Zuruf aus der Schweiz: „Die Schweiz tötet Menschen“

3. Mai 2024 – von David Dürr

Vielleicht haben Sie es gelesen: Die Schweiz ist kürzlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschen­rechte in Strassburg (EGMR) verurteilt worden, weil sie fundamentalste Menschenrechte verletzt hat, nämlich das Recht auf Leben und das Recht auf Privat- und Familienleben. Die entsprechenden Tatbe­stände der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) lauten so:

Art. 2 Recht auf Leben
Das Recht jedes Menschen auf Leben wird gesetzlich geschützt. Niemand darf absichtlich getötet werden, ausser durch Vollstreckung eines Todesurteils, das ein Gericht wegen eines Verbrechens verhängt hat, für das die Todesstrafe gesetzlich vorgesehen ist.

Art. 8 Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

David Dürr

Da muss wohl etwas in der Art passiert sein, so denken Sie jetzt, wie in Russland mit dem Oppositi­onspolitiker Alexei Nawalny, den die Behörden willkürlich aus seiner Familie herausgerissen und in einem Straflager so lange geplagt haben, bis er daran starb. Und wenn Sie nun noch lesen, wer im Ge­richtsfall der Schweiz die Opfer waren, werden Sie noch mehr schockiert sein. Das waren nicht mili­tante Aufrührer, sondern harmlose ältere Damen, die noch nie jemandem ein böses Wort gesagt, ge­schweige denn ein Haar gekrümmt haben. Was um Himmels Willen war den der Grund, dass der schweizerische Staat diese Menschen aus ihrer vertrauten Familienumgebung herausgerissen und ge­tötet hat?

Lassen Sie mich trotz allem versuchen, ein gutes Wort für meine Schweiz bei Ihnen einzulegen, auf dass Sie nicht ein allzu schlechtes Bild von unserem schönen Land bekommen.

Deshalb gleich vorweg: Getötet wurde niemand. Die Opfer leben noch immer, und erst noch gesund und munter, jedenfalls für ihr Alter; mit etwa 70 Jahren, so der Durchschnitt dieser Opfer, hat man halt das eine oder andere Zipperlein. Und noch etwas: Diese Opfer wurden auch gar nicht aus ihrer Familienumgebung gerissen; nicht einmal zu einer Einvernahme wurden sie aufgeboten oder gar ab­geführt. Sie gingen stets völlig unbehelligt ihren privaten, familiären und beruflichen Aktivitäten nach.

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Freiheit gibt es nicht umsonst. Sie muss immer wieder neu errungen und bewahrt werden

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Drei Fragen

Nun fragen Sie sich wohl, weshalb sich diese Damen überhaupt als Opfer einer Tötung und einer Ver­letzung ihres Familien- und Privatlebens gefühlt und deshalb den Menschenrechtsgerichtshof angeru­fen haben. – Es war eben eine etwas andere Art von Tötung und Familienverletzung, nämlich eine sol­che durch den Klimawandel. Sie lachen jetzt vielleicht, und finden den Klimawandel derart akut ge­fährlich nun auch wieder nicht. Dass diese Gruppe älterer Damen deswegen nun gleich sterben und dass sie zum Beispiel durch einen Klimawandel-bedingten Tornado plötzlich aus dem Kreis ihrer En­kelkinder gerissen werden, liegt wohl nicht wirklich auf der Hand. Nun kann man das eben auch an­ders sehen und genau solche Gefahren für realistisch halten. Jedenfalls war das die Ansicht dieser „Klima-Seniorinnen“, wie sich die Klägerinnen-Gruppe nannte, und offensichtlich haben sie den EGMR von dieser Ansicht überzeugt.

Nebenbei: Diese Argumentarien stammten gar nicht von den Seniorinnen selbst, sondern von Green­peace. Die professionellen Weltrettungsaktivisten suchten für dieses Projekt geeignete Statistinnen, die sie als Klägerinnen auftreten liessen. Die offenbar beträchtlichen Anwalts- und Verfahrenskosten durch drei schweizerische Instanzen hindurch und schliesslich zum EGMR finanzierte Greenpeace.

Nun fragen Sie vielleicht als nächstes, weshalb sich daraus eine Klage gegen den Staat Schweiz ablei­ten lasse. Es ist ja nicht die Schweizerische Eidgenossenschaft, die diese klimatische Tötung und Fami­lienverletzung begeht, sondern es ist der Klimawandel als solcher. Und soweit dieser denn tatsächlich menschengemacht ist, sind es eben die Menschen, die angeblich zu viel Auto fahren, Flugzeug flie­gen, Fleisch essen und Kinder auf die Welt stellen. Also müssten doch, wenn schon, diese Menschen eingeklagt werden; aber nicht nur die 8 Millionen Einwohner unserer kleinen Schweiz, die auf den Kli­mawandel ohnehin keinen nennenswerten Einfluss haben, sondern die 8 Milliarden Menschen der ganzen Welt. Doch auch davon liessen sich die Klima-Seniorinnen und der EGMR nicht beirren, son­dern behalfen sich mit einem raffinierten Gedankenspiel: Die Schweizerische Eidgenossenschaft ist zwar nicht Verursacher des Klimawandels, aber sie hätte die Pflicht gehabt, etwas gegen den globalen Klimawandel zu unternehmen. Und weil sie das nicht oder nicht energisch genug gemacht habe, sei es letztlich und indirekt dann halt doch die Schweizerische Eidgenossenschaft, die diese armen Frauen tötet und aus ihren Familien herausreisst.

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Nun stellen Sie wohl noch eine dritte Frage, nämlich was die angebliche Pflicht der Schweiz zur Be­kämpfung des globalen Klimawandels mit Menschenrechten zu tun hat. Denn der Menschenrechtsge­richtshof ist nicht einfach ein Gericht, das irgendwelche Klagen gegen Staaten beurteilt, sondern – wie sein Name sagt – eine Instanz, die den Menschen hilft, ihre Grundrechte gegen Übergriffe des Staates zu verteidigen. Unterzeichnet wurde die EMRK im Jahr 1950 als Reaktion auf die massiven Menschenrechtsverletzungen durch den Nationalsozialismus. Es ging und geht mithin um klassische liberale Freiheitsrechte und damit um rein negative Abwehrrechte; letztlich also um das „einzig wahre Menschenrecht, in Ruhe gelassen zu werden“, wie dies Roland Baader (1940 – 2012) einst auf den Punkt brachte. – Das kehrt nun der EGMR ins Gegenteil um, nämlich in einen positiven Anspruch gegen den Staat auf noch mehr Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürger, auf noch rigorosere Einschränkungen und Verbote im Bereich Verkehr, Wohnen, Essen und vielem mehr. Mit anderen Worten gibt es, so der EGMR, ein Menschenrecht darauf, sich dagegen zu wehren, dass der Staat einen in Ruhe lässt.

Man könnte sich über diese skurrile Logik amüsieren, würde sie nicht beklemmend an Orwells Neusprech erinnern.

Mit anderen Worten gibt es, so der EGMR, ein Menschenrecht darauf, sich dagegen zu wehren, dass der Staat einen in Ruhe lässt.

Ein Menschenrecht auf Verletzung von Menschenrechten

Die eigentliche Pointe kommt erst: In der „grossen Kammer“ des EGMR, die dieses Urteil erliess, sass auch ein Schweizer: Dieser Richter, mit Namen Andreas Zünd und Mitglied der Sozialdemokratischen Partei (SP) Schweiz, war vor seiner Entsendung nach Strassburg während Jahren Bundesrichter in der Schweiz gewesen und war schon dort bekannt für ein aktivistisches, sprich mainstream-kollektivistisches Verständnis der Richterrolle. In einem Zeitungs-Interview, das er kurz vor dem Klimaseniorinnen-Urteil gab, unterstrich er einmal mehr die Bedeutung staatlicher Interventionen gegen den Klimawandel und wünschte, dass Gerichte diesbezüglich mehr Einfluss nehmen könnten. Diese plumpe Parteinahme eines Richters für eine Prozesspartei noch vor Erlass des Urteils müsste zum Ausstand dieses Richters führen. Die EMRK selbst, aber auch jede andere, halbwegs zivilisierte Prozessordnung, zwingen einen Richter in den Ausstand, wenn schon nur ein Anschein von Befangenheit besteht. Also hätte die andere Prozesspartei, die Eidgenossenschaft, den Ausstand von Richter Zünd verlangen können.

Das tat sie aber nicht. Warum wohl? Etwa weil ihr Anwalt gerade sonst viel zu tun hatte und deshalb keine Zeit mehr fand, den Ausstandsantrag fristgerecht zu stellen? Oder weil niemand das Interview von Richter Zünd gelesen hatte? Oder weil man darauf vertraute, dass Richter Zünd einer Verurtei­lung seines eigenen Landes nicht zustimmen würde (was er allerdings schon mehrmals getan hatte)? All dies will nicht so recht überzeugen. War es nicht eher deshalb, weil die schweizerische Bundesre­gierung letztlich nichts dagegen hatte, zu mehr Aktivität im Umweltschutz verurteilt zu werden? Was konnte ihr Besseres passieren, als ein Urteil, wonach Menschenrechte die staatliche Regulierungswut nicht bremsen, sondern im Gegenteil beflügeln, wonach es ein Gebot der Menschenrechte ist, Men­schenrechte zu beschränken?

Was konnte [der schweizerischen Bundesregierung] Besseres passieren, als ein Urteil, wonach Menschenrechte die staatliche Regulierungswut nicht bremsen, sondern im Gegenteil beflügeln, wonach es ein Gebot der Menschenrechte ist, Men­schenrechte zu beschränken?

Vielleicht gab es auch noch einen anderen Grund, weshalb der Anwalt der Schweizerischen Eidgenos­senschaft keinen Befangenheitsantrag stellte. Der beim Bundesamt für Justiz tätige Jurist namens Alain Chablais hatte sich nämlich noch während des laufenden Prozesses selbst als Richter beim EGMR beworben (für den freiwerdenden Sitz Liechtensteins). Bei der finalen Schlussverhandlung der Klima­-Seniorinnen vor dem EGMR war zwar noch nicht entschieden, ob er gewählt würde, wohl aber, dass er auf der finalen Dreierliste stand. Obwohl er sich bis dahin wacker gegen die Anträge der Klimaseni­orinnen gewehrt hatte, erklärte er unmittelbar nach seiner prozessualen Niederlage, das sei nun ein sehr wichtiges Urteil und man sollte nun zügig ans Umsetzen gehen. Eine Woche später erfolgte seine Wahl in den EGMR. – Ein Schelm, wer Böses denkt!

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Professor Dr. iur. David Dürr, LL.M., lehrte bis 2018 an der Universität Zürich Privatrecht und Rechtstheorie. Er ist nach wie vor publizistisch und mit Vorträgen tätig, wie auch als Wirtschaftsanwalt und Notar bei der von ihm mitgegründeten SwissLegal-Gruppe. Er ist Beirat des Ludwig von Mises-Instituts Deutschland sowie des Liberalen Instituts Zürich. Nebst zahlreichen Sachbüchern und Artikeln veröffentlichte er unter anderem die Politsatire „Staats-Oper Schweiz – wenige Stars, viele Staatisten” (*) (2. Auflage 2022) sowie eine Auswahl seiner Kolumnen bei der Basler Zeitung unter dem Titel „Das Wort zum Freitag” (*) (2014). Zudem schrieb er Beiträge zu dem 2021 erschienenen Buch „Geht mir aus der Sonne! Wege aus der Bevormundung“ (*).

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