Die große Entwertung

15.10.2014 – Staatsschuldenkrise: Haftungskaskaden, Vermögensabgabe und Schuldenschnitte kurieren nur Symptome, nicht die Ursache: das Staatsmonopolgeld.

von Thorsten Polleit.

Thorsten Polleit

Die deutsche Hyperinflation 1923 illustriert schauerlich die Einsicht, die schon Adam Smith im 18. Jahrhundert geläufig war: „Dort, wo die öffentliche Schuld einmal eine bestimmte Höhe überschritten hat, ist es meines Wissens kaum gelungen, sie auf gerechte Weise und vollständig zurückzuzahlen.“ Früher oder später schwindet bei Regierenden und Regierten die Bereitschaft, für die aufgelaufenen Schulden aufzukommen. In Zeiten, in denen der verschuldete Staat seine Gläubiger nicht mehr so leicht an den Galgen bringen kann, wird er das Geld, das er sich geliehen hat, entweder nicht oder nur wertgemindert zurückzahlen. Letzteres ist heute besonders leicht möglich, weil der Staat die Hoheit über die Geldproduktion an sich gerissen hat.

Finanzpolitiker schielen auf die Geldbörse der Sparer

Allerdings ist das Vermindern des Geldwertes, die Inflationspolitik, für eine Regierung eine überaus heikle Angelegenheit. Inflation schafft schwerwiegende soziale und politische Probleme, die das Gemeinwesen in seinen Grundfesten erschüttern und Regierungen und ihre Eliten aus Amt und Würden heben können. Verschuldete Staaten werden daher erst alle anderen Finanzierungsquellen ausschöpfen, um ihre Haushaltslöcher zu stopfen, bevor sie zum ungehemmten Geldmengenvermehren greifen. Dieses Kalkül zeigt sich in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich.

Die Zentralbankpolitiken zielen in erster Linie darauf ab, die Kreditmarktkonditionen zu „normalisieren“, damit strauchelnde Staaten und Banken wieder an neue Kredite kommen und ihren Schuldendienst leisten können. Das Ausweiten der Geldmengen bleibt im wesentlichen auf das Erhöhen der sogenannten „Basisgeldmenge“ – das ist die Geldmenge, die die Zentralbank den Geschäftsbanken zur Verfügung stellt – beschränkt. Die Geldmenge in den Händen der Unternehmen und Privaten wurde bislang nicht übermäßig stark ausgeweitet. Im Euroraum setzen die Finanzpolitiker nicht auf ungehemmte Geldmengenvermehrung, sondern schielen auf die Geldbörse der Sparer.

Die Einschläge kommen näher: So empfahl die Bundesbank im Januar 2014 den Zugriff auf die privaten Ersparnisse als Alternative zur Staatsinsolvenz. In ihrem Monatsbericht legte sie nahe, dass in „außergewöhnlichen nationalen Notsituationen zusätzlich zu Privatisierungen und herkömmlichen Konsolidierungsmaßnahmen (…) auch vorhandenes privates Vermögen dazu beitragen kann, eine staatliche Insolvenz abzuwenden.“ Vor die Wahl gestellt, einen Staatsbankrott hinzunehmen oder ihn abzuwenden zu dem Preis, dass die Bürger enteignet werden, ist die Position der Bundesbank unmissverständlich. Ihr geht die Zahlungsfähigkeit des Staates über alles – auch über das Eigentum der Bürger. Gemäß dem Motto: „Entspare in der Not“, wenn es sein muss mit Zwang.

Zuvor hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) im Oktober 2013 mit seinem Vorschlag für Furore gesorgt, die Staatsschuldenkrise mit Hilfe einer Vermögensabgabe zu lösen. Ein IWF-Papier vom Mai 2014 ergänzt diese staatlichen „Foltermaßnahmen“ zur finanziellen Repression der eigenen Bürger noch: Nun sollen auch die Halter von Staatsanleihen „bluten“. Dies könnte, so der IWF, entweder durch Schuldenanpassungen (auf englisch: „Reprofiling“) oder durch Schuldenschnitte erfolgen.

Eine Schuldenanpassung wäre es zum Beispiel, wenn eine Anleihe, die ursprünglich eine Laufzeit von zehn Jahren hatte, bei Fälligkeit nicht zurückgezahlt, sondern in eine neue Anleihe mit einer Laufzeit von 50 Jahren zwangsumgetauscht wird. Denkbar ist auch, dass im Zuge von Schuldenanpassungen der Zinscoupon der Anleihe herabgesetzt wird. Die Schere für die Schuldenschnitte will der IWF dabei selbst in der Hand
behalten. Bereits Anfang 2012 hat die Europäische Union (EU) beschlossen, es den Staatsschuldnern einfacher zu machen, sich ihrer Schulden zu entledigen. Alle Staatsanleihen, die seit dem 1. Januar 2013 in der EU ausgegeben werden, tragen eine „Collective Action Clause“ (CAC). Sie besagt, dass der Staat eine verbindliche Änderung seiner Anleihebedingungen mit der Mehrheit der Gläubigerstimmen erreichen kann, die dann
für alle Gläubiger bindend ist. Dadurch wird es erschwert, dass sich ein kleiner Teil der Gläubiger erfolgreich gegen eine Schuldenrestrukturierung – in Form zum Beispiel einer Laufzeitverlängerung der Anleihe oder Zinsherabsetzung – stemmen kann. Weil fällige Staatsanleihen nach und nach durch neue ersetzt werden, die eine CAC tragen, werden bald alle ausstehenden Staatsanleihen in der EU mit CAC ausgestattet sein.

Nicht ob, sondern wann kommt der Schuldenschnitt

Die Bankenunion, die am 1. Januar 2015 ihre Arbeit aufnimmt, schwebt wie ein Damoklesschwert über den Sparschweinen: Wird eine Bank insolvent, werden die Verluste wie in einer „Haftungskaskade“ auf die Geldgeber der Bank verteilt. Zuerst stehen die Bankaktionäre für Verluste gerade. Reicht das Eigenkapital der Bank nicht aus, um die Bankverluste aufzufangen, haften die Gläubiger. Bankeinlagen von weniger als 100.000 Euro sollen verschont bleiben. Beträge, die darüber hinausgehen, fließen in die Haftung ein. Forderungen gegenüber Banken – Bankeinlagen oder Schuldverschreibungen – sind also nun auch offiziell alles andere als risikolos. Der von der EU beschlossene  „Abwicklungsfonds“ sollte die Bankkunden nicht beruhigen. Er wird erst in zehn Jahren mit den angepeilten 55 Milliarden Euro ausgestattet sein, ein geradezu winziger Betrag: Das Eigenkapital der Euro-Banken beläuft sich derzeit auf 2.457 Milliarden Euro, ihre Bilanzsumme auf atemberaubende 30.727 Milliarden Euro.

Politisch besonders pikant: Die EZB soll darüber befinden, welche Bank und welche Bankschulden in welchem Land untergehen oder nicht. Letztlich trifft die geplante Abwicklung maroder nationaler Banken auf der europäischen Ebene den Sparer und Steuerzahler aller EU-Staaten, dessen Ersparnisse EZB-Chef Mario Draghi schon jetzt entwertet: Vielfach ist die reale Verzinsung für Bankguthaben und Anleihen bereits negativ, weil die EZB die Zinsen unter die Inflationsrate drückt.

Angesichts der gigantischen Schuldenlast westlicher Wohlfahrtsstaaten müssen Sparer langfristig mit steigender Besteuerung, Konfiskation, Rückzahlungsverminderung oder Inflation rechnen. Die Frage ist nicht ob, sondern wann der Schuldenschnitt zu ihren Lasten kommt. Die unausbleibliche neuerliche Erschütterung der internationalen Finanz- und Wirtschaftsarchitektur wäre ein günstiger Zeitpunkt für eine große Entwertungswelle.

Ihre eigentliche Ursache hat die gegenwärtige Staatsschuldenkrise im heute weltweit anzutreffenden ungedeckten Papiergeldsystem. Ob US-Dollar, Euro,chinesischer Renminbi oder Schweizer Franken – sie alle sind nicht einlösbares Papiergeld. Dieses Geld wird von Zentralbanken und Geschäftsbanken „aus dem Nichts“, durch Kreditvergabe, die nicht durch Ersparnisse gedeckt sind, geschaffen und in Umlauf gebracht. Das ungedeckte Papiergeld führt nicht nur zu Wirtschaftsstörungen, sondern ermöglicht es Staaten, im Wählerbestechungswettlauf immer größere Schuldenberge aufzutürmen, unter denen sie selbst, die Banken, Sparer und Steuerzahler zusammenbrechen werden.

Manipulierte Zinsen senden falsche Signale

Der Zusammenbruch der Papiergeldarchitektur ist bislang nur deshalb ausgeblieben, weil die Zentralbanken die Zinsen auf de facto null Prozent gesenkt und in Aussicht gestellt haben, dass strauchelnde Banken und Staaten von ihnen jede gewünschte Geldmenge erhalten, um die offenen Rechnungen zu bezahlen. Zahlungsausfälle lassen sich so zwar vermeiden, doch der Preis, den die Volkswirtschaften dafür zahlen müssen, ist hoch.

Die künstlich gesenkten Zinsen berauben nämlich die Volkswirtschaften ihres wohl wichtigsten Kompasses. Sparen, Konsum und Investieren geraten zum Blindflug. Es kommt zu Fehlinvestitionen auf breiter Front. Selbst die Freuden, die die Geldpolitiker den Finanzmarktakteuren in Form steigender Wertpapierkurse bereiten, sind nur von begrenzter Dauer.

Was ist zu tun? Den staatlichen „Geldsozialismus“ (Roland Baader) beenden und ihn durch eine marktwirtschaftliche Geldordnung substituieren. Die Politiker müssen ihr Monopol auf Geldproduktion aufgeben und Geld – wie jedes andere Gut auch – dem freien Marktwettbewerb überlassen. Nur der „Wettbewerb der Währungen“ (Friedrich August von Hayek) kann solides Geld schaffen.

Dieser Beitrag ist am 22.8.2014 zuerst in der Wochenzeitung JUNGE FREIHEIT erschienen.

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Thorsten Polleit, 47, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Er ist Honorarprofessor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Bayreuth, Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME) und Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist zudem Gründungsmitglied und Partner von Polleit & Riechert Investment Management LLP. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

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