre nur zu überprüfen, sie müssen stets befristet sein, und zwar höchstens auf fünf Jahre. Sind die herum, laufen sie automatisch aus. Ist das nicht gewollt, können sie vor ihrem Verfalldatum verlängert werden, wiederum nur befristet auf fünf Jahre. Und so fort. Jede Verlängerung muss abermals den vorgeschriebenen Weg durchlaufen. Die Überprüfung der Gesetze findet also zwangsläufig und die politische Diskussion darüber wiederum öffentlich statt, Außerdem genügt es nicht, nur „wichtige“ mit einem Verfalldatum zu versehen. Gerade unwichtige haben das besonders nötig. Und was für die EU-Regelungen gilt, muss auch für jene deutschen Gesetze gelten, die rein nationalen Charakter haben, also nicht über die EU zustandegekommen sind. Das ist ebenfalls längst fällig.

Nationale Regierungen nutzen EU-Regeln zum „Draufsatteln“

Und noch etwas ist zu begrüßen, denn die EU-Kommission will, wie die FAZ berichtet, die Mitgliedstaaten verpflichten, bei der Umsetzung in das nationale Recht klar zu kennzeichnen, wenn sie über die europäischen Vorgaben hinausgehen wollen. Denn: „Regierungen nutzen EU-Regeln immer wieder, um eigene weitergehende Vorstellungen auf diese ‚aufzusatteln’ – nicht zuletzt, wenn sie diese ansonsten nicht im Parlament durchsetzen könnten. Beispiel dafür ist die Umsetzung der Antidiskriminierungsrichtlinie in deutsches Recht.“ Der FAZ-Bericht erinnert auch daran, dass das Initiativrecht für EU-Regelungen allein die Kommission hat. Aber vor allem das Parlament verabschiede immer wieder eigene Initiativberichte, in denen es neue EU-Vorgaben fordere. Zuletzt habe es sich zum Beispiel dafür ausgesprochen, Alkoholika mit Warnhinweisen und Kalorienangaben zu versehen.

Bei neuen EU-Vorhaben auf die Bremse treten

Wohl daher sieht der Timmermans-Entwurf vor, Parlament, Rat und Kommission sollten sich jährlich auf eine Liste von vorrangigen Vorhaben einigen. Besser allerdings wäre es, bei allen Vorhaben auf die Bremse zu treten. Die Bürger wollen ihre Nationalstaaten behalten. Sie wollen keinen europäischen Bundesstaat, wie es EU-Parlament, EU-Rat und EU-Kommission beabsichtigen. Sie wollen einen europäischen Staatenbund, also – wie einst Charles de Gaulle formuliert hat – ein „Europa der Vaterländer“. Daher sind neue Vorhaben ohnehin unangebracht. Die Mitglieder der drei EU-Institutionen sollten sich in ihrer Arbeit darauf beschränken, in der EU endlich das geltende Subsidiaritätsprinzip wirklich durchzusetzen, von ihrem Zentralisierungswahn abzurücken und, wo immer möglich und geboten, wieder zu dezentralisieren. Dann würden sie auch jene Anerkennung bei den Bürgern finden, die sie bisher verspielt haben.

Wenn ein Gesetzentwurf „Kosten keine“ verspricht

Bei dieser Gelegenheit noch etwas: Viele deutsche Gesetzentwürfe tragen den Vermerk „Kosten: keine“. Doch Kosten entstehen durchaus, nur nicht unmittelbar für die Staatskasse, sehr wohl aber für die Bürger und die Unternehmen. Das ist immer dann der Fall, wenn Gesetze sie mit (noch mehr) Bürokratie überziehen – zum Beispiel mit Verpflichtungen zu Aufzeichnungen, Dokumentationen, Berichten und Bütteldiensten wie dem Einziehen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen. Bei Unternehmen und Selbständigen fallen dadurch zusätzliche Personal- und Sachkosten an, und den privaten Bürgern stehlen sie Zeit.

Auch gestohlene Zeit verursacht Kosten

Aber auch gestohlene Zeit verursacht Kosten, ökonomisch Opportunitätskosten genannt. Würden nämlich die Gesetze die Zeit nicht stehlen, könnte der Bürger diese Zeit anders verwenden, zum Beispiel für seine Kinder, ihre Erziehung, ihr Vorankommen, aber auch für ehrenamtliches Engagement, zum Erzielen zusätzlichen Arbeitseinkommens oder zum Nachdenken über zusätzliche Sicherungen zur Versorgung im Alter – also für Tätigkeiten, die dem Staat und dem Gemeinwesen hochwillkommen sein müssen.

Der Vermerk „Kosten keine“ ist eine Täuschung

Das Gleiche gilt auch für Gewerbetreibende und andere selbständige Unternehmer, denn die vom Staat geraubte Zeit fehlt ihnen für Kreativität und andere unternehmerische Aktivitäten, mindert ihre Möglichkeit, sich auf das Geschäft zu konzentrieren. Alles dies kostet Kaufkraft und Wirtschaftskraft. Das wiederum schmälert für den Staat rückwirkend den Steuerertrag. Das alles sind die mittelbaren Kosten der Gesetze. Damit entstehen dem Staat, dem Fiskus also sehr wohl Kosten; nur lassen sie sich wegen der interdependenten Zusammenhänge nicht genau beziffern. Der Vermerk „Kosten: keine“ ist daher Täuschung und an Unverfrorenheit nicht zu überbieten.

Was es kosten kann, gesetzliche Vorgaben zu erfüllen – ein Beispiel

Ein Schlaglicht auf die Größenordnung von Kosten neuer Gesetze wirft ein Bericht des deutschen Normenkontrollrates. Danach haben neue gesetzliche Regelungen zum Beispiel von Juli 2012 bis Ende Juni 2013 Wirtschaft, Bürger und Verwaltung 1,5 Milliarden Euro zusätzlich gekostet, die Vorgaben aus Gesetzen und Verordnungen zu erfüllen. Ein gewaltiger Kostentreiber war vor allem die „Zweite Verordnung zur Änderung der Energiesparverordnung“ – allein die strengeren Energievorschriften für Neubauten knapp 1,1 Milliarden Euro. Der größte Teil der gesamten 1,5-Milliarden-Last entfiel mit 948 Millionen Euro auf die Wirtschaft, 310 Millionen Euro betrafen die Verwaltung und 246 Millionen Euro die Bürger. 111 belastenden Regelungen standen nur 34 entlastende gegenüber. Größte Entlastungsposten ist die Abschaffung der Praxisgebühr gewesen, sie brachte Erleichterungen in Höhe von 336 Millionen Euro.[3]

Nicht nur die Folgen für die Wirtschaft, sondern auch die für die Bürger bedenken

Folglich ist es zu begrüßen, dass der Timmermans-Entwurf vorsieht, Kommission, Ministerrat und Parlament zu verpflichten, bei neuen Regeln in den Mittelpunkt zu stellen, welche Folgen diese für die Wirtschaft haben. Dazu gehört auch, wie es in dem erwähnten FAZ-Bericht heißt, dass EU-Parlament und Ministerrat die Folgen von Änderungswünschen an Kommissionsvorschlägen überprüfen sollen, bevor sie diese beschließen. Die EU-Kommission habe solche Folgenabschätzungen schon vor einiger Zeit eingeführt. Das ziele nicht zuletzt auf die Folgen neuer Vorhaben für die Wirtschaft. Aber die Vorschläge der Kommission würden in der Regel im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens von Parlament und Ministerrat teilweise grundlegend verändert. Doch gebe es bisher keine Verpflichtung, die Auswirkungen systematisch zu überprüfen. Allerdings ist es zu einseitig, nur die (nachteiligen) Folgen für die Wirtschaft zu bedenken. Ebenso wichtig ist es, die (nachteiligen) Folgen für die Bürger zu beachten – und sie öffentlich darzustellen.

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[1] FAZ vom 15. Mai 2015, Seite 18 (Wirtschaftsteil).
[2] FAZ vom 22. Mai 2014, Seite 17 („Das unterschätzte Europa-Parlament“): „Heute hat weit mehr als die Hälfte – manche sprechen von bis zu 80 Prozent – der für die Bürger relevanten Gesetze ihren Ursprung in Brüssel und Straßburg.“
[3] FAZ vom 3. Juli 2013, Seite 11 (Wirtschaftsteil).

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Über Klaus Peter Krause: Jahrgang 1936. Abitur 1957 in Lübeck. 1959 bis 1961 Kaufmännische Lehre. Dann Studium der Wirtschaftswissenschaften in Kiel und Marburg. Seit 1966  promovierter Diplom-Volkswirt. Von 1966 bis Ende 2001 Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, davon knapp elf Jahre (1991 bis Ende 2001) verantwortlich für die FAZ-Wirtschaftsberichterstattung. Daneben von 1994 bis Ende 2003 auch Geschäftsführer der Fazit-Stiftung gewesen, der die Mehrheit an der Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH und der Frankfurter Societäts-Druckerei gehört. Jetzt selbständiger Journalist und Publizist. Seine website ist www.kpkrause.de

 

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