Wahlkrimi in Argentinien: Der Weg zu Mileis Sieg bei den Zwischenwahlen

Bericht aus Argentinien 

21. November 2025 – von Stephan Ring

Die großen Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik können nur von denen begriffen werden, die die nationalökonomische Theorie voll beherrschen. … Doch die politische Entscheidung wird nicht von den Nationalökonomen getroffen, sondern von der öffentlichen Meinung, d.h. von der Gesamtheit des Volkes; die Mehrheit bestimmt, was geschehen soll. Das gilt von jedem System der Regierung. Auch der absolute König und der Diktator können nur so regieren, wie die öffentliche Meinung es verlangt.
Ludwig von Mises, „Erinnerungen“, S. 41

Der Spannungsbogen der diversen argentinischen Zwischenwahlen im Jahr 2025 gleicht im Ablauf einem Heldenepos oder wahlweise einem modernen Actionfilm amerikanischer Prägung. Dem anfänglichen Hoch folgt die Selbstüberschätzung, die, mit einem Tiefschlag bestraft, durch die Katharsis führt und schließlich im finalen Erfolg des Helden endet. Aber der Reihe nach.

Argentinien hat seine Verfassung weitgehend von den USA übernommen und im Wesentlichen auch durch diverse politische Untiefen und Stürme hindurch mit einigen Anpassungen beibehalten. Der vierjährige Wahlrhythmus zum Präsidenten wird nach zwei Jahren durch eine Zwischenwahl unterbrochen, in der ein Drittel des Senates und die Hälfte des Parlaments neu gewählt werden. Gleichzeitig finden vergleichbare Wahlen in den Provinzen zu deren Senaten und Parlamenten statt. In einigen wenigen Provinzen ist der Rhythmus zeitlich verschoben, was aber in 2025 keine Rolle gespielt hat. Gleichzeitig mit den Provinzwahlen finden in vielen Kommunen Wahlen zu den Bürgermeistern, Gemeinde- und Schulräten statt. In unserem Drama sind nur drei dieser Zwischenwahlen von Bedeutung, die beiden Provinzwahlen zur Stadt Buenos Aires und zur Provinz Buenos Aires sowie die Zwischenwahl zum nationalen Kongress.

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Der Gouverneur der Stadt Buenos Aires, nicht zu verwechseln mit der Provinz, ist Mitglied von Mileis Koalitionspartners PRO, liegt aber trotzdem im Clinch mit Milei, da er keinerlei Bemühungen zum Sparen zeigt und im Gegenteil seinen Wahlkampf sogar ausdrücklich auf einer Beibehaltung der staatlichen Ausgaben aufbaut. Verhandlungen über eine gemeinsame Liste mit Mileis Partei La Libertad Avanza (LLA) für die Provinzwahlen scheitern daher früh.

Die genannten Zwischenwahlen auf Provinzebene von immerhin zwei der drei wichtigsten Provinzen Argentiniens, Provinz und Stadt Buenos Aires, auf die wir hier den Fokus legen, finden normalerweise zeitgleich mit den nationalen Zwischenwahlen im Oktober statt. Die nachhaltig guten Umfragewerte Mileis 2024 machten allerdings den Gouverneuren Angst und führten den Gouverneur der Stadt Buenos Aires dazu, seinen Wahltermin in den Mai 2025 vorzuziehen, in der Hoffnung, der erwarteten Mobilisierung der Anhänger von LLA durch Milei in den nationalen Wahlen auszuweichen. Damit sieht er sich in der Hochburg der PRO ausreichend abgesichert.

Milei nominiert seinen bekannten Pressesprecher Manuel Adorni als Listenführer und gewinnt. Er verweist die PRO, die rund 2/3 ihrer Wähler einbüßt, mit nur mehr gut 15 % der Stimmen auf einen demütigenden dritten Platz. Die Linken werden Zweiter. Die noch junge Parteiorganisation, die durch Mileis Schwester als Parteichefin und die Gebrüder Menem erst 2024 landesweit auf- und ausgebaut wurde, sieht sich nicht ganz zu Unrecht als neue Kraft im konservativen Spektrum der Macht.

Aufgrund des durch Mileis aggressives Vorgehen zunehmend entstehenden Lagerwahlkampfes, der die anderen Parteien und politischen Strömungen zu zermahlen drohte, haben sich grundsätzlich reformbereite Gouverneure, die aber ihre Eigenständigkeit behalten wollen, 2025 zu einer neuen politischen Gruppierung in der Mitte des politischen Spektrums zusammengeschlossen. Diese Liste ging bewusst taktisch gegen Milei vor, um ihn zu schwächen und gemäßigtere Wähler, die ebenfalls Reformen wollen, aber nicht so aggressive, zu gewinnen. Sie versuchen, einen Mittelweg anzubieten. Bis zur nationalen Zwischenwahl im Oktober ist völlig unklar, wie stark ein solchen Bündnis werden kann und ob es eher eine Gefahr für die linke Opposition oder für Milei ist.

Den linken Gouverneur der Provinz Buenos Aires treiben dagegen andere Bedenken. In der Provinz leben gut 35 % der Wahlberechtigten Argentiniens. Sie ist die Hochburg der Linken. Hier den Zugriff auf die staatlichen Mittel zu verlieren, wäre ein Desaster. Bei der Stichwahl zur Präsidentschaft hat Milei hier einen Sieg eingefahren. Einer der Hauptgründe für sein mit 56% bestes Ergebnis der Geschichte.

Zudem befindet sich der Gouverneur in einem parteiinternen Machtkampf mit der ehemaligen Präsidentin und Anführerin der Linken, Cristina Kirchner, die gerade ihre sechsjährige Haftstrafe wegen Korruption antritt. Wegen ihres Alters darf sie diese allerdings im Hausarrest mit Fußfessel abbüßen. Vor ihrer Stadtwohnung sammeln sich regelmäßig jubelnde Massen auf der Straße, wenn sie auf ihren Balkon tritt und winkt. Sie hat im Jahr 2024 eine Kampfabstimmung um die Parteiführung überlebt, nachdem der Gouverneur nach einem Gespräch zurückgezogen hat. Sie kann ihren Zugriff auf die Partei nicht aufgeben, wenn sie irgendwelche Chancen auf eine Begnadigung durch den in 2027 zu wählenden Präsidenten behalten möchte.

Der Gouverneur, der nach seiner zweiten Amtszeit nicht mehr wiedergewählt werden kann, möchte seinerseits 2027 Präsident werden und gegen Milei antreten. Dazu braucht er das Wohlwollen der Partei. Gleichzeitig muss er sich aber glaubwürdig von der Parteiführung distanzieren und der Partei zeigen, dass er der bessere Wahlkämpfer ist. Die Bürgermeister in seiner Provinz, die zu rund 80 % von seiner Partei gestellt werden, sind gespalten. Einige distanzieren sich von der korrupten Parteiführung, andere halten Cristina für ein Opfer einer politischen Justiz. Aber die Bürgermeister sind es, die mit ihren lokalen Apparaten den Wahlerfolg maßgeblich sicherstellen, indem sie potentielle Wähler hinreichend „motivieren“, Busse zur Verfügung stellen und Einfluss auf die Besetzung der Wahllokale nehmen.

Wie also das Problem lösen, wenn ein Wahlsieg auf nationaler Ebene der Parteiführung hilft, der Gouverneur möglicherweise nicht mit allen Bürgermeistern rechnen kann und er Gefahr läuft, bei der Ernennung des Präsidentschaftskandidaten von einer dann gestärkten Parteiführung übergangen zu werden?

Auch er hat daher die Provinzwahlen das erste Mal in der Geschichte auf den 7. September 2025 vorverlegt. Die Parteiführung hat dies massiv kritisiert, da sie um die Kampagnenfähigkeit und -willigkeit der Bürgermeister gefürchtet hat. Diese sind besonders motiviert, wenn es um ihre eigenen Positionen und Macht in ihren Gemeinden geht. Bisher ein großer Vorteil, auch in den nationalen Wahlen, aber nur, wenn diese gleichzeitig mit den Provinzwahlen stattfinden. Haben die Bürgermeister ihre Scherflein im Trockenen, lässt die Motivation schnell nach.

Für den Gouverneur war dies ein riskanter machtpolitischer Zug. Gehen die getrennten Provinzwahlen schief, ist er parteipolitisch erledigt. Sein Interesse muss sein, in der Provinzwahl zu glänzen und zu hoffen, dass die Gesamtpartei danach bei den nationalen Wahlen in seiner Provinz gut aber nicht toll abschneidet.

Die Parteiführerin wiederum hat die nationalen Wahllisten – sehr zum Unmut lokaler Parteiströmungen – komplett auf Überwintern der eigenen Machtbasis eingestellt. Sie ging von Verlusten gegen Milei aus und hat, sehr zum Ärger lokaler Parteiorganisationen, praktisch keine innerparteilichen Kompromisskandidaten mehr auf aussichtsreiche Plätze der Liste für die nationalen Zwischenwahlen der Provinz gelassen.

In der Vorbereitung zu den Provinzwahlen konnte Mileis Partei – gestärkt durch den Wahlsieg im Mai – vor Kraft kaum gehen. Die PRO wurde faktisch landesweit und nicht nur in der Provinz Buenos Aires in eine gemeinsame Liste gezwungen und wurde dabei offenbar bezüglich der Platzierung ihrer Kandidaten ziemlich schlecht behandelt, was sie aber nicht zuletzt aus Angst vor einem finalen Todesstoß zugebilligt hat. Ihre Verhandlungsbasis war nach den vernichtenden 15 % bei der von ihrem Gouverneur ohne Zwang vorgezogenen Provinzwahlen in ihrer bisherigen Hochburg auch nicht gerade überzeugend.

Gleichzeitig wurden aber auch die Influencer der sozialen Medien, die sich nach ihrem gigantischen Beitrag zur Präsidentschaftswahl Mileis als eigene innerparteiliche Strömung etabliert hatten, praktisch komplett übergangen.

Derart aufgestellt ging es in die heiße Phase des Wahlkampfes, der sich sehr dreckig entwickeln sollte. Es begann mit der Instrumentalisierung des Kongresses, in dem Milei keine eigene Mehrheit hat. Um Mileis ausgeglichenen Haushalt unter Druck zu bringen, wurden großzügige Erhöhungen vor allem für Rentner und Menschen mit Behinderung beschlossen. Milei konnte das meiste zwar durch sein Veto abwehren, die in ihrer Bedeutung eher symbolische Erhöhung für Menschen mit Behinderung konnte die Opposition jedoch im Kongress, in dem nun viele Strömungen Milei politisch schwächen wollten, mit einer 2/3 Mehrheit gegen sein Veto durchdrücken. Alle Maßnahmen sahen natürlich keine Gegenfinanzierung vor, obwohl das gesetzlich verpflichtend vorgesehen ist. Milei hat die Gesetze daher zwar unterzeichnet, ihre Umsetzung aber bis zum Beschluss einer Finanzierung ausgesetzt. Parallel dazu gab es selbstverständlich Demonstrationen und es wurde die Mitarbeiter eines Kinderkrankenhauses instrumentalisiert. Aber das war nur der Auftakt, mit dem Ziel, die besondere Situation der Menschen mit Behinderung ins Bewusstsein der Bevölkerung zu bringen.

Gerade rechtzeitig, wenige Wochen vor der Wahl Anfang September, wurde Mileis Schwester und Parteichefin in einen Korruptionsskandal verwickelt. In einer vermeintlich echten Tonbandaufnahme, die wie ein heimlicher Mitschnitt eines Gesprächs erscheint, behauptet ein hoher Beamter des Gesundheitsministeriums zu wissen, dass sie eine Umsatzbeteiligung von einem Pharmaunternehmen für, und jetzt kommt es, Medikamente für Menschen mit Behinderung verlangen würde, wenn dieses mit seinen überteuerten Produkten im Geschäft bleiben wolle. Als weitere Beweise wurden Textnachrichten versprochen. Auf die Textnachrichten wartete man vergeblich, aber der Schaden war natürlich angerichtet. Die Staatsanwaltschaft veranlasste Hausdurchsuchungen, allerdings nicht bei Mileis Schwester, die in den Aufnahmen nur mittelbar, der Jurist würde sagen „vom Hörensagen“, beschuldigt wird. Das Timing war perfekt, obwohl die Aufnahme angeblich über ein Jahr alt gewesen sein soll. Mittlerweile hat der betroffenen Mitarbeiter die Echtheit der Aufnahmen bei der Staatsanwaltschaft bestritten. Er behauptet, es sei nicht seine Stimme und er könne sich auch an kein derartiges Gespräch erinnern. Vor der Wahl hatte er sich allerdings nicht mehr diesbezüglich geäußert.

Am Wahltag selbst wurden anscheinend als Aufwandsentschädigungen gedachte Handgelder für die Wahlbeobachter Mileis gestohlen. Es gab Bilder von Wahllokalen, in denen die Wahlzettel für LLA gar nicht auslagen. In den sozialen Medien veröffentlichte Fotos von finalen Meldungen von Wahlbüros enthielten teilweise nicht eine Stimme für Milei.

Die Wahl wurde zum Desaster. Obwohl Mileis Partei aus dem Stand über 33 % erhielt, fehlten ihr über 2 Millionen Stimmen, die sich aus der schlichten Addition der Stimmen der beiden Parteien LLA und PRO rechnerisch ergeben sollten. Die Linken legten sogar noch zu und landeten mit einem Vorsprung von 14 Prozentpunkten bei 47 %. Da half es auch nichts, dass die Linken trotz maximaler Anstrengung rund eine halbe Million Stimmen verloren.

In der Analyse der Niederlage war wohl entscheidend, dass offenbar viele Wähler der PRO nicht zur Wahl gegangen sind, weil sie mit der Behandlung ihrer Partei im Vorfeld nicht einverstanden waren und den brutalen politischen Stil Mileis nicht akzeptieren wollten. Zudem hatten die Influencer nur halbherzig agiert und die Mobilisierung der eigenen Wähler nicht bis zum Maximum ausgereizt. Der Umfang von Wahlbetrug kann nur vermutet werden.

Die Katastrophe war maximal. Die Finanzmärkte spielten verrückt, das sogenannte Länderrisiko, also der Zinsaufschlag, den Argentinien im Vergleich zur USA zahlen muss, stieg stark an, der Peso verlor an Wert; die Argentinier versuchten möglichst viel ihres Vermögens in USD zu tauschen. In der Spitze wurden 40 % der Geldmenge M2 in US-Dollar getauscht oder durch Sicherungsgeschäfte gegen Kursverlust abgesichert. Ein historisch unbekannt hoher Wert.

Die Wahl hatte drei Gewinner. Zunächst den Gouverneur der Provinz Buenos Aires, dessen Risiko sich voll ausgezahlt hat. Er ist der strahlende Held und geniale Taktiker dieses Sieges. Zum anderen Macri, der Anführer der PRO. Ihm hatten die Nichtwähler Macht verleihen. Würde er bei den nationalen Wahlen nicht zur Wahl Mileis aufrufen, würden sie vielleicht auch da wegbleiben. Und schließlich die Influencer, die nur halbherzig Unterstützung geboten hatten. Sie konnten nicht ganz zu Unrecht behaupten, dass es gerade sie für die Aktivierung der jugendlichen Unterstützer braucht.

Verlierer war ganz klar Milei, aber auch innerparteilich seine Schwester, die maßgeblich für die Behandlung der PRO vor der Wahl verantwortlich war, und die Gebrüder Menem. Die internationale linke Presse ist über Milei hergefallen und hat sein Projekt schon als gescheitert erklärt. In lokalen Talkrunden wurde diskutiert, welche Kompromisse Milei jetzt machen müsste, wenn er überhaupt noch 2 Jahre politisch überleben will. Das Fell des Bären, bei Milei besser des Löwen, wurde schon verteilt.

Im Vorfeld der nun anstehenden nationalen Zwischenwahlen konnte aber nichts mehr geändert werden. Ob absichtlich oder nicht, der Gouverneur hatte die Zwischenwahlen der Provinz so spät gelegt, dass alle Abgabefristen für die nationalen Wahllisten, die ebenfalls pro Provinz zusammengestellt werden, abgelaufen waren. Eine Korrektur zu Gunsten der PRO, um deren Wähler milde zu stimmen, oder zu Gunsten der Influencer war daher unmöglich.

In dieser Konstellation ging es dann in den Schlussspurt bis zum 26. Oktober. Der angebliche Skandal um Mileis Schwester gärte weiter, wenn auch die versprochenen zusätzliche Beweise ausblieben. Die Finanzmärkte konnten von Wirtschaftsminister „Toto“ Caputo zwar mit Hilfe der USA einigermaßen beruhigt werden, die Unsicherheit der Argentinier konnte er aber auch nicht beseitigen. Zudem gab dies der Opposition wieder neues Futter, indem sie auf die Abhängigkeit von den USA hinwiesen und Argentinien zur Kolonie der USA ausrief. Die Umfragen waren faktisch aussagelos, da der Spread unterschiedlicher Institute bis zu 15 Prozentpunkte betrug. Natürlich hatte die Opposition kein Interesse daran, mit nicht-manipulierten Umfragen hier für Ruhe zu sorgen.

Milei ist sehr lernfähig und anscheinend auch nicht eingebildet. Er hat sein Verhalten und seine Rhetorik öffentlich relativ zeitnah umgestellt. Diese wurde gemäßigter. In den Medien wurde sogar mitgezählt, wie selten er noch zu Schimpftiraden gegriffen hat. Es wurde eine hochrangige Gesprächsrunde mit den zur Zusammenarbeit bereiten Gouverneuren eingerichtet und Milei hat sich wieder mit Macri, dem Anführer der PRO, getroffen. Der ehemalige Präsident und erfahrene Politiker hat Milei ganz offensichtlich einige Zugeständnisse abgerungen, von denen die Öffentlichkeit allerdings nichts erfuhr.

„Die Kräfte des Himmels“, eine neue politische Organisation unter Führung ihres Chefs Gordon, einem der wichtigsten Influencer, wurde von Milei fast schon gewaltsam gehätschelt. Sie durfte bei seiner Buchvorstellung eine maßgebliche Rolle spielen. Sie wurden immer wieder als besonders wichtig genannt und in den Vordergrund gestellt. Milei hat sogar öffentlich bereut, sich nicht selbst mehr in die Parteipolitik eingemischt zu haben.

Die Wahlstrategen Mileis stellten die Kampagne noch mehr auf die Alternativen um. „Wollt ihr wieder zurück zur Hyperinflation?“, war nun die Frage. Milei machte konkrete Vorschläge und legte seine Planungen für Reformen in der zweiten Hälfte seiner Präsidentschaft vor. Die Opposition hatte nichts, um dagegen zu argumentieren. Sie waren nur gegen Milei. Die Umfragen schienen sich, wenn auch auf niedrigerem Niveau, zu stabilisieren.

In dieser kritischen Gemengelage kam der Opposition die USA zu Hilfe. In Ermittlungen gegen einen argentinischen Unternehmer wegen Drogenhandels tauchte in einer Buchhaltung eine Überweisung von 200.000 USD an den Spitzenkandidaten der Liste der LLA der Provinz Buenos Aires auf. Espert, ein langjähriger Mitstreiter Mileis, der diese Zahlung offenbar für einen legalen Auftrag weit vor den Drogenvorwürfen und auch noch als unverdächtige und versteuerte Überweisung zwischen amerikanischen Banken erhalten hat, machte den Fehler, seine Beziehung zunächst öffentlich zu leugnen, anstatt sie offensiv zu vertreten. Das brach ihm das Genick. Die ganze Kampagne Mileis wurde nur noch von den Drogengeldvorwürfen gegen Espert überschattet. Milei selbst hatte nicht die politische Härte aufgebracht, seinen in seinen Augen unschuldigen Freund zu opfern. Als die Situation unhaltbar wurde, ist Espert, wohl auf massiven Druck des inneren Zirkels Mileis, zurückgetreten. Damit hatte die Opposition wohl nicht gerechnet. Der Rücktritt kam jedenfalls noch so rechtzeitig vor der Wahl, um das Thema weitgehend zu töten und wieder zum inhaltlichen Kampf zurückkehren zu können. Wenige Tage vor der Wahl drehten die Umfragen leicht ins Plus. Der Trend schien sich, wenn auch nur ganz leicht, zu ändern. Zu wenig, zu spät?

Milei selbst ging davon aus, dass ein Ergebnis mit landesweit 35 % bei einem in Prozentpunkten nur noch einstelligen Rückstand zur Opposition in der Provinz Buenos Aires ein echter Erfolg wäre. Dies würde das primäre Wahlziel einer eigenen Sperrminorität der Koalition im Parlament mit 1/3 der Abgeordneten sichern, so dass zukünftig seine Vetos nicht mehr überstimmbar wären und er damit seinen ausgeglichenen Haushalt final abgesichert hätte. Ein Ergebnis unter 30 % wäre wohl sein politisches Ende gewesen. Mit allem dazwischen könnte man noch arbeiten, wenn auch die politischen und tatsächlichen Kosten für eine konstruktive Mitwirkung der dazu grundsätzlich bereiten Gouverneure hoch werden dürften.

Milei selbst warf sich vollständig in den Wahlkampf. Er sagte Auslandstermine, wie die Verleihung des „Gedächtnispreises zu Ehren Ludwig von Mises“ durch das Ludwig von Mises Institut Deutschland, kurzfristig ab. In den letzten Interviews vor der Wahl konnte man ihm die Erschöpfung ansehen.

Und dann der Tag der Wahrheit. Zur Wahl standen 127 Abgeordnete und 24 Senatoren. Die Wahllokale schlossen um 18:00 Uhr Ortszeit und es begann mit einer eher schlechten Nachricht. Die Wahlbeteiligung lag danach nur bei rund 65 %, und das bei einer allgemeinen, wenn auch nicht streng durchgesetzten Wahlpflicht. Es gab Statistiken, die bei 60 % von einem Ergebnis unter 30 % für Milei ausgingen und bei 75 % von einem Sieg. 65% war daher eher durchwachsen. Die Umfragen kurz vor der Wahl hatten auf ein Ergebnis von etwas unter 35 % hingedeutet und ein landesweites Kopf-an-Kopf-Rennen mit der linken Opposition vorhergesagt. Man war als Beobachter daher nicht mehr wirklich in Panik, aber die Euphorie des Jahres 2024 war verflogen.

Die Live-Berichterstattung der Presse beschränkt sich bis zur ersten offiziellen Verlautbarung, die etwa 3 Stunden später erfolgt, auf das Verlesen von einzelnen Auszählungsergebnissen, die als Posts im Internet, vornehmlich auf X erscheinen. Pro Wahllokal wenige hundert Stimmen. Danach hatte man schnell das Gefühl, dass die 30 % wohl nicht unterschritten werden. Die Moderatoren verlasen sich gegenseitig Ergebnisse und kommentierten diese auf Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit den einzelnen Wahllokalen. Gegen 19:00 Uhr tauchten die ersten Schätzungen auf, dass der Rückstand in der Provinz Buenos Aires wohl tatsächlich nur einstellig ausfallen werden. Die Opposition sprach von 8 – 9 Prozentpunkten, LLA selbst von rund 6 Prozentpunkten.

Wieder eine Stunde später wurde es langsam spannend. Es wurde deutlich, dass Milei die Wahl wohl landesweit gewinnen könnte. Danach ging es Schlag auf Schlag. Zunächst die Meldung über ein Kopf-an-Kopf-Rennen in der Provinz Buenos Aires, dann die Meldung, dass landesweit über 40 % möglich erscheinen und schließlich, dass Milei in der Provinz Buenos Aires mit fast 2 Prozentpunkten führt.

Als der Kabinettschef Francos gegen 21:15 Uhr vor die Presse tritt, um das vorläufige Ergebnis nach Auszählung von gut 90 % der Wahllokale bekannt zu geben, hat er ein Lächeln auf den Lippen. Nach gefühlt stundenlangen Ausführungen zur gelungenen Einführung des neuen Wahlverfahrens und dem Dank an alle Beteiligten brach im Netz Jubel aus: 41% landesweit und die Opposition in der Provinz Buenos Aires geschlagen.

Der Sieg war absolut. Es gab für die Opposition wirklich nichts schönzureden. Von 127 Abgeordneten hat Mileis Liste 64 gewonnen, von 24 Senatoren 14. Das ist jeweils die absolute Mehrheit der zur Wahl stehenden Mandate. Das Drittel an Abgeordneten zur Verteidigung des Vetos hat LLA nun fast selbst. Einzig die Eigenschaft als größte Fraktion im Parlament geht mit wenigen Abgeordneten Abstand noch an die linke Opposition. Aber damit kann sie jetzt nichts mehr anfangen. Ihre Macht im Senat, mit eigenen Mehrheiten ständig Projekte gegen Milei zu starten, ist weg. Insgesamt gewann Mileis Listenverbindung bei rund 9,3 Millionen für sie abgegebenen Stimmen landesweit 3.754.277 Stimmen mehr als Fuerza Patria, die Partei der Kirchneristen und des Gouverneurs der Provinz Buenos Aires, und 1.966.985 Stimmen mehr als der „Vereinte Peronismus“, was einen Unterschied von mehr als 8,5 Prozentpunkten ergibt, selbst wenn man alle linken Listenverbindungen zusammennimmt.

Was hat diesen Sieg ermöglicht? Man kann das final natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Der Erfolg hat viele Väter. Der erzwungene Rücktritt von Espert könnte ein Eigentor der Opposition gewesen sein. Er verschaffte der PRO einen Vorteil, da nach argentinischem Wahlrecht die Listen geschlechtsproportional aufzustellen sind und so ein Mann nur durch einen Mann ersetzt werden kann. Der Kandidat der PRO von Listenplatz 3 rückte damit auf Listenplatz 1. Er war ein bei den Wählern der PRO beliebter und in der Provinz Buenos Aires bekannter Politiker. Die Opposition versuchte dieses Vorrücken gerichtlich zu verhindern, scheiterte aber. Allerdings gelang es Milei auch nicht mehr, die bereits gedruckten Wahlzettel, auf denen nur die Gesichter der beiden Erstplatzierten jeder Liste zu sehen sind, noch ändern zu lassen. Das lehnt das Gericht mit ebenso guten Gründen ab.

Die herbe Niederlage in den Provinzwahlen hat vielleicht auch viele Wähler der PRO erschreckt. Womöglich hat jeder nach den Umfragen gedacht, dass seine fehlende Stimme zwar ein Denkzettel sei, aber sonst wenig Auswirkung hat. Dass so viele ähnlich denken, konnte man ja nicht ahnen. Die Umfragen hatten das nicht hergegeben.

Und schließlich der neue Stimmzettel, den Milei in der Euphorie des Jahres 2024 gesetzlich mit dem Argument der Kostenersparnis durchsetzen konnte. Bisher musste jede Partei ihre Stimmzettel selbst drucken, wofür sie staatliche Gelder erhielt. Manche Kleinstpartei hat dies benutzt, um nur wenig zu drucken und den Rest zu behalten. Der Wähler wählte dann einen Stimmzettel, den er in die Urne warf. Ein Kreuz war nicht erforderlich. Wahlbetrug war einfach.

Der neue Stimmzettel dagegen entsprach europäischem Vorbild: Ein Blatt mit allen Parteien und jeweils einem oder, wenn auch Senatoren zu wählen waren, zwei Kästchen für Kreuze. Die Stimmzettel wurden in gehefteten Blöcken geliefert und mussten vom Wahlhelfer Wähler für Wähler ausgetrennt und auf der Rückseite unterzeichnet werden. Verbleibende Wahlzettel mussten im Heft zurückgegeben werden. Die verwendete Anzahl konnte mit den Wahllisten abgeglichen werden. Ein nachträglicher Austausch von Stimmzetteln war nicht einfach möglich.

Wieviel Wahlbetrug bei den vorangegangen Provinzwahlen, bei denen der Gouverneur sich dem neuen Verfahren verweigert hat, stattgefunden hat, wird nie herauskommen. Es kann aber gut sein, dass viele der Nichtwähler gar nicht aus dem PRO-Lager kamen, sondern ihre Stimmen schlicht ausgetauscht wurden. Eine naheliegende andere Erklärung, warum nur wenige Wochen später Millionen von Wähler ihre Meinung geändert haben sollen, ist nicht wirklich ersichtlich.

Der Gouverneur der Provinz Buenos Aires hat mit dieser Niederlage alle innerparteilichen Lorbeeren, die er durch den Sieg in den Provinzwahlen errungen hatte, wieder verloren. Ein geringerer Vorsprung in der Provinz Buenos Aires, wie ihn die Umfragen praktisch noch am Wahltag vorausgesagt hatten, wäre genau sein Ergebnis gewesen, die krachende Niederlage und der Verlust der gesamten Provinz lassen an seinen taktischen Fähigkeiten in den Augen der Parteimitglieder kein gutes Haar.

Die Parteiführerin hat nicht nur die nationalen Wahlen in Bausch und Bogen verloren, sondern auch gezeigt bekommen, dass sie parteiintern nicht unangefochten ist. Welche Auswirkungen ihre offenbar unmittelbar nach der Wahl erfolgte Beschimpfung der Wähler und ein komischer „Freudentanz“ auf ihrem Balkon langfristig haben werden, ist noch nicht abzusehen. Von Peron ist angeblich der Spruch überliefert „das Volk irrt nie“.

Für Milei sollte es nun leichter als gedacht werden. Die 2025 neu gegründete Wahlliste der unabhängigen Gouverneure hat nur ein einstelliges Ergebnis erzielt. Der Preis für ihre Mitwirkung dürfte deutlich sinken, vor allem auch, da man nicht mehr alle brauchen wird.

Vielleicht ist sogar eine Einigung mit der linken Opposition in Sachen Richterbestellung möglich, die 2/3-Mehrheiten im Senat bedürfen, weil diese jetzt nur mit 3 Parteien möglich wäre.

Das Projekt der Freiheit geht jedenfalls gestärkt in die nächste Halbzeit.

Stephan Ring ist promovierter Jurist, Autor und seit der Gründung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland Mitglied des Vorstandes. 2025 erschien sein Buch Die Rettung Argentiniens: Javier Milei, die ersten 16 Monate (*).

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