Bei meiner Suche nach Erklärungen stieß ich auf Ludwig von Mises’ „Nationalökonomie“

12.10.2016 – Das nachstehende Interview haben wir mit Dr. Jonas Kolb geführt. Er hat  im März 2016 an der Universität Bayreuth promoviert. Der Titel seiner Dissertation: „DAS GEDANKENGUT DER „AUSTRIAN SCHOOL OF ECONOMICS“ – EINE ANALYSE VOR DEM HINTERGRUND DER VORWÜRFE DER NORMATIVITÄT UND UNWISSENSCHAFTLICHKEIT“. Erstgutachter war Professor Dr. Martin Leschke, Zweitgutachter Professor Dr. Thorsten Polleit. Dr. Kolb hat sich in seiner Arbeit vor allem auch mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Misesianischen Lehre befasst und greift dabei eine grundlegende Diskussion auf: die Diskussion über die „richtige“ wissenschaftliche Methode in der Nationalökonomie.

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Jonas Kolb – Er wurde während der 4. Konferenz des Ludwig von Mises Institut Deutschland „Besseres Geld für die Welt“ am 8. Oktober für seine Dissertation mit einem Buchpreis ausgezeichnet.

Herr Kolb, Sie haben kürzlich Ihre Dissertation an der Universität Bayreuth sehr erfolgreich abgeschlossen. Herzlichen Glückwunsch nochmals! Der Titel Ihrer Arbeit lautet: „Das Gedankengut der „Austrian School of Economics“ – eine Analyse vor dem Hintergrund der Vorwürfe der Normativität und Unwissenschaftlichkeit“. Wie sind Sie denn auf die „Austrians“ gestoßen, und was hat Sie bewegt, sogar über sie zu promovieren?

Als erstes vielen Dank für die Glückwünsche und dafür, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch nehmen! Auf die Austrians gestoßen bin ich schon recht früh, während meines ersten Studiums. Mit großer Vorfreude, ökonomische Zusammenhänge besser verstehen zu können, besuchte ich meine ersten Vorlesungen im Fach Volkswirtschaftslehre. Leider hatte ich danach das Gefühl, zwar einige elegante neue Anwendungen für mathematische Verfahren und auch einige, für sich alleine betrachtet, nicht ganz abwegig wirkende Modelle in Bezug auf bestimmte ökonomische Situationen kennengelernt zu haben. Allerdings wurde mir dann klar, dass ich einem Verständnis für die Gesetzmäßigkeiten hinter den ökonomischen Ereignissen oder gar einem Verständnis der Grundlagen für die Anwendung dieser Verfahren nicht näher gekommen war.

Bei meiner darauffolgenden Suche nach Erklärungen stieß ich auf Ludwig von Mises’ „Nationalökonomie“. Bei der Lektüre dieses Buches hatte ich das erste Mal den Eindruck, mit einem Angebot konfrontiert zu sein, das die wirtschaftlichen Interaktionen zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten erklärt. Nach einiger Zeit, in der ich mich nur in meiner Freizeit mit den „Austrians“ und ihrem Gedankengut beschäftigt habe, erfüllte ich mir den Wunsch, mich nochmals im Rahmen eines Studiums breiter mit den von den Austrians bearbeiteten Themengebieten zu beschäftigen. Aus dem Wunsch wurde eine Promotion.

Können Sie für unsere Leser in wenigen Worten die Ergebnisse ihrer Arbeit zusammenfassen? Was entgegnen Sie auf den Vorwurf, das Vorgehen der Österreicher Miseanischer Prägung litte unter „Unwissenschaftlichkeit“ und „Normativität“?  Das ist ja im Wissenschaftsbetrieb eine überaus schwere Anschuldigung …

Die Ergebnisse meiner Analysen zeigen, dass sowohl die Methode der Österreichischen Schule Misesanischer Prägung, als auch die Anwendung derselben durch die Vertreter dieser Schule der Vorgehensweise der orthodoxen Ökonomen zumindest nicht nachsteht.

Der meist von orthodoxen Ökonomen vorgebrachte Vorwurf der „Unwissenschaftlichkeit“ der praxeologischen Methode Misesanischer Prägung bezieht sich im Kern auf die Verwendung der Transzendentalargumentation zur Begründung des Axioms des Handelns und der Ableitung einer Reihe von Grundaussagen aus diesem Axiom. Man muss sagen, dass die Reichweite dieser Schlussformen in der erkenntnistheoretischen Diskussion umstritten ist. Auf der anderen Seite ist der Empirismus-Positivismus, zu welchem sich orthodoxe Ökonomen in der einen oder anderen Ausprägung bekennen, zum Nachweis kausaler Gesetzmäßigkeiten in den Sozialwissenschaften ungeeignet.

Hintergrund hierfür ist, dass die erfolgreiche Anwendung dieser Methode die kausale Determiniertheit des Verhaltens der Untersuchungsobjekte voraussetzt. Das Untersuchungsobjekt Mensch verhält sich jedoch aufgrund seiner Fähigkeit zu lernen in „gleicher“ Situation nicht zwangsläufig gleich. Die Etablierung einer kausalen Gesetzmäßigkeit des Verhaltens auf der Basis wiederholten empirischen Testens ist somit unmöglich.

Wie erklärt sich der Vorwurf der „Normativität“? Er unterstellt, dass die „Austrians“ – im Gegensatz zu anderen Denkschulen – angeblich Vorgaben machen wollen … 

Der Vorwurf der Normativität beruht auf der „free-market-Position“, welche alle mir bekannten Vertreter der Österreichischen Schule Misesanischer Prägung vertreten. Dass Ökonomen Meinungen haben, stellt jedoch keinen Nachweis der Normativität der von Ihnen vertretenen Theorien dar. Die Theorie der Österreichischen Schule ist ausschließlich eine Darstellung von Kausalzusammenhängen ohne Aussage bezüglich eines normativen „Sollens“.

Die normative Position pro „free market“ der Vertreter der Austrian School ist eine Folge des Umstandes, dass nach der ökonomischen Theorie der Österreichischen Schule, die meisten anti-free-market Maßnahmen zu Resultaten führen, welche „normale“ Menschen ablehnen. Beispielsweise kommt die Theorie der Österreichischen Schule – vereinfacht ausgedrückt – zu dem Schluss, dass die kreditbasierte Geldmengenausweitung zu einer Umverteilung von Arm zu Reich führt. Diese Aussage ist wertneutral. Die meisten Menschen, inklusive der Austrians, halten jedoch normative Wertvorstellungen, nach denen solch eine Umverteilung als „schlecht“ betrachtet wird. So kommt es, dass die meisten Menschen, die „normale“ Wertvorstellungen teilen und die gleichzeitig von der Korrektheit der ökonomischen Theorie der Österreichischen Schule überzeugt sind, zu einer „free market“ Position tendieren.

Die Europäische Zentralbank hat die Zinsen auf null beziehungsweise unter null Prozent gesenkt. Einige Ökonomen sagen, der neue „neutrale Zins“, der „Urzins“, sei mittlerweile negativ. Was würden Sie dem entgegnen aus Misesianischer Sicht?

Aus Misesanischer Sicht kann der „Urzins“ nicht negativ sein.

Das Phänomen des „Urzinses“ folgt aus der Zeitpräferenz der Menschen: dem Umstand, dass Menschen aufgrund der Knappheit der Zeit ihre jeweiligen Ziele lieber früher als später erreichen wollen. Die Zeitpräferenz ist dabei notwendigerweise positiv, ansonsten existierte kein Grund, eine Handlung – welche immer ein Mittel zur Erreichung eines Zieles darstellt – jetzt durchzuführen und nicht aufzuschieben. Eine negative Zeitpräferenz, ein grundsätzliches vorziehen einer späteren Verwirklichung aller Ziele, hätte die absurde Konsequenz, dass nicht mehr gehandelt wird. Ein negativer „Urzins“, welcher nur durch negative Zeitpräferenzen der Menschen zustande kommen kann, ist somit unmöglich.

Zu beachten ist hierbei, dass die Zeitpräferenz nur einen der Faktoren mit Einfluss auf intertemporale Wertunterschiede darstellt. Es existieren zusätzliche Einflüsse, welche die Bewertung zugunsten von Zukunftsgütern beeinflussen können. Ein Beispiel hierfür sind unterschiedliche Umstände zu unterschiedlichen Zeitpunkten. So mag, trotz eines positiven „Urzinses“, eine bestimmte Menge Eis im kommenden Sommer durchaus höher bewertet werden als die gleiche Menge Eis im Winter. Das aber ändert nichts an der Tatsache, dass der Urzins immer und überall positiv sein muss – dass es so etwas wie einen negativen Urzins denknotwendig nicht geben kann.

Sehr geehrter Herr Dr. Kolb, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Thorsten Polleit im September und Oktober 2016.

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