Die 15 Techniken der verdeckten Besteuerung
30.9.2013 – Wir erleben heute Steuerpropaganda in einem Ausmaß, das die klassischen Ökonomen wohl kaum für möglich gehalten hätten. Eine Erinnerung an verschwundene Erkenntnisse.
von Jörg Guido Hülsmann.
Offene und verdeckte Besteuerung ist ein großes Thema, das bereits von den klassischen Ökonomen mit der gebührenden Aufmerksamkeit behandelt worden ist. Ich erinnere an David Ricardos Studie Über die Grundsätze der politischen Ökonomie und der Besteuerung von 1817. Heute sucht man in der Wirtschaftsliteratur vergebens nach so einer intensiven Behandlung der Steuerproblematik. Über Besteuerung wird kaum gesprochen. Das passt nicht zum Staat in seiner Heldenrolle. Was dem Staat natürlich nur recht sein kann. Sein Bestreben ist, dass die Bürger gar nicht mitbekommen, in welchem Maße sie eigentlich zur Kasse gebeten werden.
Der Staat tritt lieber als Retter auf den Plan. Er sorgt dafür, dass endlich mehr Geld ausgegeben wird. Zunächst einmal besteuert er die Wohlhabenden höher; denn je mehr Geld jemand hat, desto weniger davon gibt er für Konsum aus, relativ gesehen. Der Staat kommt und sagt: Nun nehmen wir mal den Reichen das Geld weg und geben es den Armen; denn die geben viel mehr davon wieder für Konsumgüter aus. Das ist die bekannte Robin-Hood-Methode.
Wenn die Wirkung nachlässt, weil die Leute immer noch nicht im erwünschten Maß konsumieren, muss der Staat selbst ran. Er wird sagen: „Leute, wir haben das Geld, das wir brauchen, um die Wirtschaft wieder richtig in Schwung zu bringen. Das Problem ist bloß, es ist auf eurem Bankkonto, und da sollte es nicht liegen.“ Deshalb wird er sich etwas einfallen lassen, möglichst unauffällig an dieses Geld zu kommen.
Die Theorie der verdeckten Besteuerung hat in einer weiteren großen klassischen Publikation vor 110 Jahren der italienische Ökonom Amilcare Puviani in seiner Teoria della illusione finanziaria entwickelt, auf Deutsch erstmals 1960 unter dem Titel Die Illusionen in der öffentlichen Finanzwirtschaft erschienen. Puviani beschreibt darin die verschiedenen Techniken, mit denen Regierungen versuchen, das Ausmaß der Besteuerung, des Rupfens zu verschleiern, um die goldene Gans bei Laune zu halten. Puviani hat elf Techniken hervorgehoben, auf die ich näher eingehen werde – und dann noch vier weitere anführen, die seither hinzugekommen sind; denn Puviani schrieb zu einer Zeit, in der sich Regierungen noch nicht all die Sachen trauten, die sie sich heute trauen.
Die erste Technik besteht darin, der direkten eine indirekte Besteuerung vorzuziehen, so dass die Steuer im Preis der Güter versteckt ist. Das klassische Beispiel ist der Benzinpreis. Man geht zur Zapfsäule und zahlt 1,40 Euro für Diesel. Beim Tanken spürt man nicht, dass davon 1,10 Euro direkt an den Staat weitergehen. Es ist nicht die böse Ölgesellschaft, die die hohen Preise nimmt, es ist der Staat, der darin eine hohe Steuer versteckt.
Die zweite Technik ist die Inflation, denn sie mindert die Staatsschulden. Inflation bringt die so genannten Cantillon-Effekte hervor, benannt nach dem irisch-französischen Ökonomen Richard Cantillon, einem weiteren Klassiker. Die Erhöhung der Geldmenge führt dazu, dass die Geldpreise steigen, aber die Geldpreise steigen nicht gleichzeitig, sondern nur im Verlauf der Zeit – nämlich in dem Ausmaß, in dem das zusätzliche Geld ausgegeben wird. Es verbreitet sich nach und nach durch die Wirtschaft, so dass einige Preise vor anderen steigen. Das bedeutet auch: Einige Einkommen steigen vor den anderen Einkommen. Dadurch ergeben sich Verschiebungen der Realeinkommen sowie der realen Vermögen in der Gesellschaft. Deshalb kommt alles darauf an: Wer ist in der Pole-Position? Wer ist ganz vorne und damit Gewinner? Das sind diejenigen, die das neue Geld ausgeben können, solange die Preise noch relativ niedrig sind – der Staat und die Finanzwirtschaft.
Die dritte Technik besteht in Krediten. Der Staat nimmt Kredite auf, um seine Ausgaben zu finanzieren. Das ist eine sehr interessante Technik. Man braucht den Bürgern nicht das Geld per Steuern aus der Tasche zu ziehen; denn wenn man einen Kredit aufnimmt, handelt es sich um ein Tauschgeschäft. Der Staat sichert nicht nur die Rückerstattung zu, sondern auch noch Zinsen und obendrein eine relativ sichere Anlage. Da sind die Kreditgeber hoch erfreut, sie leihen dem Staat Geld, weil es dazu keine bessere Alternative gibt. Realwirtschaftlich gesehen handelt es sich hier um eine Form der Besteuerung nach dem Motto: Finanziere einen wesentlichen Teil der Staatsausgaben durch Kredite, um so die Steuern auf künftige Generationen zu verschieben.
Die vierte Technik besteht darin, Steuern gezielt auf Luxusgüter und auf Geschenke zu erheben, also auf Güter, mit denen grundsätzlich Freude verbunden wird. Im Moment des Bezahlens ist für den Steuerzahler diese Freude zwar etwas gemindert, es bleibt aber dennoch eine Form des Steuerentrichtens, die weniger als den üblichen Grimm auslöst.
Die fünfte Technik besteht darin, zeitweilige Steuern einzuführen, nach dem Motto: Wir machen dieses Jahr eine Solidaritätszulage. Nur für dieses Jahr – und auf einmal sind es zwanzig Jahre. Es beginnt mit einer kleinen Abgabe, als befristet angekündigt, und wird Jahr um Jahr verlängert und gern auch erhöht.
Die sechste Technik sind Steuern, die Ressentiments ausnutzen. Ein Beispiel hier wäre der Emissionshandel. Den betroffenen energieintensiven Industriebetrieben und Fluggesellschaften geschieht dies in der öffentlichen Wahrnehmung recht. Der Staat „bestraft“ Firmen, die als Umweltverschmutzer gelten, indem er bei ihnen zulangt. Auch bei dieser Technik fängt man niedrig an, kann aber später den Preis für Emissionszertifikate bei Bedarf anheben.
Die siebte Technik, ganz beliebt: Die Drohung damit, dass alles den Bach runtergehen wird, wenn wir nicht zahlen. Das Argument kam 2008 in der Krise, da hieß es: Wir müssen jetzt schnell von heute auf morgen ein paar Hundert Milliarden bereitstellen. Das erscheint euch ein hoher Preis zu sein? Aber wenn ihr jetzt nicht zahlt, wird alles noch viel, viel teurer. Das hören wir seit 2010 auch bei der Eurorettung. Griechenland, Irland, Zypern, zwei Dutzend Milliarden hin, drei Dutzend Milliarden her, Schnickschnack. Überlegt euch mal, was passiert, wenn wir da rausgehen. Dann haben wir auf einmal wieder 1913. Und dann ist es nur ein Jahr bis 1914.
Die achte Technik besteht darin, die Steuerbelastung in kleine, überschaubare Einheiten herunter zu brechen. Beispiel: die monatliche Lohnsteuer, direkt abgezogen vom Einkommen, statt einmal im Jahr die große schmerzhafte Steuerrechnung vorzulegen. Der Bürger empfindet es als schlimm genug, dass jeden Monat dieser Betrag abgeht, aber es ist leichter auszuhalten, als wenn einmal im Jahr eine hohe Summe zu zahlen wäre.
Die neunte Technik: Steuern, deren Auswirkung nicht direkt zu erkennen ist oder bei deren Beurteilung der Bürger einer Täuschung unterliegt. Ein Beispiel hier ist die Gewinnsteuer. Oder ein anderes klassisches Beispiel: Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung. Da denken Leute, die keine ökonomischen Grundkenntnisse haben: Das ist gut, da zahlen die Firmen mit bei der Sozialversicherung. Aber das geht alles von der Wertschöpfung der betreffenden Person ab.
Die zehnte Technik beruht darauf, bei der Konstruktion des öffentlichen Haushalts nicht die bürgerfreundliche Vereinfachung zu suchen, sondern im Gegenteil möglichst komplexe Begriffe und Verschachtelungen zu verwenden, mit Sondervermögen, sprich: einem Schattenhaushalt zu arbeiten und insgesamt die Sache so undurchsichtig wie möglich zu gestalten.
Die elfte Technik, die letzte, bei der ich mich auf Amilcare Puviani beziehe: In öffentlichen Haushalten bewusst sehr allgemein gehaltene Ausgabenkategorien hervorzuheben wie Bildung oder Verteidigung. Und weniger Erfreuliches im Detail zu verbergen. Ein extremes Beispiel ist in den USA das Budget des Pentagons, des amerikanischen Verteidigungsministeriums. Ein beträchtliches Budget, das Detail aber ist nur dem zuständigen Ausschuss bekannt. Das Parlament und selbstverständlich auch die Bürger bekommen die konkreten Ausgabeposten niemals zu Gesicht. Amilcare Puviani schrieb zu einer Zeit, in der es in Sachen verdeckte Steuern noch recht zivilisiert zuging. Er erwähnt also einige Techniken nicht, die wir seitdem erst kennengelernt haben:
Die zwölfte Technik ist die Fehlklassifizierung bestimmter Komponenten des Bruttoinlandsprodukts. Es wäre ja aufschlussreich zu sehen, wie hoch der Staatsanteil ist. Bloß: Was zählt als Staat? Da haben wir beispielsweise die Bahn – die zählt als privat und taucht gar nicht mehr bei den Staatsausgaben auf. Die Post: ebenfalls privat. Oder Energieunternehmen – in den meisten EULändern staatliche Monopolisten, aber sie werden
dem Bereich der Privatwirtschaft zugeschlagen. Dadurch entsteht schnell der Eindruck, der Staatsanteil liege beispielsweise bei 56 Prozent, während er in der Tat viel höher liegt – vielleicht bei 60 Prozent, vielleicht auch bei 70 Prozent.
Die dreizehnte Technik sind erzwungene Arbeitsleistungen. Bei Besteuerung denkt man zunächst vorrangig an Geldzahlung. Aber es gibt auch so etwas wie Zwangsarbeit – nicht mehr die Zwangsarbeit früherer Zeiten, die die Untertanen an bestimmten Tagen des Jahres für die Obrigkeit zu leisten hatten, aber eine versteckte Form der Zeitaneignung. Wenn man an die Erhebung von Steuern denkt, die direkt von den Unternehmen durchgeführt werden muss – Mehrwertsteuer, Lohnsteuer und dergleichen –, fällt auf, dass der Unternehmer hier zum Steuereintreiben zwangsverpflichtet wird. Er muss einen Teil seiner Arbeitszeit oder der von ihm bezahlten Arbeitszeit seiner Mitarbeiter darauf verwenden, nicht Güter zu produzieren, sondern Steuern einzutreiben.
Die vierzehnte Technik: Wir erleben heute eine Steuerpropaganda in einem Ausmaß, das Puviani zu seiner Zeit wohl kaum für möglich gehalten hätte. Nicht nur den Bürgern, auch den jungen Ökonomen an den Universitäten werden Rechtfertigungen eingebläut, damit sie bloß nicht auf den Gedanken kommen, dass an der herrschenden Steuerpropaganda irgend etwas falsch sein könnte. Wenn die Ökonomen heute Dinge nicht mehr wissen, die ihren Kollegen bereits im 19. Jahrhundert selbstverständlich waren, dann ist es für sie schwer, in profunder Weise Kritik zu üben.
Die fünfzehnte Technik und zugleich die letzte: Wir erleben heute, was in der Fachpresse finanzielle Repression genannt wird. Dabei geht es darum, dass der Staat durch verschiedene Eingriffe die Sparer, aber auch die Finanzinstitutionen, drängt, Staatsanleihen zu kaufen anstelle von Finanzpapieren. Um nur einige Methoden zu nennen, wie dabei vorgegangen wird: Versicherungen und auch Banken werden mittels Finanzmarktregulationen genötigt, einen bestimmten Anteil ihrer Bilanzsumme in Form staatlicher Anleihen zu halten. Auch mittels Bankenregulierung werden große Anreize gesetzt, staatliche Anleihen zu kaufen, statt beispielsweise Kredite an Handwerksfirmen zu vergeben. Und schließlich der staatliche Kampf gegen alternative Investitionsformen, insbesondere Auslandsbesitz von Bankkonten.
Die Liste könnte über die genannten fünfzehn Techniken hinaus fortgeschrieben werden – fest steht, dass im Lichte des hier Ausgeführten die tatsächliche Steuerbelastung viel höher ist, als aus dem offiziellen Zahlenmaterial hervorgeht.
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Jörg Guido Hülsmann ist Professor für Ökonomie an der Universität Angers in Frankreich und Autor von «Ethik der Geldproduktion» (2007) und «Mises. The Last Knight of Liberalism» (2007). Zuletzt erschienen «Krise der Inflationskultur» (2013). Jörg Guido Hülsmann ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”.
Seine Website ist guidohulsmann.com