Der schädliche Politikreflex

16. Mai 2025 – von Rainer Fassnacht

Dass ein Reflex schädlich sein könnte, widerspricht der üblichen Erwartung. In der Physiologie spricht man von Reflex bei einer unwillkürlichen, über das Zentralnervensystem erfolgenden Reaktion des Organismus auf einen Reiz. Meist dienen Reflexe dem Überleben und sind automatische Reaktionen auf äußere Faktoren, die gefährlich sein könnten.

Nützliche Reflexe

Manche Reflexe machen sich noch heute bemerkbar, obwohl sie aus einer Zeit stammen, in der andere Verhältnisse herrschten. Ein Beispiel verdeutlicht dies: Vor einiger Zeit saß ich im Büro, als am Rande des Blickfeldes ein Schlängeln wahrzunehmen war. Unwillkürlich zuckte ich erschrocken zurück und bewegte mich von der ‚drohenden Gefahr‘ am oberen Rand des Fensters weg.

Tatsächlich war es jedoch keine Schlange, die von oben kommend ins Fenster wollte, sondern das Ende eines Kletterseils. Arbeiter auf dem Dach waren mit diesem Seil gesichert und rechneten garantiert nicht damit, dass ihre Tätigkeit mich zwei Etagen tiefer fast ‚aus dem Stuhl gehauen‘ hätte.

Andere vermutlich sehr alte Reflexe hängen mit äußeren Faktoren zusammen, die auch heute noch häufiger anzutreffen sind. Die Reaktion bei Kontakt mit glühenden Kohlen oder einer heißen Herdplatte ist dafür ein Beispiel.

Politikreflex

Der ‚Politikreflex‘ ist demgegenüber ein modernes Phänomen. Damit ist hier der Umstand gemeint, dass einige Menschen bei verschiedenen äußeren Faktoren automatisch nach einer politischen Lösung rufen.

Jene äußeren Faktoren, welche diesen Politikreflex auslösen, sind individuell unterschiedlich und betreffen bei einigen Menschen eine unglaubliche Bandbreite. In extremen Fällen wird nahezu bei jeder wahrgenommenen Herausforderung oder jeder gewünschten Veränderung nach ‚der Politik‘ gerufen.

Beispielsweise gibt es Veganer und Vegetarier, die möchten, dass der Fleischkonsum (anderer Menschen) durch entsprechende Regelungen eingeschränkt wird. Ob dabei an ein Verbot, eine Steuer oder andere politische Lösungen gedacht wird, ist ebenso ohne Belang wie die vorgebrachten Motive.

Im Kern wünschen sich diese Menschen, dass ‚die Politik‘, alternativ ‚der Staat, ihre eigenen Vorstellungen mittels Macht – also der Ausübung von Zwang – anderen Menschen aufdrängt. Sie möchten, dass ihr eigenes Wollen zum Sollen für andere Menschen gemacht wird.

Der Politikreflex wird auch deutlich, wenn Menschen sich beispielweise eine Kinderbetreuungsmöglichkeit in der Nähe wünschen und verlangen, dass ‚die Stadt‘ einen öffentlichen Kindergarten schafft.

Politische ‚Lösungen‘

Wie auch immer der Einzelfall aussieht, ob es dabei um eine wahrgenommene Herausforderung oder gewünschte Veränderungen geht, das Verlangen einer politischen ‚Lösung‘ hat Gemeinsamkeiten. Einerseits wird in jedem Fall (vermutlich oft unbewusst) nach dem Einsatz von Zwang gerufen. Andererseits werden in jedem Fall eigene Handlungsmöglichkeiten übersehen oder ignoriert.

Während bei einem Verbot des Fleischkonsums die Verbindung zum Zwang offensichtlich ist, zeigt sich dies beim Wunsch nach einem Kindergarten nicht direkt. Doch auch dieses Beispiel läuft auf den Einsatz von Zwang hinaus. Um einen (nicht privaten) Kindergarten zu finanzieren, wird Steuergeld verwendet.

Bestimmt gibt es Menschen, die freiwillig und gerne einen Teil ihres Arbeitslohns abgeben, damit politisch entschieden werden kann, wie dieses Geld ausgegeben wird. Doch auch jene Menschen, die den Arbeitslohn gerne komplett behalten und selbst über die Verwendung entscheiden möchten, müssen Steuern zahlen.

Wer keinen Zusammenhang zwischen Steuern und Zwang erblickt, kann ‚einfach‘ fällige Steuern nicht bezahlen – dies ermöglicht es, selbst zu erleben, dass diese Verbindung zweifelsfrei existiert. Allgemein ist es das entscheidende Wesensmerkmal des Staates beziehungsweise politischen Handelns, (‚legalisiert‘) Zwang einsetzen zu können.

Der zweite Aspekt – das Übersehen eigener Handlungsmöglichkeiten – ist ebenso typisch für den Politikreflex. Statt nach der Politik zu rufen, könnte der Wunsch nach einer Kinderbetreuungsmöglichkeit alternativ dazu führen, zu überlegen, ob eine partnerschaftliche Lösung mit anderen Eltern möglich wäre, oder nach anderen – nicht aus Steuergeld finanzierten – Betreuungsmöglichkeiten zu suchen.

Schädlichkeit des Politikreflexes

Einige mögen fragen, wieso der ‚automatische‘ Ruf nach einer politischen Lösung schadet. Diese Frage mag sogar noch gestellt werden, wenn die Verbindung zwischen Politik und Zwang zur Kenntnis genommen wurde. Inwiefern schadet der Politikreflex?

Die kurze Antwort auf diese Frage lautet: Weil nur friedliche freiwillige Handlungen Veränderungen ermöglichen, die von den Beteiligten nicht nachteilig bewertet werden.

Eine (politisch) erzwungene Handlung, die freiwillig nicht ausgeführt worden wäre, raubt die Möglichkeit, stattdessen eine alternative Handlung auszuführen, die in der eigenen Wertschätzung einen höheren Rang einnimmt.

Freiwillige friedliche Handlungen sind ein zuverlässiger Indikator für eine Veränderung, die mindestens einem – häufig aber allen – Beteiligten Nutzen stiftet. Bei erzwungenen politischen Handlungen gibt es stets Menschen, welche diese Handlung freiwillig nicht ausgeführt hätten.

‚Therapie‘

Der betroffene Mensch konnte zum entsprechenden Zeitpunkt nicht anders handeln. Dass eine wahrgenommene Herausforderung oder gewünschte Veränderungen bei ihm automatisch den Politikreflex auslösen, könnte allenfalls in der Zukunft anders werden.

Dies setzt einen Wandel voraus, der sogar bei den eingangs genannten Beispielen möglich ist. Es gibt Menschen, die glühende Kohlen in die Hand nehmen oder darüber laufen können, ohne davor zurückzuzucken. Bei diesen Menschen hat eine innere Veränderung es ermöglicht, auf äußere Reize anders zu reagieren als zuvor.

Ein Hilfsmittel zur Realisierung einer solchen Veränderung könnten beispielsweise Erkenntnisse durch Artikel im Mises-Blog oder die Lektüre der Klassiker der Österreichischen Schule sein. Wer sich bewusst wird, dass der Ruf nach einer politischen Lösung unvermeidlich mit Zwang einhergeht und dieser mit Nachteilen für (andere) Menschen, könnte künftig überlegen, was er selbst tun kann, um wahrgenommene Herausforderung zu meistern oder gewünschte Veränderungen herbeizuführen – ganz ohne Politik und Zwang.

Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.

Rainer Fassnacht

Rainer Fassnacht ist Diplom-Ökonom und schreibt für verschiedene Printmedien und Onlineplattformen im In- und Ausland. Hauptthema seiner Beiträge ist die Bewahrung der individuellen Freiheit.

Hat Ihnen dieser Beitrag gefallen? Das Ludwig von Mises Institut Deutschland e.V. setzt sich seit Jahren für die Verbreitung der Lehre der Österreichischen Schule der Nationalökonomie ein. Freiheit gibt es nicht geschenkt, sie muss stets neu errungen und erhalten werden. Bitte unterstützen Sie daher das Ludwig von Mises Institut Deutschland mit einer Spende, damit wir uns weiterhin für unser aller Freiheit einsetzen können!

Spendenkonto:

Ludwig von Mises Institut Deutschland e. V.

IBAN: DE68 7003 0400 0000 1061 78

BIC: MEFIDEMM

Merck Finck A Quintet Private Bank (Europe) S.A. branch

Verwendungszweck: Spende

Titel-Foto: Adobe Stock – bearbeitet (Felsritzungen von Tanum, Västra Götalands Iän, Schweden)

Soziale Medien:
Kontaktieren Sie uns

We're not around right now. But you can send us an email and we'll get back to you, asap.

Beginnen Sie mit der Eingabe und drücken Sie Enter, um zu suchen