Wem es nutzt, wenn die EZB den Geldhahn öffnet

24.7.2013 – Gewinner und Verlierer der Politik des billigen Geldes stehen von vornherein fest: Geld fließt nämlich, und es kommt darauf an, es als erster zu haben.

von Philipp Bagus.

Philipp Bagus

Jede Geldmenge ist für das Erfüllen der Tauschfunktion des Geldes optimal. Mit wie viel Tonnen Gold man bei einer Goldwährung tauscht, ist im Hinblick auf die Vereinfachung des Tauschs unerheblich. Bei 100 Tonnen benutzter Goldmünzen sind die Preise niedriger als bei 200 Tonnen Münzen. Das Tauschen funktioniert jedoch gleich gut. Die Volkswirtschaft mit 200 Tonnen Gold ist nur deswegen reicher, weil Gold nicht nur eine monetäre, sondern auch noch industrielle Verwendung findet, z. B. in der Schmuckindustrie.

Dass mehr Geld eine Volkswirtschaft nicht reicher macht, wird in unserem Papiergeld noch deutlicher. Werden alle Euroscheine, Münzen und Bankguthaben eingezogen und durch neue ersetzt, an die jeweils eine Null gehängt wird, so hat sich die Geldmenge auf einen Schlag verzehnfacht. Die nach mehr Geld und expansiver EZB-Politik rufenden Zeitgenossen müssten frohlocken. Aber wird die Gesellschaft durch den Geldmengenanstieg wirklich wohlhabender? Gibt es mehr reale Güter, wie Autos, Immobilien, Lebensmittel oder Kulturangebote? Offensichtlich nicht. Das einzige, was in unserem Szenario passieren wird, ist, dass sich die Preise etwa verzehnfachen werden. Umgekehrt gilt das gleiche. Wird auf allen Scheinen, Münzen und Bankguthaben eine Null weggestrichen, ist die Gesellschaft nicht ärmer. Reale Güter sind nicht verschwunden. Nur die Geldmenge ist auf ein Zehntel geschrumpft. Die Kaufkraft der verbleibenden Euros verzehnfacht sich.

Wenn aber jede Geldmenge für die Tauschfunktion optimal ist, warum wird dann ständig gefordert, die Geldschleusen zu öffnen? Warum fleht man, die Europäische Zentralbank (EZB) solle doch bitte mehr machen?

Die Antwort ist erhellend. In der Realität erhalten nicht alle das neue Geld gleichzeitig und im gleichen Maße wie im Gedankenspiel der Euro-Verzehnfachung. Daraus ergibt sich eine Umverteilung. Die Erstempfänger des neuen Geldes gewinnen auf Kosten der Letzt- oder Spätempfänger. Die Erstempfänger kaufen noch zu den alten niedrigeren Preisen, während die Einkaufspreise der Späterempfänger durch diesen Kaufdruck steigen, bevor das neue Geld zu ihnen gelangt. Ebenso gewinnen die Schuldner auf Kosten der Gläubiger, die Geldeinheiten geringerer Kaufkraft zurückerhalten.

Diese monetäre Umverteilung gibt es in jedem Geldsystem, auch in einem Goldstandard. Nur findet hier die Umverteilung freiwillig im Wettbewerb statt. Jeder kann nach Gold schürfen, es gibt kein Schürfmonopol. Findet ein Schürfer neues Gold, so ist er als Erstempfänger ein Gewinner des Geldmengenanstiegs. Denn der Schürfer kann mit seinem neuen Gold noch zu den alten Preisen kaufen. Setzt er in seiner Lieblingskneipe das Gold in Bier um, steigen daraufhin tendenziell die Bierpreise. Als nächster profitiert der Kneipier vom Geldmengenanstieg; wenn auch weniger als der glückliche Goldschürfer. Der Kneipier verfügt dank gestiegener Einnahmen über mehr Geld, das er seinerseits ausgeben kann, um beispielsweise seiner Frau Rosen zu schenken. Die Rosenpreise steigen. So gelangt das neue Geld zum Blumenhändler, der es seinerseits wieder verausgabt. Allmählich verteilt sich das Geld in der Volkswirtschaft. Die Preise ziehen an. Genauso wie der Schürfer, der Kneipier und der Blumenhändler vom Geldmengenanstieg profitieren, gibt es zwangsläufig andere Menschen, zu denen das Geld später gelangt und die verlieren. Sie müssen höhere Preise für Bier, Blumen und andere Güter bezahlen, schon bevor sich ihr Geldeinkommen erhöht. Das Bier, das der Spätempfänger sich zuvor noch leisten konnte, trinkt jetzt der Goldsucher.

Die Umverteilung bei einer Goldwährung erscheint im Vergleich zu der Umverteilung im heutigen Papiergeldsystem, in dem Buchgeld grenzenlos per Mausklick am Computer erzeugt werden kann, als ein Kinderspiel. Langfristig ist die Goldmenge zwischen 1 und 2 Prozent pro Jahr gestiegen. Im Euroraum bewegt sich das Geldmengenwachstum in viel höheren Dimensionen. 2007 wuchs die Geldmenge M2 um etwa 10 Prozent. Bei dieser Wachstumsrate verdoppelt sich die Geldmenge alle sieben Jahre. Zur Zeit wächst M2 knapp 5 Prozent (Geldmengenverdoppelung alle 14 Jahre). Das Ausmaß dieser Umverteilung übertrifft die Vorstellungskraft. Sie ist einer der größten Skandale unserer Zeit; denn grob profitieren die Reichen auf Kosten der Armen; die Faulen und Verschwender auf Kosten der Arbeiter und Sparer. Aber wie schauen Gewinner und Verlierer im Papiergeldsystem genau aus? Wer erhält das neue Geld zuerst, wer ist Spätempfänger?

Die EZB produziert Zentralbankgeld am Computer. Von dort fließt das Zentralbankgeld an die Geschäftsbanken, die als erste profitieren. So kauft die Zentralbank mit ihrem neu geschaffenen Geld den Banken Wertpapiere ab; geschehen bei den Aufkäufen von Staatsanleihen. Außerdem vergibt sie das neu geschaffene Geld als Kredit zu Niedrigzinsen an die Banken, die im Gegenzug Wertpapiere wie Staatsanleihen als Pfand hinterlegen müssen. Einmal mit zusätzlichen Zentralbankreserven ausgestattet, besitzen die Banken das Privileg, selbst Buchgeld aus dem Nichts zu schaffen. Mit dem selbstgeschaffenen Geld können die Banken dann erneut Staatsanleihen kaufen, und als Sicherheit für weitere Zentralbankkredite andienen. Erstempfänger des neuen Geldes sind mithin Finanzwirtschaft und Regierungen. Letztere gewinnen auch durch die Geldwertentwertung, weil sie die größten Schuldner sind. In der Eurozone besteht zudem eine zwischenstaatliche Umverteilung, wenn einige Staaten höhere Schulden oder Defizite als andere haben. Denn die Schuldenmacher bekommen relativ mehr neues Geld als die anderen. Das Bankensystem kauft deren Staatsschulden auf und hinterlegt sie als Sicherheit für neue Zentralbankkredite. Die Geldmenge steigt. Deutschland steht, wenn es prozentual weniger neue Schulden macht als die anderen Staaten, in der innereuropäischen Umverteilung als Verlierer da: Die anderen bekommen mehr neues Geld und kaufen deutsche Güter, deren Preise steigen. So sind deutsche Autos sehr teuer.

Neben der Staatsfinanzierung kommt das von den Banken neu geschaffene Geld in der Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte zum Einsatz. Nach Staaten und Banken profitieren in unserem Geldsystem also die Leute, die das neue Geld als nächste in der Kette erhalten. Staaten geben das neue Geld weiter an Beamte und Subventionsempfänger. Im Falle der Banken gelangt das Geld zu Bankmanagern, Angestellten und Kreditnehmern. Letztere nutzen die Kredite oft, um an den Börsen zu investieren. Die Finanzbranche, wie Hedgefonds, freut sich über günstige Kredite. Aktien- und Anleihenmärkte zielen nach oben.

Tendenziell gilt: Wer mehr Vermögen besitzt und als Sicherheit für Bankkredite anbieten kann, kommt leichter in den Genuss von Krediten und kann ein relativ früher Empfänger neu geschaffenen Geldes sein. Wer Immobilien und Wertpapiere als Kreditsicherheit anbieten kann, ist im Vorteil und kann mit den neuen Krediten noch mehr Immobilien und Wertpapiere erwerben. Dabei profitiert der Schuldner doppelt. Einmal dadurch, dass die Schulden durch die Inflation entwertet werden und zum anderen durch die Preissteigerungen an Wertpapier- und Immobilienmärkten.

Dem Gewinn der Frühempfänger des neuen Geldes steht notwendigerweise der Verlust der Spätempfänger gegenüber. Zu letzteren gelangt das neue Geld erst sehr spät, sei es, weil sie nicht so eng mit Staat oder Finanzwirtschaft verbandelt sind, oder aber nicht über ausreichend Vermögen verfügen, um neue Kredite zu bekommen.

Die Spätempfänger sehen, dass Lebensmittel- oder Benzinpreise Jahr für Jahr steigen. Oftmals schneller als ihr Einkommen. Sie müssen auch immer länger arbeiten, um Immobilien oder Aktien zu erwerben, deren Preise empor klimmen. Ihre Lebensversicherung, die aus regulatorischen Gründen in niedrigverzinste Staatsanleihen investieren muss, wirft immer weniger ab. Sparer verlieren. Das Zurücklegen von Bargeld, jahrhundertlang die Hauptsparform der Menschen, wird im Papiergeldsystem zum Irrsinn. Es kommt zur realen Verarmung eines Großteils der Bevölkerung, auch wenn noch ein Scheinreichtum in Form von staatlichen Rentenansprüchen, Festgeldanlagen oder Lebensversicherungen besteht. Kontoinhaber, Kleinsparer, Lebensversicherte, Altersvorsorger verlieren langsam aber stetig zugunsten von Finanzwirtschaft und Staat, die sich in symbiotischer Verbundenheit gegenseitig mit neuem Geld finanzieren und retten.

Als Folge dieser monetären Umverteilung geht die Schere zwischen Superreichen mit schnellem, üppigen Zugang zu neuem Geld und der restlichen Bevölkerung allmählich auseinander.

Wie jede unfreiwillige Umverteilung enthält auch die monetäre Variante Konfliktpotential. Widerstand gegen diese Umverteilung bleibt jedoch aus, weil die Verlierer sich des Prozesses in der Regel nicht bewusst sind. Die Menschen sehen zwar, dass die Wohlstandsschere auseinander driftet. Sie bemerken, dass Benzin-, Lebensmittel-, Aktien- und Häuserpreise steigen und ihre Ersparnisse immer weniger abwerfen. Sie verbinden diese Entwicklung jedoch nicht mit Banken- oder Eurorettung und der Finanzierung üppiger Wohlfahrtsstaaten. Statt das staatliche Papiergeldsystem als Ursache zu bekämpfen, plädieren sie daher für mehr staatliche Umverteilung oder für Begrenzungen bei Bonuszahlungen für Banker. Sie doktern an den Symptomen herum, anstatt das Problem an der Wurzel zu fassen.

Zurück zum Ausgangspunkt: Wer fordert heute vehement von der EZB, die Geldmenge noch schneller zu erhöhen? Natürlich jene, die hoffen, das neue Geld als erste zu erhalten. So fordern Politiker hochverschuldeter und defizitärer Eurostaaten unbegrenzte Anleihenkäufe der EZB – mit neuem Geld! Auch die Banken- und Finanzwirtschaft verteidigt vehement den Euro und die zu seiner Rettung notwendige Geldproduktion. Fondsmanager, Großinvestoren und Plutokraten wie George Soros hoffen auf noch mehr billiges Geld von der EZB und die Weitergabe ihrer Staatsanleihen an die EZB. Die Verlierer in der großangelegten Umverteilung sind von der Politik Vergessene: die hart arbeitenden, sparenden kleinen Leute. Der Großteil der Bevölkerung.

Dieser Beitrag ist am 26.6.2013 in DER HAUPTSTADTBRIEF erschienen.

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Philipp Bagus ist Professor für Volkswirtschaft an der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid. Zu seinen Forschungsschwerpunkten Geld- und Konjunkturtheorie veröffentlichte er in internationalen Fachzeitschriften wie Journal of Business Ethics, Independent Rewiew, American Journal of Economics and Sociology u.a.. Seine Arbeiten wurden ausgezeichnet mit dem O.P.Alford III Prize in Libertarian Scholarship, dem Sir John M. Templeton Fellowship und dem IREF Essay Preis. Er ist Autor eines Buches zum isländischen Finanzkollaps (“Deep Freeze: Island’s Economics Collapse” mit David Howden). Sein Buch “Die Tragödie des Euro” erscheint in 12 Sprachen. Philipp Bagus ist ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des “Ludwig von Mises Institut Deutschland”

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