Sind ökonomische und politische ‚Wahl‘ dasselbe?
17. März 2025 – von Rainer Fassnacht
Für viele Menschen ist es etwas Schönes, die Wahl zu haben. Manchmal kann eine sehr große Auswahl aber auch herausfordernd sein. Mir ging es beispielsweise so, als ich erstmals die beeindruckend vielfältige Auswahl an Lebensmittel in einem französischen Supermarkt kennenlernte.
Allein das Angebot an Milchprodukten wie Joghurt, Butter und Käse zog sich über mehr als fünfzehn Regalmeter. Dies war unglaublich viel im Vergleich mit der Auswahl, die ich aus Märkten in Deutschland kannte. Doch nach dem ersten ‚Überraschungsschock‘ war es eine Freude zu stöbern und jene Produkte auszusuchen, die den eigenen Wünschen entsprachen.
Die gegenteilige Erfahrung konnte man vor dem Mauerfall im Osten Deutschlands machen. Ich erinnere mich daran, wie ich als Wessi beim erstmaligen DDR-Besuch den Zwangsumtausch in einem Restaurant ausgeben wollte.
Es standen etwa zehn Gerichte auf der Karte, aus denen ich eines auswählte. Der Kellner antwortet „Haben wir nicht!“, auch nachdem ich eine zweite und dritte Auswahl traf. Nun war klar, es wäre besser zu fragen, was es gibt. Es war Hackbraten – als einziges Gericht auf der Karte.
Die minimale Produktauswahl in der DDR war eine Konsequenz der dortigen Planwirtschaft. Im Sozialismus ist freie Wahl nur ein Tarn- und Täuschwort. Dies galt auch für die politischen Wahlen im Osten. Einerseits waren die zu wählenden Parteien (ebenso wie beispielsweise Gewerkschaften und andere Nichtregierungsorganisationen) ‚auf Linie‘ und andererseits waren die Wahlen manipuliert.
Es gibt also erkennbare Verbindungen zwischen politischer und ökonomischer Wahl beziehungsweise Auswahl. Doch kann man deshalb sagen, dass die ‚Wahl‘ in beiden Fällen dasselbe ist? Sind eine politische Wahl, wie die zurückliegende Wahl zum 21. Deutschen Bundestag und eine ökonomische Wahl, wie die Entscheidung für ein Produkt im Supermarkt von gleichem Wesen?
Zunächst erscheint es so. In einem Fall kann man zwischen verschiedenen Politikern und Parteien auswählen, im anderen zwischen verschiedenen Produkten – beispielsweise Brotsorten. Und in beiden Fällen kann man nur aus dem vorhandenen Angebot auswählen. Wenn kein libertärer Kandidat und keine solche Partei kandidiert, können sie ebenso wenig gewählt werden, wie eine Brotsorte, die nicht angeboten wird.
Doch diese Gemeinsamkeiten sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine politische und eine ökonomische Wahl etwas grundsätzlich Verschiedenes sind. Die beiden entscheidenden und ganz fundamentalen Unterschiede sind die Mittelbarkeit und die Rückwirkung.
Wenn ein Mensch, der seinen Hunger stillen möchte, sich entscheidend, zur Erreichung dieses Ziels ein Brot zu kaufen, so ermöglicht ihm die Kaufhandlung ganz unmittelbar dies zu tun. Wenn ich in Frankreich ein Baguette kaufe, so breche ich dessen Spitze meist direkt ab, um den Hunger unmittelbar zu stillen und das Knuspern des frischen Brotes sofort genießen zu können.
Aber auch wenn man sich erst später in der Wohnung eine Scheibe vom Brot abschneidet, um den Hunger zu stillen, gibt es eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Verspeisen des Brotes und der Abnahme des Hungers. Der Kauf des Brotes half, das Ziel (satt zu werden) zu erreichen.
Bei politischen Wahlen ist eine solche Unmittelbarkeit nicht gegeben. Schlimmer noch, hier ist unter Umständen überhaupt keine Verbindung da. Um dies zu verdeutlichen, beginnen wir mit dem Kreuz in der Wahlkabine. Beispielsweise können Sie ein Kreuz bei Partei A machen, weil diese angekündigt hat, etwas gegen hohe Lebensmittelpreise zu tun.
Dass Sie das Kreuz bei Partei A gemacht haben, hat erstmal überhaupt keine Auswirkung. Sie verlassen das Wahllokal, ohne das durch ihre Wahlentscheidung direkt die Lebensmittelpreise sinken. Sie haben durch die Handlung (Partei A anzukreuzen) unmittelbar nichts bewirkt. Doch dies gilt nicht selten auch darüber hinaus.
In Abhängigkeit von den Wahlergebnissen und Verhandlungen könnte die von Ihnen gewählte Partei in der künftigen Regierung vertreten sein oder nicht. Wenn wir der Argumentation halber davon ausgehen, dass ‚Ihre Partei‘ in die Regierung kommt, könnte es durch den Koalitionsvertrag dazu kommen, dass die vorher angekündigten Maßnahmen, welche die Preissteigerung bei Lebensmittel dämpfen sollen, nicht aufgenommen werden.
Unterstellen wir optimistisch, dass Ihr Anliegen (sinkende Lebensmittelpreise) den Regierungsbildungsprozess überlebt hat und nun tatsächlich auf der politischen Agenda steht. Welchen Einfluss hat die Politik auf die Lebensmittelpreise? Nimmt man in der Vergangenheit gewählte und häufig anzutreffende ‚politische Lösungen‘ als Vorbild, könnten beispielsweise Höchstpreise für Grundnahrungsmittel oder Subventionen für Lebensmittelhersteller beschlossen werden.
Doch obwohl dies Maßnahmen wären, die mit der Absicht in Kraft träten, den Anstieg der Lebensmittelpreise zu dämpfen, würde dieses Ziel damit nicht erreicht. Jede Intervention in das Marktgeschehen – auch jene mit besten Absichten – bewirkt ungewollte negative Effekte.
Bei solchen Maßnahmen ist mit der Zeit zu erwarten, dass ihnen kein preiswerteres Brot, sondern gar keines zur Verfügung steht. Wenn der politisch festgelegte Maximalpreis für Brot die Kosten für dessen Herstellung nicht deckt, wird recht flott das Angebot schrumpfen und der Schwarzmarkt blühen.
Interventionseffekte können aber auch an gänzlich anderen Stellen wirksam werden, und sich beispielsweise im Maschinenbau zeigen. Wobei in diesem und anderen Fällen die Verbindung zur politischen Absicht, die Lebensmittelpreise zu senken, überhaupt nicht mehr erkennbar ist.
Die einzige Möglichkeit der Politik, ohne ‚Verschlimmbesserung‘ zu agieren, ist die Zurücknahme bestehender Interventionen und der Verzicht auf eine weitere Ausweitung der Geldmenge. Aber beides reduziert die Möglichkeit, als politischer Macher aufzutreten, und lässt sich nur schwer als ‚Wohltat‘ vermitteln. Daher haben solche Maßnahmen eine geringe Chance auf Umsetzung – solange der Schmerz nicht groß genug ist.
Dies macht auch die Wahl von Javier Milei in Argentinien verständlich. Das Land war vom Sozialismus bereits derart heruntergewirtschaftet, dass die Menschen nichts mehr zu verlieren hatten. Wie es aussieht, scheint die Situation in Deutschland für die meisten Wähler noch nicht schmerzhaft genug – zumindest steht hierzulande auch nach der zurückliegenden Wahl kein Milei auf der politischen Bühne.
Neben der Mittelbarkeit wurde die Rückwirkung als zweiter Unterschied zwischen einer politischen und einer ökonomischen Wahl genannt. Dies wird einerseits durch die zuvor geschilderten negativen Nebenwirkungen interventionistischer Politik deutlich, geht aber noch darüber hinaus.
Ihre Handlung, ein Brot zu kaufen, macht anschließend satt – mehr nicht. Brot ist (im Gegensatz zu Politikern) kein mit Macht ausgestattetes handelndes Wesen, das Dinge beschließen kann, die Ihren eigenen Zielen zuwiderlaufen.
Genau dies kann nach einer politischen Wahl geschehen und geschieht auch regelmäßig. Die gewählten Politiker werden sich nicht nur um ihr Wunschthema ‚kümmern‘. Einmal mit Macht ausgestattet ist dem Tun der Politiker vom Wähler nur schwerlich eine Grenze zu setzten – zumindest bis zur nächsten politischen Wahl.
Dies ist sicherlich eine der Ursachen, warum eine Vielzahl politischer Entscheidungen nur noch Kopfschütteln und Verständnislosigkeit auslöst. Im Gegensatz zu einer politischen Wahl kommt bei der ökonomischen Wahl hinzu, dass Sie deren Konsequenzen – auch bei Misserfolg – selbst zu verantworten haben.
Hat das gewählte Brot ihre Erwartungen nicht erfüllt, können sie schon am nächsten Tag ein anderes Brot beim selben Bäcker kaufen, das gleiche Brot bei einem anderen Bäcker kaufen oder ein anderes Brot bei einem anderen Bäcker kaufen. Es gibt zahlreiche Alternativen und die Veränderung ist kurzfristig möglich – aber nur bei einer ökonomischen Wahl.
Daher stellt sich die Frage, ob nicht auch jene Themen, die heute politisch ‚gelöst‘ beziehungsweise der politischen Wahl zugeordnet werden, einer ökonomischen Wahl überlassen werden könnten.
Innere und äußere Sicherheit werden traditionell auch von klassischen Liberalen als staatliche Kernaufgaben gesehen. Gustave de Molinari zeigt in seiner Schrift „Produktion der Sicherheit“, dass es möglich und wünschenswert wäre, auch diese Aufgaben dem Markt zu überlassen. Auch die Existenz privater Schiedsgerichte oder Wachdienste ist ein Beleg dafür, dass es Argumente und Möglichkeiten gibt, selbst solche Aufgaben zu privatisieren und somit zu einem Objekt der ökonomischen Wahl zu machen.
Allerdings ist diese Vorstellung meilenweit vom heutigen Istzustand entfernt. Bislang ist eine Bewegung in Richtung ‚zurück zur Freiheit‘ mit konsequentem Abbau politischer Interventionen nicht zu erkennen. Und es ist praktisch ausgeschlossen, dass die neu gewählten Politiker lediglich die von Ihnen erhofften Veränderungen aufgreifen werden.
So stellt sich am Ende dieser Betrachtung die Frage: Muss es erst (wie in Argentinien oder der DDR) dazu kommen, dass ausufernde Interventionen beziehungsweise der zunehmende Sozialismus Deutschland abgewirtschaftet haben, bevor der Schritt hin zu mehr Markt gegangen werden kann? Oder sind wir in der Lage – auch ohne wirtschaftlichen Absturz – aus der Vergangenheit zu lernen und die Erkenntnisse von Ludwig von Mises und anderen Vertretern der Austrian Economics zu nutzen? Die Zukunft wird es zeigen.
Hinweis: Die Inhalte der Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Ludwig von Mises Instituts Deutschland wieder.
Rainer Fassnacht ist Diplom-Ökonom und schreibt für verschiedene Printmedien und Onlineplattformen im In- und Ausland. Hauptthema seiner Beiträge ist die Bewahrung der individuellen Freiheit.
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