Die Folgen der Nullzinspolitik

17.11.2014 – von Philipp Bagus.

Philipp Bagus

Die westlichen Zentralbanken experimentieren mit einer Nullzinspolitik. Als letzte Notenbank ist die Europäische Zentralbank (EZB), nachdem sie den Widerstand von deutscher Seite mühsam überwunden hat, an die Nullgrenze gestoßen. Auch beim Wertpapierankauf an der Nullgrenze – im Neusprech Quantitativ-Easing – ist sie neuerdings mit dabei. Vorreiter ist sie gar bei den Negativzinsen auf die bei ihr hinterlegten Bankeinlagen.

Aber warum das alles? Welchen Zweck verfolgt die EZB mit ihren neuartigen Instrumenten? Zum einen möchte die EZB durch die Nullzinspolitik erreichen, dass  – vor allem in Südeuropa – wieder vermehrt Kredite aufgenommen werden. Unternehmen sollen investieren und Haushalte konsumieren. Zum anderen soll die Fiskalpolitik der Eurostaaten unterstützt werden. Dank der Niedrigzinspolitik fällt die Zinslast im Staatshaushalt. So werden Mittel für andere Projekte frei. Aber es fällt nicht nur der Zinsdienst auf die bestehenden Schulden, dank des geldpolitischen Experiments der EZB können zusätzliche Staatsschulden beinahe zum Nulltarif aufgenommen werden.

Die EZB macht damit das, was die Hauptstromökonomen in einer Rezession empfehlen. Viele Makroökonomen sind auf die aggregierte Nachfrage fixiert. Unternehmen und Haushalte sollen mehr ausgeben. Und versagt die private Nachfrage, ist ja noch der Staat da, der durch seine Ausgaben die Konjunktur ankurbeln soll. Auch ihre Deflationsphobie treibt viele Ökonomen dazu, in einem Umfeld moderater Preissteigerungen, eine expansive Geldpolitik zu empfehlen. Zufälligerweise fallen die Empfehlungen der Ökonomen genau mit dem zusammen, was im Interesse der Regierungen ist. Vor allem den überschuldeten Staaten der Eurozonenperipherie spielt die Nullzinspolitik der EZB in die Karten. Die Zinsen auf ihre Staatspapiere sind so niedrig wie lange nicht. Das eröffnet Spielraum für zusätzliche Ausgaben, um Wähler zu gewinnen und schmerzhafte Strukturreform auf die lange Bank zu schieben.

Ob uns die EZB nun aus politischen Interessen oder aus ihrer makrotheoretischen Überzeugung heraus in dieses Experiment hineingeführt hat, ist an dieser Stelle nur zweitrangig. Die zentrale Frage ist vielmehr, ob die Nullzinspolitik die Eurowirtschaft wirklich aus der Rezession führen kann.

Drei große Problemfelder behindern die Erholung in der Eurozone. Überschuldung, strukturelle Verzerrungen und erhöhte Unsicherheit.

Kann die EZB-Strategie hier überhaupt Abhilfe schaffen? Man kann die Pferde zur Tränke führen, saufen müssen sie selber. Oder anders: Die EZB kann Kredite quasi zum Nulltarif anbieten. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die private Kreditvergabe sich erhöht. Denn die Banken können selbst in Liquiditätsproblemen stecken und lieber ihre Liquidität erhalten. Oder aber es kann an solventer Kreditnachfrage fehlen. Die fehlende solvente Kreditnachfrage ist vor allem in der europäischen Peripherie festzustellen. Bin ich mit einer Hypothek von 300.000 Euro belastet für ein Haus, das nach Platzen der Immobilienblase nur noch 200.000 Euro wert ist und ist gleichzeitig mein verfügbares Einkommen aufgrund der Rezession geschrumpft, werde ich mich wahrscheinlich trotz Niedrigzinsen nicht weiter verschulden, sondern vielmehr versuchen, meine Verschuldung abzubauen. Genau dies geschieht in der Peripherie. Ähnlich steht es bei vielen überschuldeten Unternehmen.

Die Nullzinspolitik ist also zum Scheitern verurteilt. Vielmehr verschlimmert sie die Lage. Denn der notwendige Schuldenabbau wird verlangsamt. Eine frühzeitige Schuldenrückzahlung wird teurer. Doch das ist noch nicht alles. Fehlinvestitionen werden künstlich am Leben erhalten. Eine Liquidierung, die zu sinkenden Kosten für Unternehmen, damit zu einem Anstieg der Wettbewerbsfähigkeit und einer Restrukturierung der Wirtschaft führen würde, wird erschwert. Gleichzeitig wird es dem Staat erleichtert, sich weiter zu verschulden, die knappen Ersparnisse auf sich zu ziehen und durch seine Ausgaben die Produktionskosten zu erhöhen. Als wäre das noch nicht genug, haben die Unabwägbarkeiten des geldpolitischen Experiments und des dramatischen Anstiegs der Staatsverschuldung die Unsicherheit erhöht, was neue Investitionen und damit auch neue Kreditaufnahme unattraktiv macht.

Die Geldpolitik der EZB gleicht mithin einem vermeintlichen Rettungsschwimmer, der den Ertrinkenden weiter unter Wasser drückt. In diesem Falle, damit die aufgeblähten Staaten noch einmal Auftrieb bekommen.

Dieser Beitag ist zuerst in der Wochenzeitung “Junge Freiheit” erschienen.

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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 14 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”. Hier Philipp Bagus auf Twitter folgen.

Anfang Mai ist sein gemeinsam mit Andreas Marquart geschriebenes Buch “WARUM ANDERE AUF IHRE KOSTEN IMMER REICHER WERDEN … und welche Rolle der Staat und unser Papiergeld dabei spielen” erschienen.

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