Die Wirtschaftswissenschaften brauchen einen neuen Methodenstreit

Die Wirtschaftswissenschaften brauchen einen neuen Methodenstreit ausgehend von der Methodologie der Österreichischen Schule

Jonathan Newman

13. Mai 2024 – von Jonathan Newman

Per Bylund hat zu einem neuen Methodenstreit in der Wirtschaftswissenschaft aufgerufen. Er bezieht sich dabei auf die Debatte des späten neunzehnten Jahrhunderts zwischen Carl Menger, dem Vertreter der gerade aus der Taufe gehobenen „Österreichischen Schule“, und Gustav Schmoller, dem Vertreter der Deutschen Historischen Schule. Die Historiker spotteten über Mengers kausalen Realismus, demzufolge die Gesetze der Ökonomie aus dem grundlegenden Charakter menschlicher Entscheidungen abgeleitet werden. Sie bevorzugten einen nicht-theoriegeleiteten Ansatz, der sich auf Fallstudien stützte, die stets staatliche Eingriffe im Einklang mit ihren ideologischen Vorlieben zu unterstützen schienen. Ludwig von Mises zufolge „leugnete die Historische Schule nachdrücklich, dass es ökonomische Theoreme von solch universeller Gültigkeit gibt. Aber das hinderte sie nicht daran – im Namen der Wissenschaft –, verschiedene Meinungen oder Maßnahmen zu empfehlen oder abzulehnen, die notwendigerweise darauf abzielten, die Zukunft zu verändern.“

Mises vertrat die Auffassung, dass „Methodenstreit“ eine falsche Bezeichnung sei, da es in der Debatte nicht wirklich um die Methodik, sondern um die Existenz der Wirtschaftswissenschaften als Wissenschaft gehe. Historizismus und Positivismus schließen jegliche universellen, zeitlich unveränderlichen Aussagen über menschliches Handeln aus. Es werden lediglich vorläufige Hypothesen aufgestellt, die auf Daten beruhen, die unter bestimmten Umständen erhoben wurden – Umstände, die unzählige und nicht-messbare Faktoren einschließen, die die erhobenen Daten verfälschen, insbesondere wenn Menschen und ihre Entscheidungen der Gegenstand der Beobachtung sind.

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Freiheit gibt es nicht umsonst. Sie muss immer wieder neu errungen und bewahrt werden

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Die Ergebnisse des Methodenstreits sind durchwachsen. Menger begründete eine fruchtbare und langlebige Schule der Ökonomie, die sich von Österreich aus ausbreitete und vermehrt wurde durch die Arbeit von Eugen von Böhm-Bawerk, Frank Fetter, Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek, Murray Rothbard und durch zeitgenössische Österreichische Ökonomen auf der ganzen Welt. Im Gegensatz dazu bezeichnet sich heute kein Ökonom mehr als Mitglied der Deutschen Historischen Schule, aber ihre gescheiterten Ideen wirken fort. Die Bewegung starb (nominell) in den 1930er Jahren, als „die Anhänger der Historischen Schule und der Sozialpolitik ihre Loyalität auf verschiedene Splittergruppen übertrugen, aus denen schließlich die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die Nazis, hervorgingen.“ Werner Sombart, der „bei weitem der begabteste Schüler Schmollers“, trug die Fackel der Deutschen Historischen Schule nach dem Ersten Weltkrieg weiter, und Mises erzählt von seinem Vermächtnis:

Sombart versuchte, den Methodenstreit durch ein Buch voller Beschimpfungen gegen Ökonomen wiederzubeleben, deren Denken er nicht verstehen konnte. Nach der Machtergreifung der Nazis krönte er seine fünfundvierzigjährige literarische Laufbahn mit einem Buch über den Deutschen Sozialismus. Der Leitgedanke dieses Werkes war, dass der Führer seine Befehle von Gott, dem obersten Führer des Universums, erhält und dass das Führertum eine ständige Offenbarung ist.

Der moralische Bankrott, der politische Ruin, das erkenntnistheoretische Durcheinander und das akademische Scheitern der Deutschen Historischen Schule hätten zu einem vollständigen Aussterben ihrer Ideen führen müssen, aber die Geschichte des ökonomischen Denkens seit dem Zweiten Weltkrieg zeigt, dass ihre methodischen Ansichten immer noch wie ein untoter Zombie umhergeistern.

1969 sah Mises das Gespenst des Historizismus in den Wirtschaftswissenschaften herumspuken:

Überall auf der Welt, vor allem aber in den Vereinigten Staaten, sind heute Heerscharen von Statistikern in Instituten tätig, die sich mit dem beschäftigen, was man für ‚Wirtschaftsforschung‘ hält. Sie sammeln Zahlen, die von Regierungen und verschiedenen Unternehmensbereichen zur Verfügung gestellt werden, ordnen sie neu an, passen sie an und drucken sie erneut, berechnen Durchschnittswerte und erstellen Diagramme. Sie vermuten, dass sie damit das ‚Verhalten‘ der Menschheit ‚messen‘, und dass es keinen nennenswerten Unterschied zwischen ihren Untersuchungsmethoden und denjenigen gibt, die in den Labors der physikalischen, chemischen und biologischen Forschung angewendet werden. Sie blicken mit Mitleid und Verachtung auf jene Ökonomen, die sich, wie sie sagen, wie die Botaniker der ‚Antike‘ auf ‚viel spekulatives Denken‘ statt auf ‚Experimente‘ verlassen. Und sie sind fest davon überzeugt, dass aus ihren rastlosen Bemühungen eines Tages endgültige und vollständige Erkenntnisse hervorgehen werden, die es der Planungsbehörde der Zukunft ermöglichen werden, alle Menschen vollkommen glücklich zu machen.

Selbst ein flüchtiger Blick auf das, was heute in den Mainstream-Zeitschriften als Wirtschaftswissenschaft durchgeht, zeigt, dass die methodischen Fehler, die von Menger und Mises aufgedeckt wurden, fortbestehen. Wir sehen auch, dass die empirischen Ergebnisse dazu neigen, den Staat zu legitimieren. Hier eine Auswahl der Methoden und Schlussfolgerungen in der jüngsten Ausgabe der American Economic Review, die weithin als die beste Zeitschrift für Wirtschaftswissenschaften gilt.

1. Atal, Juan Pablo, José Ignacio Cuesta, Felipe González, und Cristóbal Otero. 2024. „Die Ökonomie der öffentlichen Option: Evidenz aus lokalen pharmazeutischen Märkten“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 615-44.

Methode: Verwendet Daten aus Chile, um die Auswirkungen öffentlicher Apotheken auf die Arzneimittelmärkte zu analysieren.

Schlussfolgerung: „Die Einsparungen für die Verbraucher überwogen insgesamt die Kosten der öffentlichen Apotheken.“

2. Coibion, Olivier, Dimitris Georgarakos, Yuriy Gorodnichenko, Geoff Kenny, und Michael Weber. 2024. „Die Auswirkungen makroökonomischer Unsicherheit auf die Ausgaben von Haushalten“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 645-77.

Methode: „Randomisierte Betrachtungen, die verschiedene Arten von Informationen über die ersten und/oder zweiten Momente des zukünftigen Wirtschaftswachstums liefern, um exogene Veränderungen der wahrgenommenen makroökonomischen Unsicherheit der betrachteten Haushalte zu generieren.“

Schlussfolgerung: „Rezessionen sind durch eine erhöhte Unsicherheit gekennzeichnet, so dass eine wirtschaftliche Erholung ein Management von Erwartungen und Zusicherungen durch die politischen Entscheidungsträger erfordern kann (z. B. wie es von Präsident Franklin D. Roosevelt praktiziert wurde; siehe Pedemonte 2020). Darüber hinaus werden politische Maßnahmen, die ein stärkeres Sicherheitsnetz für die anfälligeren Gruppen (z. B. in den betroffenen Sektoren) bereitstellen, die Gesamtnachfrage unterstützen.“

3. Bollerslev, Tim, Jia Li, und Yuexuan Ren. 2024. „Optimale Inferenz für Spot-Regressionen“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 678-708.

Zusammenfassung: „Betas aus Renditeregressionen werden üblicherweise verwendet, um systematische Finanzmarktrisiken zu messen. Gute Beta-Messungen sind für eine Reihe von empirischen Untersuchungen im Finanzwesen und in der Makroökonomie unerlässlich. Wir stellen einen neuartigen ökonometrischen Rahmen für die nicht-parametrische Schätzung von zeitvariablen Betas mit hochfrequenten Daten vor. Die ‚lokale Gauß-Eigenschaft‘ des generischen zeitkontinuierlichen Benchmark-Modells ermöglicht eine optimale ‚Finite-Sample‘-Inferenz in einem wohldefinierten Sinne. Im Vergleich zu konventionellen Ansätzen mit großen Stichproben bietet sie auch zuverlässigere Schlussfolgerungen in empirisch-realistischen Situationen. Zwei Anwendungen, die sich auf die Tracking-Performance von gehebelten ETFs und eine Intraday-Ereignisstudie beziehen, veranschaulichen den praktischen Nutzen der neuen Verfahren.“

4. Anderson, Axel, und Lones Smith. 2024. „Die vergleichende Statik des Sortierens“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 709-51.

Ich zeige Ihnen einfach einen Screenshot:

5. Esponda, Ignacio, Emanuel Vespa, und Sevgi Yuksel. 2024. „Gedankliche Modelle und Lernen: Fallstudie der Basisraten-Vernachlässigung“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 752-82.

Methode: „Wir dokumentieren experimentell die Persistenz von suboptimalem Verhalten trotz reichlicher Gelegenheiten, aus Rückmeldungen zu lernen, in einem kanonischen Aktualisierungsproblem, bei dem Menschen unter Basisraten-Vernachlässigung leiden“ (Zusammenfassung).

Schlussfolgerung: Wirtschaftssubjekte treffen „suboptimale Entscheidungen“.

6. Clark, Robert, Ig Horstmann, und Jean-François Houde. 2024. „Hub-and-Spoke-Cartels (‚Nabe-und-Speiche-Kartelle‘): Theorie und Evidenz aus der Lebensmittelindustrie“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 783-814.

Methode: Empirische Analyse der Kollusion zwischen Brotlieferanten und Lebensmittelgeschäften in Kanada.

Schlussfolgerung: Juristen und politische Entscheidungsträger sollten diese Ergebnisse nutzen, um Kartelle zu identifizieren. „Die Behörden müssen die zugrundeliegenden Motivationen und Absichten nachweisen, wenn sie einen Gesetzesverstoß beweisen wollen. Zu diesem Zweck bestätigen unsere empirischen Ergebnisse, dass Hub-and-Spoke einen erheblichen Einfluss auf die Preise haben kann, was ein Gewinnmotiv für diese Art von Arrangement darstellt.“

7. Buntaine, Mark T., Michael Greenstone, Guojun He, Mengdi Liu, Shaoda Wang, und Bing Zhang. 2024. „Wird das quietschende Rad mehr geölt? Die direkten und indirekten Auswirkungen der Bürgerbeteiligung an der Umweltschutz-Verwaltung in China“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 815-50.

Zusammenfassung: „Wir haben ein landesweites Feldexperiment in China durchgeführt, um die direkten und indirekten Auswirkungen auszuwerten, wenn Unternehmen öffentlichen oder privaten Beanstandungen ausgesetzt sind, falls sie gegen Umweltnormen verstoßen. Es gibt drei Hauptergebnisse. Erstens: Öffentliche Beanstandungen an die Aufsichtsbehörde über soziale Medien reduzieren Verstöße und umweltverschmutzender Emissionen erheblich, während private Beanstandungen mäßigere Umweltverbesserungen bewirken. Zweitens scheinen öffentliche Beanstandungen den Fokus der Regulierungsbehörden von der Förderung des Wirtschaftswachstums auf die Vermeidung von durch Umweltverschmutzung ausgelösten öffentlichen Unruhen zu verlagern. Drittens wird die Verringerung der Umweltverschmutzung durch betrachtete Unternehmen nicht durch Kontroll-Unternehmen ausgeglichen, wenn man den Anteil der betrachteten Unternehmen auf Präfektur-Ebene zufällig variiert.“

8. Exley, Christine L., und Kirby Nielsen. 2024. „Der Geschlechtsunterschied beim Selbstvertrauen: Erwartet, aber nicht berücksichtigt“. American Economic Review 114, no. 3 (March): 851-85.

Methode: Experiment, bei dem Teilnehmer, die als „Arbeiter“ bezeichnet werden, einen Test erhalten und anschließend ihre Testleistung selbst einschätzen. Andere Teilnehmer, die als „Bewerter“ bezeichnet werden, bewerten die Selbsteinschätzungen der Arbeiter, wobei sie Fragen zur Über- und Unterschätzung stellen. Ziel war es, die Voreingenommenheit der Bewerter gegenüber Frauen aufzudecken.

Schlussfolgerung: „Der Unterschied beim Selbstvertrauen – der sich zeigt bei der Selbsteinschätzung der Arbeitnehmer über ihre Leistungen in einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Test – führt zu einer übermäßig pessimistischen Einschätzung von Frauen im Vergleich zu Männern.“ Die Autoren stehen der Idee skeptisch gegenüber, geschlechtsspezifische Informationen aus Bewerbungen und Beurteilungen zu entfernen, da das den Beurteilern erschweren würde, Männer und Frauen unterschiedlich zu bewerten.

Wie Sie sehen können, sind Szientismus, Empirismus und Historizismus trotz der vernichtenden Niederlage der Deutschen Historischen Schule weit verbreitet. Moderne Ökonomen bedienen sich nicht nur ihrer Methoden, sondern die Schlussfolgerungen neigen auch dazu, staatliche Eingriffe zu rechtfertigen und freie Märkte zu verunglimpfen, genau wie die Arbeiten von Schmoller und seinen Jüngern.

Per Bylund hat absolut Recht. Wir brauchen einen erneuten Methodenstreit.

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Dieser Artikel ist im Original am 28. März 2024 auf der Website des Mises Institute, Auburn, Alabama (USA), unter dem Titel “Economics Needs a New Methodenstreit Based on Austrian Methodology” erschienen. Übersetzt von Florian Senne.

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Dr. Jonathan Newman ist ein Fellow am Mises Institute. Er promovierte an der Auburn University, während er als Research Fellow am Mises Institute tätig war. Er wurde 2021 mit dem Gary G. Schlarbaum Award to a Promising Young Scholar for Excellence in Research and Teaching ausgezeichnet. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Österreichische Wirtschaftslehre, Inflation und Konjunkturzyklen sowie die Geschichte des wirtschaftlichen Denkens. Er hat Kurse zu Makroökonomie und quantitativer Ökonomie abgehalten: “Uses and Limitations” an der Mises Graduate School. Contact Jonathan Newman

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