Die Löschung der Ersparnisse

22.4.2013 – von Thorsten Polleit.

“Das natürliche Eigentum hat mit Anerkennung durch die Mitmenschen

des Eigentümers nicht zu rechnen. Es wird so lange faktisch geduldet,

als die Kraft fehlt, es umzustoßen; es besteht nicht länger als bis sich

ein Gewaltigerer findet, der es an sich reißt.”

Ludwig von Mises (1922), Die Gemeinwirtschaft, S. 17.

Thorsten Polleit

Die EU-Kommission verkündete am 12. April 2013 noch einmal medienwirksam, was sie bereits am 6. Juni 2012 unter der Überschrift „Neue Krisenmanagement-Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Bankenrettungen“ (IP/12/570) veröffentlicht hatte: Schieflagen von Euro-Banken sollen gelöst werden, indem die Eigenkapitalgeber und Gläubiger der Banken die Verluste zu tragen haben („Bail-in“).[1] Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble unterstützt das Vorhaben mit Nachdruck: „Die Beteiligung von Eigentümern, nachrangigen Anleihegläubigern und dann ungesicherten Anlegern muss der Normalfall sein, wenn ein Finanzinstitut in eine Schieflage gerät.“[2]

Die Haftungsrangfolge soll, anders als noch im ursprünglichen „Zypern-Modell“, wie folgt sein: Entstehen bei Banken Verluste, so müssen diese zunächst von den Eigentümern der Banken getragen werden. Reicht also das Eigenkapital nicht aus, die Verluste zu decken (kommt es also zu einer Überschuldung), so müssen nachrangige Verbindlichkeiten der Banken („Subordinated Debt“) herabgesetzt werden. Reicht das immer noch nicht aus, um die Verluste zu decken, kommen erstrangige Verbindlichkeiten („Senior Debt“) an die Reihe. Und reicht das immer noch nicht, sollen auch die Halter von Bankeinlagen, die mehr als 100.000 Euro betragen, zur Ader gelassen werden.

Es trifft die Kleinsparer

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, die EU-Kommission will die „Reichen“ zur Deckung von Bankverlusten in die Pflicht nehmen und den „Kleinsparer“, beziehungsweise den Steuerzahler, verschonen. Doch bei genauerer Betrachtung erweist sich das als Fehleinschätzung.

Wenn Bankschuldverschreibungen gestrichen werden, beschert das den Haltern dieser Papiere Verluste. Diese Papiere werden jedoch vor allem von Versicherungen und Pensionsfonds und –kassen sowie Versorgungswerken gehalten, also Instituten, die vor allem die Lebensersparnisse kleiner und mittlerer Einkommensverdiener in Bankschuldverschreibungen angelegt haben.

Ein Herabsetzen der Bankschulden träfe folglich vor allem die kleinen und mittleren Einkommensverdiener (also die, die Bankeinlagen von weniger als 100.000 Euro halten). Um es anschaulich zu formulieren: Dem Halter einer Riester-Rente werden Verluste aufgebürdet noch bevor derjenige, der eine Bankeinlage von mehr als 100.000 Euro hält, zur Kasse gebeten wird.

Wann ist eine Bank überschuldet?

In einem freien Markt ist unzweifelhaft feststellbar, wann ein Unternehmen überschuldet ist. Anders ist das bei Geschäftsbanken, weil sie nicht in einem freien Markt operieren: Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) übt einen dominierenden Einfluss auf die Zins- und Preisgestaltung in den wichtigen Geschäftsfeldern der Banken aus.

So sorgt er dafür, dass Geschäftsbanken ihre fälligen Verbindlichkeiten problemlos refinanzieren können. Der EZB-Rat stellt den Banken nämlich in unbegrenztem Umfang Kredite zu Tiefstzinsen bereit. Die Zinsen auf dem Bankenrefinanzierungsmarkt spiegeln folglich nicht die wahre Bonität der Banken wider, sondern vielmehr die von der EZB gesetzten (Vorzugs-)Konditionen.

Unter diesen Bedingungen ist es Banken möglich, zweifelhafte Kredite, die sie in ihren Bilanzen ausweisen, „umzustrukturieren“ und auf diese Weise einen Verlustausweis zu vermeiden. Bei Zahlungsproblemen des Kreditnehmers wird nun ein Problemkredit zum Beispiel verlängert, refinanziert mit Krediten, die die EZB zu Tiefstzinsen bereitstellt.

Durch die Tiefzinspolitik sorgt die EZB zudem auch für steigende Wertpapierkurse und hält auch auf diesem Wege Verluste für die Banken im Zaum. Sollte die Zentralbank gar dazu übergehen, die Kreditportfolios der Geschäftsbanken abzukaufen, kann sie auch die (Markt-)Preise dieser Kredite maßgeblich bestimmen und damit die Verluste für die Banken reduzieren beziehungsweise ganz vermeiden.

Eine besorgniserregende Machtansammlung beim EZB-Rat bahnt sich also an: Er hat es maßgeblich in der Hand, ob und wann Banken in „Schieflage“ geraten. Die Mitglieder im EZB-Rat beziehungsweise die Interessengruppen, die auf ihn den größten Einfluss nehmen, werden bestimmen, welche Bank über Wasser gehalten wird und welche nicht; und welche Bankverbindlichkeiten (unmittelbar) untergehen und welche nicht. 

Damit trifft der EZB-Rat im Grunde auch die Entscheidung über das Wohl und Wehe der nationalen Bankensektoren im Euroraum. Das Einfallstor für politische Einflussnahme auf den EZB-Rat und damit die Euro-Geldpolitik könnte wohl kaum größer sein.

Schuldenschnitte im Papiergeldsystem

Was aber, wenn Sparer und Investoren erkennen, dass viele Banken im Euroraum unter „normalen“ Marktbedingungen gar nicht mehr profitabel und überlebensfähig sind? Diese Einsicht könnte vor dem Hintergrund der Pläne, Forderungen der Gläubiger zu löschen, zu einer Flucht aus Bankschuldverschreibungen und Einlagen führen, das vermutlich „schlechte Banken“ zuerst treffen würde.

Sie würden dann noch stärker am „Rettungstropf“ der EZB und dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hängen als bisher – und so zusehends die Steuerzahler und Sparer der Länder, die bisher noch als relativ stabil angesehen werden, belasten – etwa durch ein (Wieder-)Ansteigen der „Target-2-Salden“. 

Schuldenschnitte in einem Papiergeldsystem hätten weitreichende volkswirtschaftliche Folgen. Ludwig von Mises (1881 – 1973) zeigte im Zuge der monetären Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule der Nationalökonomie, dass „Zirkulationskredite“ – das sind Bankkredite, durch die Banken ungedecktes Kreditgeld („Umlaufsmittel“) schaffen – zunächst einen „Boom“ in Gang setzen, der aber in einem „Bust“, einer Rezession-Depression, enden muss.

Zeichnet sich ein Bust ab, so werden Rufe laut: „Die Banken müßten nur immer fortfahren, den Zinsfuß ihrer Zirkulationskreditgeschäfte zu ermäßigen, um den Zusammenbruch der Haussespekulation hinauszuschieben. Legt man auf dieses letzte Wort, auf das Hinausschieben, Gewicht, dann kann dieser Argumentation ohne weiteres zugestimmt werden. Den Zusammenbruch hinauszuschieben, wären die Banken allerdings in der Lage, aber schließlich muss dann doch, wie oben gezeigt wurde, einmal der Augenblick kommen, in dem eine weitere Ausdehnung der Umlaufsmittelzirkulation nicht mehr möglich ist. Dann muß die Katastrophe eintreten, und ihre Folgen sind umso schwerer, die Reaktion gegen die Auswüchse der Haussespekulation umso stärker, je länger der Zeitraum gewesen ist, in dem die Rate des Darlehenszinses sich unter dem Niveau des natürlichen Kapitalzinses befunden hat, und je mehr durch die Lage des Kapitalmarktes nicht gerechtfertigte Produktionsumwege eingeschlagen wurden.“[3]

Verlust der Ersparnisse

Um das ein oder andere Mal mag es den Regierungen und ihren Zentralbanken zwar gelingen, einen herannahenden Bust in einen neuen Boom umzumünzen. Doch irgendwann kollabiert der Papiergeldboom, so Mises‘ Erkenntnis.

Die Sparer, die ihre Altersvorsorge in Papiergeld denominierte Zahlungsversprechen investiert haben, werden in jeden Fall verlieren. Sie werden entweder Zahlungsausfälle erleiden, weil Bankeinlagen sowie Staats-, Bank- und Unternehmensverbindlichkeiten, im Zuge eines Papiergeldsystems aufgehäuft wurden, nicht mehr (vollständig) zurückgezahlt werden. Oder aber die Zahlungsforderungen, die sie halten, werden zurückgezahlt mit entwertetem Geld. In beiden Fällen werden die Ersparnisse zerstört. Das ist das hässliche Ergebnis des Papiergeldsystems.

[1] Siehe hierzu: Europäische Kommission, Neue Krisenmanagement-Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Bankenrettungen, IP/12/570, 6. Juni 2012.

[2] Aus Wirtschaftswoche, Schäuble sieht in Zypern wohl eine Blaupause, 20. April 2013 (eingesehen am 22. April 2013).

[3] Mises, L. v. (1924 [1912]), Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel, S. 436.

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Thorsten Polleit, 45, ist seit April 2012 Chefvolkswirt der Degussa Goldhandel GmbH. Zuvor war er 12 Jahre als Ökonom im internationalen Investment-Banking in London, Amsterdam und Frankfurt tätig. Seit 2003 ist Thorsten Polleit Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance, Frankfurt, Interessen- und Forschungsschwerpunkt Kapitalmarkttheorie, Geldpolitik und –theorie und insbesondere auf die „Österreichische Schule der Nationalökonomie“. Er ist zudem Adjunct Scholar am Ludwig von Mises Institute, Auburn, US Alabama, und Mitglied im Forschungsnetzwerk „Research On money In The Economy“ (ROME). Seit Oktober 2012 ist Thorsten Polleit Präsident des Ludwig von Mises Institut Deutschland. Er ist Gründungsmitglied und Partner von „Polleit & Riechert Investment Management LLP“. Die private Website von Thorsten Polleit ist: www.thorsten-polleit.com. Hier Thorsten Polleit auf Twitter folgen.

 

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