Kulturelle und politische Auswirkungen des ungedeckten Papiergeldes

6.2.2015 – von Jörg Guido Hülsmann. 

Jörg Guido Hülsmann

Es ist eher ungewöhnlich, dass ein Ökonom sich mit Kultur befasst. Normalerweise befassen wir uns mit Preisen und Produktion und Beschäftigung, mit knappen Ressourcen und Unternehmertum. Wie aber nun dargelegt werden soll, lassen sich aus der ökonomischen Theorie auch Aussagen über die Kultur ableiten, genauer gesagt, über den Wandel der Kultur.

Kultur ist das „Wie“ des menschlichen Handelns und Lebens. Alle Menschen essen, aber wir essen nicht alle mit Messer und Gabel, wir sitzen nicht alle auf Stühlen an einem Tisch, und wir essen nicht alle regelmäßig im Kreis der Familie. Wie wir konkret essen, spiegelt unsere Kultur wider. Gleiches gilt für alle anderen Schichten und Bereiche des Handelns. Immer kommt die Kultur darin zum Ausdruck, wie wir handeln: wie wir schlafen, wie wir uns von einem Ort zum anderen bewegen, wie wir unsere Liebe zum Ausdruck bringen, wie wir diskutieren, wie wir Konflikte lösen, wie wir produzieren, konsumieren, sparen usw.

Das Wie unseres Handelns hängt natürlich von einer sehr großen Anzahl von Gründen ab, und zu den weitaus meisten haben Ökonomen nichts zu sagen. Aber zu einigen dieser Gründe lässt sich aus ökonomischer Sicht durchaus einiges aussagen. Das betrifft insbesondere staatliche Eingriffe in das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben. Im folgenden wollen wir an einigen Beispielen hervorheben, welche politischen und kulturellen Folgen aus währungspolitischen Eingriffen entspringen. Dazu wollen wir zunächst den Zusammenhang zwischen dem Finanzsystem und dem politischem System betrachten und anschließend auf die Merkmale einer Schuldenwirtschaft eingehen.

Öffentliche Haushalte sind der Schlüssel zur Begrenzung der Staatsmacht

Ungedecktes Papiergeld ist immer schon ein zentrales Instrument staatlicher Allmacht gewesen. Die Einsicht, dass der monetäre Interventionismus der Tyrannei den Weg bahnt, ist sehr alt und geht auf Nicolas Oresme im 14. Jahrhundert zurück. Später ist diese Einsicht häufig verloren gegangen. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde sie glücklicherweise von Ludwig von Mises gebührend hervorgehoben.

Mises sagte, dass es zur Begrenzung der Regierungsmacht unerlässlich sei, die Regierung finanziell von der Bevölkerung abhängig zu machen. Das grundlegende politische Problem einer Republik besteht darin, die Regierung nach der Wahl im Zaume zu halten. Allgemein gesagt wissen wir, dass sich gewählte Politiker nach ihrem Amtseintritt drehen und wenden und ganz andere Dinge tun, als sie angekündigt haben. Viele von ihnen handeln dann ihren Wahlversprechen zuwider, und sie handeln gegen das Allgemeinwohl und gegen die Interessen ihrer Wähler. Wie können wir solche Machtinhaber zwingen, dem wählenden Volk zu dienen, statt sich zu willkürlichen Herrschern aufzuschwingen? Der Schlüssel dazu liegt in der Begrenzung und genauen Beachtung der öffentlichen Haushalte.

Einem weitverbreiteten Denkfehler zufolge kann der Expansionsdrang der staatlichen Organe auch durch die genaue Definition der Staatsaufgaben eingedämmt werden. Beispielsweise meinen viele Liberale, es würde zu diesem Zweck reichen, dass man dem Staat vorschreibt, dass er lediglich das Eigentum der Bürger schützen und alle anderen Aktivitäten (Wohlfahrtsstaat, Umweltschutz usw.) lassen soll. Das ist aber ein Irrtum. Es reicht keineswegs aus, dass die Bürger den Regierungsbeamten sagen, was sie tun sollten. Es ist ebenso wichtig, wenn nicht sogar noch wichtiger, genau vorzuschreiben, wie viel Geld die Regierung zur Verfügung hat, um diese Ziele zu verfolgen. Es reicht nicht, der Regierung zu sagen, dass sie das Privateigentum garantieren soll. Dieses Mandat kann in gewissem Umfang bereits mit einer Million Euro erfüllt werden, aber mit einer Milliarde Euro gelingt es natürlich noch besser. In welchem Maße soll also der Eigentumsschutz betrieben werden? Das hängt davon ab, welche Mittel zur Verfügung stehen. Wenn die Regierung selber entscheidet, wie umfangreich diese Mittel sind, dann sind auch dem Staatswachstum keinerlei Grenzen gesetzt. Um hier einen Riegel vorzuschieben, muss der öffentliche Haushalt genau festgelegt und eingehalten werden.

Ludwig von Mises hatte also Recht: Ausgeglichene öffentliche Haushalte sind der Dreh- und Angelpunkt zur Bewahrung der bürgerlichen Freiheit in republikanischen Staatsformen. Eine Begrenzung der Staatsaufgaben reicht nicht, um diese Freiheit zu bewahren.

Möglicherweise werden viele Nutznießer staatlicher Ausgaben befürchten, dass sie zu kurz kommen, wenn der Haushalt nicht ausgeweitet werden kann, weil die Bürger nicht noch mehr Steuern zahlen wollen. Das mag so sein, aber genau darum geht es ja auch. In einer Republik soll der Staat eben nur soweit gehen, wie die Bürger das wollen, und dieser Wille muss in der Bereitschaft zum Ausdruck kommen, für die Rechnung einzustehen. In dem Maße, in dem die strenge Verbindung zwischen dem, was die Bürger zahlen, und dem, was die Regierung ausgibt, umgangen wird, entfernen wir uns von der Herrschaft des Volkes und nähern uns einer tyrannischen Herrschaft der „Eliten“ – genauer gesagt: einer tyrannischen Herrschaft derjenigen, die wie auch immer an die Hebel der Staatsmacht gelangt sind.

Eine erste Möglichkeit, die freiheitlichen Haushaltsfesseln zu lockern, besteht in der Staatsverschuldung. In der Regel sind die Kreditgeber (anders als die Steuerzahler) hocherfreut, dem Staat zusätzliche Mittel zu gewähren, denn er verspricht ihnen ja die Rückerstattung dieser Beträge und zudem auch noch eine Kompensation (den Zins). Das schwächt die Abhängigkeit des Staates vom Steuervolk und ermöglicht der Regierung, mehr Geld auszugeben, als es nur durch Steuereinnahmen möglich gewesen wäre.

Die größtmögliche Lockerung der Haushaltsfesseln wird durch ungedecktes Papiergeld möglich (wobei wir den Ausdruck „Papiergeld“ im weiteren Sinne benutzen, also einschließlich der staatlichen Münzprägung und des Giralgeldes des Zentralbanken). Ungedecktes Papiergeld ermöglicht der Regierung im Prinzip die Inanspruchnahme von unbegrenzten Darlehen, weil solches Geld ja definitionsgemäß ohne kommerzielle und technologische Grenzen und in jeder gewünschten Menge produziert werden kann. So wird die Regierung durch die Unterstützung einer Zentralbank begünstigt. Das ist auch nicht anders zu erwarten, weil selbst vermeintlich „unabhängige“ Zentralbanken davon abhängen, dass die Regierung die gesetzlichen Grundlagen für das Monopol der Zentralbank schafft und aufrechterhält.

Das ungedeckte Papiergeld ermöglicht es der Regierung, ihre Aktivitäten auszuweiten – unabhängig davon, ob dies von den Bürgern erwünscht ist. Somit erfolgt ein subtiler Übergang von der Herrschaft des Steuervolkes zur Herrschaft der politischen Eliten. Wenn die Regierung neue Ausgaben tätigen will, spielt es eine vergleichsweise geringere Rolle, die Bürger von der Berechtigung und Notwendigkeit einer höheren Steuerlast zu überzeugen. Umso wichtiger wird es dagegen, Zugang zu ungedecktem Papiergeld zu erhalten.

Die kulturellen Merkmale einer Schuldenwirtschaft

Sprechen wir nun über die zahlreichen Auswirkungen, die ungedecktes Papiergeld auf das Verhalten von normalen Bürgern hat.

Eines der zentralen Merkmale ungedeckten Papiergeldes ist seine Tendenz, eine fast permanente Preisinflation auszulösen. Im Kontrast dazu steht eine Wirtschaft, die auf natürliche Währungen wie Gold und Silber basiert. Dort bleibt das Preisniveau auf lange Sicht konstant oder sinkt, insbesondere beim Auftreten von starkem wirtschaftlichem Wachstum. Genau das haben wir im 19. Jahrhundert im deflationären Wachstum von Europa und den Vereinigten Staaten gesehen.

Ständige Preisinflation formt die Kultur in mehrerer Hinsicht. Die aus ihr entspringenden Verhaltensänderungen sind von politischer Seite häufig auch erwünscht, da es schon lange, sogar vor Keynes, eine Idee der Regierungsplaner und aller möglichen Ideologen war, dass normale Bürger davon abgehalten werden sollen, Geld in ihren Taschen zu „horten“.

In einer freien Wirtschaft mit einem natürlichen Geldsystem gibt es einen starken Anreiz dazu, Bargeld zu halten. Investitionen in Sparkonten oder in anderen relativ sicheren Anlagen spielen natürlich eine Rolle, aber das Halten von Bargeld ist von höchster Bedeutung, insbesondere in den Familien ärmerer Schichten.

Im direkten Gegensatz dazu wird das Halten von Bargeld bei einer konstanten Preisinflation, wie sie bei ungedecktem Papiergeld Gang und Gäbe ist, selbstmörderisch. Hier empfehlen sich andere finanzielle Strategien. Es wird ratsam, Bargeld gegen „Finanzprodukte“ zu tauschen, um so den Kaufkraftverlust durch den Ertrag der Investition auszugleichen. Es wird ebenfalls ratsam, sich zu verschulden und die eigenen Investitionen zu hebeln. Kurz gesagt: Es wird rational, riskantere Investitionsstrategien zu verfolgen um einen Ertrag zu erzielen, der mit der Preisinflation mithält oder diese übersteigt. Das wirkt sich auf alle Sektoren aus, seien es die Haushalte oder die produzierenden Betriebe.

Vor dem 20. Jahrhundert und dem weitverbreiteten Zugang zu ungedecktem Papiergeld waren Schulden sehr viel seltener und es gab kulturelle Gebote gegen das Schuldenmachen zur Finanzierung des persönlichen Verbrauchs. Kredite für Haushalte waren beispielsweise vor dem 20. Jahrhundert weitgehend unbekannt, und nur sehr arme Haushalte mussten zur Finanzierung ihres Konsums Kredite aufnehmen.

Aber wenn die Preisinflation den Wert der eigenen Geldersparnisse laufend reduziert, wird man dazu ermutigt, eine kurzfristige Perspektive anzunehmen. Man muss sich beeilen, um so schnell wie möglich einen Kredit aufzunehmen und so bald wie möglich eine Rendite aus dem Schuldgeld zu erhalten, da die Ersparnisse an Wert verlieren, wenn man nur Bargeld hält.

Es macht dann auch keinen Sinn mehr, ein Jahrzehnt lang Geld zu sparen, um ein Haus zu kaufen. Es ist viel günstiger, einen Kredit aufzunehmen, um sofort ein Haus zu kaufen und das Darlehen mit entwertetem Geld zurückzuzahlen.

Bei ungedecktem Papiergeld gibt es einen allgemeinen Drang, Investitionen mit Krediten zu „hebeln“, um die Eigenkapitalrendite zu steigern. Kreditfinanzierte Investitionen haben dann rechnerisch einen höheren Ertrag als Bargeldersparnisse oder durch Vermögen finanzierte Investitionen.

Unterstreichen wir, dass diese letztgenannte Tendenz keine natürliche Grenze hat. Mit anderen Worten: Währungssysteme, die auf ungedecktem Papiergeld beruhen, tendieren dazu, Menschen in ihrem Drang nach immer höheren Geldrenditen für ihre Anlagen unersättlich zu machen. Wenn die Ersparnisse in einem natürlichen Geldsystem steigen, gehen die Renditen für alle möglichen Anlagen zurück. Es wird dann immer weniger interessant, die eigenen Ersparnisse weiterhin zu investieren, um eine Rendite zu erzielen, und daher treten bei der Verwendung persönlicher Ersparnisse zunehmend andere Motive in den Vordergrund. Ersparnisse dienen dann immer mehr zur Verwirklichung persönlicher Projekte oder zum Erwerb langlebiger Konsumgüter oder auch zur Finanzierung philanthropischer Aktivitäten. Genau das war im Westen im 19. Jahrhundert zu beobachten.

Dagegen neigt man bei ungedecktem Papiergeld dazu, die Renditen zu erhöhen, indem man die Schulden beibehält und durch die Hebelung von mehr und mehr Geldern endlos nach einer Rendite jagt.

Man kann sich also vorstellen, wie sich das Verhalten einer Gesellschaft über eine Zeit lang im Kontext eines auf Inflation und Schulden basierenden Systems ändert.

Wir werden materialistischer als wir es in einer natürlichen Geldordnung sein würden. Wir können nicht mehr nur mit unseren Ersparnissen zufrieden sein. Wir müssen ständig auf unsere Investitionen Acht geben, und wir müssen dauernd über neue Einkommensquellen nachsinnen, denn bei ständiger Preisinflation droht uns sonst die Verarmung.

Die Tatsache, dass uns ungedecktes Papiergeld zu riskanteren Investitionen bewegt, erhöht auch unsere Abhängigkeit gegenüber anderen Menschen, da wir von dem guten Verhalten derjenigen abhängig sind, von denen der Wert unserer Investitionen abhängt.

Und je höher der Verschuldungsgrad, desto stärker sind die egoistischen Bedenken und Sorgen über das Verhalten von denjenigen, die uns Geld schulden. So erzeugt das ungedeckte Papiergeld den Anreiz für Versuche, andere Menschen durch das politische System zu kontrollieren.

Aber gleichzeitig hat kein Haushalt und kein Unternehmen irgendein einzelwirtschaftliches Interesse daran, das ungedeckte Papiergeld aufzugeben und durch ein natürliches Geldsystem zu ersetzen. Die kurzfristigen einzelwirtschaftlichen Kosten eines solchen Übergangs wären immens. So befinden wir uns in einer „Rationalitätsfalle“, in der wir trotz sämtlicher Nachteile doch den Anreiz dazu haben, das ungedeckte Papiergeld aufrecht zu erhalten – auch weil die Kultur sich mittlerweile so sehr durch ein Jahrhundert der einfachen Verfügbarkeit solchen Geldes gewandelt hat.

Fazit

Wir können kulturellen Wandel mithilfe der nationalökonomischen Theorie erklären, wie wir am wichtigen Beispiel des ungedeckten Papiergeldes aufgezeigt haben. Die kulturellen Auswirkungen unseres Geldsystems kann man allerdings nicht erkennen, ohne einen Schritt zurückzugehen und einen langfristigen Blick auf die Währungsgeschichte zu werfen. Natürlich gibt es auch noch viele andere Faktoren, die bei den von uns hervorgehobenen Erscheinungen zum Tragen kommen, aber das ungedeckte Papiergeld spielt eine maßgebliche Rolle.

Trotz seiner zahlreichen schädlichen Folgen erhält sich das derzeitige Währungssystem, weil jeder kurzzeitig verliert, wenn es nicht mehr funktioniert. Doch diese Kosten sollten uns nicht von einer Reform abhalten. Diese ist letztendlich ist eine Frage des Muts, der Einsicht und der Willensstärke.

 

Aus dem Englischen übersetzt von Vincent Steinberg. Der Originalbeitrag mit dem Titel The Cultural and Political Consequences of Fiat Money ist am 20.11.2014 auf der website des Mises-Institute, Auburn, US Alabama erschienen. Der Beitrag basiert auf einem am 26. Juli 2014 an der Mises – Sommeruniversität gehaltenen Vortrag in Auburn, Alabama.

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Jörg Guido Hülsmann ist Professor für Ökonomie an der Universität Angers in Frankreich und Senior Fellow des Ludwig von Mises Instituts in Auburn, Alabama. Er ist Mitglied der Europäischen Akademie für Wissenschaften und Künste sowie Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Zu seinen umfangreichen Interessen- und Forschungsgebieten zählen Geld-, Kapital- und Wachstumstheorie. Er ist Autor von «Ethik der Geldproduktion» (2007) und «Mises: The Last Knight of Liberalism» (2007). Zuletzt erschienen «Krise der Inflationskultur» (2013).

Seine Website ist guidohulsmann.com

 

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